Vierzehntes Kapitel. Mein Geschick als Reisepferd.

Vierzehntes Kapitel.

Mein Geschick als Reisepferd.


Ein alter Veteran der Reitkunst, der einst viel mit Pferden gehandelt und dabei wie so mancher, der dieses Geschäft mehr aus Leidenschaft für uns als aus merkantilischer Spekulation treibt, bedeutende Summen verloren hatte, stellte als Freund vom Hause meinem Herrn vor, dass es weit vorteilhafter für ihn sein würde, mich aus freier Hand zu verkaufen und ein paar ganz neue Wagenpferde anzuschaffen, als einen Kompagnon zu mir zu suchen. Die Art, wie er es vortrug, war zu überredend, die Gründe, die er dazu aufstellte, zu gültig, und mein Herr zu sehr Kaufmann, als dass er dieser Vorstellung nicht einiges Gehör hätte geben sollen:

Ich wurde also zufolge dieser Überredung feilgeboten, und die nächste Zeitung trug, einem Steckbriefe gleich, meine Beschreibung in die Welt.

„Eine hellbraune 5-jährige ganz fehlerfreie Stute von englischer Rasse“, hieß es darinne, „völlig zugeritten und auch zum Fahren zu gebrauchen, steht um einen billigen Preis zu verkaufen. Das Nähere erfährt man etc.“

Ein Heer von Juden, Lohnkutschern und Pferdeverleihern versammelte sich nun um den Braunen, der zum Reiten und Fahren zu gebrauchen war, und alle stimmten ihr Gebot bis auf wenige Thaler herunter, als sie mich mit dem Kökriemen da stehen sahen.

„Ehe ich ihn dafür lasse“, erwiderte mein Herr den unverschämten Käufern, die ihn jetzt im Comptoir überliefen und ihm nicht viel über 20 Thlr. für mich bieten mochten, „verschenke ich ihn lieber; überdies habe ich einen Kommis in Handlungsgeschäften zu verschicken, und werde ihn als Reisepferd gebrauchen.“

Unmutig über die verunglückte Spekulation, einem reichen Kaufmann doch auch etwas abzugewinnen, zog die Zunft der Lohnkutscher und Philister ab, und Herr Kienöhl bereitete sich zur Reise.

Mit Reisesattel (ich weiß nicht mehr genau, ob nach Herrn Chaussee–Einnehmer Häblers Angabe. Man sehe Tenneckers Zeitung 1. Band.) Packkissen, klafterlangen Packriemen, einem ungeheuren Mantelsack, wasserdichtem Rottinger, die Pistolen unter dem Arme und einen großem Hieber an der Seite trat Herr Kienöhl, der Reisediener, von Sultan und dem Kutscher begleitet, den andern Tag bei mir ein.

„Können denn der Herr Kienöhl aber auch reiten?“ fragte Kilian besorglich.

„Warum nicht“, erwiderte dieser, „ich habe ja Meiers Anleitung, ohne alle Anleitung Reiten zu lernen, gelesen, in welcher diese ganz unbedeutende Wissenschaft auf höchstens drei Bogen so vollständig und zugleich so intensiv abgehandelt ist, dass noch ein Teil dieses nützlichen Werks die gewöhnlichsten Krankheiten der Pferde und ihre Heilung einnimmt, und doch der Kopfloseste ein vollkommen guter praktischer Reiter werden muss. Da das Volumen dieses Büchelchens nicht beschwert“, setzte er hinzu, „so führe ich es bei mir, um mir nötigenfalls Rat daraus zu holen.“

„Das verstehe ich nicht“, versetzte Kilian, „als mich mein gnädiger Herr, Gott habe ihn selig, der Herr Berghauptmann von F** vor 20 Jahren reiten lernen ließ, und zwar nur so viel als ein Reitknecht zu wissen nötig hätte, sagte er zu dem Bereiter V**, so bedung sich dieser wenigstens ein halbes Jahr dazu. Jetzt soll man diese Kunst in wenigen Minuten aus einem Buche hinter dem Ofen lernen können? Nein, Herr Kienöhl, den Herrn Weise in Ehren, aber das glaube ich nicht.“

