Die Stürme

Mit dem bisher Gesagten sind wir in der Lage, uns den Verlauf eines Sturmes bereits mit einiger Sachkenntnis anzusehen. Wir wollen hierzu einen typischen Fall, wie er gerade im Sommer auftreten mag, auswählen und uns hierbei an die Nordseeküste versetzt denken, wobei aber bemerkt werden soll, dass die Beschreibung für ganz Nord-Deutschland zutreffend ist und zwar nicht allein für Stürme, sondern für eintretendes schlechtes Wetter infolge von Minima überhaupt. Der Spaziergänger an der Küste sieht eines Morgens vielleicht auf der fernen Signalstation oder beim Leuchtturm einen schwarzen Ball am Signalmast hängen. Das bedeutet für den Seefahrer „Achtung — Atmosphärische Störung — !“ Die Seewarte hat hiermit das Herannahen eines größeren Minimums bekannt machen wollen, ist sich aber noch nicht über dessen Weg und die weitere Entwicklung klar. Ist die Signalstation eine größere, so liegt dort auch der Wetterbericht zur Einsicht, in dem es etwa heißt: „Tiefes Minimum westlich Schottland, Maximum Süd-Frankreich, Stürmische südwestliche Winde an der Nordseeküste wahrscheinlich. —“

Trotz dieser unheimlichen Prophezeiung ist aber noch das herrlichste Wetter, leichter Südwind und Sonnenschein. Würde der Beobachter jetzt das Barometer befragen, so würde er ein langsames Fallen desselben bemerken. Der im Übrigen noch völlig klare Himmel zeigt nur im Westen hohe, feine Federwolken, die langsam heraufziehen. Doch lassen wir jetzt das hierin maßgebendste Buch, das Segelhandbuch für die Nordsee, das heißt die Seewarte mit ihren vieljährigen Erfahrungen, weiter sprechen:


„Bald beginnt jetzt das Barometer stärker zu sinken, und es gehen die Federwolken in ausgedehntere hohe, häufig noch faserige Schleier über, die zunächst noch sehr zart sind und den blauen Himmel noch durchschimmern lassen, oft auch nur in einzelnen Flecken auftreten, aber rasch an Ausdehnung und weiterhin auch an Dichte zunehmen. Die Höfe um Mond und Sonne, welche sie in ihrer ersten dünnsten Form hervorbringen, verschwinden bei ihrer Verdichtung bald, ja allmählich wird der Wolkenfilz so dicht, dass Sonne und Mond völlig verhüllt werden.
Einzelne abgelöste Fetzen dieser Wolkenmasse ziehen der Hauptmasse um 100 und mehr Seemeilen voran. Der Zug dieser äußeren Teile des Wolkenschirmes fällt mit der Fortpflanzungsrichtung der Depression ungefähr zusammen, oder liegt sogar etwas rechts von ihr. Ihre Richtung kann zunächst noch den auf der Erdoberfläche wehenden Winden direkt entgegengesetzt sein. Ist die Bewegung dieser Wolken eine sehr rasche, so darf man gewöhnlich eine tiefe und rasch fortschreitende Depression erwarten und muss auf starke Winde gefasst sein.
Wenn das Depressionsgebiet sich noch mehr genähert hat, treten unter dieser hohen Wolkendecke niedrigere, rasch aus Südwest und Süd ziehende Wolkenmassen auf, welche sich bald zu ausgedehnten Regenwolken umbilden und anhaltenden Regen erzeugen bei rasch fallendem Barometer und hoher Luftwärme. Der Wind frischt hierbei allmählich auf und geht von Südost nach Süd und Südwest.“

In dieser ersten Phase des heraufziehenden Sturmes befindet sich das Minimum noch in nordwestlicher Richtung von uns. Die weiteren Phasen verlaufen nicht mehr so gleichartig, da die Wege, die die Minima von England aus einschlagen, zu sehr verschieden sind. Im Wesentlichen gestaltet sich aber die Entwicklung folgendermaßen:

Sobald das Minimum so weit vorgerückt ist, dass es in nördlicher Richtung von uns steht, geht der stürmisch wehende Südwestwind auf West über, es treten starke Böen ein. Aus dem gleichmäßig grauen Himmel werden Hängewolken, der bisher anhaltende starke Regen geht in einzelne Regenschauer über, zwischen denen aber schon die Sonne sich zuweilen hervorwagt.

