Bibelübersetzung. §. 8.

§. 8. Die unstreitig größte Veränderung in der Sprache wurde durch die slawische Uebersetzung der Bibel bewirkt. — Die Brüder Method und Konstantin (im Mönchsstande Cyrill genannt), welche um die Mitte des 9ten Jahrhunderts lebten, und aus der griechischen Stadt Solun (dem jetzigen Salonichi) gebürtig waren, wurden die Erfinder der slawischen Kirchen-Buchstaben. Der Erste von ihnen wurde von dem griechischen Kaiser Michael III. in die von Slawen bewohnten Gegenden geschickt, wo er die dortige Sprache erlernte; der Andere aber, am Hofe zu Konstantinopel erzogen, war Priester, Bibliothekar an der Sophien-Kathedrale zu Konstantinopel und Lehrer der Philosophie. Um das J. 863 baten die mährischen Fürsten Rostislaff, Swätopolk und Kozel um christliche Lehrer von Konstantinopel. Dem zufolge wurden die Brüder Method und Konstantin an sie abgeschickt. Sie erfanden das slawische Alphabet (später nach des Letzteren Namen das Cyrillische genannt), indem sie dasselbe aus den griechischen Buchstaben zusammensetzten, denen sie die Beschreibung von den der slawischen Sprache eigentümlichen Lauten (be, she, ze, scha — das hebräische ... — schtscha, jerr, ui, je oder e, ju, ja) hinzufügten. Hierauf übersetzten sie aus dem Griechischen den Apostel, das Evangelium, den Psalter, die Oktoichen *) und andere für den Kirchendienst notwendige Bücher in eine der Mundarten der slawischen Sprache, welche zu jener Zeit der russischen weit ähnlicher war, als jetzt. (4). Nach Einführung des christlichen Glaubens in Russland wurden daselbst auch die heil. Bücher (welche wahrscheinlich bis zu dieser Zeit bei vielen getauften Slawen in Gebrauch gewesen) vermehrt, und daher entstanden bei den Russen zwei Sprachen: die Kirchen- oder eigentlich slawische Sprache, welche lange Zeit ausschliesslich Büchersprache war, und die russische, durch die Uebersetzung der heil. Bücher wurden in die slawische Sprache viele Wendungen und Wörter der griechischen eingeführt; denn die Uebersetzer trugen dieselbe fast buchstäblich über, und in der neuen, noch nicht geregelten Sprache hatten sie die Freiheit, Ausdrücke einer fremden, aber gebildeten Sprache aufzunehmen, Wörter zu bilden, oder sogar Wörter des Originals ganz unverändert zu lassen. Neue Begriffe verlangten auch neue Ausdrücke (z. B. Mitropolit, Jjerej — Priester; trapesa — Altar im Allerheiligsten etc.). Es ist wahrscheinlich, daß viele dieser Wendungen und Ausdrücke den Russen jener Zeit fremd und sonderbar vorkamen, aber nach und nach, als diese Sprache unaufhörlich bei Verrichtung des Gottesdienstes gehört wurde, gewöhnten sie sich an die besondern Eigenheiten derselben, und fingen endlich an, diese Erwerbung als ihr Erbgut zu ehren. Diese Büchersprache hatte auch den größten Einfluss auf die Volkssprache, welche jedoch deshalb keinesweges ihre Originalität verlor. Wir wiederholen das oben §. 4. Gesagte, daß man nicht genau angeben kann, bis zu welchem Grade die ursprünglich slawische Sprache durch die griechische verändert wurde; denn wir besitzen keine Denkmäler derselben bis auf die Uebersetzungen aus dieser letztern. Inzwischen wurde die russische Sprache, so wie alle lebenden, im Laufe der Zeit verändert, die slawische aber in den Büchern beibehalten; zuweilen nur hielten es die Abschreiber für nöthig, dieselbe zu verbessern und der herrschenden Mundart näher zu bringen.

*) Joh. Damascenus D. h. die von für acht Stimmen verfaßten geistlichen Lieder.

(4) Einige Historiker behaupten, daß diese Mundart die jetzige serbische Sprache sey. — Die älteste Abschrift von slawischen heil. Büchern ist ein Evangelium auf Pergament, welches im J. 1056 von dem Diakonus Gregor für den Nowgorod’schen Stadtkommandanten Ostromir geschrieben wurde. Diese Abschrift befindet sich in der Kaiserlichen öffentlichen Bibliothek. Ein anderes, im J. 1144 geschriebenes Evangelium auf Pergament besitzt die Moskwa’sche Synodal-Bibliothek. — In den Abschriften der heil. Bücher aus verschiedenen Jahrhunderten bemerkt man einige Veränderungen, die von gelehrten Abschreibern gemacht wurden. Das Neue Testament mit dem Psalter wurde zum ersten Male in Ostrog 1580, die ganze Bibel aber 1581 eben daselbst gedruckt. Unter der Regierung der Kaiserin Elisabeth Petrowna wurde aufs Neue eine Uebersetzung der Bibel veranstaltet. —: Nachdem wir des Ostromirschen Evangeliums Erwähnung gethan haben, wollen wir einige Worte über die alten Handschriften überhaupt sagen. In ganz Europa gibt es keine früheren Handschriften als die aus dem 5ten Jahrhundert, und aus diesem sind nicht mehr als zehn, aus dem 6ten ungefähr zwanzig, aus dem 7ten einige Hundert, aus dem 8ten schwerlich tausend vorhanden. Die ältesten russischen Handschriften finden sich nicht vor dem 11ten Jahrhundert; sie sind: das erwähnte Östromirsche Evangelium und der Sbornik *) vom J. 1046 oder 1076, welcher dem Fürsten Schtscherbatoff gehört. Aus dem 12ten Jahrhundert kennen wir zwei Evangelien: das erste, auf Pergament von einem gewissen Alexej für den Nowgorod’schen Fürsten Mstißlaff Wladimirowitsch im Jahre 1125 geschrieben, und das andere, das oben erwähnte, vom J. 1144. — Von Urkunden oder Diplomen ist die älteste zwischen 1128 und 1132 auf Pergament geschriebene, eine Urkunde des Großfürsten Mstißlaff Wladimirowitsch und seines Sohnes, des Nowgorod’schen appanagirten (Lehn-) Fürsten Wsewolod Mstißlawitsch **). Die ältesten russischen Urkunden and Bücher sind bis zum 15ten Jahrhundert, einige aber auch nach demselben, auf Pergament und Baumwollenpapier, welches sich durch Dicke, Festigkeit und Glätte auszeichnet, mit dem 16ten Jahrhundert jedoch auf feines Leinenpapier geschrieben. Die Schrift in den ältesten Handschriften ist eine der russischen Kirchenschrift ähnliche Art Frakturschrift, worin die ältesten russischen Pergamentbücher des 11ten, 12ten, 13ten und zum Theil des 14ten Jahrhunderts geschrieben sind. Seit der Mitte des 14ten Jahrhunderts fing man an, sich der Halbfrakturschrift zu bedienen, aber mit dem 15ten kam aus Polen die Kurrentschrift in Gebrauch.





*) Ein Gebetbuch; auch hießen so in alten Zeiten russische Manuskripte, in welchen sich Schriften verschiedenen Inhalts befanden.

**) Eine umständliche und sehr schöne Erklärung derselben befindet sich in dem 15. und 16. Hefte des Boten von Europa vom J. 1818.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Lehrbuch der Russischen Literatur.