Kapitel 9 - Von Magdala nach Lalibala, Sokota und Anatola, April/Mai 1868.[9]

Am 13. April 1868 wehte die englische Flagge auf den drei Amben von Magdala, freilich nur für einige Tage, aber ein Ereigniss wichtig genug mit seinen damit verknüpften Erfolgen, immer eine der merkwürdigsten Thaten der Englischen Armee, welche sie bis jetzt vollbracht hat, zu bleiben. In der That, die Befreiung der europäischen Gefangenen, die Vernichtung des abessinischen Heeres, der Tod des Negus Negassi, die Einnahme von Magdala erfolgten so rasch nach jenem beschwerlichen Marsche durch Abessinien, dass selbst wir Theilnehmer der Expedition uns oft hinterher fragten, wie Alles so schnell und glücklich zu Ende kommen konnte. Und Magdala, für einige Monate der Aufenthalt der europäischen Gefangenen, von Theodor für unüberwindlich gehalten und daher als sein letzter Zufluchtsort ausgesucht, dann für einige Tage Standquartier einer englischen Brigade, ist jetzt nur noch, was es ursprünglich war, ein interessanter Punkt, denn wohl schwerlich werden die plündernden Galla etwas noch Brauchbares dort oben lassen, sie werden die Kirche zerstören und höchst wahrscheinlich die Gebeine ihres Erzfeindes, der bei seinen Lebzeiten Tausende ihrer Brüder mit kaltem Blute erwürgte, in alle Winde zerstreuen.

Etwas südlich von Beschilo sich erhebend sendet der Magdala-Berg seine Bäche diesem Flusse zu, welcher nach Aufnahme der Djidda dem blauen Nil oder Abai zufliesst. Der Magdala-Berg selbst besteht aus drei verschiedenen oben flachen Amben oder Plateaux, dem nördlichen oder Selasse, dem westlichen Fala und dem eigentlichen Magdala, welches am weitesten nach Süden zu liegt. Die Vegetation in dieser Gegend ist reichlich und besteht meist aus Mimosen, aber zur Zeit unserer Anwesenheit war Alles vertrocknet und verbrannt und nur der in Abessinien überall vorkommende Kandelaber-Baum (Kolkual-Euphorbia) bringt etwas Abwechselung in die Gegend. Das Gestein ist durchaus vulkanisch um Magdala und namentlich die nahen Bänke des Baschilo zeigen die schönsten Basaltsäulen. Von der Thierwelt der Umgegend ist nichts besonders Merkwürdiges zu berichten, wenn man nicht in der Käfer- und Insektenwelt nach Neuem suchen will, und dann muss man zur Regenzeit dort sein. Grosse reissende Thiere scheinen selten zu sein und selbst Hyänen hörten wir fast gar nicht, freilich hatten sie vollauf zu thun, da gerade vor unserer Ankunft König Theodor am Charfreitag zweihundert abessinische Gefangene in einen Abgrund hatte stürzen und auf die etwa Ueberlebenden schiessen lassen. Einheimische Bevölkerung giebt es augenblicklich nicht mehr in Magdala nach dem grossen Exodus, den die Engländer nach dem Tode Theodor's veranstaltet haben. Die, welche wir vorfanden, waren aus ganz Abessinien zusammengetrieben, aus Semien, aus Tigre, aus Godjam, aus Begemmder etc., und jetzt zerstreuen sie sich wieder, Jeder nach seiner alten Heimath, und so wird Magdala wieder, was es früher war, Besitz der Galla.


Als am 16. April die meisten Angelegenheiten geordnet waren, d.h. die wenigen Befestigungen geschleift, dann die Kanonen des abessinischen Königs gesprengt, bereitete sich die englische Armee zum Rückmarsch nach Zula vor und ich, schon früher entschlossen, nicht auf demselben Wege zurückzukehren, auf dem ich mit der Armee gekommen war, trennte mich gleich hier von ihr. Freilich konnte ich meinen ursprünglichen Plan, den Dembea-See und Gondar zu besuchen, nicht ausführen; theils war die Regenzeit vor der Thür, theils sollten, was sich aber als falsch erwies, die Gegenden nach Westen hin unsicher sein; aber ich beabsichtigte, wenigstens über Lalibala nach Sokota zu gehen, um durch eine neue Route der Geographie nützlich zu sein.

Man wird zwar wenig Neues auf diesem meinem Wege finden; Abessinien ist nach allen Richtungen so von Reisenden durchkreuzt, Land und Sitten sind so ausführlich beschrieben worden, dass man von der kurzen Zeit, die mir vor den Tropenregen blieb, nicht viel erwarten wird. Ich weiss auch nicht so interessante Abenteuer zu berichten, wie sie Bruce erzählt, glaube aber auch, dass das nur Ausnahmsfälle sind. Man darf das Leben und die Sitten eines ganzen Volkes nicht nach einzelnen Vorfällen beurtheilen, und wenn ein Fremder zufällig in Berlin oder Hamburg eine jener Bacchanalien mitgemacht, würde er sehr Unrecht haben, wenn er danach auf die Sitten des ganzen deutschen Volkes schliessen wollte. Eben so Unrecht würde es sein, weil Theodor und natürlich alle seine Soldaten, die blindlings jeden seiner Winke vollstreckten, Ungeheuer von Grausamkeiten waren, diess dem ganzen abessinischen Volke aufbürden zu wollen.