Rückt das Minimum allmählich in nordöstliche Richtung von uns, beginnt es also sich zu entfernen, so geht der Wind nach Nordwest über und es wird jetzt empfindlich kälter. Der Nordwestwind hat zunächst, besonders während der Böen, noch stürmischen Charakter und flaut erst allmählich ab. Schließlich dreht der Wind auf Nordost, und es wird schönes Wetter, bis ein zweites Minimum heraufzieht.

Dies der Verlauf eines Sturmes ohne weitere Komplikationen, dessen Minimum die gebräuchlichste Straße vom Norden Englands nach Norwegen eingeschlagen hat, und bei dem ein Maximum etwa über Süd- Frankreich liegt.

Würde bei einem solchen Minimum die Lage des Maximum Deutschland selbst sein, so spürten wir von dem Minimum nördlich von uns überhaupt nichts.

Würde das Maximum hingegen im Südosten Europas stehen, so würde im südlichen Nord- und Ostsee-Gebiet nur feuchte, warme Luft, im nördlichen stürmisches Wetter herrschen.

Man sieht hieraus den außerordentlichen Einfluss, den auch die Lage des gleichzeitigen Maximums auf das Wetter ausübt. Berücksichtigt man ferner, dass das Maximum zwar im allgemeinen auch von Westen nach Osten wandert, aber mit einer geringeren Geschwindigkeit als das Minimum, so wird die unendliche Mannigfaltigkeit der Stürme oder auch nur des schlechten Wetters bei einem Minimum leicht verständlich. — Selbstverständlich wird auch die Wettervorhersage dadurch beeinflusst und zwar in vielen Fällen erleichtert, denn aus Höhe und Lage des Maximum lassen sich wegen seiner größeren Stabilität ebenfalls wichtige Schlüsse ziehen, insbesondere trifft dies für die Seewarte zu, wo alle Fäden aus allen Ländern zusammenlaufen.

Nächst der beschriebenen Straße kommt besonders im Sommer häufig eine Zugstraße vor, die vom Kanal an der deutschen Küste entlang nach dem Finnischen Meerbusen verläuft und Gewitter und veränderliche Winde meist ohne stürmischen Charakter anzeigt.

Unsere gewöhnlichen Sommergewitter haben aber hiermit nichts zu tun, sondern sind Begleiterscheinungen kleiner Minima, die irgendwo sich bilden, nur von lokaler Bedeutung sind und deren Bahn nur eine ganz kurze ist. Die meisten von ihnen sind in den Wetterkarten gar nicht erkennbar, da keiner der Beobachtungsstationen von ihnen berührt worden ist. Ist letzteres der Fall, so zeigt die betreffende Isobare wohl eine tiefe Ausbuchtung, den die Meteorologen Gewitterbeutel nennen. Die Ankündigung solcher örtlichen Störungen ist übrigens das ergiebigste Feld aller kleinen Wetterpropheten, die abgesehen von dem veränderlichen Aussehen der Atmosphäre und bestimmter Wolkenbildungen, bedingt durch lokale Einflüsse wie Bodenbeschaffenheit, Wasser, Wald, auch aus allen möglichen anderen Anzeichen, sogar dem Flug der Schwalben, ihre Schlüsse zu ziehen wissen.

Wir kommen jetzt zu zwei ausgesprochenen Sturm-Zugstraßen, die von den Minima zwar viel seltener als die bisher beschriebenen eingeschlagen werden, dafür aber in den meisten Fällen schwere westliche Stürme bedeuten.

Die eine dieser Zugstraßen geht von den Shetlandinseln nach Südosten über Süd-Schweden. Das Maximum liegt dabei meist über Süd-England und an unserer Nordseeküste wehen besonders starke Nordweststürme. Ein solcher Sturm verursachte 1895 eine Sturmflut an der Nordseeküste, die Verfasser in Cuxhaven zu beobachten Gelegenheit gehabt hat und die unter Kapitel „Sturmfluten“ näher behandelt werden soll.

Die zweite Straße geht von den Shetlandinseln direkt nach Osten, das entsprechende Maximum liegt über den Alpen oder südwestlich davon.

