Fortgang des Baues von Petersburg. Aufnahme des Handels

Dergleichen Vorfälle bestärkten Peter in der Abneigung gegen die alte Residenz-Stadt, einer Abneigung, welche die blutigen Erinnerungen aus seiner ersten Jugendzeit bei ihm erregt hatten. Wenn ihn auch Geschäfte dahin riefen, so verweilte er doch nie eine Nacht in der Stadt, die einst so viele Empörungen gegen ihre Regenten nährte. Er blieb auf dem Dorfe Preobraschenskoe. Seine wenige Neigung für Moskau und seine Ungeduld, den Bau an der Neva schnell zu fördern, brachten ihn sogar dahin, dass er jeden neuen Bau in Moskau verbieten ließ *).

*) Weber II. S. 76.


Die mancherlei Schwierigkeiten, mit denen er bei dem Anbau der Neva-Inseln zu kämpfen hatte, spornten ihn nur noch mehr zu deren Überwindung. Die sumpfige Beschaffenheit des Bodens, da man beim Graben in der Tiefe von zwei bis höchstens sieben Fuß Sumpfwasser fand, führte mannigfaltige Unbequemlichkeiten mit sich. Teuer und schwierig ward auf solchem Grunde der Häuserbau; namentlich waren hölzerne Gebäude frühem Verderben ausgesetzt. Allenthalben mangelten taugliche Brunnen und gute Keller; leicht zerstörlich war das Gassenpflaster, und die Überschwemmungen drohten Zerstörung und Lebensgefahr. „Tränen und Wasser hat Petersburg die Fülle!“ so klagten unter sich die Bojaren, die ihr geliebtes Moskau hatten verlassen müssen *). Auch konnte die eingeschränkte, mehrere Winde erfordernde, Fahrt in dem Finnischen Meerbusen, und das süße Wasser des Kronstädtischen Hafens allerdings davon abraten, diesen Ort zu einer solchen Bestimmung zu wählen. Aber die Vorteile der Lage an den Mündungen eines vortrefflichen Flusses, der fast mit ganz Russland Wassergemeinschaft hat, der in seinen Mündungen durch den Hafen eine ausgebreitete Seefahrt begünstigt, und so die neue Stadt zum vorzüglichsten Stapel der Handlung des Russischen Reichs eignete, das reine und gesunde Wasser, welches die Arme des Flusses der ganzen Stadt darbieten, und die leichte Zufuhr der notwendigen einheimischen und fremden Bedürfnisse, vergüteten die Ungemächlichkeiten, gaben Petersburg einen entscheidenden Vorzug vor Narwa, Reval und Riga, und bestärkten den Zaren in seinem Entschluss, das junge Petersburg vor allen Städten seines Reiches zu heben. Dass er es für seine Person zur Residenz wählte, dazu bestimmte ihn seine entschiedene Vorliebe für das Seewesen, und die Überzeugung, dass nur seine Gegenwart das Werde! welches er ausgesprochen hatte, zur Tat gestalten könne **).

*) Perry p. 253.
*) Georgias Beschreibung von Petersburg I. S. 3. Storch a. a. O. V. S. 5. S. auch Anmerk. 44.


Den Handel in Aufnahme zu bringen, das ward nun seine vorzügliche Bemühung.