Für uns ist Abessinien hauptsächlich interessant, weil sein Volk durch Jahrhunderte hindurch vom Islam umgeben den christlichen Glauben bewahrt hat, obgleich das Christenthum der Abessinier Nichts mit der Lehre gemein hat, wie sie heut zu Tage der gebildete Europäer auffasst. Zur Zeit der portugiesischen Expedition unter Rodrigo und Alvares fanden diese zwar viele Anknüpfungspunkte mit der abessinischen Religion, aber weil damals in Europa die christliche Religion fast nur in Aeusserlichkeiten bestand, konnte sich Alvares darüber wundern, dass die Messe nicht ganz wie bei den Portugiesen abgehalten wurde, dass man ausser der ersten eine alljährliche Taufe beobachte, dass man die Beschneidung beibehalten habe und ausser dem Sonntag den Samstag heilig halte. Zu unserer Zeit, wo man im Christenthum etwas ganz Anderes sieht als die Beobachtung äusserer Gebräuche, würden wir höchstens sagen, die Abessinier seien dem Namen nach Christen, dem Wesen nach aber Islamiten oder Juden, d.h. Solche, deren Religion sich nur auf die Vollziehung äusserer Gebräuche basirt.

Aber nicht nur sein Volk ist es, was uns Abessinien so interessant macht, das Land selbst, die Pflanzen- und Thierwelt, die es hervorgebracht hat, müssen uns das grösste Interesse einflössen. Abessinien ist in Afrika ein Land für sich, was die Schweiz für Europa ist, ist es für Afrika, und wenn wir die Schweiz und Tyrol ein sehr durchschnittenes Gebirgsland nennen, so ist Abessinien ein Chaos.

Am 17. April verliess ich die Armee bei Arodje, um noch denselben Tag im Baschilo zu lagern. Die steilen Ufer dieses Flusses, welcher ein mehrere tausend Fuss tief eingeschnittenes Bett hat, liessen es mir meiner Transportthiere halber wünschenswerth erscheinen, die Etappe Arodje-Talanta in zwei zu trennen. Wir hatten vom Lager bis an den Fluss nur einige Meilen, aber entsetzlich genug war dieser Weg: der Auszug der entwaffneten Armee Theodor's dauerte nun schon seit drei Tagen, hier sterbende Menschen, dort von ihren Eltern verlassene Kinder, hier eine in Verwesung übergehende Leiche, dort ein Gerippe und auf jedem Tritt und Schritt das Aas eines Pferdes, Esels oder Maulthieres. Der Weg nach dem Baschilo war so begangen wie einer der frequentesten Zugänge zu einer europäischen Hauptstadt; da kamen Elephanten, welche die grossen Armstrong-Kanonen und Mörser, unnütz wie die Elephanten selbst in der Expedition, transportirten, hier eine Abtheilung englischer Soldaten, dort Auswanderer aus Magdala, hier die ehemaligen Gefangenen, der Syrier Rassam und Herr Cameron, durch seine langen Entbehrungen entkräftet, dort die übrigen Europäer, die bei König Theodor gelebt hatten; Herr Dr. Schimper in seinem rothseidenen Ehrenkleide, auf einem Maulthiere reitend (letzte Geschenke des verstorbenen Königs), mit seinem spitzigen Hute und langem weissen Barte à la Tilly eher einem Zauberer des Riesengebirges ähnlich als einem deutschen Gelehrten, hätte nicht die lange Pfeife, die selbst auf dem Maulthiere unseren Pflanzensammler nicht verliess, gleich den Deutschen verrathen; dann Herr Zander, einem Patriarchen gleich mit seinem langen grauen Barte, dort eine englische Lady, freilich nicht mehr ganz nach der letzten Leipziger Mode gekleidet, Missionäre, die, sich in Abessinien wenig um Religion kümmerten, denn kein Kind wurde zu einem Christen erzogen, noch irgend eine Schule angelegt.—Alles strömte nach Norden, froh, Magdala für immer Adieu gesagt zu haben.

Wir fanden den Baschilo etwas niedriger, als vor Zeiten, der Regen hatte seit einigen Tagen wieder nachgelassen, wie das in Abessinien alljährlich vorkommen soll. Abessinien hat nämlich an der Küste eine Regenzeit, welche mit dem Regen des mittelländischen Meeres correspondirt, dann eine sogenannte Vorregenzeit im April, endlich die eigentliche Regenzeit, die Anfang Juni eintreten soll. Auf diese Abnormitäten hat ohne Zweifel die Gebirgsnatur grossen Einfluss, ich glaube aber, für Süd-Abessinien, d.h. vom 10° an südlich, würden aufmerksame Beobachter kein Aufhören des Regens constatiren können, sobald die Sonne den Zenith des Grades übertreten hat. Selbst nördlich vom 12° hörten die seit Mitte April eingetretenen Regen nicht ganz auf, nur waren sie schwächer, natürlich verminderte die Kälte der Luft bei dem durchschnittlich über 7000 Fuss hohen Boden des Landes bedeutend die Wirkung der senkrechten Sonnenstrahlen und somit den Niederschlag.

