Literatur der Geschichte Peters


1.

Des Polnischen Gesandten La Neuville's Bericht aus Moskau*) klärt manche Begebenheiten aus dem Zeitpunkt auf, da Peter mit seiner Schwester Sophia im Kampfe war, und über sie siegte.


*) L’ état de Moscovite. Parîs 1698.

2.

Über das erste Buch, welches sich mit Ausführlichkeit über Peter; den Alleinherrscher, verbreitet und historische Beiträge zu seiner Charakteristik liefert, ist Korb's lateinische Reisebeschreibung*). Joh. Georg Korb war Legazions -Sekretär des Gesandten Ignazius Christoph von Guarjent und Rall, welchen der Kaiser Leopold I. zu Unterhaltung des mit dem Russischen Hofe gegen die Türken geschlossenen Bündnisses, im Jahre 1698 nach Moskau schickte. Die Gesandtschaft verweilte daselbst vom Ende Aprils 1698 bis Ende Julius 1699, also in dem Zeitraum, da Peter, durch der Strjelitzen wiederholte Empörung aus dem Auslande zurück gerufen, als unerbittlicher Rächer dieses Majestäts- Verbrechens in der Hauptstadt erschien. Korb hielt von dem, was er selbst erfuhr, ein Tagebuch, - und hier ist eine Glaubwürdigkeit wohl nicht zu bezweifeln; aber er verzeichnete auch Gerüchte, die als solche zwar ihren Wert haben, jedoch für historische Wahrheiten nicht immer gelten können. Aus einigen, den Katholizismus atmenden Zügen hat man vermuten wollen, daß bei der Bearbeitung des Korb’schen Tagebuches Ordens-Geistliche das ihrige beigetragen hätten. Wirklich erkennt man leicht aus den ganz widersprechenden Meinungen, die über denselben Gegenstand an verschiedenen Orten des Buches geäußert werden, daß mitunter eine fremde Hand daran gearbeitet hat. Auch ist das Werk nicht frei von schnöde absprechenden Urteilen über die Russische Nation, die dem Reisebeschreiber freilich um so weniger in einem günstigen Lichte erscheinen konnte, da sein Aufenthalt zu Moskau in den Zeitpunkt fiel, als das alte Russische Herkommen gegen die neu andringende Europäische Sitte kämpfte, als sich allenthalben Empörungsgeist regte, und über Tausende von Anführern ein Strafgericht verhängt wurde, das die Menschlichkeit so gern in ihren Schleier gehüllt hätte. Auch Petern musste die Enthüllung seiner Persönlichkeit in diesem Zeitpunkte am wenigsten angenehm sein. Denn obgleich in Korbs Werke sein großer Geist nicht verkannt, vielmehr mit richtigem Blick in die Zukunft, der Nation zu einem solchen Regenten Glück gewünscht wird, so erzählt doch der Reisebeschreiber auch manche Züge aus dessen Privatleben, die Peters inquisitorische Schärfe, seinen Jähzorn und andere Schwächen rügen, welche damals von lebenden Regenten selten durch Druckschriften kund wurden. Dies zusammengenommen kann die Ursache gewesen sein, warum, wie Literatoren der Zeit melden, bald nach der Erscheinung des Buches die Exemplare desselben vom Russischen Hofe sorgfältig gesammelt sind, und deren öffentlicher Verkauf in Wien verboten ist. Gewiss ist’s, daß dies allerdings merkwürdige, aber nicht ohne Kritik brauchbare Buch zu denen gehört, die nicht häufig in Büchersamenlungen gefunden werden.

*) Diarium itineris in Moscoviam Ignatii Christophori de Guarient et Rall, ab imperatore Leopoldo I. da Petrum Alexiovicium anno MDCXCVIII. ablegati extraordinarii, descriptum a Joanne Georgio Korb, Secretario ablegationis caesareae. Viennae Austriae. (ohne Jahreszahl) fol. (mit 19 Kupfertafeln).

3.

Noch während Peter lebte, schrieb im Jahre 1710 ein ungenannter Deutscher eine Biographie desselben *). Dass ihr Wert als Geschichte nicht groß sei, ist leicht zu erachten. Die Akten stücke, die sie liefert, und die ihr einigen Wert geben, sind in der Folge oft genug wieder gedruckt worden.

