Karls Ankunft im Türkischen Lager

Gerade jetzt kam König Karl mit verhängtem Zügel von Bender geritten. Er hatte sich, als er Poniatowskys Schreiben empfing, aufs Pferd geworfen, und die fünfzehn Meilen bis an den Prut in möglichster Schnelle zurück gelegt; aber der entscheidende Augenblick war verstrichen.

Karl stand am Prut dem Lager der Russen gegenüber, und sah das Gewühl, und traute kaum seinen Augen; Türken und Russen sah er ohne Feindseligkeit gemischt, und die Russen zum Abzug bereit. Er brannte vor Ungeduld, zu wissen, was vorgegangen sei. Statt die Brücke zu suchen, die drei Stunden von dort über den Prut führt, warf er sich in den Fluss, schwamm hinüber, durchging ohne Hindernis das Russische Lager, und gelangte zu Poniatowsky. Sehr kurz war des Tiefbekümmerten Bericht. Karl erfuhr, dass für ihn nichts geschehen sei, in einem Augenblicke, da alles hätte geschehen können. Sie gingen, man denke, mit welchen Empfindungen, zum Großvezier. Mehemet empfing den König feierlich vor dem Zelt, hieß ihn willkommen, und ließ ihn auf seinem Sopha zur Rechten sitzen, versicherte ihm aber zugleich, dass der geschlossene Frieden so ehrenvoll und vorteilhaft sei, dass nichts in der Welt ihn abändern könne.


Karl wandte ein, der Sultan würde doch zufriedener zu sein Ursache haben, wenn er den Zaren selbst in seine Gewalt bekommen hätte. „Und ich liefre ihn dir noch,“ setzte er mit Kraft hinzu, „sofern du mir zwanzig tausend deiner Janitscharen vertrauest.“

„Da sei Gott vor!“ antwortete der Vezier. „Gott hat die Erde unter die Fürsten geteilt, dass jeder über seinen Teil herrsche. Wer würde das Russische Reich regieren, wenn ich seinen Fürsten ihm raubte? Der Friede ist geschlossen, und er muss bestehen.“

Voll Unwillen erhob sich Karl, und verließ, ohne Abschied zu nehmen, das Zelt des Veziers. Im Türkischen Lager zu übernachten, war ihm unerträglich. Er blieb im Lager der Tataren. Doch bemühte er sich umsonst, seinen alten Freund, den Chan Delvet Guerai, durch den er den Krieg erregt hatte, zu weiteren Feindseligkeiten zu bewegen! Voll Missmut kehrte er am folgende Tage nach Bender zurück.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Leben Peters des Großen. Bd 2