Persischer Feldzug

Es war der fünfzehnte Mai 1722, da Peter in Katharinens Begleitung Moskau verließ, um in eine Gegend seines weiten Reiches zu ziehen, wohin nie ein Beherrscher desselben gedrungen war. In seinem Gefolge befanden sich der Großadmiral Apraxin, der Geheimerat Tolstoi, der General Buturlin, der Oberpräsident, Fürst Trubetzkoi und der Wallachische Hospodar, Fürst Kantemir. Die neuerrichtete orientalische Handlungs- Kompagnie ließ gleichfalls aus ihrem Mittel einige Kaufleute folgen, um durch den Augenschein zu beurteilen, welche Örter zur Niederlage der Persischen und Chinesischen Waren die größte Bequemlichkeit böten.

Auf den Flüssen Moskwa nnd Okka führte den Kaiser ein Ruderschiff *) bis Nischnei Nowghorpd, wo seiner und seines Gefolges größere, auf der Wolga erbaute Fahrzeuge **) harrten und sie weiter nach Kasan brachten.


Hier hatte er das Vergnügen, den Geodesisten Iwan Jewreinow anzutreffen, welchen er vor drei Jahren ausgesandt hatte, um in Verbindung mit dem Geodesisten Feodor Luschin jenseits Kamschatka Entdeckungen zu machen, und namentlich auf den Kurilischen Inseln die Gerüchte, als ob die Japaneser von dort Erz hohlten, zu untersuchen. Jewreinow (sein Gefährte war in Sibirien geblieben) kam jetzt mit dem Berichte von seiner Reise und mit einer Karte von den Kurilischen Inseln, so weit er solche befahren hatte, nach Kasan zu dem Kaiser, der ihn mit Wohlgegefallen empfing.***)

*) Moskwaretshkoi.

**) Ostrowskie lotki, Nasaden etc..

***) (Müllers) Sammlung R. G. III.109. f


In Kasan feierte Peter (Mai 30.) seinen fünfzigsten Geburtstag. Er ließ sichs gefallen, dass Stroganow, der reichste Kaufmann in seinen Staaten, den Tag festlich beging. Die ganze Ar-mee war mit Getränken bewirtet. Der Kaiser erhob den freigebigen Wirt zum Baron. *)

Nun ging der Zug weiter die Wolga hinab nach Astrakan. Unterwegs trieb ihn die Neugier, die einst berühmte Stadt Bulgar zu sehen, welche unterhalb der Mündung des Flusses Kama einige Werste landeinwärts ihre Trümmer zeigt. Peter trauerte über den Verfall der Größe; und damit nicht zu bald alles ein Raub der Zeit werde, sandte er Befehle an den Statthalter zu Kasan, dass er die sinkenden Türme und andere Gebäude durch jährliche Ausbesserung zu erhalten suchen, auch die (Tatarischen und Armenischen) Inschriften sorgfältig abschreiben lassen solle. **)

In Astrakan, wo der Kaiser nach einer vierwöchigen Reise (den 15 Juni) ankam, war das erste Geschäft, weit und breit Manifeste zu verschicken, um allen benachbarten Völkern den Zwecke des Kriegszuges, die den Russen in Schamakhi zugefügte Beleidigung zu rächen, künd zu tun. Der Fürst Demetrius Kantemir war der Verfasser des Manifestes, das in Türkischer, Tatarischer und Persischer Sprache verfasst war. ***)

*) Bruce’s Nachrichten S. 271. (Dass dies zu Nischnei Nowghorod geschehen, scheint nach Simonows glaubhafterem Tagebuche, Samml. R. Gesch. VII. S. 213. ein Irrtum zu sein)

**) Samml. R. G. VII. S. 213. Stählin S. 121. Anmerkung 9.

***) Weber II. 86 Samml. R. G. VII. 215.


Immittelst wurden die Schiffe für den Zug über das Kaspische Meer bereitet, und am 18/22 Julius ging die ganze Flotte unter Segel. *)

Sie bestand aus zweihundert vier und siebenzig, und die kleinen Küsten -Bote (Lotki) mitgerechnet, aus Vierhundert zwei und vierzig Fahrzeugen. Das Fußvolk ungefähr zwei und zwanzig tausend Mann, das Geschütz, die Kriegsbedürfnisse, und der große Vorrat von Lebensmitteln, konnten nicht anders, als zu Wasser fortgebracht werden. Neuntausend Mann Reiterei war schon von Zarizin [Wolgograd/Stalingrad] aus zu Lande vorgerückt, und zwei ansehnliche Korps Donischer und Klein - Russischer Kosaken hatten ihren Weg nach Persien durch die Steppen und Gebirge genommen.

