Die Heidschnucken

Die Heidschnucken sind als eines der vornehmsten Haustiere der Heide-Bewohner, und als eine der Hauptstützen ihrer Existenz als ein kulturhistorisches Phänomen eben so weit verbreitet, wie die gesellig wuchernden Kräuter der reizenden Eriken und die großen flachen trockenen Heiderücken selbst, die sich von der Cimbrischen Halbinsel durch den nördlichen und mittleren Teil des Königreiches Hannover, durch die südliche Hälfte des Herzogtums Oldenburg, bis an die Hügel- und Waldlande Westphalens, westwärts bis in das Innere der Niederlande und ostwärts zum Teil auch bis nach Preußen und Pommern hinein erstrecken. Die harten, trockenen, fast holzigen Heidekräuter wollen keinem anderen Thiere behagen. Das Pferd frisst sie gar nicht, die Kuh nur im Notfalle und sie wird mager und elend dabei, ja für die Dauer wäre die Existenz des Rindes gar nicht auf Heidekraut zu begründen. Nur das Schaf hat glücklicherweise das Gebiss, den Magen und auch den rechten Appetit dazu, und allenfalls auch die Ziege, die man daher zuweilen den Heide-Schafherden beigemischt sieht. Doch ist es unter den Schafen auch nur wieder diejenige Gattung, welche seit unvordenklichen Zeiten in den Heiden lebte, unter ihnen und für sie erzogen und ausgebildet wurde, und die so mit ihnen sich verschwisterte, daß sie sie jetzt kaum mehr entbehren kann. Schon der Name Heidschnucken, - die Heideleute selbst sagen wohl bloß „Schnucken“ oder „Snucken“ auch „Snicken“ — ist ziemlich bezeichnend für die kümmerliche, Teilnahme erweckende Erscheinung des kleinen Tieres. Er wird von dem anglo-sächsischen „Snicken, Kriechen“ abgeleitet und bedeutet also soviel als Heidekriecher. Es ist die kleinste Gattung von Schafen, die wir haben. Die Länge eines Widders beträgt von der Brust bis zum Schwänze gewöhnlich nicht mehr als l Fuß 10 Zoll, die Höhe etwa 1 1/2 Fuß, und selbst ein gemästeter Hammel bringt es meistens nicht höher als auf 25 bis 30 Pfund. Sie sind die Ponies unter den Schafen. Die Dürftigkeit der mageren Nahrung bringt hier dieselbe zwergartige Entwickelung hervor, wie unter den Pferden der Shetlands-Inseln und der schottischen Hochgebirge.

Wie durch ihre Kleinheit, so sind sie überhaupt durch einen schwächlichen Körperbau ausgezeichnet. Sie hüpfen und trippeln auf ihren mageren Beinchen zwischen den Heidekräutern mit scheinbar so unsicheren und beinahe zitternden Schritten umher, als vermöchten sie es nicht einmal, recht fest aufzutreten. Sie sind äußerst empfindlich gegen alle Feuchtigkeit und können weder viel Regen, noch das Baden, noch feuchte oder saftige Nahrung vertragen. Wie ihre Lieblingskräuter selbst, lieben sie den Sandboden, und wo diese in den Sumpfstrichen den Moosen oder Schilfen Platz machen, hören auch die Heideschafe in den Sümpfen und Morästen, in denen sie erkranken, auf. Da ihr Pelz ungemein leicht, dünn, locker und mehr haarig als wollig und filzig ist, so werden sie gleich bei jedem Regen bis auf die Haut nass, und fallen sie einmal in einen Bach, so ziehen sie gleich soviel Wasser an, daß sie im Gehen dann beschwert werden, während es auf den dicken, mit fettigem Oel getränkten Pelz der Merinoschafe halbe Tage lang regnen kann, ohne daß etwas davon durchdringt. Sonnenschein und Hitze dagegen vertragen sie viel besser, als die schweren Marschschafe und auch im Winter entwickeln sie bei Kälte und trockenem Schnee eine gewisse Zähigkeit und viel Geschick. Sie kommen selbst im Winter nur des Nachts in den Stall und müssen sich am Tage ihre Nahrung im Freien suchen. Wie die schottländischen Ponies scharren sie ihre Heidekräuter unter dem Schnee hervor, selbst wenn er zuweilen fußhoch liegt. Nur bei ganz arger Witterung treibt man sie in die Ställe. Diese Ställe müssen immer recht luftig sein, wie für gewissermaßen halbwilde Tiere. Meistens lässt man bei ihnen einen breiten offenen Raum zwischen dem Strohdach und der Lehmwand. Im Sommer pfercht man sie über Nacht in Hürden ein, hauptsächlich um nicht des Düngers verlustig zu gehen. Denn die Düngererzeugung ist eigentlich das vornehmste Ziel und der Hauptzweck bei der ganzen Heidschnuckenwirtschaft, und wenn der Bauer am Schlusse seiner Bilanz nur den Dünger frei und die übrigen Kosten mit der Wolle, dem Fleischverkaufe und den andern Produkten und Erlösen seiner Herde gedeckt hat, so ist er zufrieden.