Wir lagerten im Baschilo, freilich nicht unter den angenehmsten Verhältnissen: Gefangene, abessinische Auswanderer, darunter auch die beiden Frauen von Theodor, Durenesch (weisses Gold), eine Tochter von Ubie, und Csero Tameña, Wittwe eines früheren Galla-Chefs und nachher zweite Frau Theodor's, Alles war bunt unter einander. Dazu die grosse Hitze, am folgenden Morgen vor Sonnenaufgang noch 25°, während auf Talanta um die Zeit vor Sonnenaufgang die durchschnittliche Temperatur blos + 5° zu sein pflegt. Man möchte beinahe sagen: Es ist gut, dass die ganze Gegend durch Theodor entvölkert ist, denn sicher würde das Baschilo-Thal, wenn jetzt Menschen dort wohnten, eine Pest- oder Cholera-Grube werden. Aber ein Racheengel scheint über diese Gegenden hingegangen zu sein, kein Haus, kein Dorf, kein lebendes Wesen, ausser auf der von den Engländern eingeschlagenen Strasse, so weit das Auge blicken kann, eine trostlose Todtenstille, und um das Bild noch trauriger zu machen, ist Alles pechschwarz vom Brande, kein grünes Blatt oder Halm mehr zu sehen, und selbst die Thierwelt scheint verschwunden zu sein, man hört kaum Singvögel, nur Affen, meist langbärtige, ziehen in grossen Heerden bellend und kläffend an den steilen Basaltwänden hin.

Der Marsch am folgenden Tage war nicht angenehmer. Obgleich ich lange vor Sonnenaufgang aufgebrochen war, um nicht mit dem Strom von abessinischen Leuten zusammenzukommen, so fand ich doch den steilen Weg zur Talanta-Hochebene hinauf eben so voll wie am Tage zuvor den nach dem Baschilo hinunter. Dieselben Scenen wiederholten sich. Dieser Weg, den Theodor mit so vieler Mühe angelegt hatte, um die grossen Kanonen, die Ursache seines Unterganges, nach Magdala zu bringen, ist nichts weniger, als was wir in Europa unter einer künstlichen Bergstrasse verstehen, der Abfall ist meist so steil, dass ihn europäische Wagen nie hätten befahren können. In Talanta fanden wir ein ganzes englisches Lager vor, denn die zahlreiche Kavalerie, die Sir Robert unnützer Weise nach dem gebirgigsten Lande der Welt mitgenommen, hatte hier zurückbleiben müssen. Abends kam Sir Robert auch nach und bis auf eine kleine Reserve war jetzt Alles von der englischen Armee auf dem rechten Ufer des Baschilo. Nachdem der General am folgenden Tage noch so freundlich gewesen war, mir zur Bewaffnung meiner Diener die nöthigen Doppelflinten aus dem Nachlass des Königs Theodor zu geben, liess ich die englische Armee auf Talanta zurück, um meine eigene Reise anzutreten. Es war freilich Mittag geworden, indess hoffte ich noch Djidda zu erreichen, um dort die Nacht zuzubringen.

Kaum hatten wir begonnen, den steilen über 3000 Fuss tiefen Abhang von Talanta ins Djidda-Bett hinab zu steigen, als über 500 waffenlose Leute jeden Alters und jeden Geschlechtes, Auswanderer aus Magdala oder Ueberreste der abessinischen Armee, sich uns anschlossen um unter unserem Schutz durch die Djidda zu gelangen. Erst am Tage vorher nämlich war eine Abtheilung solcher Leute von raubsüchtigen Galla-Horden rein ausgeplündert, Einige sogar getödtet und Andere verwundet worden. Die zahlreichen Schluchten in den basaltischen Ufern der Djidda boten diesem Gesindel die günstigsten Schlupfwinkel. Alles ging indess Anfangs gut, ich liess den ganzen Zug von Männern, Weibern und Kindern mit ihren Pferden, Eseln und anderem Vieh vorausmarschiren und dachte an Nichts weniger als an einen Angriff, als auf dem Plateau von Aberkut, welches gerade halbwegs zwischen der Talanta-Höhe und dem Djidda-Bette eine breite Stufe bildet, die abessinischen Flüchtlinge von Leuten aus Aberkut selbst angegriffen wurden. Da sie weit voraus waren, so konnte ich nicht gleich verhindern, dass einige Maulthiere und Esel weggetrieben wurden; sobald mich indess die feigen Plünderer ansprengen sahen, von meinen mit Doppelflinten bewaffneten Dienern gefolgt, flohen sie davon und selbst drei Thiere konnten wir ihnen wieder abjagen. Etwas weiter stiessen wir dann noch auf Galla, aber sie hielten sich ausser Schussweite, denn einige Kugeln, die wir ihnen nach ihrer Schlucht hinüber sandten, trafen oder reichten nicht.

So kamen wir glücklich in die Djidda-Sohle, wo wir dies Mal fliessendes Wasser fanden, was beim Hinmarsch nicht der Fall gewesen war. Wir stiessen hier auf ein Detachement Elephanten, konnten also in grösster Sicherheit die Nacht kampiren. Freilich wurde unsere Nachtruhe manchmal durch das nahe Geheul von Hyänen oder durch das rollende Grunzen der Elephanten unterbrochen, wir kannten jedoch die einen als unschädliche Feinde, die anderen als beschützende Freunde. Diese gelehrigen Thiere hatten Tags vorher die Mörser und grossen Kanonen herunter gebracht und als sie an der Djidda ankamen, war ich gerade Zeuge, mit welchem Wohlbehagen sie sich zur Abkühlung den ganzen Körper mit Wasser bespritzten; auf die Stimme ihres Führers, eines indischen Soldaten, nahmen sie sich indess wohl in Acht, auch nur das kleinste Tröpfchen auf die Metallwaffen zu blasen, die sie mit derselben Leichtigkeit daher trugen, wie ein preussischer Soldat seine Zündnadel.

