009. Der Hirt auf dem Kyffhäuser (Nach Grimm.)

Etliche sprechen, dass bei Frankenhausen in Thüringen ein Berg liege, darin Kaiser Friedrich seine Wohnung habe und vielmal gesehen worden sei. Ein Schafhirt, der auf dem Berge hütete und die Sage gehört hatte, fing an auf seiner Sackpfeife zu pfeifen und als er meinte, er habe ein gutes Hofrecht gemacht, rief er überlaut: „Kaiser Friedrich, das sei Dir geschenkt!" Da soll sich der Kaiser hervorgetan, dem Schäfer offenbart und zu ihm gesprochen haben: „Gott grüß' Dich, Männlein, wem zu Ehren hast Du gepfiffen?" „Dem Kaiser Friedrich," antwortete der Schäfer. Der Kaiser sprach weiter: „Hast Du das getan, so komm mit mir, er soll Dir darum lohnen." Der Hirt sagte: „Ich darf nicht von den Schafen gehen." Der Kaiser aber antwortete: „Folge mir nach, den Schafen soll kein Schaden geschehen." Der Hirt folgte ihm, und der Kaiser Friedrich nahm ihn bei der Hand und führte ihn nicht weit von den Schafen zu einem Loch in den Berg hinein. Sie kamen zu einer eisernen Tür, die alsbald aufging, nun zeigte sich ein schöner großer Saal; darin waren viele Herren und tapf're Diener, die ihm Ehre erzeigten. Nachfolgends erwies sich der Kaiser auch freundlich gegen ihn und fragte, was er für einen Lohn begehre, dass er ihm gepfiffen? Der Hirt antwortete: Keinen. Da sprach aber der Kaiser: „Geh' hin und nimm von meinem güld'nen Handfass den Einen Fuß zum Lohn." Das tat der Schäfer, wie ihm befohlen ward, und wollte darauf von dannen scheiden. Da zeigte ihm der Kaiser noch viel seltsame Waffen, Harnische, Schwerter und Büchsen und' sprach, er solle den Leuten sagen, dass er mit diesen Waffen das heilige Grab gewinnen werde. Hierauf ließ er den Hirt wieder hinaus geleiten, der nahm den Fuß mit, brachte ihn den anderen Tag zu einem Goldschmied, der ihn für echtes Gold anerkannte und ihm abkaufte.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Lesebuch zur Förderung humaner Bildung