Die Heidschnucken sind die Düngerfabrikanten der Heidebewohner und sie spielen als solche eine Hauptrolle in der Kultur der Heiden. Kein anderes Tier kann diese Fabrikation übernehmen, da kein anderes die Heiden zu verdauen vermag. So lange die Heiden noch so groß sind, wie sie es bisher waren, beruht daher ihr Anbau wesentlich auf den Heidschnucken. Alle Fortschritte und aller neuer Anbau begannen bisher mit ihnen.

Wenn ein neues Heideland unter den Pflug gebracht werden soll, schafft sich der Neubauer zunächst eine kleine Schafherde an und setzt damit aus. Er errichtet seine Schafbürden zuerst in einem Winkel des neu aufgerissenen Stückes, lässt sie da für ein oder zwei Tage stehen und treibt des Nachts seine Herde hinein. — Ist das Stück gedüngt, so schlägt er für die nächste Nacht die Hürde um und stellt sie auf dem benachbarten Quadrate auf. In derselben Weise wird auch jeder andere schon längst bebaute Acker bedüngt; daher auch die Übernachtung in den Winterstallungen, gleich nachdem gemäht und von Neuem gepflügt ist, aufhört.

Um in diesen Ställen den Dünger besser hantieren und transportieren zu können, breiten sie den Schafen dort Streu aus, und die hauptsächlichste Streu des ganzen Landes für die Schafe sowohl, als für das übrige Vieh, geben wieder die Heidekräuter ab. Dieselben werden für diesen Zweck mit einer Art Sichel, die ein Mittelding zwischen Sense und Hacke oder Schaufel ist, eingeerntet. Sie hacken damit die Heidekräuter samt einem Teil ihrer Wurzeln und des daran hängenden Erdreichs oder Rasens ab.

Da der Winter lang ist und immer viel Heiderasen nachgestreut wird, so kommen die Schafe in ihren Stallungen am Ende des Winters zuletzt auf einem förmlichen Berge von Dünger zu stehen. Dieser Heidschnuckendünger ist zwar, wie das Heidefutter selbst, nur ein sehr schwaches und keineswegs sehr nachhaltiges Düngmittel, aber es ist, wie gesagt, das Einzige, das sich die Heidebewohner bei einer Ausdehnung ihres Ackerbaues schnell verschaffen können.

Die Heide ist ein so wucherndes und geselliges Kraut, daß sie überall zwischen sich andere Kräuter entweder gar nicht aufkommen lässt oder sie erstickt und vertreibt. Es gibt nur eine oder zwei Sorten von ihr, und sie duldet es nicht, wie die Gräser, daß anderes hübsches Unkraut und Blumen zwischen ihr blühen. Der Heideteppich sieht daher zu allen Zeiten des Jahres sehr eintönig und einförmig aus; meistens ist er durchweg braun, zuweilen, wenn die Heide blüht, weithin rot. Das Gesäme zur Heide scheint hier überall im Boden zu stecken. Sie erscheint überall da wieder, wo man sie nicht mit Gewalt vertilgt. Wenn man ein mit Mühe angelegtes Grasland verwildern oder einen Acker lange brach liegen lässt, so werden alsbald alle andern Gräser und Pflanzen wieder vom Lande vertrieben und die Heide schlägt überall aus dem Boden hervor, als wolle sie von ihrem uralten Rechte Besitz ergreifen. Der Ackerbauer ist hier daher gewissermaßen in einem beständigen Kampfe gegen die wuchernde Heide, wie der Marschbewohner gegen das Meer.