*) Des großen Herrens Petri Alexisvis Leben und Thaten von J. H. v. L. Frankfurt und Leipzig 1710.

4.

Bedeutender sind die Beiträge, die man aus Perrys Englisch geschriebenen und in mehrere Sprachen übersetzten Nachrichten schöpfen kann*). Perry, ein sehr geschickter Ingenieur-Offizier, trat im Jahre 1698, da Peter auf seiner ersten Reise England besuchte, auf des Marquis von Carmarthen Empfehlung in des Zaren Dienst, in welchem er bis zum Jahre 1712 blieb. Die Vereinigung der Wolga mit dem Don war das wichtige Geschäft, wozu Peter ihn bestimmte. Aber das Werk ward durch den Schwedischen Krieg unterbrochen, und Perrry mußte sich statt dessen mit dem Bau einiger Schleusen zu Waronesch beschäftigen, bis endlich der unglückliche Ausfall des Türkenkrieges 1711, wodurch Russland mit Asow die Herrschaft über den Ausfluss des Dons verlor, den ganzen Vereinigungsplan scheitern machte. Dagegen hatte sich Peter eine Küste an der Ostsee erworben. Die Stadt Petersburg war entstanden, und mit ihr das dringende Bedürfnis, die neue Seestadt mit dem Innern von Russland in Verbindung zu bringen. Nun gefiel Petern der Plan, die Wolga mit dem Ladoga-See und so mit der Newa zu vereinen. Perry wurde dazu berufen. Aber er wollte sich nicht eher zum Anfang der Arbeit, die er für sehr ausführbar hielt, verstehen, bis ihm die mehrjährigen Rückstände seines Gehalts völlig ausbezahlt wären. Da man hiermit zögerte, und die Zahlung auf Termine setzen, auch auf die Beschaffenheit der indes verschlimmerten Münze nicht Rücksicht nehmen wollte, entstand ein gegenseitiges Misstrauen. Perry verließ missvergnügt Russland, ging nach England zurück, und ließ dort die Nachrichten drucken, welche nachher oft, nicht immer mit Vorsicht, nachgeschrieben sind. Wo er als Kunstverständiger selber handelte, verdient sein Bericht wohl vollen Glauben, und bei der Nachricht über manche innere Veränderungen, von denen er während seines vierzehnjährigen Aufenthalts selber Zeuge war, ist er eben so wenig verwerflich. Ob bei den Beschwerden über die Hindernisse, so ihm bei seinen Arbeiten absichtlich in den Weg gelegt sein sollen, nicht Übertreibung sei, muss man dahin gestellt sein lassen. „Ich habe mich“ schreibt er, „der strengsten Wahrheit beflissen, und ich wünschte, daß mein Werk vor die Augen des Zaren käme. Er ist ein Fürst, den ich für seine Person immer hochschätzen und verehren werde, und in dessen Dienst ich, wie ich glaube, immer gebliebenen sein würde, wenn es sich nicht einige seiner Bojaren hätten angelegen sein lassen mir alle mögliche Undienste zu tun, mein Gehalt zurückzuhalten, und, was ich nur in des Zaren Dienst unternahm, rückgängig zu machen.“

*) Etat présant de la Grande-Russie par le Capitaine Jean Perry, traduit de l’Anglois, à la Haye 1717.

5.

Perry schließt sich Friedrich Christian Webe an, der als Hannöverischer Resident im Jahr 1714 nach Russland ging, und in einem Tagebuche, das sich bis zu Peters Tode erstreckt, treulich alles, was er merkwürdiges sah und hörte aufzeichnete *). Seine Nachrichten sind zwar sehr zerstreut und unzusammenhängend, oft kleinfügig dennoch bleibt sein verändertes Russland noch setzt die sicherste Quelle, um Petern mit allen seinen Eigenheiten kennen zu lernen, und sein unermüdete Wirksamkeit in Förderung des erkannten Bessern gehörig zu würdigen.