„Weil er die großen Männer unserer Zeit nicht kennt“, antwortete der Reisediener, „die die Gabe haben, ihren Scholaren das in einer Stunde und noch dazu ohne alle Anstrengung, ohne allen Fleiß, ja ohne praktische Zurechtweisung beizubringen, zu dessen Erlernung man sonst ein ganzes Jahr brauchte. Das ist ja eben der Grund, warum es dazumal nur solche Schächer von Reitern gab, als Pliniel, de la Gueriniero und dergl. waren. Von den gelehrten Reitern unserer Zeit – ja da wusste man dazumal noch weniger als die Juden des alten Testaments von dem Heiland; denn selbst die prophetischen Weissagungen von den Entstehungen dieser Genies fehlten.“

„Prophezeiung!“ nahm Kilian das Wort, „nun ich will auch nicht prophezeien, aber dass Sie mit dem Braunen nicht fortkommen werden, und wenn Sie zehn Meiers mit ihrer Anleitung in der Tasche hätten, das, ja das prophezeie ich doch –“ und legte mir den Viertelzentner schweren Sattel auf.

„Ha,“ sagte Kienöhl, „ich werde doch so lange mit ihm fortkommen, bis Sebalds Ganze der niedern und höhern Reitkunst erscheint, das schon längst angekündigt ist, und bei dessen Durchlesung mir es ja gar nicht mehr fehlen kann.“

„Hierher! Hierher!“ rief Kilian, und stellte ihn bei dem Aufsitzen an meine linke Seite, da er sich soeben von der rechten aufschwingen wollte.

„Das hat gewiss Herr Meier anzuführen vergessen, von welcher Seite man eigentlich aufsteigt.“

„Bei solchen Pedanterien hält er sich freilich nicht auf“, erwiderte Kienöhl aufsitzend, und Sultan schlug den Abschied übertäubend an.

Zum Tore hatte ich mich glücklich hinausgefunden, denn mein Reiter hatte schon längst den Halfterriemen anstatt der Kantarenzügel ergriffen, und nahm nun im Gefolge dieser Freiheit meinen Lauf nach Westen, anstatt, wie die Reiseroute meines Herrn Kienöhl lautete, nach Osten.

Ein Fuhrmann, der, unkundig unsers Zustandes, uns auszuweichen unterließ, und bei dessen Riempferden ich mich verweilte, brachte uns wieder auf die rechte Straße, indem er meinem Reiter bemerkbar machte, das man kein Pferd an dem Halfterzügel führen könnte, den dieser, voller Zuversicht mich endlich noch durch ihn zu parieren, mit beiden Händen fest hielt, schob seine Füße wieder in die verlorenen Bügel und suchte den Hut, der ohnweit der Straße von dem Wind in eine Lehmgrube geführt worden war.

Kleinlaut von Meier und all seinen Konsorten, ritt Kienöhl den bezeichneten Weg, auf dem Sultan freudig voraussprang.

Mit so traurigen Aspekten der Ritt von Herrn Kienöhl auch begann, so ging er von jetzt an doch weit glücklicher, als zu hoffen stand. Die Hausknechte in den Gasthöfen, in welche wir einkehrten, waren mitleidig und gefällig genug, mich jedes Mal eine Strecke zu führen, bis ich in Gang war, wo ich dann von mir selbst fortschritt, und schon hatten wir die Türme von *** im Gesicht, als Sultan, der jedem Räuber mehr furcht einjagen mochte, wie wir übrigen zwei, trotz der Pistolen und Hieber, nach Art der Docken ungeschickt genug mir unter die Beine kam und von mir getreten wurde. Laut schrie er auf und bis sich rächend in mein Fesselgelenk ein.

Der Schmerz war heftig, doch lange nicht so bedeutend, als er es den folgenden Tag wurde, an welchem ich nicht von der Stelle konnte.

