Unter den fürchterlichsten Regengüssen, einem unaufhörlichen Donnergeroll, bei einer pechschwarzen Finsterniss, ...

Unter den fürchterlichsten Regengüssen, einem unaufhörlichen Donnergeroll, bei einer pechschwarzen Finsterniss, oft indess durch nahe electrische Feuerschläge, die zischend ins tobende Wasser fielen, taghell erleuchtet, blieben wir so mehrere Stunden lang in dieser gefährlichen Lage. Vergebens bemühten wir uns durch Festklammern an die Baumstämme dem Schiffe mehr Halt zu geben, eine jede neue Welle riss uns wieder weg und schleuderte uns dann wieder zurück gegen die Baumwand. Ich versuchte es mehrere Male mich den Negern verständlich zu machen, aber der unerhörte Lärm des Himmels und des Meeres machte jedes Sprechen unmöglich; in dieser lebensgefährlichen Stellung blieben wir fast bis Tagesanbruch, indem der Tornado merkwürdiger Weise fast sieben Stunden seine Wuth an uns ausliess, während er sonst in der Regel nur von kurzer Dauer ist. Trotzdem gingen wir siegreich, wenn auch erbärmlich zugerichtet, aus dem Kampfe hervor: unsere beiden Masten waren abgebrochen, die gegen die Baumstämme gerichtet gewesene Seite des Schiffes war so zugerichtet, dass dasselbe eben nur noch dienen konnte, um uns nach Lagos zu bringen, wir selbst aber waren, das war nun freilich kein grosses Unglück, der Art, als ob wir im Wasser gelegen hätten, und namentlich meine Neger, die es weniger angemessen fanden, in einem nasskalten Hemde zu sitzen, als sich von der aufgehenden Sonne die schwarz lackirte Haut bescheinen zu lassen, wussten bald, was thun, sie reducirten sich bis auf Vater Adams Kleid und legten ihr Hemd in die Sonne.

Und diese schien denn auch heiter genug, denn sobald einmal ein solches Unwetter seine Wuth ausgelassen hat, wird man mit dem reinsten Himmel belohnt; nach zwei Stunden schon hatten mich die Neger nach Lagos gebracht, und wir landeten am nördlichen Ende der Insel zwischen einer grossen Menge von Canoes.


Ohne weitere Empfehlungen für Jemand in der Stadt, mit Ausnahme, dass ich Pass und Depeschen der beiden Weissen in Lokója von dorther für den Gouverneur von Lagos überbrachte, indem die dort angesiedelten Engländer seit sechs Monaten vergeblich versucht hatten, einen Courier nach der Küste durchzuschicken, war es ganz natürlich, dass ich beim Gouverneur mein Absteigequartier nahm, und ohne weitere Umstände und Anmeldung begab ich mich nach dem stattlichen ganz aus Eisen gebauten Gouvernementsgebäude, das am anderen Ende der Inselstadt, auf dem europäischen Quai liegt. Freilich sah ich nicht sehr präsentabel aus, als ich vor Herrn Glover (so heisst der derzeitige Gouverneur von Lagos, der der geographischen Welt sehr wohl bekannt ist, durch seine schönen Nigerkarten, indem er vor Jahren auf Kosten der englischen Regierung mit einem Dampfer den Niger hinauf explorirte bis Rabba und die genauesten Karten vom Niger geliefert hat, die wir überhaupt besitzen) erschien. Meine hohen Stiefeln quatschten bei jedem Schritte vom Wasser, das in sie gelaufen, aus meiner langen weissen Tobe bezeichnete hinter mir ein unaufhörlicher Tropfenfall den Weg, den ich gegangen war.

Aber in Afrika kennt man keine Ceremonien, und selbst der Holländer verliert dort seine Steifheit und grollt dem Fremden nicht, der es wagen würde mit unabgekratzten Schuhen sein Haus zu betreten. Herr Glover hiess mich daher herzlich willkommen, und als er sah und verstanden hatte, wer ich sei, wollte er keine weitere Erklärung: zuerst ein warmes Bad und dann musste ich von seinen eigenen Kleidern anziehen. Ich fand mich natürlich gleich ganz wie zu Hause, und seine Gesellschaft, drei Marineofficiere, von denen der eine sein Privatschreiber, die anderen seine zufälligen Gäste waren wie ich, trugen nicht wenig dazu bei, den Aufenthalt angenehm zu machen.