Auch die Djidda hinauf war ich immer noch in der traurigen Lage, von halb verhungerten und sterbenden Abessiniern aus Theodor's Armee und Magdala begleitet zu sein, abgesehen davon, dass die Luft verpestet war von unbegrabenen Leichen und unzähligen Kadavern von Thieren, theils vom früheren Durchgange der Armee Theodor's, theils von dem der englischen Armee. Ohne mich aufzuhalten, passirte ich durch Bit-Hor, wo ich ein grosses Magazin für die englische Kavalerie eingerichtet fand, und durch Sindi, wo unter dem Schutze des englischen Sind Horses-Regiments Alles, was von der Armee Theodor's und den ehemaligen Einwohnern Magdala's lebendig bis Uadela heraufgekommen war, lagerte. Der Anblick dieser dahin sterbenden Menschenmasse berührte mich so, dass ich trotz der Erschöpfung meiner Maulthiere weiter ritt; wie aus dem Bereiche der Abessinier Theodor's kam ich damit zugleich aus dem Bereiche der englischen Armee. Was, dachte ich, wird aus diesen elenden Menschen, die heute noch unter dem Schutze des englischen Namens dahin ziehen, wenn sie morgen allein ihren abessinischen Brüdern gegenüber stehen? Meist aus Begemmder und den Gegenden von Tabor und Dembea haben sich die Soldaten durch ihre Mord- und Gewaltthaten so verhasst gemacht, dass Niemand Mitleid mit ihnen haben wird. Aber selbst wenn Keiner als Opfer der Blutrache fällt, werden die Meisten umkommen, denn nur wenige haben Lebensmittel und diese mit Gewalt zu nehmen, wie es früher Gewohnheit dieses Gesindels war, dafür hatte Sir Robert Napier dadurch gesorgt, dass er ihnen auch die geringsten Waffen hatte abnehmen lassen. Nach einer ungefähren Schätzung der kleinen schwarzen Zelte, welche in Sindi aufgeschlagen waren, und nach früheren Ueberschlägen, als ich diese Menschenmasse während drei Tagen von Magdala herunter strömen sah, musste ich die Zahl derselben auf 50 bis 60,000 schätzen.

Ich ging noch an demselben Abend bis Abdikum, wo ich dicht bei dem Dorfe und an der Seite der steilen Basaltblöcke, auf welche die Kirche erbaut ist, mein Zelt aufschlug; freilich hatte ich nicht verhindern können, dass einige bettelnde Abessinier aus Magdala sich mir anhingen, sie behaupteten, denselben Weg gehen zu wollen, wie ich. Abdikum ist ein Ort von ziemlicher Ausdehnung, wie alle Ortschaften in hiesiger Gegend weitläufig gebaut sind, der Art, dass eine Menge kleiner Hütten Gehöfte bilden, in denen drei oder noch mehr Familien zusammen hausen. Die Kirche von Abdikum hat nichts Merkwürdiges, wie die meisten in Abessinien ist es eine grosse runde Hütte, von Stroh roh überdacht und mit einem äusseren Gange umgeben, der für die Weiber bestimmt ist, welche die Kirche selbst nicht betreten dürfen. Im Inneren befindet sich das Allerheiligste, viereckig inmitten aufgemauert und der Art, dass der Hochaltar gegen Osten gerichtet ist. Das Allerheiligste, oft durch hölzerne Thüren verschlossen, meist aber nur durch Vorhänge aus Kattun abgetrennt, darf nur von ordinirten Priestern betreten werden. Zwei längliche Steine, die hart sein müssen, damit sie einen hinlänglich starken Klang geben, und die meist in den Zweigen der Bäume hängen, welche jede abessinische Kirche beschatten, dienen als Glocken, wirkliche findet man nur in den reichsten Kirchen. Einige Räucherfässer, Kreuze, grosse Folianten aus Pergament, die Kleider, welche die Priester bei den Messen und Hochämtern umlegen, Trommeln und eiserne Handschellen sind der ganze Apparat einer jeden abessinischen Kirche und je nach Alter und Grösse sind sie mehr oder weniger reich dotirt, aber es giebt einige, die selbst nach europäischen Begriffen wirklich reich ausgestattet sind.

Derartig war die Kirche in Abdikum nicht, sie gehörte zu den weniger begünstigten; was mich aber verlockte, am anderen Morgen früh hinauf zu klettern auf die wunderlichen Felsblöcke, das war die unvergleichliche Aussicht, die man dort auf die hohen Gebirge südlich von Magdala hat, die Kollo-Berge, und um einen letzten Blick auf Magdala selbst zu werfen.—Im Bereiche der englischen Armee war natürlich Alles theuer, die Leute hatten sich daran gewöhnt, Alles mit Silber aufgewogen zu bekommen, und so lebte ich in Abdikum an dem Tage für sieben Maria-Theresia-Thaler und hatte dafür Brod, Gerste, Butter, eine Ziege und Honig und als Gastgeschenk am Morgen etwas Milch zum Kaffee.