Der alte Admiral Apraxin, der hier auf des Kaisers Befehl zum erstenmale die General-Admirals- Flagge aufzog, führte das Kommando über die ganze Flotte, unter ihm der Lieutenant Soimonow. Der Kaiser, begleitet von dem Gouverneur von Astrakan, Wolynskoi, fuhr auf einem Schiffbote, das bei der ersten Schifffahrt auf diesem Meere gedient hatte, und auch jetzt von seinem damaligen Führer, dem Unterlieutenant Solotarew geführt wurde. Katharina, mit dem Frauenzimmer, das bis dahin gefolgt war, blieb in Astrakan zurück. **)

*) Quellen für diesen Feldzug sind:

1. die auf des Kaisers Befehl verfasste Nachrichten von diesem Feldzuge. Bei Nestesuranoi IV. p. 653. f. und Gorden II. S. 234. f.
2. Des Kaisers Berichte an den Senat bei Weber II. S. 62. f.
3. Soimonows Tagebuch in der Samml. R. Gesch. VII. S. 155. f.
4. Peter Heinrich Bruce’s. Nachrichten von seinen Reisen. Leipz. 1784. S. 267. f.

**) Samml. R. G. a. a. O. S. 223. wiewohl Bruce S. 306. das Gegenteil behauptet.


Der Kaiser befehligte auf seinem Schiffboote das Vordertreffen, und ihm folgten längs den Küsten alle kleine Fahrzeuge, die Ruder gebrauchten. Die Mündung des Flußes Terek (Timonki), der seit Iwan Wassiljewitsch Zeiten die Grenze zwischen Russland und Persien machte, ward, im Fall die Fahrzeuge durch Wind und Wetter zerstreuet würden, zum ersten Sammelplatz bestimm. Hier vereinte sich dann die Flotte. Peter hatte schon voreilend die Lage der Stadt Terki untersucht, die, auf einer kleinen Insel von zwei Armen des Flusses Terek eingeschlossen, dem Kaiser wegen ihrer niedrigen, feuchten und ungesunden Lage wenig gefiel. Terki war die Grenzfestung der Russen, welche hier eine Besatzung, meist aus Grebenskischen, Jaikischen und Donischen Kosaken unterhielten. Ihre Nähe konnte den Truppen die Ausschiffung erleichtern, wozu Peter die Landspitze Agrachan wählte. Der Lieutenant Soimonow hatte den bequemsten Landungsplatz ersehen. Aber Peters Ungeduld, ans Land zu kommen, ließ ihn den Augenblick, da er diesen Platz erreichte, nicht erwarten. Sobald sich eine Öffnung zwischen dem Schilfgrase hervortat, wo sich eine trockene Küstee zeigte, ließ er sich von vier Ruderknechten auf einem Bret ans Land tragen, indess Soimonow mit bewaffneten Schiffsleuten ihn schützte. Der Denshtshik Pospelow, ein besonderer Liebling des Kaisers, begleitete ihn. Einige Sandhügel lagen zwei bis dreihundert Faden von der Küste. Der Kaiser erstieg den höchsten derselben, von da er auf der andern Seite dieser Landzunge die weite See im Gesichte hatte. Er wühlte sogleich eine Gegend, wo die Armee in Lager stehen könnte. Am Nachmittage geschah die Landung der Truppen, und das schnell geschlagene Lager erhielt, mit einem Walle befestiget, den Namen des Agrachanischen Retranschements. *)

Mehr denn eine Woche verlief, ehe man von hier weiter rücken nnd die Absicht des Feldzuges in Erfüllung bringen konnte. Es war der Mangel an Pferden, der diesen Verzug verursachte. Die Reiterei, die zu Lande gegangen war, hatte nicht nur vom Mangel des Wassers und der Fütterung in der Steppe viel Ungemach auszustehen: Sie hatte auch nach ihrer Einrückung in Daghestan einen Unvermuteten Widerstand gefunden.

