Landeskunde der Provinz Brandenburg - Rezension.
Aus: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde. 23. Jahrgang
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Volkskunde, Heimatkunde, Landeskunde, Sitten- und Sozialgeschichte, Sagen, Kirchengeschichte, Glauben und Religion
Unter Mitwirkung hervorragender Fachleute herausgegeben von Ernst Friedel und Robert Mielke. III. Band: Die Volkskunde, von R. Mielke, Wilibald von Schulenburg, H. Lohre und A. Kiekebusch. Mit 272 Abb. im Text, 19 Tafeln und 1 Karte. Berlin, D. Reimer 1912. XVI, 460 S., geh. 4 Mk., geb. 5 Mk.
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Eine Besprechung dieses inhaltsreichen Bandes müsste eigentlich, damit jeder der beteiligten Autoren zu seinem vollen Recht käme, unter verschiedene Referenten verteilt werden. Namentlich wird der vierte Teil des Bandes, die Vorgeschichte der Mark Brandenburg von Dr. A. Kiekebusch, nur von einem archäologischen Spezialisten vollauf gewürdigt werden können. Ich muss mich in der Hauptsache darauf beschränken, festzustellen, dass — soweit mein Urteil in diesen Dingen reicht — die Aufgabe mir geschickt gelöst scheint. Die Darstellung ist ansprechend, die Abbildungen im Text und auf den beigegebenen Tafeln sind gut. Zweifelhaften Fragen gegenüber wird vorsichtige Zurückhaltung geübt, so auch bei Besprechung der Theorie Kossinnas über die Verwendung archäologischen Materials zur Bestimmung von ethnographischen Grenzen. Verf. hält die Theorie im Prinzip für richtig, ohne sich auf die bis jetzt erzielten Ergebnisse schon festlegen zu wollen: für die Mark wären diese natürlich von größter Bedeutung, denn es handelt sich um nichts Geringeres, als dass nach Kossina die Grenze zwischen West- und Ostgermanen mitten durch die Provinz gehen soll. Auch ich möchte dies noch nicht zu den absolut sicheren Ergebnissen der Prähistorie rechnen. Sicherer ist wohl die Scheidung der archäologischen Hinterlassenschaft der Germanen und Wenden, obwohl auch hier manches zweifelhaft bleibt. Verf. betrachtet z. B. das Götzenbild von Alt-Friesack als wendisch, und die Möglichkeit slawischen Ursprungs liegt vor. Dann widerspricht es aber, wie K. selbst angibt, den Nachrichten mittelalterlicher Schriftsteller, wonach die Wenden Kunstfertigkeit im Holzschnitzen gehabt haben sollen. Andererseits ist nun aber auch zu beachten, dass das Bild in der Technik zu echt germanischen Funden der Bronzezeit stimmt*); ich nehme deshalb an, dass es tatsächlich aus dieser Zeit stammt und zur Hinterlassenschaft der damals dort sesshaften Germanen gehört.
Die übrigen Teile des Bandes leiden unter einer etwas gezwungenen Einteilung in die Abschnitte: Äußere Volkskunde, Innere Volkskunde und Volksdichtung. Diese Einteilung ist eine Folge der Verteilung des Stoffes unter die drei Bearbeiter, sie ist aber nicht in allem sachlich geboten. Gehört etwa die Volksdichtung nicht zur inneren Volkskunde, und warum ist die Heilkunde mit Zauber und Segen zur äußeren Volkskunde gerechnet? Ich sehe dabei ganz davon ab, dass der Ausdruck „äußere“ Volkskunde mir überhaupt nicht glücklich scheint.
*) Vgl. meine Altgermanische Religionsgeschichte 1, 216 ff.
Indessen die Einteilung ist schließlich Nebensache, wenn nur der Inhalt befriedigt, und das darf im großen und ganzen bejaht werden. Ungleichmäßigkeiten sind natürlich auch hier vorhanden, und vollständige Sammlungen für irgendein Gebiet dürfen nach Anlage des Werkes nicht erwartet oder verlangt werden.
