Viertes Kapitel. Mein erster Reiter und meine erste Krankheit.

Viertes Kapitel.

Mein erster Reiter und meine erste Krankheit.


Jacob war im Verhältnis seiner längern Lebensdauer mit mir in gleichem Blütenalter, und Kraft dieser Jahre um deshalb eben so vorwitzig als ich. Es war Sonntag Nachmittags, der Stall ohne Aufsicht, und die ganze Zunft unstet Wärter bei der neuangelegten Kegelbahn des Schenkwirts versammelt, als Jacob dem Antrieb mich zu reiten nicht länger widerstehen konnte. Mit dem ersten besten Zaum, den er fand, aufgezäumt, der gerade nicht für difficiele Pferde nach der neuen Erfindung des Herrn Stallmeisters Klatte gearbeitet zu sein schien, führte er mich auf eine Wiese, die ohnweit meines Stalles lag, ließ sich von Schulmeisters Fritz emporheben, und sprengte zu dessen Erstaunen in falschem Galopp mit mir davon. Freilich wurde ich nicht nach den Regeln von Hünersdorf geführt, freilich hatte mein Reiter nicht die Positur, die Eyrer vorschreibt; wie hätte er auch sonst mit mir über Gräben und Hecken setzen können? Bei dem allen machte mir jedoch der Ritt nicht weniger Spaß als meinem Reiter, den ich nur nach meiner eigenen Willkühr herumtrug, und durch ihn meine Freiheit nicht im mindesten beschränkt fühlte.

Auf diese Weise vergnügten wir uns beiderseitig fast alle Sonntage, und ich mußte in der Folge oft nicht wenig im Stillen lächeln, wenn mich die Herren Stallmeister und Bereiter noch für ein ganz rohes Pferd hielten, sich kaum wagten mich zu besteigen, und nicht genug erzählen konnten, dass Sie selten ein ganz rohes Pferd, worauf noch kein Reiter gesessen, zu dressieren hätten. Lieber Himmel, Jacob hatte mich schon längst geritten, und wahrlich bei allem seinen Mangel an Kenntnissen der höhern Reitkunst (eine Unterabteilung, mit welcher Herr von Tennecker diese Wissenschaft, ich weiß nicht, ob aus Notwendigkeit oder aus Sucht etwas neues zu sagen, beschenkt hat, und von welcher nun jeder Reitknecht spricht, wenn er seine Geschicklichkeit hierin geltend machen will,) der Güte meiner Schenkel weit weniger dadurch geschadet, als sie unter der Führung so manches Stallmeisters litten, der sich für den Neucastel seiner Zeit hielt.

