Drittes Kapitel

Die drei der bekanntesten, berühmtesten und allgemeinten Religionen wirken also in diesem Stücke nicht nur auf dem Gebiete des gegenseitigen Meinungen-Austausches, sondern auch in einem gemeinsamen praktischen Falle der Menschlichkeit zusammen, an dem die, diesen Religionen innenwohnende moralische Kraft an den Tag gelegt wird.

Wenn es aber meine Sache nicht wäre, den Witz zu bewundern, nach welchem der Brautwerber in der Braut seine Schwester umarmt, was den Erfolg des Dramas krönt, und wodurch das Ganze um so zu sagen a posteriori verstanden wird, so wird es meine Sache wohl sein, auf einen anderen ebenfalls am Schlusse des Stückes sich zeigenden Moment aufmerksam zu machen, das ebenfalls a posteriori Licht auf seinen Anfang, ja auf seinen Ursprung verbreitet, und uns gleichsam auf die Gründe hinweist, die das Werk ins Leben gerufen haben. Ich meine die Worte, welche lauten:


      Ach die arme Frau, ich sag' Dir's ja –
      Ist eine Christin; – muss aus Liebe quälen,
      Ist eine von den Schwärmerinnen, die
      Den allgemeinen einzig wahren Weg
      Nach Gott zu wissen wähnen,
      Und sich gedrungen fühlen, einen jeden,
      Der dieses Wegs verfehlt, darauf zu lenken.
      Kaum können sie auch anders – denn ist's wahr
      Dass dieser Weg allein nur richtig führt,
      Wie sollen sie gelassen ihre Freunde
      Auf einem andern wandeln sehn – der ins
      Verderben stürzt, ins ewige Verderben?
(N. d. W. letzt. Aufz. Auftr. 6)

Eine deutlichere Anspielung auf das Verfahren des Herrn J. Caspar Lavater gegen einen Freund Moses Mendelssohn als die erneuerte Szene des Giovanni di Civigni und des Abraham giudeo, das ein Schauspiel wie Nathan der Weise nötig machte, konnte Lessing nicht anführen.*) Daja selber, von der hier die Rede ist, kann freilich nicht Lavater sein, dafür soll aber ihr lieber Ehegemahl von Geburt ein Schweizer gewesen sein.**) Und wir haben nur zu sehen, wie dieser Nathan, der dem genannten Wahn als Widerlegung dienen soll, beschaffen ist.

*) Die Schriften des Herrn J. C. Lavater über die Physiognomie des Menschen, tragen am Titel: Um die Menschen zu lieben; dass aber, wen er lieben sollte, auch seine Religion haben müsste, beweist Lavater hinreichend durch ein Verfahren gegen M. Mendelssohn.
**) Aufz. 1. Auftr. 6.


Vor allem sei es gesagt, dass ungeachtet das Werk offenbar eine Widerlegung des besagten Wahnes bezweckt, ungeachtet dass hierin eine weite Arena für den fruchtbarsten Meinungen-Austausch in Religionssachen eröffnet sei, ist es nichts weniger als polemisch. Recht haben wollen ist zwar in der Natur eines jeden Menschen der das Wort führt, wenn er anders nicht lieber schweigt; allein bei Lessing widerlegen sich die verschiedenen Religionen nicht sowohl durch Worte als vielmehr und ausschließlich durch ihre Art zu denken und zu handeln. Unmittelbar trafen dieselben in keiner Weise sich Lügen; ihre Handlungen sind es, die auf Rechtlichkeit und Wahrheit pochen, und die an die Welt gleichsam appellieren zu entscheiden, welche die rechtlichsten und wahrten sind. Sind sie aber die rechtlichsten, so sind sie aus demselben Grunde die moralischsten, die, wenn sie einem religiösen Bewusstsein entspringen, den Beweis mit sich führen, dass dieses Bewusstsein auch ein echtes und ein wahres sei.