Der Brigadier Veterani war mit vier Regimentern Dragoner vom Generalmajor Kropotow abgeschickt worden, um von dem befestigten Dorfe Andreewa (Endery) Besitz zu nehmen, dessen Einwohner man den Russen geneigt glaubte. Als er aber in der Nähe des Dorfes eine Enge durchbog, ward er plötzlich von den bebüschten Anhöhen mit Pfeilen und Kugeln begrüßt. Achtzig Dragoner waren gefallen: Veterani hatte ihren Tod gerächt. Andreewa war geplündert, und die dreitausend Häuser des Orts gingen in Feuer auf. Dies war die unangenehme Nachricht, welche Peter im Agrachanschen Retranschement empfing und die seinen dortigen Aufenthalt verzögerte. Günstigere Erwartungen durfte er von dem mächtigen Schamchal **) von Terku hegen, einem Fürsten, dessen Gebiet sich nicht nur über Daghestan, sondern auch über einen Teil des Volks der Tawlinzi und über die Gebirge bis gegen Schamakhi verbreitete, und der am Hofe zu Jaspahan für den Beschützer Persiens gegen Russland galt.

*) So wird es auch auf einigen Karten vorgestellet.

**) Anmerkung 10.


Er hatte ihm ein köstliches Persisches Zelt entgegen gesandt, das jetzt dem Kaiser im Retranschement zur Wohnung diente; doch übernachtete er auf den Schiffen und bei der Muße, die er hier hatte, erinnerte er sich einer Schiffsgewohnheit, nach welcher diejenigen, die in eine gewisse Gegend der See zum erstenmal kommend von einer Segelstange in die See herunter gelassen, und untergetauchet werden. Hier war eine neue See für die meisten, und der Kaiser drang darauf, dass diese Zeremonie auch hier statt finden müsse. Da er sich selbst nicht ausschloss, galt auch keine Aussincht bei andern, so fürchterlich ihnen auch die Sache zu sein schien. Der General-Mjor Iwan Michailowitsch Gholowin, den der Kaiser im Scherz den Admiralitäts -Baas zu nennen pflegte, musste am ersten über sich ergehen lassen, was die Sitte gebot. Darauf folgte der Kaiser, nach ihm der General-Admiral, und so weiter die ganze Generalität und die Minister. Es war Petern ein Fest, die verschiedenen Äußerungen, welche das beschwerliche Seespiel bei den Leidenden verursachte, zu beobachten.

Die zurückgebliebene Reiterei, die sich mit Feuer und Schwert hatte Bahn machen müssen, kam endlich an, und nichts hinderte den weitern Fortzug. Zwölfhundert Mann blieben im Agrachanschen Retranschement, und alle übrigen Truppen folgten dem Kaiser, als er am 5. August den Marsch auf Derbent antrat, wohin auch die Last- und Transportschiffe, unter Anführung des Kapitäns von Verden, aus der See folgten. Die Armee ging am 7. und 8. August auf Flößen und Prahmen über den Fluss Sulak. Hier fand der Kaiser den Sultan Machmud von Axai und einen Abgeordneten des Schamchals Abdul-Girei aus Tarku in Ober-Daghestan, die ihm zur Ankunft in diesen Landen Glück wünschten und ihre Bereitwilligkeit, ihm zu dienen, bezeigten. Der Sultan sowohl als der Schamchal waren schon längst den Russen geneigt gewesen; der erste, weil sein Land an das Russische Terki grenzte, der andere, weil er seine fürstliche Würde dem Russischen Hofe verdankte, und im Fall der Widersetzlichkeit mit deren Verlust bedroht wurde. *)

Der Sultan von Axai schenkte sechs schöne Persische Reitpferde und hundert Ochsen zum Unterhalt für die Truppen. Der Abgeordnete des Schamchals brachte sechshundert mit Ochsen bespannte Lastwagen zur Fortbringung der Lebensmittel, hundert funfzig Ochsen zum Unterhalt der Truppen, und drei schöne Persische Pferde, worunter eines mit einem reich mit Silber beschlagenen Sattel und mit Gold abgelegtem Zaume geziert war. Einen größeren Beweis seiner Geneigtheit für die Russen hatte der Schamchal dadurch an den Tag gelegt, dass er an wasserlosen Orten zum Dienste des Heeres Brunnen hatte graben lassen. Überdem wurden von allen Seiten solche Fülle von Weintrauben, Melonen, Granatäpfeln und andern Früchten ins Lager gebracht, dass die Soldaten durch die Übermaße erkrankten, und die Einbringung von Früchten verboten werden mußte.

Als am 12 August die Vortruppen sich über Gebirge der Stadt Tarka näherten, kam der Schamchal selbst dem Kaiser entgegen und begleitete ihn in das, bei der Stadt erwählte Lager, wo die ganze Armee sich versammelte.

*) Gärbers Nachrichten in der Samml. R. G. IV. S. 36. f.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Leben Peters des Großen. Bd 3