Leben, Gesundheit, Krankheit, Heilung

Ein Trieb zum Fortschritt der Wissenschaft auf dem Wege des Lebens
Autor: Schultz-Schulzenstein, Carl Heinrich Dr. von (1798-1864) trug seit 1846 den Zusatznamen Schulzenstein, deutscher ordentlichem Professor an der Königl. Universität zu Berlin, Erscheinungsjahr: 1863
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Leben, Gesundheit, Krankheit, Heilung, Menschenwohl, Naturwissenschaften, Medizin, Heilkunst, Idealismus, Materialismus, Empirismus, Spiritualismus, Sensualismus
Vorrede.

Die Zeitfrage, welche jetzt vor allem die Gemüter bewegt, ist die Frage des Menschenwohls, welches einerseits als materielles Wohl, anderseits als geistiges Ideal dargestellt worden ist. In der Behandlung dieser Frage werden die Naturwissenschaften als leitend betrachtet, und es ist die Medizin, aus der man, als geborenen Dienerin des Menschenwohls, die entscheidende Stimme hierüber zu vernehmen hofft. Insofern die Medizin selbst auf die Naturwissenschaften sich stützt und sich naturwissenschaftlich zu machen bestrebt ist, sind daher die letzten Gründe, welche in der Frage des materiellen wie ideellen Wohls, wie in der Heilkunst geltend gemacht werden, naturwissenschaftliche. Es ist also vor allen das Verhältnis der Naturwissenschaften zur Medizin, worauf es in der großen Frage des Menschenwohls ankommt.
Die festen Punkte, auf welche in der bisherigen Behandlung der Frage des Menschenwohls die wissenschaftlichen Hebel angesetzt wurden, waren entweder der Idealismus oder der Materialismus; die Spekulation oder der Empirismus; der Spiritualismus oder Sensualismus; die Kraft oder der Stoff. Dem entsprechend ist es entweder als materielles oder als ideelles Wohl dargestellt worden, ohne dass die Gegensätze beider in der Wissenschaft hätten zur Ausgleichung gelangen können. Die Ansicht des materiellen Wohls, wonach das höchste Gut die sinnliche Materie, die materielle Masse, und diese unter mathematisch-mechanische Formeln zu bringen sein soll, hat jetzt einen gewissen Vortritt in der Wissenschaft; weil sich auch die Idealisten vor der Macht der materialistisch fortschreitenden Naturwissenschaft beugen; doch genügt diese Ansicht sich selbst nicht, weil sie ihre eigenen Anhänger zur Verzweiflung über menschliche Kultur und Heilung bringt und der Mensch hiernach in materiellen Massen ersticken und in Naturnotwendigkeiten untergehen würde. Der Idealismus beruft sich auf die Macht des abstrakten Geistes, wobei er jedoch, indem er die materiellen Güter übersieht und verächtlich behandelt; am Ende das ganze Menschenleben aufhebt; das Menschenheil und die Gesundheit in der außermenschlichen Unendlichkeit sieht und eine Weltseelendiätetik empfiehlt, bei der der Verstand still steht und Leib und Seele verhungern; so dass der Materialismus gegen die mystische Sehnsucht und übernatürliche Schwärmerei des Idealismus leichtes Spiel hatte.