*) Das veränderte Russland. Frankfurt 1721. 2ter Teil. Hannover 1732. Der dritte Teil (Hannover 1740) betrifft die Regierung Katharinas’s I. und Peters II. Das Buch ist in mehrere Sprachen übersetzt.

6.

Im Jahre 1723 schrieb ein ungenannter Britischer Offizier, der in Russland gedient hatte, eine Geschichte Peters *), die mir nicht zu Gesichte gekommen ist.

*) An impartial history of the 1ife and actions of Peter Alexowitz the present Czaar of Miscopy written by a british officer in the service of the Czaar. London 1723. 8.

7.

Peter starb 1725, und gleich nach seinem Tode erschienen zwei Lebensbeschreibungen, eine Deutsche und eine Französische. Der Verfasser der ersteren, war der Magister und Rektor zu Meißen, Justus Gottfried Rubener*), (so unterzeichnete er sich in der Vorrede). Bescheiden nennt er selbst sein Werk den Zeug zu einer künftigen Biographie. Doch nutzte er nicht alle Nachrichten, die schon damals vorhanden waren, und selbst Weber scheint ihm fremd geblieben zu sein.

*) Leben Petri des Ersten und Großen Czaar von Russland. Leipzig 1923. 8.Gesichtsschreiber war des Satirikers Großvater.

8.

Ausführlicher und mit besserer Benutzung der Hilfsmittel behandelte ein ungenannter Franzose, der sich unter dem russischen Namen Nestesuranoi nur schlecht verbarg, die Geschichte des Monarchen *). Einige nennen Limieres, die meisten Rousset als Verfasser.

*) Mémoires du règne de Pierre 1e grand, par le baron Iwan Nestesuranoi, à la Haye 1725. 12. IV. Voll. Seconde édition augmentée. Amst. 1730. 8. IV. Voll.

9.

Ihm folgte nach vierzehn Jahren der Engländer John Mottley*). Beide nahmen oft unwichtige Zeitungs- Berichte und vollständige Aktenstücke in die Erzählung auf. Beide sammelten indes brauchbare Materialien, deren Vorrat immittelst noch

*) The history of the life of Peter I. emperor of Russia, by John Mottley in three Vol. London 1739.

10.

durch den Schweden Strahlenberg, welcher mehrere Jahre als Gefangener in Russland verlebt hatte, vermehret war. Sein Buch*), wozu er in der Gefangenschaft gesammelt hatte, enthält neben mancher unverdauten Gelehrsamkeit über alte Russische Geschichte und Geographie, auch eine Menge Gerüchte über Petern, die, so einseitig sie sein mögen, doch als an Ort und Stelle gesammelt, für den Forscher nicht ohne Wert sind.

*) Der Nord- und östliche Teil von Europa und Asia, in so weit solches das ganze russische Reich u. begreifet, in einer historisch-geographischen Beschreibung vorgestellt, von Phil. Joh. von Strahlenberg. Stockholm 1750. 4.

11.

Alles dies nutzte, wiewohl mit nicht großer historischer Kunst, Mauvillon, der für den Verfasser einer, im Jahre 1742 herausgekommenen französischen Geschichte Peters gilt*). Er kannte Korb, den die vorigen Biographen vernachlässigt hatten. Auch berief er sich auf handschriftliche Nachrichten, die ihm ein Preuße aus des Baron Huyßen Papieren mitgeteilt habe.

*) Histoire de Pierre I. surnommé 1e Grand. Amsterdam et Leipzig 1742 3 Tomes. 8.

12.

