Peters Reise ins Karlsbad. Des Zarewitsch Alexei Vermählung. Dessen Erziehungs-Geschichte

Weniger dieser Krieg, als das Bedürfnis, seine durch die außerordentlichsten Anstrengungen geschwächte Gesundheit herzustellen, zog Peter noch im Herbste 1711 nach Deutschland. Über Warschau und Thorn (wo er seine Gemahlin zurück ließ) reiste er nach Dresden, und von dort über Freyberg nach Karlsbad *). In Freyberg hatte ihn seine Wissbegier in die Schächte der Silberbergwerke hinabgezogen. In Karlsbad erkannte sein prüfender Blick die ausgezeichnete Geschicklichkeit eines Arztes, des Doktors Schober. Er nahm ihn in seinen Dienst und versicherte sich so eines Mannes, der sich später große Verdienste um Russland erwarb **).

*) Tagebuch I. S. 397.
**) Anmerkung 24.


Der Heil-Quell brachte dem Kranken Genesung. Neugestärkt verließ Peter das Bad und begab sich nach Torgau, dem damaligen Aufenthalte der Königin von Polen. Eine große Feier führte ihn dahin. Sein einziger Sohn, der Prinz Alerei, empfing hier die Hand der Prinzessin Charlotte Christine Sophie von Braunschweig-Wolfenbüttel.

Ein Unstern hatte bisher über das Schicksal dieses Erben des Thrones gewaltet. Er war acht Jahre alt, als seine Mutter Eudoxia verstoßen und ins Kloster versenkt ward. Die Ungnade, welche die Mutter erfuhr, wirkte beim Vater auch einige Gleichgültigkeit gegen den Sohn; man ließ ihn unter Weibern und Pfaffen ohne Bildung aufwachsen. War es zu verwundern, dass Misstrauen gegen den Vater, der ihn vernachlässigte, mit ihm aufwuchs? War es zu verwundern, dass er des Vaters Neuerungen mit der Pfaffen Augen betrachtete? So erreichte Alexei das zehnte Jahr. Jetzt ward mit mehrerem Ernst darauf gedacht, ihm zu seinem bessern Unterrichte ausländische Lehrer zu geben. Der Vorzüglichste war ein Deutscher, der Baron von Huyßen, der von Patkul aus Fürstlich Waldekischen Diensten nach Russland gezogen war *). Die Oberaufsicht erhielt Fürst Menschikow. Der Ruhm über die Fortschritte des Prinzen erfüllte bald ganz Europa. „Alexei,“ schrieb Huyßen, „ist ein Prinz, dessen Genie alles zu begreifen fähig ist. Drei Stunden wendet er täglich zu den Studien an. Schon sechsmal hat er die heilige Bibel, fünfmal im Slawonischen und einmal in Deutscher Sprache, durchlesen, auch alle Griechische Patres nebst anderen geistlichen und weltlichen Büchern, die in Slowenischer Sprache zu Moskau, Kiow und in der Wallachei gedruckt sind, fleißig durchblättert; Deutsch und Französisch redet und schreibt er gut. Täglich lernt er etwas auswendig, erwägt die Lebensbeschreibungen großer Kaiser und Könige mit vielem Nachsinnen und stellt sich ihre ruhmwürdigen Taten zur Nachahmung vor. Mathematische Handgriffe und Leibesübungen werden nicht versäumt. Kurz, Alexei ist ein Herr, der gegen Gott wahre Verehrung, gegen den Zaren kindlichen Respekt und tiefen Gehörsinn, gegen einheimische und fremde Minister besondre Achtung, und gegen seine Bedienten und Untertanen eine mit Ernst vermischte Liebe bezeiget“ **).

*) Von Haven bei Büching. Magazin X. S. 317.
**) Europa. Fama II. S. 793


Der Telemach war dem Hofmeister in seiner Verhaltungs-Vorschrift *) als das Ideal vorgestellt, nach welchem er seinen Zögling zu bilden habe. Wer hätte nicht glauben sollen, dass nach jenem Preise das Vorbild erreicht werden würde! Und nicht übertrieben war das Lob, insofern es das Studium der Kirchenväter betraf. Alexei hatte sie nicht nur durchgesehen, sondern auch sein Exemplar mit Randglossen von seiner Hand beschrieben. Ungern ging er zu Hoffesten. Aber, konnte er es nicht vermeiden, dann entzog er sich den weltlichen Unterredungen über Politik und Krieg, lud die Geistlichen in die Nebenzimmer, und vertiefte sich mit ihnen in Gespräche über die Kirchen - und Ketzergeschichte und die Homilien des Makarius.

*) Europ. Fama II. S. 524. S. Anmerk. 25

Sein früher Umgang mit Priestern wars, der seinem Sinn diese theologische Falte eingedrückt hatte. Anhänglichkeit am Alten, und Widerwillen gegen des Vaters Neuerungen, blieben die unzertrennlichen Folgen solcher Sinnesart.

Er ward ihr vollends Preis gegeben, als Huyßen nach wenigen Jahren in Staatsgeschäften an den kaiserlichen Hof versandt wurde. Menschikow, dem Alexei allein überlassen blieb, konnte selbst weder lesen, noch weiter etwas als seinen Namen schreiben. Des Prinzen theologische Lieblingsbeschäftigungen waren dem Weltmann vollends eine Thorheit. Alerei ward nichts nur vernachlässigt, man wagte es sogar, ihm mit Härte zu begegnen. Peter war so oft abwesend, und, befand er sich in der Residenz, so sehr mit Geschäften umringt, dass er auf die Erziehung des Prinzen nicht die erforderliche Achtsamkeit richtete. Kriegsübungen lagen dem Bekämpfer der Schweden jetzt vorzüglich am Herzen. Um dazu den Sohn zu ermuntern, nahm er ihn auf mehreren Feldzügen nach Polen und Liefland mit. Aber Alexeis Fortschritte auf dieser Laufbahn waren so gering, dass er bei des Vaters Einzug in Moskau noch als Gemeiner dem Zuge folgte.

