Sechzehntes Kapitel. Meine verdorbenen Säfte und mein Aufenhalt in der grünen Linde.

Sechzehntes Kapitel.

Meine verdorbenen Säfte und mein Aufenthalt in der grünen Linde.


„Führ' er das Pferd nur in die grüne Lind, da wohnt ein gar gescheuter Pferdedoktor.“ Sagte ein Aufläder zu Herr Kienöhl, der mich an der Hand, und unter dem andern Arm ein Packet von Tabakproben hatte, und unentschlossen, wohin er sich nun in seiner Not, verlassen von Herrn Meier, dem Feldscher“ dem Apotheker und den beiden Professoren, mit mir hinwenden wollte, vor dem Torweg der ecole vétérinaire stand.

„Mein Mann ist nicht zu Hause“, sagte die Pferdedoktors Frau, in deren Behausung wir so eben in der grünen Lind mit Hilfe des Aufläders, der mich mit einer großen Ballaststange trieb, angekommen waren, „er wird aber gleich hier sein, denn er bessert nur unsern Langschub für den künftigen Sonntag aus.“

Was Henker! Dachte ich, der Mann kann ein guter Wirt, ja sogar auch ein guter Kegelbahnausbesserer noch dazu sein; aber ich bin doch kein Kegelschub!“

„Betreibt denn auch der Liebe Mann die Schenkwirtschaft?“ fragte Herr Kienöhl.

„Je nun“, antwortete die Frau, „in diesen Zeiten muss man alles mitnehmen. Da haben wir denn so ein kleines Wirtschaftchen gepachtet, was uns denn mehr einträgt als die Pferdekuriererei, die man jetzt gar zu schlecht bezahlt; auch halten wir zwei Pferde zum Verleihen, wenn Sie sich eine kleine Motion machen wollen, während ihr Pferd kuriert wird; – sie stehen beide für ein Billiges zu Diensten.“

Doch Herr Kienöhl schien jetzt eben nicht so reitlustig zu sein, und erwartete mit Ungeduld den Hersteller der Kegelbahn.

Endlich kam der Pächter dieser kleinen Schenkwirtschaft, der mit dieser die ärztliche Wissenschaft zu vereinigen wusste, besah meine Wunde, zuckte die Achseln, besah sie noch einmal, schüttelte mit dem Kopfe, und fuhr in dieser seine Besorglichkeit ausdrückenden Pantomime noch eine Weile fort.

„Wird denn das Tier wieder herzustellen sein?“ unterbrach Herr Kienöhl das geheimnisvolle Schweigen.

„Kann sein, kann auch nicht sein“, antwortete der Pferdearzt. „Wenn nur die Säfte nicht gar zu verdorben wären; aber da ist nichts wie böses Blut und wild Fleisch in Menge. Nun ich will mein Möglichstes tun, um die Unreinigkeiten aus dem Körper zu schaffen; ich will ihm Ader lassen, ein Leber stecken, blutreinigende Pillen und mehrere Attstrancia geben, und dann sehen, was zu tun sein wird.“

Nach dem Gebrauch von allen diesen Mitteln wohl wenig mehr, dachte ich, als mich auf dem Karren fortzuführen.

„Aber es ist ja nur eine äußerliche Wunde, die mein Sultan dem Pferde gebissen hat; sollte denn wirklich diese die Säfte so verdorben haben?“ nahm Kienöhl das Wort.

„Warum nicht, mein lieber Herr? Der Schreck hat dem Tier das Blut verschleimt, die …sation hat es erhitzt, die Angst, der Schmerz hat es gleichsam gekocht – sehen Sie, so ist da Blut wie ein Kloak geworden, den ich reinigen muss“, erwiderte er. „Nun ich werde das Meinige Tun“, und getrost, als gelte es wirklich nur die Reinigung einer Miststätte, führte er mich in den Stall, – wo ich außer den zwei Mietpferden noch ein krankes fand, bei dem das Blut so gereinigt war, das es fast gar keins mehr hatte, und sein Ende erwartend da lag.

Dieser Anblick mochte Herr Kienöhlen afficiren und er sich in wenigen Tagen von mir kein besseres Schicksal prohezeien.

„Was haben Sie denn da für einen Patienten?“ fragte er den Arzt, „das ist wohl ein sehr gefährlicher?“

„Ein Kandidat des Todes, wie man zu sagen pflegt“, antwortete der Doktor, „bei dem nichts anschlagen will. Ich habe Ihm vorgestern einen Purganz, gestern einen blutreinigenden Trank auf Tod und Leben gegeben, ihm beide Lungenadern geöffnet und ein Öl gegossen: nun will ich sehen, was erfolgen wird.“

„Doch wohl schwerlich mehr als der Tod“, sagte Kienöhl im Abgehen, und Sultan hatte schon Lust, sich ein Kadaver davon mitzunehmen.

Da stand ich nun, die Blutreinigungskur und mit ihr mein Ende zu erwartend, ohne Fressen und Saufen, da Diät bei meinem Arzt mit unter die besten Säfte verbessernden Mittel gehörte, da, hatte den heftigsten Schmerz an meiner Wunde und fing schon an, mir alle die Misshandlungen noch einmal aufzuzählen, die ich schon ertrug, und denen ich in Gefolge dieser Erwartung nun bald entging.

Wirklich war ich auch über meinen nahen Tod beunruhigt, der hier unvermeidlich schien. Es empörte mich aber, selbst in der Nähe dieser gefürchteten Stunde noch, dass man in einer Residenz, wo eine der ersten Tierarzneischulen war, solch einen elenden Quacksalber duldeten und ihm Tiere zu morden erlaubte, mit denen oft der Wohlstand einer ganzen Familie zu Grunde geht. Höchstens konnte man befürchten, auf dem entlegensten Dorfe einen Viehhirten zu finden, dessen Qualität als Arzt dem meinigen gleich kamen; aber hier, nur einige hundert Schritte von der Tierarzneischule – nein, es war unerhört!!!

Würde diese Vernachlässigung der ärztlichen Polizei wohl sein, schloss ich meine Bemerkung, wenn die beiden Professoren einig und über Wortspiele und Spitzfindigkeiten der Medizin einverstanden wären? Würde ich mich wohl hier und in einem so unglücklichen Zustande befinden?

Wärme und Kälte, beide stärken und beide schwächen; jeder dieser verdienstvollen Männer ist davon überzeugt; beide wirken als Reiz-, beide als Schwächungsmittel; gemeinschaftlich kennen, gemeinschaftlich lehren sie diese Grundsätze, wissen beide den Grad der Anwendung auszumitteln, in dem diese Arzneien zu diesen so verschiedenen Potenzen werden. Warum feinden sie sich wohl an? Weil sich der eine anders darüber ausdrückt wie der andere, weil der eine mehr dem Gebrauch von diesen, der andere dem Gebrauch von jenen Mitteln huldiget; weil der eine ein Brownianer ist, ohne es sich gestehen zu wollen, und der andere das System von dem Schotten weit gemäßigter befolgt, als er es selbst glaubt.

Warme oder kalte Umschläge, beide hätten mich bei der übrigen so zweckmäßigen Pflege geheilt; bei beiden Verfahrungsarten wäre die Ehre des Instituts erhalten, der Hass unter den Scholaren vermieden worden, und was für mich am wichtigsten ist, ich wäre nicht in die Hände dieses Mörders gefallen, der aus meinen Knochen noch Kegelkugeln drehen wird.