Der nächste Biograph Peters war ein Schottländer. Alexander Gordon von Achintoul ging im Jahre 1693 nach Russland, wo ihn sein Verwandter und nachheriger Schwiegervater, der General Patrik Gordon, dem Zaren vorstellte. Noch ehe er als Offizier angesetzt wurde, bekam er auf einer Hochzeit Händel mit Leuten, welche auf die Fremden schmähten. Siegreich verteidigte er sich gegen sechs, mit denen er handgemein geworden war. Die Geschlagenen beschwerten sich bei dem Zaren. Peter ließ Gordon vor sich kommen, und befragte ihn über den Vorgang. Gordon erzählte ihm offenherzig, doch mit Bescheidenheit und Mäßigung, was vorgefallen war. „Nun,“ sagte Peter, als Gordon geendigt hatte, „so haben Ihre Ankläger Ihnen doch Recht wiederfahren lassen; sie sagten selbst, daß Sie sechs Mann geschlagen hätten. Ich will Ihnen auch Recht wiederfahren lassen.“ Er verließ ihn und brachte ihm nach wenigen Minuten eine Majors-Bestallung zurück. Innerhalb drei Jahren war Gordon Befehlshaber eines Regiments. In dieser Stelle wohnte er dem glücklichen Feldzuge wider die Türken bei, dessen Preis Asow war. Aber bei der unglücklichen Schlacht bei Narwa fiel Gordon in schwedische Gefangenschaft, aus welcher er erst nach acht Jahren, durch Auswechslung gegen den schwedischen Obersten Einschield, erlöst ward. Als Generalmajor leistete er nun (1708) in der Schlacht bei Ljesna die wichtigsten Dienste. Dann diente er in Polen gegen die Schweden und die mit ihnen verbundenen Lescynskisch gesinnten Polen, bis er im Jahre 1711, nach dem Tode seines Vaters, die russischen Dienste verließ und in sein Vaterland zurückkehrte. Hier starb er im Jahre 1752 im 82ten Jahre seines Alters. Die Muße seiner letzen Tage nutzte er zur Verfertigung des biographischen Werkes über Petern, welches drei Jahre nach seinem Tode im Druck erschien*). So wenig das Werk des Greisen, der sich nie Schriftstellerei zum Geschäft gemacht hatte, als historisches Kunstwerk gelten kann, so beachtungswert ist es doch, besonders in militärischer Hinsicht, da Gordon bis zum Jahre 1711 bei vielen nichtigen Vorfällen selbst gegenwärtig, oder doch im Stande war von denen, die Teil daran genommen hatten, sichere Nachrichten einzuziehen. Manches falsche und Übertriebene konnte er berichtigen, und durch manche Schlachten-Details erklären.

*) The history of Peter the Great, Emperor of Russia, by Alex. Gordon of Archintoul 1755. Vol. 11. 8. Deutsch übersetze von E. A. Eichmann) Leipzig 1765. 2, B. 8. Anmerkungen über Gordons Geschichte 1ten Band schrieb Müller. Sie blieben aber Manuskript, und befanden sich in Büschings Händen. S. Müllers Leben in Büschings Beiträgen zur Lebensgeschichte denkwürdiger Personen. III. 157.

13.

Sechs Jahre, nachdem Gordons Werk erschienen war, bemächtigte sich Voltaire des Gegenstandes. Sein Leben Karls XII. hatte ihn auch als Biographen ausgezeichnet. Nun ward er, von Russland her, aufgefordert, dem Nebenbuhler und Besieger des Schwedischen Helden ein dauerndes Denkmal zu stiften. Der, mit der schönen Literatur befreundete Kammerherr, Iwan Jwanowitsch Schuwla1ow beeiferte sich., mit Tauberts, Müllers und Stähelins Hilfe, ihm aus dem Archive und der Bibliothek der Akademie der Wissenschaften manches Handschriftliche mitzuteilen, worunter das damals noch ungedruckte Tagebuch Peters des Großen das vorzüglichste war. Um ihn zur Arbeit aufzumuntern, sandte ihm die Kaiserin Elisabeth Geschenke von großem Werthe, die ganze Folge der russischen Medaillen in Gold geprägt, und einen ansehnlichen Vorrat von kostbarem Pelzwerk, das selbst in Russland zu einigen Tausend Rubeln geschätzt wurden Voltaire begab sich ans Werk. Er ließ sich durch die gesandten Materialien nicht hindern, seinen eigenen Ansichten zu folgen. Vieles nutzte er, vieles legte er auch ungenutzt in die Genfische Bibliothek zurück: Die Geschichte erschien*) Er hatte ihr durch die Auswahl dessen, was einem Schriftsteller von seinem Ansehen merkwürdig geschienen, durch die ihm eigne Ansicht und Darstellungs-Weise, durch seine vergleichenden historisch- philosophischen Zusammenstellungen, und durch seine raschen, oft treffenden Urteile Interesse gegeben. Aber die gespannte Erwartung blieb unerfüllt. Man fand historische Unrichtigkeiten, Lücken, flüchtige Urteile und im Ganzen für eine Russische Reichsgeschichte, die er ankündigte, zu wenig Vollständigkeit; für eine Biographie Peters zu wenig Charakteristik.