Es kostete viel, Russen und Ausländer von ihrem alten Handlungswege nach Archangel abzulenken, und sie zu einer ununterbrochenen Schifffahrt nach Petersburg zu vermögen. Handelsvereine, (1712) mit Venedig und Lübeck geschlossen, und manche Vorteile, die den nach Petersburg Schiffenden verheißen wurden, brachten es endlich dahin, dass im Jahre 1713 die Schifffahrt dahin regelmäßiger ward. Nun wurden zwei Zollhäuser *) und ein Handelshof **) erbaut; auch ward ein Magistrat zur Besorgung der Handels-Angelegenheiten errichtet, der großenteils Ausländer zu Mitgliedern hatte. Dann erging (1713 Nov. 6.) der Befehl, dass alle Kaufleute aus den, in der Nähe von Petersburg gelegenen, Städten und Provinzen, ihre sämtlichen Verkaufswaren vom Frühling 1714 an, nicht mehr nach Archangel, sondern nach Petersburg führen sollten. Selbst aus den weiter entlegener Provinzen mussten die damaligen Hauptartikel des Russischen Handels, Hanf und Juften, ausschließlich nach Petersburg gebracht werden. Zu gleicher Zeit erhielten die angesehensten Kaufleute von Archangel Befehl, sich in Petersburg niederzulassen, und dort ihren Handel zu treiben ***). Die Gegenvorstellungen der Kaufleute ****) achtete Peter so wenig, dass er vielmehr nach einigen Jahren (1717) verordnete, dass von allen Russischen Produkten nur ein Drittel nach Archangel, zwei Drittel dagegen nach Petersburg gebracht werden sollten *****). Bald fanden die Kaufleute ihre Rechnung bei der Veränderung des Handelsweges. Sie machten im Jahr zwei Reisen nach Petersburg, da ihnen die Entfernung nur eine Reise nach Archongel gestattete. Auch war ihnen dort die Nähe so mancher ändern Handelsorte vorteilhaft ******).

*) Anmerkung 45.
**) Gostinnoi Dwor.
***) Storch nach Tschulkow a. a. O. V. S. 19. 20.
****) Weber I. S. 117. Anmerkung 46.
*****) Storch a. a. S. 22.
******) Mannsteins Beitrag zur Geschichte Russlands. S. 633.


Eben so gewaltsam waren Peters Verfügungen in Ansehung des weiteren Ausbaus der neuen Stadt, welche in ihrem jetzigen Zustand mit der alten Residenz der Zaren noch lange nicht wetteifern konnte. „Ich hatte mir,“ so schreibt ein Deutscher *), der im Anfange des Jahres 1714 in Petersburg anlangte, „ich hatte mir den Ort als eine ordentliche Stadt gedacht; aber was ich fand, war eine Menge zusammen geschobener Dörfer, die den Wohnplätzen in den Amerikanischen Kolonien nicht ungleich sahen.“ Aber der Zar scheute keine Mühe und Kosten, um diese Dörfer-Saat schnell zu der kolossalischen Stadt zu vereinen, die das Baltische Meer zu beherrschen bestimmt war. Die Häuser waren noch meist von Holz und nur von einem Stockwerk. Peter befahl, dass alle Häuser auf der Petersburgischen und Admiralitäts- Seite und überhaupt an den Ufern, der Neva künftig von Fachwerk nach Preußischer Art gebaut, mit Ziegeln gedeckt, und mit ordentlichen Öfen versehen werden sollten **). Bald darauf ***) erging ein Befehl an den Adel und die ansehnlichsten Kaufleute, Fabrikanten und Handwerks, für sich in Petersburg Häuser zu erbauen; und weil es wegen der vielen Häuser, die zu gleicher Zeit erbaut wurden, an Maurern gebrach, wurde bis dahin, dass der große Bau in Petersburg geendet sein würde, im übrigen Lande der Bau jedes gemauerten Hauses untersagt ****). An der Festung und anderen öffentlichen Gebäuden, auch auf den Schiffswerften, arbeiteten mehr als vierzig tausend Menschen, und da auch diese nicht zureichten, mussten die Finnischen Bauern und die Schwedischen Gefangenen zu Hilfe kommen. Viele dieser unglücklichen Schweden hatten jenseits Kasan am Ufer der Samara in den Schwefelgruben gearbeitet, und eine Menge ihrer Gefährten umkommen sehen. Sechs hundert von ihnen wurden jetzt an die Neva geführt, um großenteils zum Pflastern der Gassen gebraucht zu werden. Sie erschienen wie Gespenster und zogen das Mitleid der Zarin Katharina auf sich, die sie mit Geld und Kleidung versehen ließ *****).

*) Weber I. S. 2. 6.
**) Den 4 April 1714
***) Den 3 Jun. 1714
****) Den 9 Oct. 1714. Petersb. Journ. VIII. S. 32
*****) Weber I. S. 29.