Eine solche Bahn zog annähernd der große Sturm vom 12. und 13. März 1906, nur lag das Maximum noch weiter südlich, nämlich über Spanien. Dieser Sturm gehört zu den gefährlichsten, die unsere Nordseeküste seit Jahrhunderten gesehen hat und dürfte dort noch in Jahrzehnten nicht vergessen sein.

Die Wetterkarten 4—6 im Anhang und Wetterberichte der Seewarte geben über den meteorologischen Teil, über Bahn und Verlauf des Sturmes, Aufschluss.

Seewarte, den 11. März 9 1/2 Uhr abends: Ganze Küste gewarnt. Gefahr stark auffrischender rechtsdrehender Winde, zunächst aus südlicher Richtung. — Signalball — (d. h. Atmosphärische Störung).

Den 12. März 8 Uhr morgens: Eine Depression, welche gestern westlich von Schottland lag, ist mit zunehmender Tiefe ostwärts nach dem Skagerrak fortgeschritten und verursacht im südöstlichen Nordseegebiet vielfach Südweststurm. Am höchsten ist der Luftdruck über Südeuropa.

9 3/4 Uhr morgens: Ostsee gewarnt. Gefahr stürmischer rechtsdrehender Winde; Signal „Südweststurm“.

11 Uhr morgens: Nordsee gewarnt. Signal „Nordweststurm“.

Den 13. März 8 Uhr morgens: Das Minimum, welches gestern über dem Skagerrak lag, ist nordostwärts nach dem Bottnischen Busen fortgeschritten, während ein Hochdruckgebiet über Südwesteuropa erschienen ist. Eine neue Depression naht westlich von Irland.

4 ½ Uhr nachmittags: Ganze Küste Warnung verlängert. Gefahr stark böiger Winde aus westlichen Richtungen.

Den 14. März 8 Uhr morgens: An der deutschen Küste ist das Wetter ruhiger geworden usw.

Wie genau sich die Wirklichkeit mit der Theorie bei diesem Beispiel deckt, geht aus nachstehender kleinen Zusammenstellung von Beobachtungen an 5 verschiedenen Orten, die ungefähr in ost-westlicher Richtung zu einander liegen, hervor. Die eingetragenen Zahlen bedeuten dabei die ganzen Windstärken nach der Beaufortschen Skala.

Zusammenstellung von Beobachtungen an 5 verschiedenen Orten

Liest man in der Zusammenstellung die Rubriken von oben nach unten, so sieht man, wie sich der Sturm an den einzelnen Orten, nur zu verschiedenen Zeiten, fast gleichartig und zwar in der eingangs beschriebenen Weise abgespielt hat; das Außerordentliche an ihm war eigentlich nur die lange Dauer.

Liest man die Rubriken von links nach rechts, so wird ersichtlich, wie die Windrichtungen, genau der Theorie entsprechend, je nach der Lage des Ortes zum Minimum von einander verschieden sind, so dass man hieraus sogar den Standort des Minimum zu den betreffenden Zeiten würde bestimmen können. Über die Gefährlichkeit und die Verheerungen, die gerade dieser Sturm an den Küsten angerichtet hat, ist unter „Sturmfluten“ das Nähere angeführt.

Ließ sich in den bisher dargestellten Eigenschaften der Minima und Maxima und ihrer Zugstraßen auf Grund vieljähriger Beobachtungen noch eine gewisse Gesetzmäßigkeit erkennen, so wird dies völlig unmöglich bei ihren Begleiterscheinungen, den sogenannten Teilminima, die auf Verlauf und Dauer der Stürme von größtem Einfluss sind.

Hiermit hat es folgende Bewandtnis: Teilminima erscheinen im Gefolge und Bereich der großen Minima. — Sie trennen sich entweder von demselben ab oder sie entstehen in seinem Rücken und schreiten häufig weit schneller fort als das eigentliche Minimum. Es kommt auch häufig vor, dass, während sich das Hauptminimum allmählich verflacht, das Teilminimum rasch an Tiefe zunimmt und auf diese Weise ein Wiederauffrischen des Sturmes oder ein Zurückdrehen desselben verursacht. — Ersteres, das Wiederauffrischen, geschieht meist, wenn das Hauptminimum bereits nordöstlich von uns steht, seine Richtung zu uns also sich nicht mehr ändert. Der bestehende Nordweststurm weht dann nur um so anhaltender.