Indess sollte ich doch nicht lange unter dem gastlichen Dache von Herrn Glover bleiben; schon beim Frühstück, woran oben genannte Herren, sodann der deutsche Pfarrer Herr Mann, ein früherer Missionär in Abeokúta und jetzt in Lagos angestellt, theilnahmen, stellte sich der Chef der O'Swald'schen Factorei in Lagos ein, Herr Philippi. Wie ein Lauffeuer war nämlich das Gerücht durch die Stadt gegangen, es sei ein Weisser über Land angekommen, und man vermuthe, der Weisse sei ein Deutscher. Wie war da denn nur Haltens bei diesem trefflichen Manne. "Wo ist der Deutsche? Wer ist es?" waren seine ungestümen Fragen, als er den Salon betrat, und als der Gouverneur mich ihm vorgestellt und er mir die Hand gedrückt hatte, erklärte er Herrn Glover ganz kurz, dass ich sein sei, dass er ein grösseres Recht auf mich habe, um Gastfreundschaft zu erweisen, als der englische Gouverneur.—Sowohl Herr Glover als auch ich waren in grosser Verlegenheit, der Gouverneur, weil er nicht wusste, wie er sich einer so kurz und bündig gestellten Forderung des Herrn Philippi, der überdies sein Freund war, gegenüber benehmen sollte, ich andererseits noch mehr, indem ich einerseits durch ein so schnelles Weggehen Herrn Glover beleidigen konnte, andererseits aber auch eine so schmeichelhafte Einladung des Chefs vom ersten deutschen Handlungshause an der Westküste Afrikas nicht abschlagen wollte.

Genug, Herr Philippi wusste es so einzurichten, dass ich mit ihm gehen und noch am selben Tage in der O'Swald'schen Factorei meine Wohnung aufschlagen konnte. Ich hatte keineswegs bei dem Tausche verloren.

Am andern Tage kam, zum Ergötzen der Lagos-Bewohner, auch meine Karawane, die beim Uebersetzen über die Lagune mehr als ich begünstigt gewesen war; voran kam Noël mit meinem abgemagerten Schimmel, dann Hamed, seinen Esel, der nicht mehr stark genug war, um ihn zu tragen, vor sich hertreibend, endlich die beiden Lastesel, je Tom und Bu-Chari, den Dolmetsch mit Stöcken hinter sich. Aber in Lagos wie in Yóruba- und Izebu-Lande hatte man nie vorher graue Langohren gesehen, und so kam es, dass die halbe schwarze Bevölkerung der Karawane nachzog, und es vor der Factorei dicht und schwarz gedrängt voll Menschen stand, als sie durch's hohe Hofthor einzogen.

Da der Dampfer zwar schon angekommen, aber noch weiter nach Bonny und Cámerun gefahren war, nun aber erst in einigen Tagen zurückerwartet wurde, so hatten wir vollkommen Zeit, die Annehmlichkeiten des gastfreisten deutschen Hauses unter den Tropen Afrikas kennen zu lernen, sowie auch Musse, die Stadt in Augenschein zu nehmen.

Lagos, dieses neue Handelsemporium der Engländer, liegt, wie schon erwähnt, auf einer Insel, und ist seit den wenigen Jahren unter dem englischen Gouvernement zu einer Stadt von 50,000 Seelen herangewachsen. Die schönen breiten Strassen, welche, unter einer aufgeklärten Administration, die kleinen engen Pfade der Neger verdrängt haben, die zweckmässige Bauart der Häuser, welche jetzt sämmtlich aus Backsteinen aufgeführt werden, haben ausserordentlich zur Verbesserung des Gesundheitszustandes beigetragen. Und wenn auch noch heuer schwere Wechsel- und Sumpffieber immer an der Tagesordnung sind, kommt doch Malaria jetzt äusserst selten vor, und das gelbe Fieber und die Cholera haben sich noch nie in Lagos gezeigt. Eben so ist die andere Plage der grossen Bucht an der Westküste von Afrika, der Guinea-Wurm, in dieser Stadt fast ganz unbekannt.