Bei der Einfachheit der Heidevegetation braucht daher ein Heideschäfer kein so großer Botaniker zu sein, wie seine Brüder in den fetten Wiesen der Niederungen, wo es hunderte von mehr oder weniger zuträglichen und schädlichen Kräutern gibt. Nichtsdestoweniger hat aber doch auch der Heidschnucken-Vater mancherlei Kenntnis und Erfahrung nötig, und nicht Weniges bei dem Regiment der ihm anvertrauten Gemeinde zu beachten. Die Heideländer sind von einer Menge großer Torfmoore durchsetzt, und hie und da gibt es (zwar ziemlich selten) kleine Flüsse und Bäche, in deren feuchten Tälern allerlei Gräser und Sumpfpflanzen grünen. Auch gibt es vielwärts mitten auf der hohen, sonst Wasser- und quellenlosen Heide kleine Vertiefungen, in denen das Regenwasser zusammenläuft und sich, vermutlich weil dort eine Lehmschicht den lockern Sand bedeckt, längere Zeit hält. Es werden so kleine flache Tümpel oder Seen gebildet, die selbst in der heißen Jahreszeit, wenn sie ganz austrocknen, noch eine feuchte Stelle hinterlassen und mit allerlei saftigen Pflanzen umgeben sind. Die Heidebauern nennen solche kleine Tümpel „Heideschlats“.

Die saftigen Pflanzen aller dieser Heideschlats, jener Täler und Torfmoore, sind den Heideschmücken so schädlich, wie den Hindus, die ihr Leben lang nichts als Reis und Grütze gekaut haben, Fett, Speck und Roastbeefs. Der Schäfer muss daher überall seine Schafe aufmerksam von diesen Stellen entfernt halten, und er muss seine Reviere genau kennen, um im Voraus die Gefahr zu meiden. Die Gesundheit seiner armen Tierchen steht auf so schwachen Füßen, daß eine kurze Beweidung jener feuchten und dickgrasigen Triften im Stande ist, ganze Herden in einem halben Tage zu verderben. Die Schafe werden alsbald „kösch“ darnach, wobei ihre inneren Teile in Fäulnis übergehen und hunderte von Tieren wie Fliegen dahinsterben.

Die Sache ist um so gefährlicher, da die Schafe gern zu diesen feuchten Stellen hineilen, pour varier leurs plaisirs, oder auch um ihren Durst zu löschen. Aber selbst das letztere dürfen sie in den Heiden nur selten und nur mit Vorsicht tun. Jene sumpfigen Heideschlats sind dazu gar nicht geeignet, und andere klarere und frischere Gewässer gibt es fast nicht in den Heiden. Die Tierre sind daher genötigt, oft Tage lang zu dursten, ja, sie bekommen oft Wochen lang nichts Ordentliches zu trinken. Und in diesem Punkte sind sie denn wieder in Übereinstimmung mit der Natur ihres Landes außerordentlich zäh und ausdauernd. Sie ertragen den Durst und Wassermangel mit großer Langmut, und dies ist nicht wenig zu bewundern, da außer den trockenen Heidekräutern, die sie beständig wie alten Zwieback knuspern, noch so vieles Andere in den Heiden die Luft und Wege erfüllt, was wohl geeignet wäre, ein Verlangen nach dem Labsal eines frischen Trunkes zu erwecken.

Wie die Wassertümpel, so muss auch das betaute Gras von den Schäfern und Schafen gemieden werden, und ein vorsichtiger Hirte treibt nicht eher aus, als bis die Sonne die Heide überall getrocknet hat. Die Regenschauer, oder gar ein Gewitter lieben die Heidschnucken noch weniger als die andern Schafarten. Sie benehmen sich bei dem Losbrechen eines Unwetters sehr ängstlich und schüchtern, und ein sorgfältiger Schäfer muss seine Vorkehrungen treffen und womöglich ein Wetter-Prophet sein.

Am meisten werden die armen Schäfer, wie auch ihr armseliges Vieh, im Winter geprüft, wo sie, vom Hunger getrieben, doch fast bei jeder Witterung in die Wüste hinaus müssen. Dann ziehen sie eine dickwollige Zipfelmütze (Timpen-Mutze), wie unsere Schlafmützen gestaltet, über den Kopf, hüllen sich den ganzen Leib in einen eben so starken und wetten Wollenmantel (Sckäper-Mantel oder „Haik“ genannt) und bekleiden ihre Füße und Beine mit ihren „Holtensteveln“ (Holzstiefeln). Diese „Holtensteveln“ sind plumpe Holzschuhe, an welchen dicke lederne Schäfte genagelt sind, die über die Knie hinausgeben. In der eleganten Hauptstadt des Heidschnuckenreichs, in der Königsresidenz Hannover, hat man bei einer landwirtschaftlichen Ausstellung dem Publikum das Schauspiel eines solchen Winterkostüms der Schäfer zum Besten gegeben. Ein paar Heidschnuckenregenten wurden bei der Prozession in ihrer Winterkleidung, mit Timpenmutze und Schäferschüte, einige ihre Heidschnucken scherend, andere ihre „Schnucken-Socken breidelnd“ spazieren gefahren.