Wenn Bauende und namentlich freiwillig bauende Ausländer den Zaren, wie sie zu tun pflegten, zur Feierlichkeit der Legung des Grundsteins einluden, verfehlte er nie, um mehrere zum Bau zu ermuntern, der damals gewöhnlichen Einweihungs-Zeremonie beizuwohnen, und auf die glückliche Vollendung und das Wohl des Bauherrn einen Pokal zu leeren.

Auch eine Vorstadt entstand schon unweit der Seemündung zwischen einigen kleinen südlichen Ausflüssen der Neva. Sie wurde meist von Matrosen, Schiffszimmerleuten und anderen Admiralitäts Bedienten bewohnt.

Die für die Zarin und ihre Töchter an der Fontanka und dem Kronstädter Meerbusen gebauten Sommerhäuser waren vollendet. Die Zarin wusste ihren Dank für ihres Gemahls Gefälligkeit nicht besser zu bezeigen, als dass sie den Baulustigen durch einen neuen Bau überraschte. Ihr war vorlangst vom Zaren das Dorf Zarskoje geschenkt worden, das ungefähr 25 Werste südostwärtg von Petersburg in einer angenehmen hohen Gegend liegt, welche den weiten Blick auf sie neue Stadt gewährt. Katharina hatte hier eine Landwirtschaft angelegt. Jetzt stieg, nach der Angabe des Baumeisters Förster, hier mit Schnelle ein steinernes Lustschloss empor, das mit aufgestuften Gärten und Lindengängen umgeben war. Der ganze Bau war heimlich betrieben und alles zum Empfang des Monarchen, der überrascht werden sollte, vorbereitet. Jetzt ward der Zar von Katharinen zu einer Spazierfahrt nach einer schönen Gegend geladen, die ihm noch nicht bekannt sei, und wo sie ein Lusthaus zu haben wünsche. Sie wolle ihn, sagte sie, an dem Flecke erwarten, der ihr dazu der bequemste zu sein scheine. Peter folgte der freundlichen Ladung seiner Katharina gern.

Als man etwa zwölf Werste von Petersburg von der Moskowischen Landstraße ab zur Rechten einlenken musste, zog schon ein neuer, durch den Wald gehauener, Weg und die gerade Aussicht nach den Duderhofischen Bergen Peters Aufmerksamkeit auf sich. Vergnügt sagte er zu seinen Reisegefährten: „Die Gegend, wohin uns meine Katharina führt, muss wohl schön sein, da ein so schöner Weg dahin führt.“ Jetzt lenkte man am Fuß der Berge links ab, fuhr über wechselnde Höhen und Täler, und erreichte endlich die letzte Anhöhe, die dem Zaren auf einmal den Blick auf das neue Schloss öffnete. Katharina empfing den Verwunderten mit Entzücken; sie zeigte ihm in der Ferne sein geliebtes Petersburg, und seine Umarmung und das Geständnis, dass er noch nie so angenehm überrascht worden sei, waren ihr schöner Lohn *).

*) Stählin, nach des Baumeisters Förster Erzählung, a. a. O. S. 181 f.

Die Festung Petersburg hatte schon seit 1706 durch steinerne Bastionen Verstärkung erhalten. Jetzt ward hier der Grund zum Bau der Kathedral-Kirche gelegt, die den Aposteln Petrus und Paulus gewidmet ward. Die Stadt breitete sich bisher meist nur auf zwei von der Neva getrennten Inseln, der sogenannten Petersburger- und Admiralitäts-Insel aus. Auf der höheren und trockneren Admiralitäts-Insel am linken Neva-Ufer wohnten die See-Offiziere, Matrosen und Schiffszimmerleute; und hier ward jetzt auch ein geräumiges Posthaus gebaut. Auf der Festungs- oder Petersburger-Insel am linken Ufer der Neva waren die Kollegien-Gebäude, die Wohnungen der Minister, der Kaufhof, die öffentlichen Kaufbuden, das Rathaus, die Gewehr-Fabrik und mehrere Bürgerhäuser.