Am anderen Morgen schlug ich einen neuen Weg ein, anstatt nach Sentara zu gehen, um dem englischen Armeeweg zu folgen, schlug ich die Richtung von 330° ein und langte über eine gewellte Gegend, die reich mit Gehöften und Heerden bedeckt war, Abends am Rande des Uadela-Plateau's an. Wir hatten die grossen Orte Tebabo und Boa passirt und obgleich die Gegend keineswegs schön zu nennen war, denn es fehlte die Abwechselung, so wurde doch das Auge erfreut durch grosse Heerden schwarzer Schafe, durch Leute, die friedlich den Pflug handhabten (von allen schwarzen Völkern sind die Abessinier die einzigen, die den Pflug bei sich eingeführt haben); man sah, der Krieg war vorbei, es herrschte hier Sicherheit und Friede. Der Rand des Uadela-Hochlandes ist steil und basaltisch, er fällt bei Sindina, wo wir am Abend lagerten, in NNO.-Richtung gegen den Takaze zu ab und man hat von hier aus die entzückendste Aussicht auf den Takaze und die Schedeho-Landschaft. Die Abessinier rechnen zwar Sindina nicht mehr zu Uadela, sie bezeichnen vielmehr mit diesem Namen nur das Land zwischen Schedeho und Djidda, aber im geographischen Sinne ist die Hochebene, welche zwischen dem Takaze und der Djidda liegt, nicht davon zu trennen, es ist ein zusammenhängendes Ganze. Ganz anders verhält es sich mit Talanta und Daunt, welche beiden Tafelberge durch einen tiefen Einschnitt von einander getrennt sind; überdiess ist Daunt wenigstens 500 Fuss tiefer als Talanta. Sindina ist ein grosser Ort oder Distrikt, wenn man so will, wie Abdikum, Tebabo und Boa.

Ein schweres Stück Arbeit blieb nun zu thun übrig, denn wenn die Durchgänge durch Beschilo und Djidda auch mit grossen Schwierigkeiten verknüpft gewesen waren, so hatten wir doch einen Weg vorgefunden gehabt; da, wo Theodor seine grossen Kanonen hinab und hinauf gebracht hatte, konnten wir natürlich mit unserem leichten Gepäck auch fortkommen. Aber es handelte sich nun darum, das steile Ufer bis an den Takaze hinab zu klimmen, wo nur ein kleiner Pfad für Menschen vorhanden war. Nachdem der alte Führer verabschiedet und ein neuer gemiethet war, machten wir uns früh Morgens auf.

Der Weg war natürlich der Art, dass an Reiten nicht zu denken war. Jede Wendung um einen der zackigen Felsblöcke bot ein anderes Bild und entschädigte reichlich für die Mühe und Arbeit, die man durch das Herabklettern hatte. Freilich waren meine Burschen nicht so zufrieden, denn oft mussten die Maulthiere abgeladen und Kisten und Pakete auf dem Kopfe weiter geschafft werden. Mir selbst passirte das Unglück, dass bei einem Sprung von einem Felsblock mein Taschenkompass aus dem Rock flog und unwiederbringlich in einen tiefen Abgrund geschleudert wurde. Wir trafen hier auf die seltsamsten Basaltsäulen, die ich je in Afrika vorgefunden habe und wie sie vielleicht nur noch in der Fingal-Grotte anzutreffen sind; mehrere Hunderte von steinernen Mastbäumen, ca. 50 Fuss hoch und alle von einander getrennt, bildeten einen Basaltwald, wie man ihn nirgends schöner finden kann. Das Herabsteigen nahm uns, obgleich der Weg wohl kaum mehr als 6 englische Meilen lang war, bis Mittag in Anspruch, dann erst standen wir an den rieselnden Wassern des Takaze, der hier vollkommen in Westrichtung fliesst. Als wir hier einen Augenblick rasteten, kamen zwei Leute auf uns zu und fragten, wo der Negus inglese (Sir Robert Napier) sich aufhalte. Auf meine Gegenfrage, was sie von ihm wünschten, sagten sie, dass Meschascha schon seit Jahren fünf von ihrer Familie gefangen halte und sie des englischen Negus Fürsprache zu deren Befreiung anflehen wollten. Als ich dann fragte, warum Meschascha dieselben im Gefängniss halte, erwiderten sie: "Weil wir reich sind, wir wollen aber lieber dem Negus inglese zahlen als Meschascha, denn dann wissen wir, dass sie wirklich befreit werden." Ich sagte ihnen, dass Sir Robert Napier, falls er die Sache so fände, wie sie aussagten, auch ohne Geld ihnen Gerechtigkeit angedeihen lassen würde, und unterrichtete sie dann, wo sie ihn treffen würden. Gelderpressungen sind in der That in Abessinien eben so zu Hause wie in der Türkei und Aegypten.