Jene Saison der „Holtensteveln“ und der „Timpenmutzen“ ist für die Schafe eine Zeit der Not und der Leiden. Wenn sie schon im Frühling, wo die junge Heide sprosst und wo sie dann in ihrer Art ganz „krimig“ sind, einem kritischen Auge keinen befriedigenden Anblick gewähren, so sind sie im Winter, wo sie sich unter dem gefrorenen Schnee oft vergebens bemühen, ihre Heidekräuter aufzugraben, und wo sie auch im Stall, dem sie elendiglich blökend zuflüchten, nichts anderes erwartet, als ein Bisschen ganz dürres Heidegestrüpp, das die Hirten für sie zur Aushilfe sammelten, ganz spuchtig, mager und kümmerlich, wahre Bilder des Jammers.

Sie kommen sehr schnell herunter. Freilich kommen sie auch ebenso schnell wieder zu Fleisch, und im Herbste genügt es, die, welche man dem Schlächter bestimmt, nur ein paar Wochen auf die Stoppelfelder — diese sind ihre Fett weiden — zu lassen, um sie In ihrer Art ganz rundlich zu machen und Fett ansetzen zu lassen. Dann muss man sie aber auch schnell auf die Schlachtbank führen, denn auch dies Fettwerden von den Stoppeln und eine solche „Reihe von guten Tagen“ ertragen diese Tierchen nicht lange. Will man sie überwintern und lange behalten, so muss man sie nie auf Rosen betten und nie luxuriös werden lassen, sondern nur immer so knapp vor dem Hungertode herführen. Sie ersticken leicht im Fette, nicht so in ihren Knochengerippen.

Vom Monat August an, wo die Schnucken auf die Stoppelfelder kommen, isst auf der ganzen Heide zwischen Holland und Pommern fast Alles Schnuckenfleisch. Da die Tiere das ganze Jahr hindurch viel frische Luft genießen und überhaupt, wie gezeigt, ein halbwildes Leben führen, so bekommt ihr Fleisch einen kleinen Beigeschmack vom Wild. Es sieht nicht so weiß aus, wie das Fleisch der Niederungsschafe, sondern mehr dunkel, wie das Fleisch der Rehe. Es lässt sich auch mit einiger Nachhilfe beinahe in Rehfleisch verwandeln. Man säuert es und verschickt oder verkauft die Schinkenkeulen, die beinahe so gern wie Rehkeulen genommen werden. In manchen Gegenden, z. B. im Oldenburgischen, werden die Lämmerkeulen von jungen Tieren sehr delikat gefunden und in Menge verspeist. Jede Keule gibt gerade eine Portion für einen Mann ab. In neuerer Zeit werden diese unter Schafwolle wachsenden Rehkeulen der Lüneburger Heide mit der Eisenbahn auch viel nach Berlin, Dresden und anderen Städten versendet.

Unglücklicherweise trägt auch die Wolle der Schnucken ein wenig das Gepräge der Wildnis. Ihr Pelz ist mehr haarig als wollig, und noch dazu ist die Quantität dieses Produkts sehr gering. Eine Schnucke lässt im Laufe des Jahres nur 1 bis höchstens 1 ½ Pfund Wolle, während es andere Schafgattungen gibt, die wohl sechs- bis siebenmal mehr geben. Und noch leichter fällt die Schnucke ins Gewicht, wenn man die Preise der Wolle vergleicht. Die Schnuckenwolle bringt nicht mehr als 1 bis 5 Silbergroschen pr. Pfund. Der Pelz eines einzigen feinen Merinoschafes ist so viel Wert, wie die von zwanzig Schnucken, und um für 100 Thaler Wolle im Jahre verkaufen zu können, bedarf man schon einer Herde von 600 bis 700 Schafen. Milchertrag gibt es dabei gar nicht. Die Schäfer sind froh, wenn die Heide Milch genug zum Aufziehen der Lämmer gibt, und an Schafkäse und dergleichen Produkte wird in der Lüneburger Heide durchaus nicht gedacht. Die Menge muss es bei diesen Tierchen tun, und die Bauern haben sie daher auch meist zu Hunderten, wie die Lappen ihre Renntiere. Wer in Lappland 100 bis 200 Renntiere hat, ist ein Bettler. So im Lüneburgischen mit den Heidschnucken. Häufig haben die Bauern, selbst die kleineren, 300 bis 400 Schafe. In den großen Heiden bei Lüneburg gibt es deren, die Tausende besitzen.