So war Lohre im Abschnitt Volksdichtung darauf angewiesen, Proben zu geben, um die einzelnen Gattungen zu charakterisieren. Er hat dabei den auf der Berliner Bibliothek aufbewahrten wertvollen handschriftlichen Nachlass Ludwig Erks benutzen können und gibt auf Grund dessen eine gute Übersicht über den Stand der Volksdichtung in der Mark um die Mitte des 19. Jahrhunderts, über die wir eben durch Erks Sammeltätigkeit am besten unterrichtet sind.
Im vorhergehenden Teil „Innere Volkskunde“ von W. v. Schulenburg enthält der erste Abschnitt unter der Aufschrift „Sage“ in der Hauptsache eine Übersicht über die in den Sagen enthaltenen abergläubischen Vorstellungen des Volkes, die sich an die alten Götter, an seelische Wesen und Dämonen, an allerhand Örtlichkeiten usw. anknüpfen. Hinzu treten einige historische Sagen (vom alten Fritz) und Ortssagen. — Der Abschnitt Märchen befriedigt weniger; er enthält neun Nummern, die aber großenteils ohne jedwede Angabe der Herkunft abgedruckt sind. Soll das bedeuten, dass sie allgemein sind? Das ist doch kaum anzunehmen. Gerade bei Märchen, bei denen so viel darauf ankommt, genau die Stellung festzulegen, die sie im Volke noch haben, dürfte nicht unterlassen werden, anzugeben, woher sie stammen, ob sie nach mündlicher oder schriftlicher Überlieferung wiedergegeben werden usw. Es fehlt leider auch eine Angabe, ob diese Märchen die ganze Ausbeute darstellen, welche die Mark noch liefert. Man sollte endlich heute überhaupt keine Märchen veröffentlichen, ohne die Nummer von A. Aarnes Typen Verzeichnis hinzuzusetzen.
Sehr reichhaltig ist der letzte Abschnitt dieses Teiles, „Das Jahr und seine Feste“, eine Materialsammlung, vielfach im Telegrammstil abgefasst, der sich durch das Bestreben, möglichst viel zu bieten, rechtfertigen lässt, aber die Lektüre erschwert.
Eine sehr dankenswerte Beigabe zu Schulenburgs Arbeit ist die Karte, welche die Verteilung der sogenannten Zwölften-Gottheiten in der Mark illustriert. Dies Verfahren verdient Nachahmung; wir werden von vielen Erscheinungen der Volkskunde niemals ein klares Bild bekommen, wenn wir nicht mehr und mehr zu kartographischer Darstellung schreiten.
Die „Äußere Volkskunde“ von R. Mielke ist neben dem Abschnitt über die Prähistorie der reifste Teil des Bandes. Mielke, dessen Beschäftigung mit der Erforschung der Dorf- und Hausanlagen von früheren Arbeiten her bekannt ist, geht auch hier namentlich ausführlich auf die Siedelungen ein. Das die ganze Volkskunde der Provinz beherrschende Problem der Bevölkerungsmischung tritt hier besonders deutlich zutage, namentlich zeigen dies die verschiedenen Haustypen, von denen vier in der Mark begegnen: das allsächsische Haus, das hier allerdings einige tiefgreifende Änderungen erfahren hat, das fränkisch-oberdeutsche Haus, das Vorhallenhaus, das M. als ostgermanisch betrachtet (S. 57), und das wendische Haus. Von Dorfanlagen fehlt das Haufendorf Westdeutschlands, die herrschenden Typen sind der Rundling und besonders das Straßendorf, das im Angerdorf eine besondere für die Mark charakteristische Form entwickelt hat, die „schönste, reifste und landschaftlich geeignetste der ostelbischen Dorfformen", wie sie M. nennt.