Nun handeln aber alle drei Religionen in diesem Stücke fast rechtlich, und wenn gleich die Handlungen des Juden die rechtlichsten sind, so sind deshalb die anderen nicht minder rechtlich. Der Moslem ist übermäßig gut und edel. Der Christ rettet nicht ohne Selbstopferung das Leben eines ihm unbekannten Judenmädchens, auch äußert er sonst Gesinnungen, die ein Muster des Edelsinns sein dürfen. Der einer Weise nach leichte Verrat, den der Herr Tempelherr an dem Juden begeht, indem er ihn nicht ganz vollständig an den Patriarchen verrät, ist durch Frauenliebe zu entschuldigen. Was vermag nicht diese Liebe, sie wäre sonst nicht, um mit dem Dichter im hohen Lied zu sprechen, mächtig wie der Tod, ihr Eifer sonst nicht stark wie die Gruft; ihr Funken nicht Feuer, Gottesflamme nicht, wenn sie nicht wüsste die unüberwindlichen Hindernisse sich aus dem Wege zu räumen. Die gute Haut*) von Klosterbruder ist gewiss nicht fähig, Jemanden etwas zu Leid zu tun. Aber selbst diese so christliche Daja handelt ja nicht böswillig, und meint ihrem innersten Wesen nachgerade gut zu handeln, indem sie stets auf das Gewissen sich beruft, das wohl irren aber unmöglich böswillig handeln kann.

Der Patriarch wird von seiner eigenen Partei der Schurkerei bezichtige, und bloß um dieses zu beweisen, wäre der ganze Lärm von Islam und Judentum ein Parturiunt montes zu nennen: der Kampf wäre unentschieden, Zuschauer und Leser verläßen die Bühne und das Buch mit demselben Skeptizismus, den sie mitbrachten; Lessing wäre ein farbeloser Schriftsteller zu nennen.

Allein wer diese Handlungen in Kausalnexus mit den Grundsätzen der verschiedenen Religionen zu bringen ein wenig bemüht ist, wird bald zu der Überzeugung gelangen, dass, während sie bei den christlichen, Tempelherrn in schroffem Widerspruch mit einem religiösen Bewusstsein stehen, und nur noch der menschlichen Natur eigentümlichen besseren Seite dem religiösen Bewusstsein zum Trotze entfließen, dass, während sie bei dem Moslem an die zufällig edle Persönlichkeit des geschichtlichen Sultans Saladin sich knüpfen, erscheinen sie bei dem Juden als mit dessen Denksystem unzertrennlich zusammen hängend. Nathan handelt rechtlich und edel, weil ein Denksystem, das er seine Religion nennt, ihn so zu handeln zwingt, und ein religiöses Bewusstsein mit diesen Handlungen, die ohnehin auf Rechnung der besseren menschlichen Natur kommen, in keiner Weise kollidieren.

Wegen diesem Denksystem und dem Kausalnexus zwischen Handeln und Denken, nennt Lessing ein Gedicht ein didaktisches, und äußert dabei, die Gesinnungen Nathans wären stets die einigen gewesen.*) Der Kampf ist also entschieden, und der Dichter zeigt sich in einer sehr lebhaften Farbe.

*) Man vergl. Vorrede zu Nathan der Weise.

Es dürfte sich der Mühe auf diese Didaktik einzugehen umsomehr verlohnen, als Lessing selber in einem Schreiben an einen intelligenten Bruder behauptete, dieser hätte sich davon eine ganz unrichtige Idee gemacht;*) wovon aber man sich heute noch eine nicht ganz rechte Idee macht.

*) Man vergl. Lessings sämtliche Werke. Briefe.

Neun Personen nehmen an der Didaktik des Stückes Anteil, zwei für das Judentum, drei für den Islam und vier für das Christentum.

Die für das Judentum sind Nathan und seine Adoptivtochter Recha genannt; die, wenngleich Christin von Geburt, kennt sie ihre Herkunft nicht, und sich eine Jüdin dünkt. Was sie weiß kommt von Nathan, Bücher hat sie keine gelesen. *) Die jüdische Didaktik gestaltet sich folgendermaßen.

*) Nathan der Weise. Aufz. 5. Auftr. 9.