Doch plötzlich wurden alle diese Freuden unterbrochen. Ich fühlte mich schon seit einigen Tagen sehr matt, und hatte den Appetit verloren. Den dritten Tag versagte ich mein Futter ganz, bekam ein heftiges Fieber und einen stechenden Schmerz in der Brust; mein Atemholen wurde ängstlich, und in dem Grad, als dieses zunahm, stieg die Besorglichkeit meines Wärters. Teilnehmend fühlte er mir an die Ohren, die gleichsam den Puls bei empirischen Pferdeärzten ausmachen, und fand diese deun freilich als Folge des Fiebers bald heiß, bald kalt „Das Tier hat Hitze!“ rief er aus, ohne wohl eigentlich selbst zu wissen, was er damit sagen wollte; doch war sein Verfahren dieser Anzeige sehr angemessen und mir wohltuend. Er hielt mir nemlich öfters Mehlsaufen vor, in welches er eine Handvoll Salpeter geworfen hatte; und gewiss würde ich mich bei dieser kühlenden, meinem Zustand so angemessenen Behandlung bald wieder erholt haben, wenn nicht der unzeitige Diensteifer meines Wärters es ihm zur Pflicht gemacht hätte, meine Unpässlichkeit seinem Herrn zu melden. Denn kaum war dieses geschehen, als er sich mit einer Menge Büchen unter dem Arm selbst im Stalle bei mir einfand, und nach der Beschreibung von diesen meine Krankheit ausmitteln und heilen wollte. Das Buch über die innerlichen Krankheiten der Fohlen, der Kriegs- und Bürgerpferde von Holstein war das erste, was er aufschlug. „Überall nur Naturlehre des Pferdes und seiner Krankheiten unter einem zierlichen, nur zu wortreichen Vortrag, anziehend genug aufgestellt, aber keine praktische Zurechtweisung über die Heilung der Krankheiten!“ rief er aus. „Man sieht es dem Verfasser an, dass er ein scharfsinniger Denker, ein schwärmerischer Anhänger der Wissenschaft, aber kein praktischer Tierarzt war; denn wer hieraus Pferde heilen will, kann es eben so gut aus jedem Handbuche der Naturlehre.“ Unbefriedigt warf er es auf die Seite, und ergriff ein anderes. „Mogalla“, flüsterte er leise, „eine Umarbeitung von Robertsons vollständigem Werke über die Pferdewissenschaft. Nun Robertson war zwar kein gelehrter, aber doch ein sehr praktischer Pferdearzt; der Doktor Mogalla wird die Erfahrungen von diesem beibehalten und die Gelehrsamkeit hinzu getan haben; in diesem Werke werde ich finden, was ich suche.“ Er schlug es auf: „O weh! Da erscheint Wolstein zum zweitenmal, und nur unter einer andern Gestalt“, sagte er; „da ist kein Wort mehr von dem guten Robertson, und sein vorgedruckter Name dient nur, um das Buch ins Publikum zu bringen. Ich will in Kersting nachschlagen“, fiel er nach einer Pause ein, in welcher sein Unmut über die Menge Bücher der Arzneikunde, die den Laien, wenn er sich aus ihnen Rat erholen will, doch unbefirdigt lassen, unverkennbar war, „Kersting ist ein praktischer Pferdearzt, dem man noch keine fremden Ideen untergeschoben und sie so unter seinem Namen zu Markte getragen hat.“ Er las. „Zwei Aderlässe und wiederholte Purgiermittel,“ unterbrach er sich. „Nein, das ist das Non plus ultra der Schwächungsmetode der alten Humoralpathologen, und gesegnet sei Brown, dass er dieser Sucht, die stärkste Naturkraft zu einem Skelett zu machen, Einhalt getan hat. Ich muss in den Schriften eines neuern praktischen Rossarztes nachschlagen“, und in diesem Selbstgespräch vertieft, fiel ihm von Tenneckers Rossarzt in die Hände. Neugierig ergriff er ihn und las: „Über die Erkenntnis und Kur der gewöhlichsten zufälligen Lähmung der Pferde.“ Hierüber suche ich jetzt keine Belehrung. „Über die Huflähmungen“. Auch nicht. „Über die Erkenntnis und Kur der rheumatischen Lähmungen.“ Auch dies nicht, rief er entrüstet aus. „Ich will Belehrung über die innerlichen Krankheiten, und dies Werk ist wieder einmal nur ein halbes, wie wir es immer von diesem Schriftsteller zu erhalten gewohnt sind; und blätterte in Gotthardts Ganzem der Pferdezucht, und am Ende, sagte er, als er auch dieses wieder hinwarf, ist es doch immer noch besser, in Bruchstücken hier und da etwas Gutes liefern, als in einem Ganzen gar nichts“, und ging mit sämtlichen Büchern zum Stall hinaus.

Kurze Zeit dernach kam mein Wärter in den Stall, sattelte sich einen meiner Kameraden, und ritt in verkürztem Trab, ich weiß nicht, ob nach Hünersdorfs Angaben, zum Tor hinaus. „Bring ihn ja gleich mit“, rief ihm mein Besitzer nach, und erzählte dem eben hinzukommenen Vogt meine Unpässlichkeit. „Indess“, setzte er dieser Erzählung schließend hinzu „hoffe ich, dass dies Übel von keinem Belang sein. wird; auch habe ich so eben nach dem Tierarzt R .... nach S. geschickt, der kürzlich von der Tierarzneischule aus – zurückgekommen ist, und, wie aus allen von ihm in die Zeitung eingerückten Annoncen hervorgeht, ein ebenso praktischer als wissenschaftlicher Tierarzt sein muss, ja der sogar, denk' er sich, mein lieber Vogt, den Rotz schon geheilt hat. Denn noch kürzlich zeigte ein Lohgerber in der Zeitung an, dass er ihm sein rotziges Pferd, dessen innere Nasenhaut mit chancrösen Geschwüren wie übersäet gewesen wäre, vollkommen hergestellt hätte“. „Das muss ja ein venerabler Mann und gleichsam ein zweiter Sind sein“, erwiederte dieser, und schnell eilten beide zu dem sie rufenden Amtspächter auf den Hof hinaus.

Indess hatte mein Fieber, so wie mein Brustschmerz immer mehr zugenommen, und ich sehnte mich innigst mehr nach der Zurückkunft meinem Wärters, um von ihm Saufen zu erhalten, als nach der Ankunft des sich durch die Zeitung so berühmt gemachten Äsculaps, als Beide zu der Stalltüre eintraten.

