§. 4. Slawische Sprache.

§. 4. Die Slawen redeten wahrscheinlich eine allgemeine Sprache (2), welche, wie auch alle europäischen Sprachen, aus Asien stammte. Dies wird durch die Aehnlichkeit ihrer Wurzelwörter mit den griechischen, lateinischen, deutschen und mit denen des Sanskrit — der alten Sprache Indiens, die in den heil. Büchern der Braminen aufbewahrt ist, bestätigt. Das Eigentümliche der alten slawischen Sprache ist uns nicht bekannt; wir besitzen keine Schriftdenkmäler derselben bis zur Trennung der slawischen Stämme, und (ein wichtiger Umstand!) bis auf die slawische Uebersetzung der heil. Bücher der christlichen Religion durch griechische Mönche. Diese Sprache bestand in den ältesten Zeiten, aller Wahrscheinlichkeit nach, nur in einer Mundart; hierauf theilte sie sich in zwei: in die morgen- und abendländische (Slawische und Antische), welche in der Folge viele Zweige bildeten. — Alles, was uns von der slawischen Ursprache bekannt ist, beruht auf dem Zeugnisse des Prokopius, Sekretärs von Belisar, welcher diese Sprache barbarisch nennt, und auf einigen durch die byzantinischen Chronikenschreiber (Mesamir, Kelagast, Ardagast, Pirogast) aufbewahrten und wahrscheinlich schon corrumpirten slawischen Namen.

(2) Alle slawischen Sprachen werden in zwei Hauptzweige eingetheilt: in den östlichen und westlichen *).


I. Die Sprachen des östlichen Zweiges sind:

1) Die Russische, weniger als alle andern mit ausländischen Wörtern vermischt. Ursache ihrer Originalität kann der Umstand seyn, daß die Russen in der Mitte der andern slawischen Stämme lebten und mit fremden Völkern keine unmittelbare Verbindung bis zur völligen Bildung ihrer Sprache hatten. — Dadurch, daß die Russen christlichen Glaubens das griechische Religionsbekenntniß annahmen, bewahrte sich diese Sprache vor der Vermischung mit der lateinischen. Die von den Tataren entlehnten Wörter sind nicht zahlreich, und verdrängten, nicht die Synonymen der slawischen. Die russische Sprache hat eine Hauptmundart: die Hochrussische, und einige Nebenmundarten, von welchen die wichtigste die Kleinrussische ist, die von der ersteren durch die Aussprache, durch viele Ausdrücke, Wendungen und grammatische Formen unterschieden ist. Die kleinrussische Mundart entstand und erhielt Ansehn durch die sehr lange Herrschaft der Polen in dem südwestlichen Russland; sie kann daher sogar polnischer Provinzialdialekt genannt werden. Die andere Nebenmundart ist die Weißrussische, welche das Volk in Lithauen und zum Theil in Volhinien spricht. Diese Mundart (auch die Russische genannt) war die Büchersprache einiger Schriftsteller im 16ten und 17ten Jahrhunderte (s. weiter unten). Die übrigen Mundarten kommen der Hauptmundart näher, von der sie sich durch einige Wörter unterscheiden (wie z.B. die Susdalische, welche viele Wörter enthält, die der russischen Sprache völlig fremd sind; die Olenezische, welche aus der Vermischung der Russen mit den Finnen entstanden ist etc.), oder durch die Aussprache einiger Buchstaben (wie z. B. das jetzige Nowgorodische etc.). Die reinste hochrussische Sprache spricht das im Moskwa’schen Gouvernement und in einigen mit diesem grenzenden Gouvernements wohnende Volk. In Sibirien erhält sich die nowgorodische Sprache rein, obschon auch sie einige Provinzialismen hat.

*) Die Verschiedenheit der Sprachen der östlichen und westlichen Stämme beruht (nach Dobrowski’s Meinung) auf dem verschiedenen Gebrauche dreier Wörter:

1) Die östlichen Slawen haben das Vorwort ra, die westlichen hingegen ros.

2) Die östlichen Slawen gebrauchen das Vorwort is, wo die westlichen wui setzen.

3) Bei den östlichen Slawen ist das, Wort ptiza gebräuchlich, bei den westlichen dagegen ptak.
Diese Meinung ist jedoch nicht befriedigend, denn die Russen, welche zu dem östlichen Zweige gehören, gebrauchen die Vorwörter ros und wui, so wie sie auch das Wort ptacha haben. Herr Wostokoff hat weit richtiger bemerkt, daß die Haupteigenthümlichkeit der westlichen Sprachen in den Einschiebseln Schiwetje (wie das französische j lautend) und d bestehe, s. B. dzien (poln.) — den’ (russ.) der Tag, mydlo (poln.) — muilo (russ.) die Seife.

2) Die Kirchensprache oder das eigentliche Slawische ist in schriftlichen Denkmälern vorhanden, nämlich: in Uebersetzungen der heil. Schrift und in andern aus der griechischen Sprache in die slawische (serbische) Mundart übertragenen Kirchenbüchern. Diese Sprache hatte, wie wir in der Folge sehen werden, einen großen Einfluss auf die Bildung der russischen Sprache.

3) Der illyrische Stamm, wovon Hauptsprachen sind:

a) Die Serbische (die einige Mundarten hat, als: die eigentliche Serbische, die Bosnische, Bulgarische, Slawonische, Dalmazische, Czarna-Gora’sche (Montenegrinische), Ragusanische, Siebenbürgische etc.), eine nicht sehr reine, aber wie Einige versichern, angenehme Sprache, welche einen günstigen Zufall erwartet, um aus dem langen Schlafe zu erwachen.

b) Die Kroatische, und
c) Krainische, die fast ganz ungebildet und schon mit dem Italienischen und Deutschen vermischt sind.

II. Die Sprachen des westlichen Zweiges sind:

1) Die Polnische, welche viel von ihrer Originalität durch den Verkehr der Polen mit Deutschland und Rom verloren hat, aber gebildeter ist, als alle slawische Sprachen, und die eine reiche Literatur hat.

2) Die Böhmische oder Tschechische, schwerlich unverderbt geblieben durch deutsche Herrscher und lateinische Mönche, fing unlängst wieder an, das Recht einer Büchersprache zu erlangen. Sie hat einige Mundarten, z. B. die Mährische, Slowakische etc.

3) Die Wendische, welche das Volk in der Lausitz spricht — die ärmste unter den slawischen Sprachen, welche nach und nach durch die, deutsche verdrängt wird.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Lehrbuch der Russischen Literatur.