Zwei und zwanzigstes Kapitel. Die Unterrichtungsbahne

Zwei und zwanzigstes Kapitel.

Die Unterrichtungsbahne.


Und doch, ich konnte es nicht begreifen, wollte mich meine Gebieterin nach einigen Monaten verkaufen. Sie ritt jetzt wenig, und auch hier nur von einem Jockei begleitet; den Gentleman sah ich gar nicht mehr. War es vielleicht sein Ausbleiben, was ihr auch das Andenken von ihm verhasst machte? Ich weiß es nicht: Selten bekam ich jetzt Zucker, noch seltener wurde ich von ihr geliebkost, und am Ende gar nicht mehr von ihr besucht, meinem Wärter zum Ausreiten übergeben, zum Verkauf ausgeboten und vor aller Welt besehen, gemustert und getadelt.

Welcher Unbestand des Lebens! dachte ich, und meine Gebieterin machte vielleicht gleiche Reflexionen mit mir. Jetzt bin ich nun so gut behandelt worden, wie in Mecklenburg von Jakobs Vater, habe ich die Schläge in – S –, die Misshandlung im Marstall, die schwere Chaise des Hofadvokaten, das Barrieren–Setzen auf der Messe, den Schreck bei dem Militär, Kilian, Kienböhlen und Sultan, die uneinigen Professoren und die mordbegierigen Scholaren der Tierarzneischule, den quacksalbernden Schankwirt und alle Juden, Mäckler, Lohnkutscher, Pferdeverleiher, Pferdeverständige und Pferdebändiger vergessen, und nun werde ich wieder einem neuen Geschick Preis gegeben, das vielleicht noch unglücklicher als das vergangene ist.

„Neben dem dänischen Hengst und dem Schimmel Roland wird es freilich einen übeln Eindruck für das Auge machen“, sagte der Stallmeister einer Unterrichtsbahne zu seinem ihn begleitenden Bereiter mit großen Stiefeln und Sporen, deren Geklirr mich aus meinen Träumereien weckte.

O wehe dir, wenn du wieder in deren Händen fällst, dacht' ich, die großen Stiefeln, große Sporen, noch größere Hüte und große Stolpenhandschuhe tragen, und meist unter allen Reitern die unglücklichsten sind.

„Weder mit dem dänischen Hengst, noch mit dem Schimmel Roland zu vergleichen“, versetzte der Bereiter, „doch ausgefüttert und fromm genug ein Scholarenpferd abzugeben, das nicht sobald zusammenfällt, noch seinen Reiter abwirft,“

Der Handel war, wie ich nach allem hörte, schon abgeschlossen, und ich wurde nach der Unterrichtsbahn abgeführt.

„Nur gleich den Schulsattel aufgelegt“, schrie der Herr Stallmeister, „ich will sogleich den Herrn Gotthold damit traktieren.“

Indem kam Herr Gotthold, ohne eine Ahnung auf dieses Traktrement, und nur seine ganze Erwartung höchstens auf den Schimmel Roland gerichtet zu haben.

„Herr Gotthold, ich traktiere Sie heute mit einem Campagnepferd, das Sie gerade ausreiten, und dann will ich Sie mit dem dänischen Hengst an die Longe nehmen.“

Unter vielen Bücklingen versicherte der Herr Gotthold, dass ihm alles recht sei.

„Sie können sich ganz beherzt auf den Braunen setzen“, hob der Herr Stallmeister wieder an, als man mich an das Vorteil stellte; „führen Sie ihn nur recht hübsch gelind in der Hand, wenden Ihre Schenkel recht um, strecken Sie sich aus, halten den Oberleib gerade, und legen die Ellbogen fest an.“

Der Herr Gotthold saß nun auf, als er jedoch zuvor dem Herrn Stallmeister ein tiefes ompliment gemacht hatte, und der Unterricht ging an.