„Ich hole gleich den Herrn“ sagte mein Wärter, und eilte davon, indem er mit seiner rechten Hand nach mir hinwies, um ihm den Stand seines neuen Patienten zu zeigen; ein Zeichen, das aber der den Rotz heilende Tierarzt falsch verstand, und in den Stand meines Nachbars, eines 20jährigen Wallachs, trat. „Schon richtig! Ganz richtig!“ sagte er, „das Übel ist asthenischer Natur; nur fragt sich's, ob aus indirekter oder direkter Schwäche? Die Erreganz ist offenbar gesunken und die Erregbarkeit erhöht.“ „Hier“, sagte mein Herr, der eben eintrat, „hier Herr N., steht das kranke Tier.“ „Schon richtig! Ich weiß schon alles, und will Ihnen die die ganze Krankheit mit allen Symtomen erklären. Das Übel ist“ setzte er hinzu, „astenisch, das ergiebt sich aus allem, nur ist es noch in Zweifel, ob es aus direkter oder indirekter Schwäche entstanden ist.“ „Ja, das weiß ich freilich nicht“, erwiederte mein Herr, „aber was ist nun wohl dabei zu machen?“ „Ja, ganz richtig; was zu machen ist? Wir müssen vor allem ausmitteln, ob das Übel aus direkter oder indirekter Schwäche entstand.“ „Ja, dies überlasse ich Ihnen gänzlich“, antwortete mein Besitzer, „und bitte Sie nur, Ihr Möglichstes zu der Heilung des Tieres zu tun.“ „Schon richtig; die Heilung – die gründet sich ganz auf die Stärke der Erregung; je mehr die Erregbarkeit erhöht ist, je mehr –“

„Mit Verlaubnis, nahm her Vater meines Jacobs das Wort, „ich weiß zwar nichts von Erregung und Erregbarkeit, und verstehe noch vielweniger von direkter und indirekter Schwäche, und wie diese Gelehrsamkeit alle heißen mag; aber ich finde doch so viel, dass das Tier Hitze hat, und dass man ihm einen Kühltrank geben sollte.“

„Schweigt“, antwortete mein Herr, „und tut, was euch der Herr N. befehlen wird; ihm überlasse ich die ganze Kur“, und damit verließ er mich, meinen Wärter und den Tierarzt mit direkter und indirekter Schwäche.

„Nun, so verordnen Sie, was ich tun soll“, sagte Jacobs Vater wieder.

„Nichts ist leichter wie dies“, antwortete der Arzt; „denn ist das Übel aus indirekter Schwäche entstanden, so müssen wir direkt stärkende Mittel anwenden, und war es aus direkter Schwäche entstandend so muß ein indirekt stärkendes Verfahren eingeschlagen werden. Was kann einfacher sein wie dieses! Ja, ehe die ärztliche Wissenschaft einen Brown hatte, ja da konnte man in Zweifel über die Heilung sein, und nicht wissen, auf welchem Weg man seine Absicht erreichen sollte: aber jetzt bei diesen einfachen Lehren der Medizin, da kann jeder Schwachkovf kurieren.“

„Will es wenigstens“, setzte mein Wärter hinzu, und ging zum Stall hinaus.

„Nun ich werde morgen wieder kommen“, rief ihm der Tierarzt nach, „bei asthenischen Übeln muss man die Erregung nicht zu schnell anreizen, man kann sonst die Krankheit in eine sithenische verwandeln“, und verließ mich hilfloser als ich zuvor war; denn durch sein Geschwätz hatte er auch meinen Wärter mit den Wassereimern vertrieben.

„Das wäre mein Tierarzt!“, sagte am Abend bei der Abfütterung mein Wärter, indem er mir wieder Mehltrank mit Salpeter geschwängert vorhielt, und mir Dampfbäder von Heusamenabsud machte, „kommt der Kerl, der noch vor 3 Jahren ein vernünftiger Kutscher oder Grodschmied war, ehe er noch die Anwandlung bekam, ein gelehrter Tierarzt zu werden, wie halbverrückt von der Tierarzneischule zurück, so dass man mehr zu ihm einen Arzt holen möchte, der ihm die Kollerader schlüge, als wie ihn als Arzt zu einem kranken Tiere. Er du lieber Himmel, die Gelehrsamkeit, von der er spricht, kann recht sehr gut sein, ich verstehe das Ding nicht; aber für diese Art Leute und unser eins ist sie doch wohl wie eine Perle, die man den Schweinen vorwirft.

Wohlätiger Genius meines Geschicks, der du mich Jacobs Vater zum Wärter anvertrautest, ohne ihn wäre mein geringfügiges Drusenfieber unter den Händen dieses Brown'schen Arztes aller Brown'schen Ärzte die entzündlichste Krankheit geworden, die so in wenig Tagen völlig gehoben war.