Der Rauchfrost

Wer malt mit beredten Worten die Schönheit des Rauchfrostes, wo in unangetasteter Vollkommenheit jeder Zweig, jedes Hälmchen, jedes Blatt mit tausend Krystallen bedeckt ist. Wunderbar schön ist der Baum, wenn man nicht weit vom Stamme stehend, durch die Zweige hindurch nach dem tiefblauen Himmel blickt, oder wenn der Birke hängende Zweige, die durch die Last der funkelnden Kristalle noch mehr herabgebogen, im leisen Winde hin und her sich bewegen und bei jeder Beugung tausendfältigen Reflex der Sonnenstrahlen auf den spiegelnden Kristallflächen erzeugen. Ein Eichenast, der in einem Büschel der feinsten Zweige endet, deren jedes mit den kurzen runden Knospen reichlich bedeckt ist, gleicht einem Blütenstrauch, in herrlicher Schönheit sich abhebend von dem blauen Himmel. Auf dem Boden liegt hier und da ein Blatt, das eingefasst ist mit regelmäßig ausgebildeten Kristallen, die hängen gebliebenen Spinnefäden sind angewachsen zu überraschend starken Schnüren, indem Kristall an Kristall sich gereiht hat und, da sie einzeln alle beweglich, also nicht aneinander gefroren sind, uns einen augenscheinlichen Beweis geben von der großen Tragfähigkeit des zarten Fadens. In die ruhige Einsamkeit des Tempels, dessen Wände demantbeladene baumartig geschnitzte Kunstgebilde zu sein scheinen, als dessen Decke sich der inzwischen rein blau gewordene Himmel über uns wölbt, treten wir ein und näher heran an die Gebilde des nebligen Tages, der die Juwelier-Werkstatt war, aus welcher diese köstlichen Zierraten hervorgingen. Der warme Süd-West führte den wässrigen Dunst herbei, der zu Bläschen erst verdichtet bald als Kristall an den Zweigen sich niederließ, so grade wie aus einer mäßig konzentrierten Salzlösung an eingehängten Fäden die Kristalle sich anreihen. Jeder feste Punkt ist für die Kristallisation eine Anregung und leitet die Bildung der Kristalle ein. Nun wurde die Feuchtigkeit durch den Luftstrom von einer Richtung per herbeigeführt und dem entsprechend haben die Kristalle einseitig dieser Richtung entgegen sich ausgebildet. Heute ragten Spieße scharfspitzig nach Süd-West, sonst kommen auch blätterartige Kristalle häufig vor, welche rhombisch ausgebildet, durch ihre Gruppierung Blumen nachahmen. Als Eisrosen schmücken sie spiralförmig angeordnet den hängenden Zweig und die glatte Eisfläche des Baches. Kommen wir bei Rauchfrost in einen Wald, so ist es am Waldessaum, als schauten wir hinein durch eine Glasplatte in den zartgewebtesten Flor. Die lichtzerstreuende Kraft der Kristalle wirkt so mächtig, daß in geringer Entfernung nebelgleich die Beste in einander zu fließen scheinen. Aber im Wald überrascht uns eine leicht erklärliche Erscheinung. Während die Wipfel aller Bäume reich mit Kristallen besetzt sind, finden sich an dem Unterholz und den unteren Besten der Bäume in einem großen Walde kaum Spuren des Rauchfrostes. Die feuchte Luft bewegt sich langsam durch den Wald, sie setzte schon am Anfang den größten Teil ihrer Feuchtigkeit ab und trockner und trockner strich sie weiter und konnte nun nicht mehr die inneren Partien des Waldes mit dem Gallakleide behängen.

Ich kenne nichts schöneres als Rauchfrost, wenn er in voller Pracht ausgebildet ist. Man sagt, im Winter sei alles kahl; nun trete man hinaus und erstaune, wie die Blumen des Sommers wieder aufgeblüht sind. Sonst ist alles grau in grau und unbestimmt treten die Formen zurück. Der Rauchfrost hebt jede einzeln hervor, jedes Gras zeichnet sich wunderbar deutlich ab, die Doldengewächse blühen schöner noch als im Sommer und des „Dornbuschs Garbe“ prangt in ungeahntem Schmuck. Im Rauchfrost ist der Winter nicht der alte verhüllte Mann mit dem welken Gesicht, wie eine in Schönheit strahlende Braut erscheint die Natur, hehr und feierlich, überwältigend groß bringt sie hier die Schönheit des Kristalls zur Geltung.



Dieses Kapitel ist Teil des Buches Landwirtschaftliche Miscellen aus dem Jahr 1862