Leben, Gesundheit, Krankheit, Heilung
Die Zeitfrage, welche jetzt vor allem die Gemüter bewegt, ist die Frage des Menschenwohls, welches einerseits als materielles Wohl, anderseits als geistiges Ideal dargestellt worden ist. In der Behandlung dieser Frage werden die Naturwissenschaften als leitend betrachtet, und es ist die Medizin, aus der man, als geborenen Dienerin des Menschenwohls, die entscheidende Stimme hierüber zu vernehmen hofft. Insofern die Medizin selbst auf die Naturwissenschaften sich stützt und sich naturwissenschaftlich zu machen bestrebt ist, sind daher die letzten Gründe, welche in der Frage des materiellen wie ideellen Wohls, wie in der Heilkunst geltend gemacht werden, naturwissenschaftliche. Es ist also vor allen das Verhältnis der Naturwissenschaften zur Medizin, worauf es in der großen Frage des Menschenwohls ankommt.
- Bedeutung von Leben und Tod in der Wissenschaft
- Die Lebensfrage überhaupt
- Bild und Beurteilung der kosmologisch-physikalischen Lebenstheorie
- Konsequenzen der kosmologisch-physikalischen Lebenstheorie
- Verhältnis des Idealismus und Materialismus zur Lebenstheorie
- Verjüngungstheorie des Lebens
- Charakter der deutschen Physiologie und Medizin
- Bewegung als Lebensprozess
Der prinzipielle Widerspruch dieser Ansichten hat jetzt ein unklares und verschobenes Verhältnis der Naturwissenschaften zur Medizin hervorgebracht, deren Glieder dadurch sämtlich verrenkt, in ihrer gegenseitigen Stellung verrückt erscheinen, so dass alles am unrechten Orte auftritt. In der jetzigen Physiologie finden wir anstatt der Lebenslehre, Mechanik, Physik und Chemie, während in der Chemie Physiologie vorgetragen wird. In einem Werk über Tonempfindungen, das sich als eine physiologische Grundlage der Musik betitelt, finden wir vielmehr eine physikalisch-musikalische Grundlage der Physiologie. In der Botanik wird jetzt Arithmetik und Geometrie gelehrt, um die Blumen als mathematisch konstruierte Figuren darzustellen, wobei die Lebensfunktionen der Pflanze übersehen werden; in der Nervenphysiologie bekommen wir analytische Mechanik, in der Muskelphysiologie physikalische Atomistik zu hören; in der Krankheitsdiagnostik wird physikalische Akustik und Mechanik, in der Pathologie und Therapie Naturgeschichte abgehandelt und physikalische Taschenspielerkünste werden für physiologische Experimente ausgegeben. Die physikalische Zellentheorie hat sich aller Zweige der Medizin bemächtigt und kehrt in allen medizinischen Wissenschaften wieder; von der Anatomie bis zur Therapie ist alles Zellenlehre, ohne dass man Bienenzellen, Klosterzellen, Gefängniszellen, Collodiumzellen, Eischalen von den lebenden Pflanzen-, Tier- und Menschenzellen im Prinzip im Geringsten unterscheiden könnte, so dass die Theorie der Bienenzellen als Pathologie und Therapie auftritt. Von den Gesichtspunkten des Idealismus und Materialismus aus ist aus diesen Irrnissen nicht herauszufinden und zu einer wahren Theorie der Gesundheit und des Menschenwohls nicht zu gelangen, so lange dasselbe als eine idealistische oder materialistische Frage behandelt wird.
In dieser Schrift haben wir nun einen neuen Standpunkt zu gewinnen und einen neuen Weg zu betreten gesucht, von dem aus wir die menschliche Gesundheit als eine Lebensfrage behandelt haben, um sie aus den toten Abstraktionen des medizinischen und naturwissenschaftlichen Materialismus und Idealismus zur Freiheit zu erheben, und die Wissenschaft dahin zu bringen, dass in ihr nicht bloß ein abstrakter Geist über abstrakte Materie, sondern vielmehr das Leben im Körper und im Geist über den Tod herrscht, weil allein durch die Herrschaft des Lebens der Mensch sich wirklich und wahrhaft zum Herrn der Erde machen kann. Die Zeit wird lehren, inwieweit die Wissenschaft durch neue Lebenskraft zum wahren Fortschritt und zur Verjüngung getrieben werden kann.
Berlin, den 8. Juli 1863.
Schultz-Schultzenstein.
Florenz Nightingale bei einem sterbenden Soldaten
Krankenschwester bei einer Sammlung
Aristoteles (384-322 v. Chr.) griechischer Philosoph, Dichter und Staatsmann
Bellini, Vincenzo S. C. F. (1801-1835) italienischer Opernkomponist
Borelli, Giovanni Alfonso (1608-1679) italienischer Physiker und Astronom
Descartes, René (1596-1650) französischer Philosoph, Mathematiker, Naturwissenschaftler
Fichte, Johann Gottlieb (1762-1814) deutscher Erzieher und Philosoph
Hegel, Georg Friedrich Wilhelm (1770-1831) deutscher Philosoph
Herschel, Friedrich Wilhelm (1738-1822) deutsch-britischer Astronom und Musiker
Hippokrates von Kos (um 460-370 v.Chr.) griechischer Arzt
Homer (etwa 1200 v. Chr.) gilt als erster Dichter des Abendlandes
Hufeland, Christoph Wilhelm (1762-1836) deutscher Arzt und Sozialhygieniker
Humboldt, Friedrich Wilhelm Heinrich Alexander von (1769-1859) deutscher Naturforscher
Kant, Immanuel (1724-1804) deutscher Philosoph
Liebig, Justus von (1803-1873) deutscher Chemiker
Linné, Carl von (1707-1778) schwedischer Naturforscher
Moleschott, Jakob (1822-1893) niederländischer Arzt und Physiologe
Montesquieu, Charles-Louis Baron de (1689-1755) französischer Schriftsteller, Philosoph
Oersted, Hans Christian (1777-1851) dänischer Physiker und Chemiker
Paracelsus, P. von Hohenheim (1493-1541) deutscher Arzt, Alchimist, Astrologe, Philosoph
Rousseau, Jean-Jacques (1712-1778) Genfer Philosoph, Pädagoge, Naturforscher, Komponist
Äskulap ist in der griechischen Mythologie der Gott der Heilkunst
Sextus Empiricus (2. Jahrhundert n. Chr.) griechischer Arzt und Philosoph
Spinoza, Baruch de (1632-1677) niederländischer Philosoph