Menschikows lang genährte Hoffnung, seine Beschützte, die Ossudara Katharina zur Zarin erhoben zu sehen, ging indes in Erfüllung, und zugleich erwuchs die Aussicht, dass in dieser Ehe ein Prinz geboren werden könne, der, mehr in dem Geist des Vaters erzogen, des Thrones würdiger sein werde, als Alexei.

Peters Schritt, da er, während seine erste Gemahlin noch im Kloster lebte, eine zweite Ehe einging, musste den Sohn der Verstoßenen innig kränken. Das Geschrei der Geistlichkeit, welche gegen Peters Verfahren laut eiferte, erhöhte sein Missvergnügen. Auch flüsterten ihm die Pfaffen, was er schon selbst ahnte, dass die Fruchtbarkeit der neuen Ehe seinem Thron-Erbrechte gefährlich werden, und er dereinst, der Mutter gleich, in ein Kloster gesteckt werden könne. Die ganze Nation, sagten sie, verabscheue den auswärtigen Krieg, so wie die inneren Neuerungen des Vaters, und er könne sich seinen künftigen Untertanen nicht geneigter machen, noch die künftige Erbfolge sich zuverlässiger sichern, als wenn das Volk aus seinem Betragen erkenne, dass er künftig in die Fußstapfen seiner Ahnen treten, den Zarensitz wieder nach Moskau verlegen, und seinem Staate sowohl, als den Nachbaren Ruhe geben würde.

In diesem Geiste betrug sich Alexei, und so gewann er leicht die Gunst des alten Adels und der Klerisei, die sich von seiner Regierung goldene Zeiten versprachen, und mehr Gebete für ihn, als für den Zaren, zum Himmel sandten.

Peter erfuhr das alles durch den geschäftigen Menschikow. Dennoch verzweifelte er nicht, den Sinn des damals noch einzigen Sohnes zu dem zu lenken, was ihm das Bessere schien. Um ihn mit dem Geschäftsgang bekannt zu machen, hatte er, als der Türkenkrieg ihn in die Moldau rief, dem Sohne die Regentschaft des Reiches anvertraut. Aber Alexeis Verfahren entsprach wenig den Hoffnungen des Vaters. Kaum war des Zarewitsch Regentschaft im Reiche bekannt geworden, als schon von allen Enden Russlands Kläger, über die Not des Landes, und Bitten um deren Erleichterung zu dem jungen Regenten strömten, den längst die Pfaffen weit und breit als den Heiland des Volkes gepriesen hatten. Alexei, über die Merkmale des Vertrauens gerührt, wagte es nun auch, in einem Schreiben seinem Vater die Not der Flehenden vorzutragen, und ihre Bitten zu unterstützen. Peter ward unwillig. Er erkannte, wie wenig Alexei in den neuen Geist der Regierung einzugehen fähig sei; und in dieser Überzeugung erließ er vom Ufer des Pruts, wo ihm Tod oder Gefangenschaft drohte, den Befehl an den Senat, dass dieser in dem gefürchtesten Falle den Würdigsten zum Zaren wählen solle. Die Gefahr ging vorüber. Peter kam zurück, verzieh dem Sohne seine Dreistigkeit, und entschloss sich zu einem letzten Versuche, um ihn auf den Weg zu leiten, der, wie Peter innigst überzeugt war, die Ehre und die Wohlfahrt des Reiches vorjetzt einem Regenten Russlands zu gehen geböten. Die Vermählung mit einer ausländischen Prinzessin hielt er für das bewährteste Mittel, die gewünschte Sinnesänderung zu bewirken; und der Sohn schien diesmal nicht unwillig in des Vaters Vorschlag einzugehen. Denn so ungern er auch von der Sitte seiner Vorfahren abwich, welche sich's zum Gesetz gemacht hatten, eine Einländerin zur Zarin zu wählen, so hoffte er doch, durch diese Willfährigkeit den Vater völlig zu versöhnen. Schon in Betracht der Gemahlin meinte er eine mildere Behandlung von Seiten des Vaters erwarten zu dürfen, und sich mit dessen dauerndem Wohlwollen die Kronfolge sichern zu können.

Auf die genannte Braunschweigische Prinzessin fiel die Wahl des Zaren. Sie, die mittelste Tochter des Herzogs Ludwig Rudolph von Braunschweig, und die jüngere Schwester der Gemahlin Kaisers Karl VI., besaß alle Eigenschaften des Geistes und des Körpers, die das Herz eines vorurteilsfreien Mannes einzunehmen vermögen. Der Freiherr von Huyßen leitete das Geschäft beim Braunschweigischen Hofe ein, und bewirkte, dass die Prinzessin bei ihrem lutherischen Bekenntnis verharren durfte. Die Vermählung wurde (den 14/23 Oktober) zu Torgau mit großem Gepränge gefeiert, und das junge Paar ging von da nach Wolfenbüttel, wo, des Vaters erster Absicht gemäß, der Prinz den Winter über verweilen sollte. Aber des Zaren Befehl rief ihn bald nach Russland zurück, wohin die Neuvermählte folgen musste *).

*) Weber II. S. 42 f. Motley II. p. 164. Büschings Magazin III. S. f. S. auch Anmerk. 26.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Leben Peters des Großen. Bd 2