„Ellbogen an den Leib, Herr Gotthard“, schrie der Stallmeister, der sich in der obersten Volte über das gestern ausgekommene Feuer in der Vorstadt mit dem Doktor – M – unterhielt, und den wir eben in kurzem Trab im Rücken gelassen hatten.

„Strecken Sie sich doch aus und wenden die Schenkel um“, schrie der Bereiter, der in der letzten Volte ein Privatpferd ritt, und bei dem wir so eben vorbei passierten.

„Den Oberleib gerade“, rief der Stallmeister, in dessen Nähe wir uns jetzt wieder befanden.

„Gehen sie doch einmal auf die andere Hand“ erinnerte der Bereiter.

„Die Spitze vom Fuß in die Höhe, Herr Gotthold“, schrie uns wieder der Stallmeister zu.

„Aber wollen Sie denn das Pferd zu Tode traben?“ rief er, als wir so eben erst das viertemal die sehr beschränkte Peripherie der Bahn in einem kurzen Hundetrab durchmessen hatten. „Gehen Sie doch einmal im Schritt, und parieren dann, dass das Pferd wieder etwas verschnauft.“

Hier hält man auf kurze Reprisen im Trab und lange Paraden, dachte ich. Nun dabei können sich die Bahnenpferde so gut wie der Herr Stallmeister stehen, und außer einigen Monaten mehr Zeit und ein Dutzend Louisd'or verlieren auch die Scholaren nichts dabei; aber wenn hier nur nicht, rief mir eine ahnende Stimme meines traurigen Schicksals in mir selbst zu, wenn nur hier nicht auch das Futter den Schulpferden so karg zugemessen wird, wie den Lehrlingen der Trab.

„Haben Sie es denn auch schon gehört, lieber Herr Gotthard“, sagte der Stallmeister, sich vertraulich zu uns hinstellend, als wir so eben die Parade endigen und wieder in Trab auf die linke Hand gehen wollten, „haben Sie es denn auch schon gehört, dass die neue Aktrice ganz durchgefallen ist, als sie zum erstenmal debütiert hat? Ausgepfiffen, rein ausgepfiffen, sage ich Ihnen, ist sie geworden, und kaum glaube ich, dass sie künftigen Sonntag wieder auftreten wird.“

„Nur auf einen Augenblick“, unterbrach ein Herr, der mit fremden Tieren umherzog, und hierzu auf einige Tage die Manege zum Schauplatz mieten wollte, den Stallmeister, und wir trabten mit unausgestreckten und unumgewandten Schenkeln, flatternden Ellbogen und schwankendem Oberleib auf die rechte Hand wieder fort.

„Wissen Sie auch schon“, unterbrach der Stallmeister unsern Trab, stellte sich zu uns hin, um uns schon wieder zu einer neuen Parade zu nötigen, „wissen Sie auch schon, durch welchem Zufall das Feuer in N… gestern aufgekommen ist? Durch nichts als durch die Unvorsichtigkeit mit dem Lichte. Die ganze Stadt hätte ein Aschenhaufen werden können, wenn die Löschungsanstalten nicht so gut wären, und die vornehmsten jungen Leute der Stadt mit Wasser getragen Hätten. Der – und der –“ setzte er hinzu, „löschten auch mit, und nun – die Löschungsanstalten – die sind vortrefflich. – Kennen Sie sie schon? Jedes Handwerk, sage ich Ihnen, hat seinen angewiesenen Posten“ – und nun begann eine Aufführung von allen Professionisten und ihren Pflichten bei Feuergefahr. „Doch!“, unterbrach er sich selbst, indem er nach der Uhr sah, es ist schon halb, „wir wollen wechseln. – Der dänische Hengst soll herauskommen“ schrie er, und voller Erwartung, den dänischen Hengst zu sehen, machten die Zuschauer, die unter dem Torweg der Bahn standen, dem in den Stall eilenden Reitknecht Platz.