Der prinzipielle Widerspruch dieser Ansichten hat jetzt ein unklares und verschobenes Verhältnis der Naturwissenschaften zur Medizin hervorgebracht, deren Glieder dadurch sämtlich verrenkt, in ihrer gegenseitigen Stellung verrückt erscheinen, so dass alles am unrechten Orte auftritt. In der jetzigen Physiologie finden wir anstatt der Lebenslehre, Mechanik, Physik und Chemie, während in der Chemie Physiologie vorgetragen wird. In einem Werk über Tonempfindungen, das sich als eine physiologische Grundlage der Musik betitelt, finden wir vielmehr eine physikalisch-musikalische Grundlage der Physiologie. In der Botanik wird jetzt Arithmetik und Geometrie gelehrt, um die Blumen als mathematisch konstruierte Figuren darzustellen, wobei die Lebensfunktionen der Pflanze übersehen werden; in der Nervenphysiologie bekommen wir analytische Mechanik, in der Muskelphysiologie physikalische Atomistik zu hören; in der Krankheitsdiagnostik wird physikalische Akustik und Mechanik, in der Pathologie und Therapie Naturgeschichte abgehandelt und physikalische Taschenspielerkünste werden für physiologische Experimente ausgegeben. Die physikalische Zellentheorie hat sich aller Zweige der Medizin bemächtigt und kehrt in allen medizinischen Wissenschaften wieder; von der Anatomie bis zur Therapie ist alles Zellenlehre, ohne dass man Bienenzellen, Klosterzellen, Gefängniszellen, Collodiumzellen, Eischalen von den lebenden Pflanzen-, Tier- und Menschenzellen im Prinzip im Geringsten unterscheiden könnte, so dass die Theorie der Bienenzellen als Pathologie und Therapie auftritt. Von den Gesichtspunkten des Idealismus und Materialismus aus ist aus diesen Irrnissen nicht herauszufinden und zu einer wahren Theorie der Gesundheit und des Menschenwohls nicht zu gelangen, so lange dasselbe als eine idealistische oder materialistische Frage behandelt wird.

In dieser Schrift haben wir nun einen neuen Standpunkt zu gewinnen und einen neuen Weg zu betreten gesucht, von dem aus wir die menschliche Gesundheit als eine Lebensfrage behandelt haben, um sie aus den toten Abstraktionen des medizinischen und naturwissenschaftlichen Materialismus und Idealismus zur Freiheit zu erheben, und die Wissenschaft dahin zu bringen, dass in ihr nicht bloß ein abstrakter Geist über abstrakte Materie, sondern vielmehr das Leben im Körper und im Geist über den Tod herrscht, weil allein durch die Herrschaft des Lebens der Mensch sich wirklich und wahrhaft zum Herrn der Erde machen kann. Die Zeit wird lehren, inwieweit die Wissenschaft durch neue Lebenskraft zum wahren Fortschritt und zur Verjüngung getrieben werden kann.
Berlin, den 8. Juli 1863.
Schultz-Schultzenstein.

Florenz Nightingale bei einem sterbenden Soldaten

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Krankenschwester bei einer Sammlung

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Aristoteles (384-322 v. Chr.) griechischer Philosoph, Dichter und Staatsmann

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Bellini, Vincenzo S. C. F. (1801-1835) italienischer Opernkomponist

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Borelli, Giovanni Alfonso (1608-1679) italienischer Physiker und Astronom

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Descartes, René (1596-1650) französischer Philosoph, Mathematiker, Naturwissenschaftler

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Fichte, Johann Gottlieb (1762-1814) deutscher Erzieher und Philosoph

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Hegel, Georg Friedrich Wilhelm (1770-1831) deutscher Philosoph

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Herschel, Friedrich Wilhelm (1738-1822) deutsch-britischer Astronom und Musiker

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Hippokrates von Kos (um 460-370 v.Chr.) griechischer Arzt

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Homer (etwa 1200 v. Chr.) gilt als erster Dichter des Abendlandes

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Hufeland, Christoph Wilhelm (1762-1836) deutscher Arzt und Sozialhygieniker

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Humboldt, Friedrich Wilhelm Heinrich Alexander von (1769-1859) deutscher Naturforscher

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Kant, Immanuel (1724-1804) deutscher Philosoph

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Liebig, Justus von (1803-1873) deutscher Chemiker

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Linné, Carl von (1707-1778) schwedischer Naturforscher

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Moleschott, Jakob (1822-1893) niederländischer Arzt und Physiologe

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Montesquieu, Charles-Louis Baron de (1689-1755) französischer Schriftsteller, Philosoph

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Oersted, Hans Christian (1777-1851) dänischer Physiker und Chemiker

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Paracelsus, P. von Hohenheim (1493-1541) deutscher Arzt, Alchimist, Astrologe, Philosoph

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Rousseau, Jean-Jacques (1712-1778) Genfer Philosoph, Pädagoge, Naturforscher, Komponist

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Äskulap ist in der griechischen Mythologie der Gott der Heilkunst

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Sextus Empiricus (2. Jahrhundert n. Chr.) griechischer Arzt und Philosoph

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Spinoza, Baruch de (1632-1677) niederländischer Philosoph

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