Steenbock wirft sich in Tönningen

In großer Bedrängnis befand sich jetzt der Schwedische Heerführer. Ein Haupttreffer zu wagen, daran hinderte das niedrige und durchschnittene Marschland. Nur die Eröffnung der nahen Gottorpischen Festung Tönningen konnte sein Verderben verzögern, nicht abwenden.

Aber es war die Festung einer neutralen Macht. Die Verlegenheit der Gottorpischen Regierung, durch deren Wort ihm diese Feste geöffnet werden musste, war nicht geringer, als die, worin sich Steenbock befand. Der Feldherr, welcher die Eröffnung heischte, führte das Heer des Königs, der für den Herzog Friedrich, den Vater des minderjährigen Regenten dieses Landes, den ehrenvollen Frieden zu Travendahl erfochten hatte. Die Dankbarkeit hatte Friedrich zu des Königs Fahnen geführt, und die teuerste Verpflichtung, die er auf dem Schlachtfeld von Klisson (1702), wo er ehrenvoll sank, seinem Sohne, Karl Friedrich, ließ, war Dankbarkeit. Der Sohn war in Schweden geboren und erzogen; war Karls Neffe, vielleicht sein Nachfolger auf dem Schwedischen Throne. Nie konnte die ihm vom Vater hinterlassene Verpflichtung tätiger gezeigt werden, als in diesem Augenblicke, da, so schien es, die Wohlfahrt eines ganzen Schwedischen Heeres davon abhing, ob Tönning sich ihm auftue.


Aber war nicht dieser Schritt ein Bruch jener Parteilosigkeit, die schon der Friede zu Travendahl, und mehr noch der Hamburgische Vergleich, gebot, welchen Dänemark kurz vor dem Anfange des Pommerschen Feldzuges (1711 Jan 5.) mit dem Herzoglich-Gottorpischen Hause geschlossen hatte? Höchst bedenklich konnten die Folgen für eine Regierung werden, die, nicht mächtig genug, sich selbst zu schützen, von der erhaltenden Kraft eines Monarchen abhing, dessen Glücksstern so düster umwölkt war.

Doppelt wichtig musste diese Rücksicht für eine vormundschaftliche Regierung sein. Der Herzog Karl Friedrich, kaum dreizehnjährig, stand unter der Vormundschaft seines Oheims, des Fürst-Bischofs von Lübeck, Christian August. Dieser zeitige Administrator der Herzoglichen Lande hatte, als Steenbock in Holstein einrückte, ganz die schwierige Lage erkannt, worin er sich befand. Völlige Neutralität war freilich die sicherste Maßregel, die er ergreifen konnte, und dass er diese zu erhalten gewillt sei, ließ er sofort durch seinen Geheimenrat, den Freiherrn von Görz, dem König von Dänemark versichern *). (1713 Jan. 2.)

*) Theatr. Europ. Th. 20. S. 578.

Dies war der öffentliche Schritt. Aber geheim suchte man auch die Verpachtungen gegen Schweden nicht zu vernachlässigen. Schon das Jahr zuvor, als der Graf Steenbock von Schweden nach Pommern überging, hatte man den in Stockholm sich aufhaltenden jungen Herzog erfocht, im Fall die Schwedischen Truppen zu schwach sein würden, ihren Feinden im Felde Widerstand zu leisten, denselben eine Zuflucht in der Fürstlichen Festung Tönningen zu gestatten. Der Fall war damals so fern, und des jungen Herzogs Dankbegier so groß, dass dieser wenig Bedenken getragen hatte, dem Schwedischen Hofe hierin zu willfahren. Um dem Befehle des Jünglings Gültigkeit zu geben, hatte man die Vorsicht gebraucht, ihn in Stockholm für volljährig zu erklären. Der vom Herzoge (23 Jul. 1712.) unterzeichnete Einlassungsbefehl an den Kommandanten von Tönningen, Obersten Wolf, war dem Grafen Steenbock schon nach Stralsund zugesandt worden, und eben dieser Befehl hatte ihm bei seinem Einmarsch in Holstein Zutrauen eingeflößt. Jetzt, da das wechselnde Kriegsglück den fern geglaubten Fall so nah herbei führte, und Steenbock auf die Erfüllung der Zusage drang, jetzt hatte man sich nicht anders zu helfen gewusst, als jene geheim gebliebene Unterhandlung gleich geheim fortzusetzen. Am 21. Jänner war ein zu Gottorp und Husum datierter Vergleich zu Stande gekommen, worin Namens des jungen Herzogs bewilligt ward, dass der Graf Steenbock, wenn er von seinen Feinden gedrängt würde, mit seiner Armee unter den Kanonen der Festung Tönningen, ja im äußersten Notfall in der Festung selbst Schutz finde; wogegen Steenbock im Namen des Königs von Schweden versprach, dass, im Fall man diesen Schutz von Dänischer Seite für einen Friedensbruch ansehen, und die Fürstlichen Lande feindlich behandeln, oder sie gar dem Herzog zu entziehen bedacht sein würde, der König keinen Frieden mit Dänemark eingehen wolle, bevor das Fürstliche Haus nicht nur völlig hergestellt und entschädigt wäre, sondern auch den Besitz der Ämter Segeberg und Pinneberg erhalten hätte **).

*) Europ. Staats. Canzlei. Th. 23. S. 252.
**) Ebendaselbst Th 24. S. 521 f.


Graf Steenbock versprach, diesen Traktat äußerst geheim zu halten, und wegen dessen Aufbewahrung solche Vorsicht zu gebrauchen, dass man desfalls außer Sorgen sein könne. Auch trug der Herzog Administrator selbst bedenken, wegen Einräumung der Festung etwas schriftliches an den Kommandanten von Tönningen gelangen zu lassen. Er sandte vielmehr zwei Geheimeräte, den Grafen von Reventlau und den Baron Bannier, nach Tönningen, die den Kommandanten von den Umständen mündlich unterrichteten, und ihm den Originalbefehl des Herzogs vorzeigten *). Um diese Verhandlung desto sicherer zu verbergen, war zu gleicher Zeit ein andrer Gottorpischer Geheimerat, der Graf von Dernath, an den König von Dänemark gesandt, welcher seinen Kopf zum Pfande setzte, dass Tönningen nicht dem Grafen Steenbock geöffnet werden sollte **).

Zar Peter hatte gleich bei seinem Eintritt in Holstein seinen geringen Glauben an die Herzoglich Gottorpische Neutralität und sein Misstrauen gegen den Baron Görz zu erkennen gegeben ***). Ihn befremdete es also wenig, als gleich nach dem Vorfall von Friedrichsstadt die Nachricht einging, Steenbock habe sich mit seinem Heer in die Festung Tönningen geworfen. (Febr. 14.) Eine unmittelbare Folge dieser Aufnahme der Schweden war, dass man Dänischer Seits dagegen das Schloss Gottorp, nebst allen Fürstlichen Ämtern im Herzogtum Schleswig, wie auch das Stift Lübeck, in Besitz nahm.

*) Staats-Kanzlei Th. 23. 255-257.
**) Staats-Kanzlei a. a. O. S. 298.
***) Eclaircissemens de Bassewitz in Büschings Mogaz. IX. S. 283.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Leben Peters des Großen. Bd 2