Einleitung

„Nach der Entdeckung von Amerika,“ sagt mit Recht ein großer Schriftsteller*), „hat die Geschichte keine wichtigere Begebenheit, als die sittlich-politische Umbildung Russlands.“ Eine Nation, noch vor einem Jahrhunderte zu den Völkern Asiens gezählt, fühlte, wie durch Zauberwort geweckt, ihre hohe Bestimmung. Schnell mit Europas Art und Kunst befreundet, trat sie mit Riesenkraft in die Reihe der Europäischen Mächte, ward Schiedsrichterin des Nordens und wesentliche Teilnehmerin an den wichtigen Angelegenheiten der übrigen Mächte dieses Weltteils. Ja, Politiker fürchteten, sie würde einst unsrer Halbinsel werden, was ehemals Makedonien für Griechenland ward.

*) Voltaire, in der Vorrede zum 2ten Bande seiner Geschichte Russlands unter Peter dem Großen.


Wer gab ihr den gewaltigen Schwung, wodurch sie zu dieser Macht, diesem Ansehen gelangte? Die Heroen anderer Nationen, ihre Manko-Kapaks, ihre Osiris, verlieren sich ins fabelhafte Altertum; Russlands schaffenden Heros sahen noch jetztlebende von Angesicht. Ihn fingen nicht Mythen, es ist die Muse der Geschichte, die seine Taten bewahrt. Welchen würdigern Gegenstand könnte sie wählen, als ihn?

Den wunderbaren Mann möchte ich schildern, der, selbst ungebildet, und zum Herrscher eines rauhen Volkes geboren, mit entschlossenem Mute das ihn umgebende Dunkel durchbrach, und nach Lichte strebte. Er wagte es, vom Throne steigend, sich selbst zu erziehen, im Auslande, in Hütten und Palästen, nach dem, was dem Reiche Not war, zu forschen, es durch eigne Anstrengung zu erlernen, dann, wiedergekehrt, sein Volk zum Gefühle seiner Kraft zu erwecken, es zur Übung dessen zu lenken, was er für das bessere erkannt hatte, und die der National-Betriebsamkeit gesetzten Schranken zu öffnen. Tausend Hindernisse regte vielgestaltet der Fanatismus wider ihn auf. Gefahren der Schlacht und des Meuchelmordes drohten wiederholt seinem Leben. Überschüttert und mit unverwandtem Blick auf das große Ziel, verfolgte der Held seinen Weg, und die Nation ward, was er sie werden hieß. „Zu Peters Füßen lege ich meinen Ruhm nieder, den ich ihm schuldig bin.“ So sprach nach hundert Jahren Katharina in dem schönen Momente, da sie die Hauptfahne der zerstörten Türkischen Seemacht am Grabe des Ahnherrn senkte.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Leben Peters des Großen. Bd 1