„Nun ich will Sie heute nicht zu sehr angreifen“, fuhr der Stallmeister fort, „der gestrige Ball scheint Sie satiguiert zu haben; nur noch einige Nexrisen, und wir wollen die Stund schließen.“

Erwartungsvoll sah ich mit den Zuschauern vereinigt dem dänischen Hengst entgegen, und alles drückt sich in einen Winkel, als der Auftritt dieses Tieres in dem Torweg erscholl.

„Schnallt mir gleich die Longe ein“, sagte der Stallmeister zu dem Reitknecht, indes mich der Bereiter dem Reitknecht, indes mich der Bereiter dem Herrn Gotthold abnahm, und mich bis zur Ankunft des Reitknechts hielt.

Unverwandt sah ich nach dem dänischen Hengst, der wie die Wasserkannen dick angelaufene Beine und einen fast ganz grauen Kopf hatte. Das mag schon lange her sein, dachte ich, dass der sein Vaterland verlassen hat, und mühte mich vergebens, etwas von dänischer Rasse an ihm zu entdecken.

In einem Tritt, von dem ich nicht anzugeben weiß, ob es Trab oder Schritt sein sollte, ging das Pferd in einer Stellung, die vielleicht vor mehreren Jahren regelmäßig gewesen sein könnte, nun aber, wie bei altem Hausgerät, aus den Fugen gegangen war, in der Volte herum, schüttelte zu Zeiten, wenn es die Zügel oder die Longe fühlt, gewaltig mit dem Kopf, und musste immer, wenn es nicht stehen bleiben sollte, von einem die Peitsche Führenden vicarierenden Reitknecht, dem man wegen dieser Dienstleistung erlaubte, sich bis auf bessere Zeiten in dem Stalle der Schulpferde aufzuhalten, angetrieben werden.

„Nun wollen wir croupe au mur, oder mit dem Kopfe an die Wand gehen“, sagte der Herr Stallmeister, und kaum bemerkte der dänische Hengst, dass sich sein Leinführer wendete, als er sich ohne Zutun des Reiters sogleich auch wandte, und in einer wirklich gefährlich aussehenden Stellung auch auf die andere Hand ging; „und nun die Pirouette“, sagte der Stallmeister, wandte sich abermals und der Hengst hoppte, von dem Reitknecht und zugleich und zugleich auch von der Rute des Stallmeisters getrieben, in einer Art von Galopp, mit unbeschreiblich komischer Stellung und in einem nur etwas kleinern Kreise, als die ganze Volte war, um den Leinführer herum.

„Bravo! Bravo!“ – schrie der Stallmeister, dass sie ganze Bahn wiederhallte, als endlich der Hengst durch nichts in der Welt mehr fortzubringen war, und wie in die Erde gemauert da stand. „Bravo, Herr Gotthold, das geht ja ganz vortrefflich!“ und Herr Gotthold, eigenliebig genug, um zu glauben, er habe das Pferd, das ganz allein die Reste seiner ehemals gelernten Fertigkeit mit ihm exerziert hatte, geführt, lächelte selbstzufrieden seinen Freund an, der so eben zu dem geschmeichelten hintrat, und ihn bewundernd einen freundlichen guten Morgen bot.

„Das heißt Fleiß“, sagte Herr Stallmeister zu dem Freund des Reiters; noch nicht fünf Monate geritten, und schon weiß er sein Schulpferd perfekt zu führen, sitzt allerliebst zu Pferde, und hat die leichteste Faust der Welt; (wirklich spürte man auch keinen Riss an den Zügeln) aber wir haben uns auch geplackt, dass uns der Schweiß am Leibe herabgelaufen ist. „Da nehmt den Hengst weg“, rief er dem Reitknecht zu, der mich noch an der Türe hielt, und den Befehl der Frau Stallmeisterin, Holz in die Küche zu tragen, überhörte.

Ei du lieber Himmel, dachte ich, was ist das für ein Unterricht! Und schlich in Gesellschaft des dänischen Hengstes dem Stall zu, indem ich mir keine bessere Pflege versprach.



Der Beschluss folgt zur Michaelis–Messe 1802 im 2ten Bändchen.