In der Abwesenheit des Alten wird das Mädchen durch die aus Veranlassung des Brandes, der Todesangst, der Freude über die erfolgte Rettung, eingetretene Gemütsaufregung, besonders aber durch die von der christlichen Pflegemutter bei ihr geweckten Phantasie schwärmerisch. Sie wähnt, ihre Rettung wäre mehr als natürlich, etwa ein Wunder gewesen; ihr Erretter ein Engel, ein überirdischer, getragen von einem weißen Fittich, was der Pflegemutter sehr zu Statten kommt. Hierbei gewinnt der Dichter die Gelegenheit, den heimgekehrten Nathan seine Ansichten über Schwärmerei, Wunder und Engel, die eigentümlichsten Bestandteile der verschiedenen Religionssysteme, vernehmen zu lassen. Die Tatsache selber aber, wonach das Mädchen auf ganz sonderbare Weise, durch einen fast tollkühnen Menschen, der selbst auf einer ganz sonderbaren Weise vom Sultan das Leben geschenkt bekam, gerettet wurde, dient dem Dichter als Unterlage zu der Theorie, dass Sonderbares an Sonderbares gereiht, wenn noch so natürlich, ein Wunder konstatiere.

Dass Lessing in seiner Theorie von den Wundern der Physiognomie des Menschen so scharf gedenkt, ist offenbar gegen einen Theologen wie Lavater berechnet, der seine Religion auf lauter Wunder basiert sein lässt, und der Wunder so viele, so wenig in sein eigenes Handwerk sieht, wo es ihm nicht passend genug scheint, Beweise für ein Christentum zu suchen, und wo er nur noch die Wunder der Natur bewundert. Dass aber ein freimütiges Hinwegleugnen der übernatürlichen Wunder, und eine Reduktion derselben auf ein allgemeines Urwunder im Judentum nicht Ungewöhnliches sei, weiß ein jeder, der mit den Schriften der Rabbinen aus der sogenannten Denker-Schule (Mechakrim) bekannt ist. Nichts Neues unter der Sonne, sagt ja schon der Ecclesiast, dessen Buch zum biblischen Kanon zählt. Die sehr orthodoxe Mischna lehrt so was ganz offenherzig; dort heißt es: Zehn Dinge sind am Vorabend des Ruhetages in später Dämmerung geschaffen. *) Die Aufzählung zeigt solche Wunder an, die später im Judentum stattgefunden haben sollen; und weil sie den Naturgesetzen zuwider sind, glaubten jene Rabbinen dieselben auf die Sechs Schöpfungstage zurückführen zu müssen, um sie mit dem ein für alle Mal stattgehabten Urwunder gewissermaßen in Einklang zu bringen, worin alle möglichen Wunder – zehn sei als runde Zahl angenommen – zu subsummieren wären. Freilich hat diese zu sehr scholastische Logik für uns mehr keinen Wert, macht uns aber hinreichend auf die Kritik der Vernunft aufmerksam, die schon die ältesten Juden in ihre Religion hineinzutragen wussten. Ein Ähnliches findet in Bezug auf Engel statt, gar mancher von den älteren Rabbinen ist der Meinung, dass unter Engel Menschen zu verstehen wären, es fehlt auch nicht an welchen, die den Glauben an überirdische Engel des Polytheismus bezichtigen. Der Lessingsche Satz: Der Buchstabe ist nicht der Geist und die Bibel nicht die Religion, der seinen Nathan fördern half, ist nirgends wahrer als im Judentum. Jeder Mann weiß heutzutage, dass der Pentateuch wenigstens von Esra, dem Gesetzschreiber, (Sfar Data) datiert. Ein Judentum hat es aber ein gut Jahrtausend vor Esra gegeben, getragen von dem Geiste eines unsichtbaren und nur noch durch den Verstand zu fassenden Gottes. Aber selbst diejenigen, die die Bibel von der Zeit Moses datierend wissen wollen, geben zu, dass es ein Judentum vor Moses, und dem gemäß vor der Bibel gegeben habe, dass wenigstens Abraham, Isaak und Jakob, Joseph und seine Brüder, wenn nicht auch die Begründer der jüdischen Schule, Sem und Eber, Juden waren, bei denen allerdings nicht die Bibel, sondern der jüdische Geist prädominierte. Lessing konnte mit ganz gutem Gewissen einen etwa mehr als biblischen Nathan innerhalb des Judentums denken, handeln und fortwährend als Jude, und nur als Jude, sich gerieren lassen.
Lessing, indem er seinen Nathan herausgab und von demselben geglaubt, es wäre ein Werk für ein Jahrhundert zu frühe, glaubte mit Recht in ihm die Zukunft des Judentums zu antizipieren. Nathan schreitet vorwärts und lässt alle andern Religionen hinter sich zurück. Nathan tut das mit dem besten Gewissen, denn so wie es einerseits wahr ist, dass im Judentum der Buchstabe nicht der Geist, und die Bibel nicht die Religion; so ist's auch noch andererseits wahr, dass das Judentum auf kein sogenanntes fait accompli und nur noch auf eine ewig dauernde Entfaltung des jüdischen Bewusstseins basiert sei. So sagt beispielsweise die Bibel: Und es stand noch ein Prophet wie Moses in Israel nicht auf. *) Abgesehen davon, dass diese Anzeige, die das ganze Prophetentum hinter sich hat, und die uns belehrt, dass unter den vielen Propheten zufällig keiner wie Moses war, glaubten doch die späteren Rabbinen aus der talmudischen Zeit die Behauptung aussprechen zu müssen, Samuel wäre so ein Prophet wie Moses gewesen. Seine für das Judentum so wichtige geschichtliche Stellung hat ihm diese Parallele mit Moses vindiziert.