Noch ein Trunk vom herrlichen Takaze-Wasser und dann ging es weiter nach dem grossen Dorfe Salit, wo man uns gastlich aufnahm und eine Hütte anbot. Die Hütten sind in der Gegend vom Takaze bis Sokota alle sehr leicht aus Reisern und Zweigen gebaut und mit Stroh gedeckt, während in den höheren Gegenden die Wände aus Stein, durch Thon zusammengehalten, aufgeführt werden. Für das hiesige Klima reicht diese leichte und luftige Bauart vollkommen aus, denn bei einer Höhe von 5 bis 6000 Fuss über dem Meere hat das Thermometer in der Regenzeit sowohl als in der trockenen selten unter 15° vor Sonnenaufgang. Eine Schwester Meschascha's, des derzeitigen Fürsten von Lasta, schickte mir Abends einen grossen Krug Busa oder Gerstentrank, der indess einem europäischen Gaumen gar nicht munden will, obwohl die Abessinier grosse Liebhaber davon zu sein scheinen. Um sich aufzuregen, müsste man solche Quantitäten zu sich nehmen, dass ein europäischer Magen gar nicht im Stande wäre, sie zu halten. Ueberdiess widersteht Einem schon die chokoladenartige Farbe.

Die Gegend um Salit ist hügelig und von einem Halbkreise hoher Berge der Art eingeschlossen, dass Amba Terrasferri den südlichen und Amba Ascheten, an dessen Westabhange Lalibala liegt, den nördlichen Stützpunkt dieses Halbkreises bildet. Sehr arm an Gras, wenigstens in dieser Jahreszeit, ist die Gegend dafür gut mit Buschwerk, meist Akazien, bewachsen. Das Gestein ist überall vulkanischer Natur und von derselben Beschaffenheit wie am gegenüberliegenden linken Takaze-Ufer.

Von Lalibala trennte uns nur noch Ein Marsch. Auf halbem Wege überschreitet man den beständig Wasser führenden Fluss Katschenave, der östlich beim Orte Aritatta entspringt und in den Takaze fällt. Ein Ort gleichen Namens liegt an beiden Seiten des Flusses, wo wir ihn überschritten. Der Weg war an dem Tage ziemlich gut, wenn von guten Wegen überhaupt in Abessinien die Rede sein kann, und sanft stiegen wir den Abhang des mächtigen Ascheten-Berges hinauf, wo der grosse Ort Laktalab liegt.

Je mehr ich ins Land hinein kam, desto höflicher fand ich die Bewohner. Das war sicher Folge der Einnahme von Magdala und von Theodor's Tod. Niemand in Abessinien hatte ihn anzugreifen gewagt, selbst als er schon in den letzten Zügen lag, als ganz Abessinien, alle Provinzen von ihm abgefallen waren, und da kam nun ein so kleiner Haufen "Frengi", wie die Abessinier die Europäer schlechtweg nennen, und machte diesem gefürchteten Fürsten, der im Bunde mit dem Teufel zu stehen vorgab, in Einem Tage das schrecklichste Ende. Hatte man vorher über die Frengi gespottet, ihnen nachgerufen: "Theodor wird Euch alle köpfen", und anderes dummes Zeug mehr, so hatte sich jetzt die Verachtung in grösste Hochachtung verwandelt und ich kann mir denken, wie die eitelen und prahlerischen Abessinier, die sich wie die Araber und Juden für ein von Gott auserwähltes Volk halten, innerlich darunter leiden mussten, so vor einem kleinen Haufen Europäer gedemüthigt zu stehen. Waren sie froh, ihren Erzfeind Theodor los zu sein, so musste dies eitle Volk doch innerlich einen heissen Neid fühlen, dass sie dies nicht selbst hatten bewerkstelligen können. Indess äusserten sie dies nicht laut, im Gegentheil nie sah ich ein Volk demüthiger und kriechender als jetzt. Nicht genug, dass sich alle Alle, die uns begegneten, so verbeugten, dass die Hände vorn bis auf die Erde reichten, ein Gruss, den sie sonst nie einem Europäer, sondern nur ihren Fürsten erzeigen, gingen sie immer mit uns, bis ihnen meine Diener zuriefen, ihres Weges zu ziehen. Ich wusste Anfangs nicht, was dies zu bedeuten habe, bis man mir sagte, dass dies das Zeichen der grössten Hochachtung sei. Dicht vor der berühmten Kirchenstadt begegnete uns ein alter ehrwürdiger Priester, in einer Hand einen Sonnenschirm, in der anderen einen Kranz tragend, vor der Brust hatte er ein dickes Pergamentbuch hängen; er gab mir seinen Segen und sagte dann, ich solle getrost in den heiligen Wallfahrtsort einziehen, ich sei der erste Frengi, der nach dem Tode Theodor's nach Lalibala käme, und das brächte mir grosses Glück und Segen.

Ich stieg in Lalibala bei Bischur, dem Schum oder Vorsteher des Ortes ab, der mir eine seiner Hütten zur Disposition stellte, welche für gewöhnlich den Kühen zum Aufenthalte diente. Eine bessere Menschenhütte schlug ich aus, weil ich die Erfahrung gemacht hatte, dass die Abessinier nicht nur wie die Araber, Berber und andere Völker Nordafrika's reichlich mit Läusen und Flöhen gesegnet sind, sondern auch jede Hütte, welche Menschen beherbergt hat, von Wanzen wimmelt. Ich habe in der That oft den Schmutz der Araber und Berber bewundert, wie namentlich die Bewohner der Grossen Wüste Jahre lang nicht daran denken, sich oder ihre Kleider zu waschen. Dann aber entschuldigte ich sie manchmal mit dem constanten Wassermangel, aber hier in Abessinien übertrifft der Schmutz der Bewohner Alles, was vorkommen kann. Die Weiber und Männer schmieren sich fingerdick die Butter in die Haare, welche nur ein Mal im Leben bei den Frauen zu kleinen Tressen geflochten werden; kommt die Sonne, so trieft die Butter auf Körper und Kleidung, so dass diese bald eine so dunkle und schmutzige Farbe wie der Körper annimmt. Erst wenn Alles in Fetzen fällt, werden die Kleider abgelegt.