Die englische Regierung hat hier zwei Compagnien schwarzer westindischer Soldaten, ausserdem ebenso viele, die aus eingebornen Negern recrutirt werden, und hauptsächlich aus dem Haussa-Stamme genommen werden. Es ist letzteres merkwürdig genug, da im Innern Afrikas die Haussa als feige verschrien sind, und liegt darin allerdings ja auch ein thatsächlicher Beweis, dass die Haussa als eine selbständige Nation durch ihre Unterjochung von den Fellata zu existiren aufgehört haben. Indess sollen sie unter englischem Commando, wie Herr Glover mir mittheilte, sich zu tüchtigen Soldaten ausbilden. Allgemein sind sie übrigens wegen ihrer grossartigen Diebereien und abgefeimten Räubereien verschrien, und wenn Europäer oder andere Neger durch das sogenannte Haussa-Viertel, denn es wohnen auch viele Haussa-Leute mit ihren Familien, auch ohne Soldaten zu sein, in der Stadt, gehen, pflegen sie sich die Tasche zuzuhalten. Ausserdem sind noch einige Marineartilleristen zur Bedienung der auf dem Quai vor dem Gouvernementshause aufgepflanzten Geschütze vorhanden. Die Soldaten sind sehr zweckmässig uniformirt, und für ihre andere Bequemlichkeit sorgt eine luftige Caserne und ein gut eingerichtetes Hospital.

Ein Gemeinderathhaus ist gerade im Bau begriffen, eben so wie eine hübsche steinerne Kirche. Bethäuser und Schulen sind ausserdem schon mehrere vorhanden, denn die church missionary society, sowie die Wesleyn methodists haben mehrere Prediger hier. In der That scheinen, trotzdem dass auch die Mohammedaner mehrere Moscheen in Lagos haben und leider auf eine dumme, unvernünftige Art von Herrn Glover, dem jetzigen Gouverneur der Insel, begünstigt werden, die Missionäre hier mit Erfolg zu wirken. Als ich Sonntags die Kirche oder vielmehr das grosse Bethaus besuchte, fand ich eine volle und hauptsächlich aus Negern, jedoch auf europäische Art gekleidet, bestehende Versammlung, und ungemein freute es mich, als die kleinen schwarzen Knaben und, Mädchen, nur von einigen wenigen weissen Kindern unterstützt, mit Präcision und Gefühl die schönsten Choräle, von einem Harmonium, das ihr schwarzer Lehrer spielte, begleitet, sangen.

Als hervorragende Persönlichkeit steht an der Spitze der Geistlichkeit in Lagos und als Director der sogenannten evangelischen schwarzen Niger-Mission der Bischof Crowther. Dieser Neger, aus einem kleinen Dorfe in Yóruba gebürtig, wurde als Kind geraubt und den Portugiesen verkauft. Er hatte jedoch das Glück, von den Engländern gekapert zu werden, und von der Vorsehung dazu bestimmt, als ein auserlesenes Werkzeug dem Christenthume und der Civilisation zu dienen, wurde er nach Freetown in Sierra-Leone gebracht, wo er seine erste Erziehung erhielt und getauft wurde. Er zeigte bald so hervorragende Eigenschaften und Geistesanlagen, dass man ihn zur weiteren Ausbildung nach England schickte, genug wenn ich sage, dass er heute Bischof ist. Aber nicht nur als Geistlicher wusste er sich in jeder Beziehung auszuzeichnen, er leistete gleich Grosses im Gebiete der afrikanischen Sprachen, seine Uebersetzung der heiligen Schrift in die Yóruba-Sprache, mehrere Grammatiken, darunter eine der Nyfe-Sprache, legen Zeugniss seiner gründlichen Bildung ab; endlich die Reisebeschreibung der Niger- und Bénu?-Expedition, welche Herr Crowther mit dem verstorbenen Dr. Baikie machte, lassen ihn als einen ausserordentlich vielseitig gebildeten Mann erkennen. Leider konnte ich nicht die persönliche Bekanntschaft dieses ausserordentlichen Mannes machen, denn während meiner Anwesenheit in Lagos war er auf einer Inspectionsreise nach Bonny, immer besorgt um das Wohl seiner Missionen.