*) 5 B. M. Ende.

Aber nicht nur Samuel, Esra der Gesetzschreiber und Hillel von Babylon, der Primas Regni im jüdischen Reiche, waren wie Moses. Dieses wie Moses sein, hat sich im jüdischen Bewusstsein dergestalt hineingelebt, dass so oft eine Autorität auftaucht, die im jüdischen Leben eingreifend wirkt, an Moses erinnert. So ging zur Zeit des Maimonides, der Moses hieß, das Sprichwort: Von Moses bis Moses stand Niemand auf wie Moses, worauf man zur Zeit Mendelssohns, der ebenfalls Moses hieß, wieder kam. Das alles musste einem intimen Freunde Lessing nicht fremd geblieben, um nicht von der Wahrheit durchdrungen zu sein, dass das Judentum nicht auf ein abgerundetes Factum wie etwa das Christentum beruht.

Überhaupt beweiset der Talmud, der sich allerdings über die Bibel zu erheben versteht, der von den verschiedensten Ansichten innerhalb der Grenzen des Judentums – und was gehört nicht in seine Grenzen – wimmelt, und der hierdurch gleichsam der Nationalkodex des jüdischen Volkes ist, dass der Buchstabe nicht der Geist und die Bibel nicht die Religion sei, indem diese Religion auf keine ein für alle Mal abgeschlossene Tatsache sich gründet.

Ist aber das der Fall, welche Religion ist geeigneter der Zukunft mit freierer Stirn entgegen zu sehen, als die jüdische? Welche Religion ist geeigneter die Resultate der zur Reife gelangten oder noch zu gelangenden Weltweisheit zu den ihrigen zu machen, als die jüdische? Dieses ist’s, was Lessing im Auge hatte, als er seinem Nathan das Epithet der Weise gab. Dieses ist's gerade, was einen Philosophen wie Lessing veranlasste, sich auf die Seite der Vertreter des Judentums zu schlagen, und wie er selber nicht verschweigen wollte, die Gesinnungen Nathans zu den einigen zu machen.

Schon das Wenige, das wir von der Didaktik Nathans soeben nachgewiesen haben, ist Resultat der Weltweisheit. Lessing nahm’s gerade so auf, wie er's in dem theologisch-politischen Traktat von Spinoza vorfand.

Der Ausnahmestellung, die dieser Philosoph in einer Nation einnahm, ungeachtet, glaubte Lessing seine Theorien über Schwärmerei, Wunder und Engel innerhalb des Judentums zur Geltung bringen, und die Nathan, der das Judentum im Rate der Religionen vertreten soll, in den Mund legen zu dürfen. Einem Geiste wie Lessings konnte nicht entgangen sein, dass nur diejenigen Theorien einer Zukunft sich zu erfreuen haben, die bei ihrem Entstehen eine entgegengesetzte Wirkung hervorgerufen haben. Wenn diese Erscheinung in der allgemeinen Weltgeschichte sehr viele Beispiele zählt, so ist sie Lebensbedingung im Judentum. Nicht nur die Schriften Maimonides und zum Teile die Mendelssohns sind erst nach langjähriger Ausnahmestellung Gemeingut der Nation geworden, sondern auch von Moses selbst wird berichtet, dass er sehr vielen Unzufriedenheiten, in der Bibel unter dem Namen Volksmurren bekannt, vorzubeugen hatte. Und selbst diese Art von Ostrazismus im jüdischen Volke ist einem kritischen Geiste zuzuschreiben, der nichts auf Treue und Glauben annimmt; Zeit und Vernunft sind es die sanktionieren und abolieren.

