Peters gefahrvolle Lage. Rückzug des Hauptheeres

Peters Lage wurde bedenklich. Die Verbindung mit dem General Rönne war abgeschnitten, und der Fortschritt der Armee gegen den Sürek wegen der hohen Berge und des Wassermangels völlig untunlich. Auch waren die Abteilungen des Fürsten Repnin und des Generals Weide noch hinter der Hauptarmee zurück Die Zufuhr an Lebensmitteln wurde immer geringer. Denn die Moldauer und Wallachen, welchen die missliche Lage der Russen nicht entging, brachten jetzt ihre Vorräte lieber ins Türkische, als ins Russische Lager. Viele Wagen mit Lebensmitteln fielen überdem den herumschweifenden Tataren in die Hände. Auch für die Pferde fehlte es an Fütterung, da das Gras von den Heuschrecken bis an die Wurzel abgefressen war. Alle Erwartungen schlugen fehl. Peter befand sich zu Stanilasti am Prut in der nämlichen Lage, in welcher sich zwei Jahre früher Karl durch zu großes Vertrauen auf sein Heer und auf die Versprechungen des Hetmanns der Kosaken an der Worskla befunden hatte.

Der Kriegsrat beschloss, bis alle Truppen versammelt wären, so viel als möglich vor dem nahenden Feinde zu weichen, und im Notfall eine Schlacht zu wagen.


Ohne Verzug brach die Armee zum Rückzug auf. Man wählte den kürzesten Weg durch die Ebene zwischen dem Gebirge und dem Fluss. Doch unerwartet fand man beim Fortschritt, dass ein Morast, der den Fluss vom Gebirge trennte, die Möglichkeit des Ausweges zweifelhaft machte *).

*) V. Commentaires sur les institutions militaires de Vegese, par le Commte Turpin de Crissé. Berlinische Milit. Monatsschrift von 1785 S. 586, wo sich auch ein Plan von den Bewegungen, der Russischen und Türkischen Armee befindet. S. auch Anmerk. 8.

Indes vereinigte sich das Heer in der Nacht vom achten bis zum neunten Julius A. St. mit den noch fehlenden Abteilungen. Die ganze Armee, die beim Einmarsch in die Moldau 38.000 Mann stark gewesen war, bestand jetzt nach dem erlittenen Verlust, und nach Abgang des Rönneschen Heerhaufens, nur noch aus zwei und zwanzig tausend Mann. Das vereinigte Heer hoffte bald ein nicht fernes Gehölz einer Anhöhe zu erreichen, das ihnen einige Sicherheit gewähren konnte.

Der Tatar-Chan, welchem der Großvezier über seine Brücke zu gehen, nicht hatte erlauben wollen, war indes längs dem Prut hinauf marschiert, und der Zufall hatte den Tataren im Rücken der Russen eine Furth entdeckt, durch die ein Teil ihres Heers gleichfalls über den Fluss gegangen war. Der Chan ließ gleich das Gehölz besetzen, wohin die Russen ihren Marsch richteten *).

*) Voyage de la Motraye II. p. 17. 26

In der Frühe des Morgens sah man in Schwärmen die Tataren heranziehen, um die Russen auf ihrem Zuge zu beunruhigen. Ihr Angriff war besonders auf das Russische Hintertreffen gerichtet, welches aus dem einzigen Preobraschenskischen Garderegiment bestand. Mehr als fünf Stunden blieb dies Regiment dem feindlichen Feuer ausgesetzt, und der Russische Verlust war groß. In stetem Kampf mit den sich mehrenden Tataren und Türken setzten die Russen auf morastigem Boden dem Prut näher ihren Rückmarsch bis zum Nachmittage fort, da das Heer, von der großen Hitze ermüdet, Erholung und Ruhe forderte.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Leben Peters des Großen. Bd 2