Nachdem ich mich etwas gestärkt, ging ich, die verschiedenen Kirchen zu besuchen, welche schon das Staunen der Portugiesen erweckten und die in Wirklichkeit nicht ihres Gleichen in der Welt haben, denn alle Kirchen, die man in Lalibala bewundert, sind Monolithen. Obgleich die Portugiesen alle dem König Lalibala als Urheber zuschreiben, so ist das offenbar ein Irrthum, denn im Baustyl der verschiedenen Kirchen ist ein älterer roherer und jüngerer feiner Styl unverkennbar. Lalibala hat jedoch offenbar einen grossen Antheil an den merkwürdigen Bauwerken dieses Ortes und jedenfalls wird wohl die Kirche die seinen Namen führt, von ihm herrühren. Ich wurde von den Mönchen und Priestern mit der grössten Bereitwilligkeit aufgenommen und vom Ausziehen der Schuhe oder sonstigen Forderungen, wie sie früher wohl die Priester anderer Kirchen an mich gestellt hatten, war hier keine Rede, ja in allen Kirchen führte man mich ins Allerheiligste oder an den Hauptaltar. Ich bemerke hierbei, dass das Allerheiligste, wie wir es jetzt in allen neuen abessinischen Kirchen, d.h. auch in solchen, welche schon mehrere Jahrhunderte alt sind, streng abgemauert und von der übrigen Kirche abgeschieden finden, wie es bei dem jüdischen Tempel in Jerusalem der Fall war, in den ersten Zeiten des Christenthums in Abessinien nicht gekannt war; alle Kirchen in Lalibala, wie wir sie heute finden, haben einen einfachen Hauptaltar, wie es in allen anderen christlichen Kirchen der Fall ist. Ueberhaupt sieht man diesen Gebäuden ihren echt christlichen Charakter an, während man bei den neuen abessinischen Kirchen erst wissen muss, dass sie christliche Gotteshäuser sein sollen, von selbst würde kein Europäer sie dafür erkennen.

Die am besten erhaltene und von allen übrigen getrennt ist die St. Georg-Kirche; ein vollkommenes Kreuz, aus Einem Steine gemeisselt, würde man sagen, sie sei so eben aus der Hand eines Zuckerbäckers hervorgegangen. Jeder Arm des Kreuzes mag 40 Fuss an der Basis haben und eben so hoch sein. Vier Säulen im Inneren stützen die Decke, welche wie das Ganze Ein Stein und mit dem Ganzen Ein Stein ist. Die grösste und ursprünglich die vollendetste ist die dem Medanheallem oder Weltheiland gewidmete Kirche. Es ist dies eine vollkommene Basilika und man kann in Harmonie der einzelnen Theile zum Ganzen nichts Schöneres finden. Auch die Emanuel-Kirche ist vollkommen in ihren Formen: 24 Schritt lang und 16 breit hat sie ca. 40 Fuss Höhe, wie alle übrigen ist sie aus Einem Steine gemeisselt. Die älteste scheint die Aba Libanos-Kirche zu sein, dann die in kolossalen Aushauungen ausgemeisselte Mercurius-Kirche. Ausserdem giebt es hier noch eine Gabriel-Kirche und eine Marien-Kirche, welche mit der Debra Sina- oder, wie sie auch genannt wird, Golgatha- und Lalibala-Kirche zusammenhängt. Der König Lalibala liegt in der Golgatha-Kirche begraben, wo auch ein anderer berühmter Heiliger Abessiniens, Selasse, seine Grabstätte hat. Bei vielen dieser Kirchen hat der vulkanische Stein, aus dem das ganze Terrain in und um Lalibala besteht und aus dem auch diese merkwürdigen monolithischen Kirchen gehauen sind, der Witterung schlecht widerstanden, und da die jetzige Generation wie viele vor ihr Nichts zur Erhaltung dieser merkwürdigen Bauwerke thut, so gehen sie rasch ihrem Untergange entgegen. Vollkommen gut erhalten ist nur noch die Georg-Kirche. Die prächtige Medanheallem-Kirche dagegen, die früher von aussen mit einem Säulengang umgeben war, dessen 40 Fuss hohe Säulen aus demselben Blocke wie die Kirche gehauen waren und daher mit ihr zusammenhingen, hat jetzt nur noch vier dieser Säulen aufrecht stehen, alle übrigen sind von der Kirche abgefallen. Es wäre an der Zeit, dass Etwas für diese merkwürdigsten Denkmäler alter christlicher Baukunst geschähe.