Auf dem grossen Quai breiten sich dann rechts und links vom Gouvernementsgebäude die schönen Factoreien oder Handelsetablissements der Europäer aus, und von allen diesen ist die O'Swald'sche, wie schon erwähnt, die erste. Es giebt indess noch mehrere andere Häuser in Lagos, die gute Geschäfte machen. Der zweiten grössten Factorei steht ein Marseiller Haus vor, und die Engländer, obgleich sie sich natürlich auch bedeutend am Handel betheiligen, da ja die ganze Insel jetzt ihr Eigenthum ist, kommen doch erst in zweiter Linie; so hat auch die westafrikanische Compagnie deren Directorium in Liverpool ist, in den letzten Jahren sehr an ihrer Bedeutung verloren.

Der Handel, was Export anbetrifft, beruht hauptsächlich auf Palmöl, das theils fertig von den Eingeborenen den Europäern zum Austausch oder zum Verkauf gebracht wird, theils auf die Nüsse der Oelpalme, welche roh nach Europa verschifft werden und dann dort durch Auspressen und andere Zubereitung ein doppeltes Product ergeben, nämlich Stearin und Oel. Was Baumwolle und Kornausfuhr anbetrifft, so ist die Production derzeit noch zu gering, um bedeutend ins Gewicht zu fallen, für beide Artikel ist indess eine grosse Zukunft vorhanden, denn kein Boden ist günstiger für Korn, Indigo, Taback und Baumwolle als der afrikanische, man trifft diese Pflanzen auf jedem Schritt und Tritt, so dass man versucht sein möchte, sie für einheimische zu halten. Die Oel-Ausfuhr aber selbst liegt noch ganz in der Kindheit, denn von einer eigentlichen Ausbeutung ist bei der Undurchdringlichkeit der Wälder, heutzutage noch keine Rede, aber bei der gänzlichen Stockung des Sklavenhandels von Lagos aus, und eben weil wiederum die Neger die europäischen Producte nicht entbehren können, werden sie schon Mittel und Wege finden, um nach und nach auch die Millionen von Palmen, die sich in den schwarzen Wäldern finden, ihren Tribut zahlen zu lassen.

Was die Einfuhr anbetrifft, so stehen in erster Linie Schnaps, und zwar schlechter holländischer und deutscher Genever, amerikanischer Rum, dann Pulver, Steinschlossgewehre, leichte amerikanische Cattune, Perlen und andere kleinere Artikel, dann zweitens die Importation der kleinen Muscheln, welche als Scheidemünze in Afrika gelten. Diese werden vom indischen Archipel zu Schiffe an die Ost- und Westküste von Afrika gebracht. Obwohl nun sowohl im Innern als auch an der Küste der Werth derselben grossen Schwankungen unterliegt, kann man doch im grossen Allgemeinen sagen, dass ein Maria-Theresien-Thaler im Innern 4000 Muscheln, an der Küste indess 6000 werth ist. In Lagos werden sie bei der Importation en gros von den Europäern gewogen und später in Körbe[3] von je zu 20,000 verpackt, und vom Niger an kommen sie nur noch in kleinen Paketen vor, obgleich doch noch in Seg-Seg (westliches Königreich vom Kaiserreich Sókoto) Käufe und Verkäufe von Hunderttausenden von Muscheln gemacht werden.

Der Verkehr in der Stadt ist meist zu Fuss, obwohl die Vornehmen und Reichen, seien sie nun schwarz oder weiss, meist zu Pferde ausreiten. Der Lagunendienst wird durch eine grosse Zahl von kleinen Booten und Kanoes besorgt, die alle numerirt sind, und die grösseren Häuser, wie O'Swalds, die französische Factorei und die westafrikanische Compagnie haben ihre eigenen Dampfer, die bestimmt sind, theils die Waaren zu den grossen Segelschiffen, welche der Barre halber in die Lagune nicht einlaufen können, hinauszutransportiren, theils auch, um kleinere Segelschiffe, als Brigg und was darunter ist, in die Lagune hereinzuschleppen. Der Gouverneur hat ausserdem auch für den Dienst einen Dampfer zur Disposition, welcher Eigenthum der Colonie ist.