Es bleibt noch übrig, die Didaktik Nathans über Gott selber zu vernehmen. Soweit ein Gedicht von dem Umfange Nathan des Weisen es zulässt, ist auch diese Didaktik zur Genüge ausgeprägt. Doch viel tröstender spricht Recha:

      War mir die Lehre, dass Ergebenheit
      In Gott von unserem Wähnen über Gott
      So ganz und gar nicht abgehängt. (Aufz. 3. Auftr. 1)

Will man aber wissen, wie Nathan über Gott wähnt, so wären folgende Sätze zu beherzigen:

      Stolz, und nichts als Stolz! der Topf
      Von Eisen will mit einer silbernen Zange
      Gern aus der Glut gehoben sein, um selbst
      Ein Topf von Silber sich zu dünken. Pah!
      Denn dein sich Gott um so viel näher fühlen
      Ist Unsinn oder Gotteslästerung. (Aufz. 1. Auftr. 2)

Unsinn und Gotteslästerung kann das „Sich Gott um so viel näher fühlen“ nur dem ein, der von der Einheit der Substanz überzeugt, weit entfernt ist, zwischen Schöpfer und Geschöpf ein Verhältnis, wie das, welches zwischen Eisen und Silber supponiert wird, zuzugeben:

Wem eignet Gott? (Aufz. 3. Auftr. 1)

fragt Recha. Ferner über Willensfreiheit:

      Gott, der du allein den Menschen nicht
      Nach seinen Taten braucht zu richten, die
      So selten eine Taten sind o Gott! (Aufz. 5. Auftr. 4)

Mit Gott angefangen und mit Gott beendet, ist Nathan der Meinung, dass die menschlichen Taten eher Gottes als die des Menschen sind. Um aber nicht missverstanden zu werden, glaubt Lessing, seinen Nathan schon gleich Anfangs einen Anlauf nehmen lassen zu dürfen, der auf seinen Mann hinweisen soll. Alles was, sagt Nathan von einem Adoptivkinde und Discipel sprechend:

      Ich sonst besitze hat Natur und Glück
      Mir gegeben, dies Eigentum allein
      Danke ich der Tugend. (Aufz. 1. Auftr. 1.)

Natur und Fortuna, welche Identität! Etwa nicht identisch? Nathan, der so viel auf Gott hält, nennt die Natur, nennt das Glück und schweiget von Gott. – Wenn ein Nathan mit Worten nicht spielt, so möge hierin ein Proemium zu einem Wähnen über Gott vorhanden sein. Natur und Glück, alles ist identisch, wofür aber später nur noch der Name Gott gilt. So dient dem Kapitel in der Ethik des Spinoza, das von Natur handelt, die Aufschrift de Deo im umgekehrten Sinne als Proemium.

Allein dieser unser Satz hat noch eine andere weit größere Schwierigkeit. Nathan, der sich Alles von der Natur gegeben sein lässt, spricht von Tugend. – Ist man etwa tugendhaft, wenn man natürlich ist? Allerdings! und das ist Nathan, dem Jude, Christ und Muselmann und Parsi gleich sind; der kein Bedenken trägt, ein hilfloses Wesen, das sich seiner Obsorge darbietet, zu einem natürlichen Kinde zu machen. Ein Mann, der einer Religion angehört, deren Prophet seinen Gott sprechen lässt: Ich werde sein, der ich werde sein,*) fragt keinen Menschen um ein Wähnen über Gott, dass gemeiniglich unter dem Namen Religion bekannt ist. Dass aber Nathan nicht etwa ein von Gott, trunkener Mystiker, etwa ein Fatalist sei, ist aus seiner Bemerkung über das dem muhamedanischen Ulemma entschlüpften Musswörtchen zu entnehmen. Kein Mensch muss müssen und ein Derwisch muss, sagt Nathan, und dieses so berühmt gewordene Bonmot Lessings, das ursprünglich gegen einer etwaigen Derwischenlehre von Prädestination und Fatalismus berechnet war, bürgt uns, dass Lessings Nathan wohlbedacht im Handeln und Denken zu Werke geht.

*) 2. B. M. 3, 14.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Lessings Verdienste um das Judentum