*) Histoire de 1'Émpire de Russie sous Pierre le Grand, par l'auteur de l'histoire de Charles XII. (a Genève) 1761. 1763. Tomes, deutsch von Joh. Mich. Hube, mit Zusätzen und Verbesserungen von D. Ant. Fr. Büsching. Frkft. und Leipzig 1761 und 1774. Die Zusätze zum 2ten Bande befinden sich aber nicht beim Werke selbst, sondern in Büschings Abhandlung und Nachrichten aus und von Russland. 1 B. 1 St. S. 123. f. Auch Müller schrieb viele Anmerkungen über Voltaire’s Buch, die meist ungedruckt blieben. Siehe Müllers Leben in Büschings Lebensbeschreibungen denkwürdiger Personen. III. S. 157

Als Schuwalow, dem er den ersten Band überschickte, in einem freundlichen Schreiben ihn fragte, warum er denn die ihm gesandten Materialien nicht alle genutzt, und die genutzten oft in einem verkehrten Sinne gebraucht habe? warum keine der mitgeteilten Anekdoten mit im Werke vorkommen? und warum er endlich so viele Namen von Personen und Orten verstümmelt habe? war Voltaire's Antwort, er sei nicht gewohnt, blindlings nachzuschreiben; an die Anekdoten sei er noch nicht gekommen, „und was die Verstümmelung der Namen betrifft,“ fährt er fort, „so ist es wohl ein Deutscher, der mir diesen Vorwurf macht. Ihm wünsche ich mehr Verstand und weniger Konsonanten.“ (Je lui souhaite plus d’esprit, et moins consonnes)*) Nach diesem eignen Geständnis enthält Levesques**) Entschuldigung Voltaire's, als habe ihn ein Deutscher (Müller ist gemeint) aus Eifersucht übel bedient und ihm unrichtige und verstümmelte Auszüge gesandt, eine schwer zu entschuldigende Verleumdung.

*) Schlözers Staatsanzeigen. X. S. 309. Stählins Anektoden von Peter dem Großen. S. 376.

**) Histoire de Russie. I. p. XXIX Vergl. August Friedrich Schlözers Nester-Russische Annalen S. 103.


Wenn Voltaires Werk einerseits wohl nicht die große Geringschätzung verdient, womit manche jetzt darauf herabsehen, so macht es andererseits eine neue Bearbeitung des großen Gegenstandes sicher nicht entbehrlich.

Seit 1725 hat kein Deutscher seinen Fleiß besonders auf Peters Leben gerichtet, und seit Voltaires Werk, also seit mehr als vierzig Jahren, ist außer Russland überall kein Werk erschienen, das als Lebensbeschreibung desselben gelten kann*).

In russischer Sprache schrieben zwar seitdem Feodosinwitsch**), Tumansky ***), Golikow****) u. Geschichten des großen Kaisers; aber, wenigstens im Jahre 1774, mußte noch der Fürst Sschtscherbatow schreiben: „Wir haben viele Lebensbeschreibungen des großen Mannes; aber keine, das behaupte ich ohne Bedenken, keine gibt. uns sein ähnliches Bild“*****). Auch blieb Tumanskys Buch unvollendet, und ein Werk von dreißig Bänden, wie Golikow lieferte, kann wohl nur als Sammlung von Materialien zu Peters Geschichte gelten.

*) Die allgemeinen Russischen Geschichten von Schmidt-Phiseldeck, le Clerc, Levesque, Wagner, gehören nicht hieher. Die Deutschen zeichnen sich auch hier durch Sorgfalt und Quellen-Studium, die Franzosen durch den Vortrag aus.

**) Leben und Taten des Kaisers Peters, nebst einer kurzen geographischen und politischen Geschichte des Russischen Reichs. Venedig 1772. 4. u. Teile, von Demitri Feodosiewitsch.

