Aphorismen über Pferdezucht

Zwei Gegensätze teilen die Welt und stehen sich drohend und kämpfend gegenüber. Die Kämpfer der einen Seite — die Rechten — erkennen als Anfang und Ende aller Dinge etwas Größeres und Höheres als das Ich — in großen wie in kleinen Dingen; die andern — die Linken — stellen die kleine Person in den Mittelpunkt der Welt und konstruieren aus sich die Dinge, wie sie sein sollen: sie machen Konstitution. So nicht nur auf den höchsten Gebieten und im Staatsleben, so auch in allen Fächern der menschlichen Tätigkeit, und so auch in der Pferdezucht.

Mancher lächelt Wohl über diesen Ausspruch; wer sich aber jenes Gegensatzes bewusst ist, der wird nicht schwer im Gebiete der Pferdezucht dieselben Parteien erkennen, welche auf der großen Bühne den Kampf des Jahrhunderts kämpfen. Aber — um Jedem gerecht zu sein — müssen wir zugestehen, daß mancher der Beteiligten das Bewusstsein nicht hat, wie die Gegensätze der verschiedenen Richtungen auch in solchen Dingen sich zurückführen lassen auf den einen großen Gegensatz. Es ist aber doch so!


Der wahre Tierzüchter bemüht sich, die Natur treu und wahr zu beobachten, und zieht sich aus seinen Erfahrungen einen Schluss: er vergisst aber nie, dass dieser Schluss Menschenwerk ist. Der Gegensatz liest einige Bücher, sieht ab und zu einige Pferde, auch außerhalb der Residenz, ist dann aber gleich mit einer Konstitution für die gesamte Pferdezucht fertig, nach welcher sich Alle bequemen sollen.

Diese Konstitutionsmacherei in der Tierzucht hat sich auf die verschiedenartigste Weise gestaltet: die Buffon'sche Kreuzungs-Theorie war eine solche, ein Kind des französischen Liberalismus — die neue Theorie der reinen inzüchtigen Rassen ist aber die rechte Schwester jener alten, jetzt vergessenen Person.

Auch in dieser Beziehung zeigt sich der Gegensatz zwischen historischem und konstitutionellem Treiben recht klar und deutlich an England, wenn auch offenbar mehrere der englischen Schriftsteller, nicht Züchter, zur Linken gehören.

Schon bei flüchtiger Betrachtung der Dinge springt es in die Augen, daß die konstitutionelle Pferdezucht zwei Punkte übersieht, welche dem praktischen Züchter ohne Unterlass zu denken und zu sorgen geben, und von denen er kaum weih, welchen er voranstellen soll: die Prüfung und Würdigung der einzelnen Tiere trotz ihrer Abstammung aus einer Reinzucht und den unendlich wichtigen Einfluss der Aufzucht und Behandlung.

Die Wirkung des Blutes der Rasse in der Vererbung ist im allgemeinen klar: bei diesem Produkt der Züchtung können wir dieselbe mit Händen greifen, bei jenem ist sie mit einem Schleier bedeckt, den wir nur mit keuschen und reinen Händen lüften dürfen, wenn wir es nur zu einer Ahnung bringen wollen. Aber das Individuum, welches uns geboren ist, ist nicht das Fazit eines Rechenexempels, und deshalb können wir dasselbe auch nicht ohne weiteres als Glied einer neu anzusetzenden Formell anwenden, — sonst mühten rechte Geschwister immer gleiche Resultate in der Vererbung liefern, und wie sehr selten ist dies der Fall! Der Schafzüchter, um des edlen Schweines hier nicht zu erwähnen, hat am leichtesten Gelegenheit, hierüber Erfahrungen zu machen; wie selten sind selbst in kleinen Familien der edelsten und „konstantesten“ Herden zwei gleich ausgezeichnete Brüder. Die Praxis wird aus diesem Grunde nie der Prüfung des Individuums entbehren können.

Mindestens ebenso wichtig ist aber die Aufzucht, die Haltung und Wartung des Tieres von der Geburt bis zum Gebrauch und während desselben, und es ist diese nicht abgemacht mit der Formel von so und so viel Pfund Heuwert für jede 100 Pfund lebendes Gewicht. Man kaufe das vortrefflichste reine Blut und ziehe konstitutionell inzüchtig fort, und man zieht nur Krüppel und Unkraut, wenn man nicht das einzelne Tier nach allen Punkten würdigt und alle Bedingnisse mit Treue und Liebe zur Sache erfüllt, welche die Erfahrung unter den verschiedenen Verhältnissen an die Hand gibt.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Landwirtschaftliche Miscellen aus dem Jahr 1852