An die Abschnitte über die Siedelung schließen sich weiter an die Kapitel Tracht, Arbeit, Verkehr, Speise und Trank und endlich Volksheilkunde; den reichen Inhalt hier auch nur annähernd anzugeben, verbietet der Raum. Ich möchte nur, zugleich um ein Beispiel für M. s selbständige Behandlung des Stoffes zu geben, noch ausdrücklich auf das kurze Kapitel verweisen, das vom Giebel und Giebelschmuck handelt und mit einer alten, vielen lieb gewordenen Vorstellung gründlich aufräumt. Nach der namentlich in Laienkreisen herrschenden Ansicht reichen diese Giebelzeichen auf das germanische Heidentum zurück, die gekreuzten, in Pferdeköpfe endenden Hölzer sollen Wodans Ross darstellen. Mielke betont demgegenüber, dass die Giebelzeichen erst im 16. Jahrhundert konstruktiv notwendig werden, wahrscheinlich also erst dieser Zeit entstammen. Er fügt ferner hinzu, dass die wirklichen Pferdeköpfe an den Giebeln auf das Herrschaftsgebiet des welfischen Hauses beschränkt sind, und vermutet, dass in ihnen eine Nachbildung des welfischen Wappentieres zu sehen sei. Das ist natürlich ebenfalls eine Hypothese, die jedoch keineswegs schwächer begründet ist als die frühere Deutung auf Wodans Ross. Für die Mark gibt M. S. 73 eine Zusammenstellung der bei den Giebelzeichen vorkommenden Typen in kleinen Nachzeichnungen.
Die Ausstattung des Bandes ist gut; die Abbildungen kommen durchweg scharf und klar zur Geltung. Alles in allem also ein Buch, an dem der Benutzer seine Freude haben wird.
Gießen. Karl Helm.
Die übrigen Teile des Bandes leiden unter einer etwas gezwungenen Einteilung in die Abschnitte: Äußere Volkskunde, Innere Volkskunde und Volksdichtung. Diese Einteilung ist eine Folge der Verteilung des Stoffes unter die drei Bearbeiter, sie ist aber nicht in allem sachlich geboten. Gehört etwa die Volksdichtung nicht zur inneren Volkskunde, und warum ist die Heilkunde mit Zauber und Segen zur äußeren Volkskunde gerechnet? Ich sehe dabei ganz davon ab, dass der Ausdruck „äußere“ Volkskunde mir überhaupt nicht glücklich scheint.
*) Vgl. meine Altgermanische Religionsgeschichte 1, 216 ff.
Indessen die Einteilung ist schließlich Nebensache, wenn nur der Inhalt befriedigt, und das darf im großen und ganzen bejaht werden. Ungleichmäßigkeiten sind natürlich auch hier vorhanden, und vollständige Sammlungen für irgendein Gebiet dürfen nach Anlage des Werkes nicht erwartet oder verlangt werden.
So war Lohre im Abschnitt Volksdichtung darauf angewiesen, Proben zu geben, um die einzelnen Gattungen zu charakterisieren. Er hat dabei den auf der Berliner Bibliothek aufbewahrten wertvollen handschriftlichen Nachlass Ludwig Erks benutzen können und gibt auf Grund dessen eine gute Übersicht über den Stand der Volksdichtung in der Mark um die Mitte des 19. Jahrhunderts, über die wir eben durch Erks Sammeltätigkeit am besten unterrichtet sind.
Im vorhergehenden Teil „Innere Volkskunde“ von W. v. Schulenburg enthält der erste Abschnitt unter der Aufschrift „Sage“ in der Hauptsache eine Übersicht über die in den Sagen enthaltenen abergläubischen Vorstellungen des Volkes, die sich an die alten Götter, an seelische Wesen und Dämonen, an allerhand Örtlichkeiten usw. anknüpfen. Hinzu treten einige historische Sagen (vom alten Fritz) und Ortssagen. — Der Abschnitt Märchen befriedigt weniger; er enthält neun Nummern, die aber großenteils ohne jedwede Angabe der Herkunft abgedruckt sind. Soll das bedeuten, dass sie allgemein sind? Das ist doch kaum anzunehmen. Gerade bei Märchen, bei denen so viel darauf ankommt, genau die Stellung festzulegen, die sie im Volke noch haben, dürfte nicht unterlassen werden, anzugeben, woher sie stammen, ob sie nach mündlicher oder schriftlicher Überlieferung wiedergegeben werden usw. Es fehlt leider auch eine Angabe, ob diese Märchen die ganze Ausbeute darstellen, welche die Mark noch liefert. Man sollte endlich heute überhaupt keine Märchen veröffentlichen, ohne die Nummer von A. Aarnes Typen Verzeichnis hinzuzusetzen.