***) Vollständige Beschreibung der ahnten Peters, von Feodor Tumansky. Pelersb. 1188. 8. Erster Teil.

****) Taten Peters des Großen, des weisen Umbilders von Russland, aus glaubwürdigen Quellen gesammelt und nach der Jahrfolge geordnet. Moskau 1188. u. B. 8. Das ist der Deutsche Titel des Russischen Werkes, dessen Herausgeber Iwan Golikow ist, ein russischer aus der Gouvernementstadt Kursk gebürtiger, unstudierter, fremder Sprachen unkundiger Kaufmann, der jetzt aus einem Dorfe bei Jwanogrod wohnet. Es erschienen nachher noch 18 Bände Zusätze zu den Taten Peters des Großen. Moskau 1790 bis 97, so daß nun Golkows Werk aus nicht weniger denn dreißig Bänden besteht.

*****) In der Vorrede zum Memorial Peters des Großen.

Mannichfaltig sind die Hilfsmittel, die seit Voltaire's Werk in Druck hervorgingen, und dem neuen Biographen nützlich sein können. Nicht nur erschien seitdem


14.

Das merkwürdige Tagebuch *) Peters des Großen in seiner Vollständigkeit; sondern es wurden auch

*) Tagebuch des Kaisers Peters des Großen vom Jahre 1698 bis zum Nystädtischen Friedensschlusse, gedruckt nach der, im Kabinettsarchiv befindlichen, von Er. Kaiserlichen Majestät mit eigner Hand berichtigten Handschriften, (Herausgegeben vom Fürsten Michael Michaelowitsch) Sschtscherbatow) St. Petersburg 1770 und 1772. 2 Teile in 4. Dies Buch ist einmal ins Französische (Berlin 1773 in 4.) und zweimal ins Deutsche übersetzt. Die richtigste und vollständigste Übersetzung ist die von Ehr. Gottl. Arndt und H. L. E. Bacmeister besorgte, welche mit den Beilagen, die drei ersten Bände der Bacmeisterschen Beiträge zur Geschichte Peters des Großen (Riga l774-84) ausmachen.

15.

Durch Müllers*), Büschings**), Schlözers***), Bacmeisters****),

*) I. Sammlung russischer Geschichte, Petersburg 1732 bis 1764. 9 Bände in 8. 2. Gerhard Friedrich Müllers Lebensbeschreibung des General. Feldmarschalls, Grafen Boris Petrowitschj Scheremetow, mit eingestreuten Erläuterungen über dir Geschichte Peters des Größen, ins deutsche übersetze von Hartwig Ludwig Christian Bacmeister. Petersburg, Riga und Leipzig l789. 8. — Der um die russische Geschichte so verdiente Müller starb im Oktober 1783, beinahe 78 Jahre alt. Er war zuletzt wirklicher
Staatsrat bei dem Moskowischen Archiv des Reichs-Kollegiums der auswärtigen Geschäfte.

**)Magazin für die neue Historie und Geographie. Hamburg 1767 bis Halle 1788. 22 B. 4. Das Werk enthält namentlich für Russland, sehr viel Brauchbares.

***) Joh. Jos. Haigolds (Schlözers) Beilagen zum neu veränderten Russland. Riga und Mierau 1769 und Riga und Leipzig 1770. 2 Teile 8. Münz- Geld- und Bergwerks-Geschichte des russischen Kaisertums. Göttingen 1791. Auch findet sich in seinen Staatsanzeigen und andern, die Nordische Geschichte aufklärenden Schriften, manches hieher gehörige.

****) Russische Bibliothek. St. Petersburg, Riga und Leipzig 1772 — 1789. II B.


Hupel's*), Arndt's**), Busse's***), Sumarokow's†), Stählin's††), Golikow's†††), Scheremetews, Sschtscherbatows*), Storchs**), und Anderer Bemühungen, so manche neue Nachrichten ans Tageslicht gefördert daß, wenn dem kritisch getreuen Nutzer und Anordner der so vergrößerten Masse der Materialien auch historische Kunst und Darstellungsgabe abginge, ihm dennoch sein Verdienst nicht bestritten werden könnte.