Mit der grössten Freundlichkeit und Bereitwilligkeit wurde mir Alles gezeigt; hier war es eine Glocke, dort ein Räuchergefäss, hier eine Kirchenkrone, dort ein Kreuz, was ich bewundern musste, und die Toleranz dieser Priester ging sogar so weit, dass mein mohammedanischer Diener Abd-er-Rahman, der meinen Dolmetsch machte, überall mit hingehen durfte. Ja, in der Georg-Kirche musste ich sogar den Mantel des heiligen Georg selbst umbinden, es waren freilich nur noch Fetzen und er sah entsetzlich schmutzig und verdächtig aus, die guten Priester bestanden aber so sehr darauf, mir dadurch den Segen ihres Patrons zu Theil werden zu lassen, dass ich, um nicht als Ungläubiger zu gelten, mich noch froh stellen musste, diess widerliche Gewand während meines Besuches in der Georg-Kirche umzuhaben. Viele dieser Kirchen sind sehr gut dotirt, die Marienkirche hat sogar Glocken und in anderen findet man Geräthe, die jeder europäischen katholischen Kirche Ehre machen würden.

Der ganze Tag ging natürlich damit hin, diese Wunderbauten zu besehen, und als ich spät Abends nach Hause kam, fand ich meinen Wirth vor der Thür mit einem grossen Topf voll Tetsch. Dies ist Hydromel oder saures Honigwasser, ein angenehmes und im Stadium des Gährens starkes Getränk, das man aber nur bei vornehmen Abessiniern bekommt, da seine Herstellung für die gewöhnliche Klasse zu kostspielig ist.

Auch am folgenden Tage zog es mich wieder zu den Kirchen, ich konnte mich nicht satt sehen an diesen Wunderbauten, und so konnte ich auch Zeuge sein, wie eine grosse Anzahl armer Menschen, Bettler und Reisende, vor der Marienkirche gespeist wurden; dies geschieht alle Tage um dieselbe Zeit, die Kirchen haben dazu reiche Gründe, viele Einnahmen von den Ein- und Umwohnern Lalibala's und wohlhabende Pilger tragen Geld und andere Gaben zu. Der Klerus aller dieser Kirchen, die Mönche mit eingerechnet, ist indess auch bedeutend und kann sich auf ein Paar hundert Personen belaufen.

An sonstigen Merkwürdigkeiten hat Lalibala die sieben Oelbäume aufzuweisen, die ganz jung von Jerusalem hierher verpflanzt, jetzt grosse, stattliche Bäume geworden sind. Ihr Alter muss jedenfalls bedeutend sein, denn von einem ist nur noch ein Stumpf übrig und zwei andere sind zu Einem verwachsen. Ein Hügel, von einem Baume überschattet, Debra Siti genannt, wurde mir als bemerkenswert gezeigt, weil hier der König Lalibala gelehrt and gepredigt haben soll. Ein einfaches steinernes Kreuz auf dem Wege zur St. Georgkirche wurde mir auch besonders gezeigt, doch konnte mir Niemand sagen, was es für eine Bewandtniss damit habe.

Lalibala ist auf sieben Hügel an einem der Westabhänge des mächtigen Ascheten-Berges gebaut, dessen Höhe 10,000 Fuss betragen kann. Selbst 7000 Fuss hoch hat es ein köstliches Klima und die Bäume, welche die Hütten überschatten, die reizende Lage machen es zu einem wahren Paradies. Es mag jetzt circa 12 bis 1500 Seelen haben, war aber dereinst gewiss bedeutend grösser. Zahlreiche Gänge in den Felsen, Ueberreste von alten Kirchen, von denen alle Ueberlieferung verschwunden zu sein scheint, viele Ruinen von Wohnungen, die besser construirt waren als die jetzigen, deuten genugsam an, dass Lalibala vordem ein anderer Ort war als gegenwärtig, wenn nicht schon die Kirchen Zeugniss dafür ablegten.

So interessant nun auch der Aufenthalt in dieser Kirchenstadt war, so zuvorkommend die Leute im Allgemeinen sich zeigten, reiste ich doch Nachmittags weiter, da ich keinen Augenblick Ruhe hatte. Hunderte von Menschen belagerten um Arznei bittend meine Thür und obschon ich Alle zu befriedigen suchte, diesem ein Brechmittel, jenem ein anderes Medikament gebend, so war an ein Alleinsein keinen Augenblick für mich zu denken.

Indess gingen wir an jenem Tage nur nach dem drei engl. Meilen westlich von Lalibala gelegenen Orte Schegala, das wie Ascheten und Medadjen zum Lalibala-Distrikt gehört. Man steigt auf einen Ausläufer des Ascheten herab, gewissermassen die Fortsetzung desselben Sporns, auf welchem Lalibala liegt, und hat nördlich fortwährend das liebliche Medadjen-Thal, voller Gehöfte und Felder, welche von Hecken und Buschwerk bordirt sind, so dass es Einem ganz heimathlich ums Herz wird. Das Medadjen-Thal wird von Bergen gebildet, die sich vom Ascheten aus durch Norden ziehen und deren Hauptspitzen der Selembie, Adeno und Dogussatsch sind. Bei Schegala erhält das Thal einen bedeutenden Zweig von Süden und zieht so verstärkt unter dem Namen Gebea-Ebene dem Takaze zu. Kein Berg ist schöner bewaldet in Abessinien als der Ascheten und diess erhöht natürlich die paradiesische Lage Lalibala's, aber wurde je eine Stadt der Priester, ein religiöser Mittelpunkt in reizloser Gegend angelegt? Mekka bildet in dieser Beziehung für uns eine Ausnahme, aber ist für den Araber die Wüste nicht Alles, freut sich nicht alljährlich der Araber, wenn er im Frühjahr den fruchtbaren Teil mit der endlosen Sandebene, wo nur hier und da ein Grashalm keimt, vertauschen kann?