„Das ist unbezweifelt eine Gelenkverletzung,“ sagte nach aufgehobener Table d'hôte ein Feldscher zu Herrn Kienöhl, der bei diesem bedenklichen Zufall, um sich Rat zu erholen, vergebens in dem Anhang von Meiers Anleitung blätterte. „Ich habe auch“, fuhr er fort, „die Tierarzneikunde, wenn auch nur theoretisch, studiert; denn man kann ja nicht wissen, ob nicht einmal Landphysikus wird, wo man ein gerichtliches Gutachten bei Viehsterben ausstellen muss, habe denn allerlei darüber gelesen und erinnere mich recht gut, dass Wolstein sagt, Gelenkwunden können bei Pferden gar nicht geheilt werden. Am besten ist es also, Sie schicken das Pferd sogleich zum Scharfrichter und lassen es tot stechen, dass es von der längern Qual befreit wird. Doch da fällt mir eben ein, dass die neuern Schriftsteller über die Tierarzneikunde die Amputation vorschlagen (man sehe Frenzels Handbuch für Tierärzte, und Schregers Operationslehre) in Fällen, wo das Tier einen großen Wert hat, oder seiner guten Rasse wegen zur Zucht bestimmt ist.“

„Kurios“, erwiderte ein kleiner verwachsener Franzose, „mon Diou! Kurios genug müsste es doch aussehen, ein Pferd mit Stelzfuß und Krücken gehen zu sehen.“

„Nicht kuriöser“, atwortete der Feldscher, „als ein Pferd mit einer Starbrille aussehen wird, die wir fortan genug zu Gesicht bekommen werden, da nach den neuern Schriftstellern die Operation des Starstechens kinderleicht in der Rossarzneikunde ist.“

„Mon Diou! Wie weit man es doch jetzt in den Wissenschaften“, sagte der französische Sprachmeister. „Am Ende wird man auch noch Gehörmaschinen für die Pferde erfinden, und sie auf vier hölzernen Beinen so gut wie auf natürlichen spazieren sehen.“

„Das ist eine Farce“, erwiderte ein alter Offizier, „ihr Herren, lasst euch nicht auslachen! Die Gelehrten, die alle das Zeug schrieben, wollte euch auch alle, die solchen Unsinn glauben, zum besten haben, oder sie sind selbst nicht recht bei Troste. Nein sagt mir nur beim Donner, wie wäre es denn möglich, dass ein Pferd mit einem hölzernen Fuße gehen könnte! Nein geht mit euerm dummen Geschwätz; da müsste es ja Krücken haben, geht lasst Euch nicht auslachen!“

„Aber, mon Capitaino, man kann ja den Pferden einen Führer halten, der sie unter den Arm nimmt, da brauchen sie keine Krücken.“

„Auf jeden Fall“, scherzte der Feldscher hinzu, „kann man sie jedoch auf die Tierarzneischule schicken, und die Kur den beiden Professoren übergeben, die es am besten wissen werden.“

„O geschwind Jenjors.“ Rief der Franzose dem Hausknecht zu, „lauft auf die ecole vétérinaire, und bittet die Herren, zu dem Reisenden zu kommen, indes ihr auf dem Rückweg doch immer vorläufig bei dem Tischler ein hölzernes Pferdebein bestellen könnt.“

Herr Kienöhl war in der Angst alles zufrieden, und ich sah mich schon als Krüppel auf der Straße, und mein Geschlecht, wenn auch nicht um ein Almosen, doch um Mitleid über mich und die Menschen ansprechen.

Mit einem ganzen Gefolge von Scholaren, von welchen die letztern gleich der Spitze des Bandwurms lange nachher ankamen, als ihr Haupt schon eine geraume Zeit da war, erschien nach so eben beendeter Vorlesung der vergleichenden Anatomie einer der Herren Professoren, untersuchte meine Wunde und hielt sie allerdings als bedeutende Gelenkverletzung für gefährlich, doch nicht unheilbar. Mit ungeschickten Händen betastete das Übel der junge Anflug von Tierärzten und Kurschmieden, fand es ganz so, wie der Herr Professor gesagt hatte, hielt den Schaden für gefährlich, doch nicht für unheilbar, und erwartete nun, was diesem weiter zu sagen gefällig sein würde, um es sogleich nachzusagen.

„Das Pferd muss auf die Schule, wenn ich die Kur unternehmen und der Patient wieder hergestellt werden soll“, begann der Professor zu Herrn Kienöhl, der die Wunde nun auch mit begriff, und, wie er meinte, viel Hitze darin spüre, welcher der Herr Professor doch zuvorkommen möchten.

„Das wäre das wenigste“, versetzte dieser, „und indes nur das nötigste, das Pferd fortzuführen.“