*) Aug. Wilh. Hupels Nordische Miscellaneen. Riga 1781 – 1791. 12 B. Neue Nordische Miscellaneen.
Riga 1793 — 1797. 18 Stücke.

**) Petersburgisches Journal 1776 bis 1780. 10 Bände. Neues St Petersburgische Journal 1781 bis 1785. 9 B.

***) Joh. Heinr. Busse Journal von Russland. St. Petersburg 1794 bis 1796. 6 B.

†) Der erste und wichtigste Aufstand der Strelitzen in Moskau 1682, aus dem Russischen des wirklichen Staatsrats und Ritters Sumarokow, übersetzt von Ai. (Arndt) Riga, 1772. 8

††) Original-Anekdoten von Petern dem Großen, aus dem Munde angesehener Personen zu Moskau und Petersburg vernommen, und der Vergessenheit entrissen von Jakob von Stählin. Leipzig 1785. Der Sammler hat allenthalben seine Gewährsmänner genannt.

†††) Siehe oben §. 13.*)

*) Der verstorbene Ober-Kammerherr Peter Borisowitsch Scheremetew veranstaltete 1774 die Ausgabe det Briefe, die Peter der Große an seinen Vater, den Feldmarschall Boris Petrowitsch Scheremetew geschrieben hat. Die Vorrede dazu ist die, auch deutsch übersetze Lebensbeschreibung des Feldmarschalls, deren schon bei Müller erwähnet ist. Die Briefe selbst sind größtenteils im Petersburgischen Journal übersetzt. Auch finden sich dort Übersetzungen von Peters Briefen, die 1774 auf des Fürsten Sschtscherbatows Veranstaltung aus Peters sogenannten Memorial oder Conceptbuch gesammelt sind, nicht weniger Scheremetews Antworten, dir gleichfalls sein Sohn in den Jahren 1778 und 79 in 4 Octav-Bänden gesammelt hat.

**) Heinrich Storchs historisch-statistisches Gemälde des russischen Reichs. Riga 1797-1801 6 B. in 8.


Der Vorwurf, daß er Golikows Sammlung so wie die übrigen Russischen Quellen zu Peters Geschichte nicht vollständig sind nicht in der Ursprache las, würde ungerecht sein. Noch Jahrzehende werden verlaufen, ehe ein Deutscher mit der dazu nötigen vollen Kunde der Russischen Sprache, die Muße, Geduld und Geschicklichkeit verbunden wird, welche erforderlich sind, um mit Verstand aus einem solchen Meere zu schöpfen. Was in Golikows Werke zur Charakteristik Peters dienet, und, ans dem Ganzen gehoben, jüngst dem Deutschen in seiner Sprache kund ward *), habe ich mit Kritik benutzt. Ein Günstling der Klio, der, mit Russlands Sprache vertraut, tief aus den historischen Quellen schöpfte, wird künftig mein Buch verdrängen. Auch jetzt schon wird man vielleicht mir einzelne Unrichtigkeiten, Lücken und täuschende Ansichten vorwerfen, dielleicht beweisen. Könnte mein Versuch, in Peters Geschichte mehr Klarheit zu bringen, geschichtskundige Russen wecken, daß sie die dem Ausländer noch dunklen Perioden durch das, nur ihnen leuchtende Licht weiter aufhellten, und Irrtümer berichtigten, so würde der Versuch schon dadurch verdienstlich. Die Unvollkommenheit seines Werkes erkennet keiner mehr, als der Geschichtsschreiber selbst, der bei der ernsten Absicht, wahr und genau und parteilos zu sein, doch oft nur Wahrscheinlichkeit für Wahrheit ergreifen muss. Könnte uns nur die Gewissheit, nie geirrt zu haben, zur Geschichtsschreibung berechtigen, so würde keine Geschichte sein. Die Überzeugung, nach redlicher Forschung nur das Geprüfte niedergeschrieben, und nichts erhebliches unterdrückt zu haben, muss uns genügen, und dieser Überzeugung darf ich mich freuen.

*) Neue Anekdoten von Peter den Großen, gesammelt von Joh. Golikow. Riga und Leipzig. 1802. 8.

Oldenburg im Oktober 1802.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Leben Peters des Großen. Bd 1