Weniger angebaut war das Karelische feste Land an der rechten Seite der Neva *). Hier ließ Peter jetzt, wie schon lange sein Vorsatz gewesen war, ein General- See- und Land -Hospital für kranke und unvermögende Matrosen und Soldaten anlegen. Eine Kirche trennte die beiden Hospitäler, deren jedes ein anatomisches Theater erhielt, und mit geschickten Ärzten und Wundärzten versorgt ward. Die Einweihung geschah in des Zaren Beisein von der vornehmen Geistlichkeit, unter Lösung aller Kanonen von der Festung und von den auf der Neva liegenden Schiffen. Nach dem Schluss der Feierlichkeit sprach Peter mit erhabener Stimme: „Nun ist mein lange gehegter Wunsch erfüllt. Manchen Braven fehlte es bisher an Hilfe. Hier soll sie ihnen werden. Gott gebe nur, dass nie vielen diese Hilfe Not sein möge!“ **)

*) Jetzt gewöhnlich die Wiburgische Seite genannt.
**) Stählin a. a. O. S. 225.


Ganz unbebaut war noch die größere Insel Wassili Ostrow, welche, von den Armen des Flusses umschlungen, zwischen der Petersburger- und Admiralität- Insel hervor geht. Diese Insel ward, obgleich ihr Boden vorzüglich morastig, und öfteren Überschwemmungen ausgesetzt war, von Peter besonders zum regelmäßigen Anbau bestimmt, und das Ideal, so ihm dabei vorschwebte, war die Stadt, welche der Zauber der Industrie auf gleich widerstrebendem Boden einst an der Amstel hervor gewinkt hatte. Zwei große gerade Kanäle sollten die Insel in der Länge, und zwölf Kleinere in der Breite durchschneiden, und die Gassen bezeichnen, an welchen steinerne, mit Hof- und Gartenplatz versehene Häuser empor steigen sollten. Der eine größere Kanal sollte nach des Zaren Absicht so tief sein, dass beladene Schiffe von Kronstadt herauf gerade vor die Privathäuser und die Börse fahren könnten. Auch wollte er mehrere Marktplätze, und ungefähr in der Mitte der Insel einen Lustgarten anlegen, gegen die See zu aber Triften zu gemeinen Viehweiden liegen lassen.

So war Peters Plan, und zu dessen Ausführung erging jetzt ein Befehl durch das eigentliche Russland, dass sowohl geistliche, als weltliche Güter-Besitzer, nach einer ihren Besitzungen angemessenen Größe, auf Wassili Ostrow an dem Platze, der ihnen angewiesen, und nach dem Plane, der ihnen vorgeschrieben werden würde, Häuser bauen und den Bau in drei Jahren bei Strafe der Konfiskation ihrer Güter in so weit vollenden sollten, dass die Häuser sich in wohnbarem Stande befänden.

Damit sich niemand über den Mangel an Materialien und Bauleuten beschweren und damit die Verzögerung entschuldigen könnte, wurde alles, was den Bau zu befördern vermochte, veranstaltet. Für jeden lagen die Risse zum Bau nach seiner Nummer im Bau-Komtoir bereit *). Einige Werste von Petersburg oberhalb der Neva an der Schlüsselburgischen Landstraße waren so diele Ziegelhütten angelegt, dass sie viele Millionen Ziegel zu liefern im Stande waren. Bauholz, Kalk und Plieten zu Grundlagen wurden in zureichender Menge herbei geführt und zu bestimmten, sehr billigen, Preisen überlassen. Bretter, Dielen und Latten lieferten die, um Petersburg angelegten, Wind- und Wasser- Schneide-Mühlen reichlich, und Tausende von Barken brachten das Holzwerk zu Zäunen, Ställen und anderen Hofgebäuden aus dem Innern des Landes über den Ladoga-See und auf der Neva heran. Kein Fahrzeug ward in Petersburg eingelassen, welches nicht nach Verhältnis seiner Größe eine Anzahl von Feldsteinen zur Pflasterung der Gassen an die bei den Schlagbäumen verordneten Kommissarien abgeliefert hatte **).

*) Der Baumeister war der Italiener Tressino.
**) Stählin a. a. O. S. 168 f. Petersb. Journ. VIII. S. 31.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Leben Peters des Großen. Bd 2