Sehr reichhaltig ist der letzte Abschnitt dieses Teiles, „Das Jahr und seine Feste“, eine Materialsammlung, vielfach im Telegrammstil abgefasst, der sich durch das Bestreben, möglichst viel zu bieten, rechtfertigen lässt, aber die Lektüre erschwert.
Eine sehr dankenswerte Beigabe zu Schulenburgs Arbeit ist die Karte, welche die Verteilung der sogenannten Zwölften-Gottheiten in der Mark illustriert. Dies Verfahren verdient Nachahmung; wir werden von vielen Erscheinungen der Volkskunde niemals ein klares Bild bekommen, wenn wir nicht mehr und mehr zu kartographischer Darstellung schreiten.
Die „Äußere Volkskunde“ von R. Mielke ist neben dem Abschnitt über die Prähistorie der reifste Teil des Bandes. Mielke, dessen Beschäftigung mit der Erforschung der Dorf- und Hausanlagen von früheren Arbeiten her bekannt ist, geht auch hier namentlich ausführlich auf die Siedelungen ein. Das die ganze Volkskunde der Provinz beherrschende Problem der Bevölkerungsmischung tritt hier besonders deutlich zutage, namentlich zeigen dies die verschiedenen Haustypen, von denen vier in der Mark begegnen: das allsächsische Haus, das hier allerdings einige tiefgreifende Änderungen erfahren hat, das fränkisch-oberdeutsche Haus, das Vorhallenhaus, das M. als ostgermanisch betrachtet (S. 57), und das wendische Haus. Von Dorfanlagen fehlt das Haufendorf Westdeutschlands, die herrschenden Typen sind der Rundling und besonders das Straßendorf, das im Angerdorf eine besondere für die Mark charakteristische Form entwickelt hat, die „schönste, reifste und landschaftlich geeignetste der ostelbischen Dorfformen", wie sie M. nennt.
An die Abschnitte über die Siedelung schließen sich weiter an die Kapitel Tracht, Arbeit, Verkehr, Speise und Trank und endlich Volksheilkunde; den reichen Inhalt hier auch nur annähernd anzugeben, verbietet der Raum. Ich möchte nur, zugleich um ein Beispiel für M. s selbständige Behandlung des Stoffes zu geben, noch ausdrücklich auf das kurze Kapitel verweisen, das vom Giebel und Giebelschmuck handelt und mit einer alten, vielen lieb gewordenen Vorstellung gründlich aufräumt. Nach der namentlich in Laienkreisen herrschenden Ansicht reichen diese Giebelzeichen auf das germanische Heidentum zurück, die gekreuzten, in Pferdeköpfe endenden Hölzer sollen Wodans Ross darstellen. Mielke betont demgegenüber, dass die Giebelzeichen erst im 16. Jahrhundert konstruktiv notwendig werden, wahrscheinlich also erst dieser Zeit entstammen. Er fügt ferner hinzu, dass die wirklichen Pferdeköpfe an den Giebeln auf das Herrschaftsgebiet des welfischen Hauses beschränkt sind, und vermutet, dass in ihnen eine Nachbildung des welfischen Wappentieres zu sehen sei. Das ist natürlich ebenfalls eine Hypothese, die jedoch keineswegs schwächer begründet ist als die frühere Deutung auf Wodans Ross. Für die Mark gibt M. S. 73 eine Zusammenstellung der bei den Giebelzeichen vorkommenden Typen in kleinen Nachzeichnungen.
Die Ausstattung des Bandes ist gut; die Abbildungen kommen durchweg scharf und klar zur Geltung. Alles in allem also ein Buch, an dem der Benutzer seine Freude haben wird.
Gießen. Karl Helm.