In neuerer Zeit sind die Zucht der Heidschnucken und alle die aus ihr hervorgehenden Industriezweige, Beschäftigungen, Sitten und Gebräuche sehr in Abnahme gekommen. Die Schnucken sterben mit dem Heidekraut selber, an welches ihre Existenz geknüpft ist aus. Und das ihnen heimische und vertrauliche Weideterrain wird immer mehr und mehr beknappt. Überall nehmen die „Feldmarken“ der Heidedörfer an Umfang zu und machen das Heidegebiet enger.

Bisher lagen diese grünen Feldmarken und die in ihnen steckenden Dörfer auf dem weiten braunen Heiderücken verteilt, wie die Flecken auf einem Tigerfell, wie die Oasen in einer Wüste. Sie waren zum Teil sogar mit Gräben und Wällen umgeben, mit denen sie ihre Äcker gegen die Einflüsse der Heide, gegen die wuchernder Heidekräuter, gegen den wandernden Sand und gegen die Heidschnucken schützten. Ich sah noch jetzt häufig solche umwallte Feldmarken, wo der kahle Heideboden, oder wie die Leute sich hier sehr bezeichnend ausdrücken: der „Wildboden“, so scharf gegen die lieblichen Äcker absetzte, wie Meer gegen Land. Wenn man aus den breiten Heidestrichen in diese Feldmarken einzieht, so ist man zuweilen so entzückt wie ein Beduine, der den Wüstenstaub von seinen Schuhen schüttelt und in die Tempel-Oase des Jupiter Ammon einpilgert. Da wandert man plötzlich auf hübschen Fußpfaden mitten durch gesegnete Äcker. Da liegen die alten, wohlhäbigen, breiten Häuser im Schatten schöner von den Vorfahren gepflanzter Eichen, und in der Mitte des Ganzen klappert wohl eine oft von sehr lieblicher Szenerie umgebene Mühle, deren Wassergefälle vermutlich den ersten Anlass zu der ganzen Ansiedelung an diesem Orte gaben.

In diesen Lüneburgischen, Sulingenschen und Diepholzschen Heidefeldmarken ist in letzter Zeit ein ganz neuer und sehr reger Geist erwacht. Da findet man ehemalige Sumpfstrecken, die nichts als ein saures Kraut erzeugten und in denen ein paar elende Kühe bis an die Knie im Moraste umherstelzten, durch Entwässerung und künstliche Berieselung in die schönsten Wiesen verwandelt. Da ist neuerdings die „Lupine“ eingedrungen, ein Gewächs, das man nun auch auf dem Sandboden der Heide gedeihlich anzupflanzen gelernt hat, und das jetzt in diesen Heiden wahre Wunder verrichtet. Sie tritt als Winterfutter immer mehr und mehr an die Stelle der dürftigen Heidegestrüppe und setzt die Leute in den Stand, statt der Heidschnucken auch feinere Schafe aufzuziehen. Sie wird mehr und mehr der ganzen Vieh- und Ackerwirtschaft in den Heiden eine solidere Basis geben. Sie und noch einige andere jetzt häufiger kultivierte Futterkräuter geben jenen Feldmarken kräftige Säfte, und man merkt es überall an den Kornfeldern, die in jetziger Zeit üppiger, dichter und höher dastehen, als in allen den vorhergebenden Jahrhunderten.

Was aber allen diesen Verbesserungen den wahren Impuls gibt, das ist die Aufhebung der sogenannten „Meente“ (der Gemeinheit), die endlich gelungen ist. Von den alten Zeiten her war es Gewohnheit geworden, nur die Äcker, die Jemand unter dem Pfluge hatte, oder mit seiner Schaufel bearbeitete, als sein Privateigentum zu betrachten, die „Hohe Heide“ dagegen, oder den weit um das Dorf sich herumbreitenden „Wildboden“ als einen gemeinschaftlichen Besitz der gesammten Bauernschaft, als ein Gemeingut oder „Meente“ anzusehen, und dieselbe für die armen Heidschnucken des Dorfes als Weide zu reservieren. Jeder trieb auf diese „Meente“ so viel Schafe als ihm beliebte. In den Privatbesitz eines strebsamen Individuums konnte nichts davon kommen. Verbesserungen konnten nicht gemacht werden. Es musste Alles unter dem gefräßigen Zahn der hungrigen Heidschnucken bleiben.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Landwirtschaftliche Miscellen aus dem Jahr 1862