Das Zurückdrehen des Windes tritt ein, wenn sich Teilminima bilden, solange das Minimum noch nordwestlich oder nördlich von uns steht. Die dadurch verursachte Änderung des Wetters dürfte den meisten Lesern, wenn auch ohne den Zusammenhang zu kennen, schon häufig aufgefallen sein: „Der Himmel, der sich bereits etwas aufgeklärt hatte, bezieht sich wiederum mit dunklen Regenwolken und der Regen beginnt von neuem; der Sturm oder der stürmische Wind geht von Nordwest wieder mehr nach West oder von West nach Südwest zurück, hierbei an Stärke wieder zunehmend.“ Der Seemann hat für diese Erscheinung den Ausdruck „Krimpen des Windes.“

Ein vorzüglicher und untrüglicher Anzeiger des Vorgangs ist das Barometer, das beim kleinsten Zurückspringen des Windes auch wieder zu fallen beginnt. Für unsere Nordseeküste bedeuten die Teilminima eine unheimliche Verstärkung und Verlängerung von Sturm und Sturmfluten, denen der Untergang eines großen Teils der Küste zuzuschreiben ist.

Mit den bisher aufgeführten Sturmbahnen hatten wir es immer nur mit Stürmen zu tun, bei denen das Minimum nördlich von uns vorbeizieht. Völlig anders gestaltet sich das Bild, wenn der weit seltenere Fall eintritt, dass das Minimum südlich von uns passiert. Das Maximum liegt dann meist nördlich und wir haben östliche und nordöstliche Winde.

Eine merkwürdige, zwar ebenfalls seltene, aber dafür umso gefährlichere Zugstraße für das Binnenland und für die westliche Ostsee geht vom Adriatischen Meer nach dem Finnischen Meerbusen quer durch das östliche Deutschland. Die Minima dieser Straße kommen meist im Winter und Frühjahr vor und verursachen für das östliche Deutschland häufig schwere Schneestürme und für die westliche Ostsee bei längerer Dauer Sturmfluten. Ein derartiger sturmartiger Wind, vom 23. März 1906, ist unter „Sturmfluten" beschrieben.

Wir hatten bis jetzt wohl die Stürme und ihre Sturmbahnen, aber ihren eigentlichen inneren Kern, das Zentrum, noch nicht besprochen; es hat auch nur wenig Interessantes an sich und können wir uns deshalb kurzfassen:

Im Zentrum, das sich bei den bei uns vorkommenden Minima auf ziemlich große Gebiete erstrecken kann, ist das Wetter meist unbeständig; am häufigsten ist hier Windstille und Regen. — Hat das Zentrum einen Ort passiert, so wehen alsbald über diesem die entgegengesetzten Winde als auf der anderen Seite und das Barometer beginnt zu steigen, je mehr sich das Zentrum entfernt. Diese Erscheinung tritt bei uns meist nicht scharf zu Tage; anders ist es bei den Depressionen in den Tropen, den Tornados, Zyklonen und Taifunen, die sich über viel kleinere Gebiete erstrecken, dafür aber umso heftiger wehen. Bei diesen hört der orkanartige Sturm plötzlich auf, es tritt absolute Windstille ein bei furchtbar ungleichmäßiger See und wolkenbruchartigem Regen bis ebenso plötzlich, aber aus entgegengesetzter Richtung, der Orkan von neuem anhebt. Über die Häufigkeit der Stürme sagt uns die Statistik Folgendes:

Die stürmischste Zeit im Jahr ist der Winter; erst mit dem Monat April beginnt überall eine bedeutende Abnahme der stürmischen Winde, um erst im Oktober wieder in stärkerem Maße zuzunehmen. Auf das ganze Jahr bezogen, entfallen von allen Winden verschiedener Stärke 41% auf die leichten und 24% auf die mäßigen, 3% auf die stürmischen Winde und nur 1/2% auf die eigentlichen schweren Stürme. Für die einzelnen Orte weichen diese Zahlen mehr oder weniger voneinander ab. So ist nach dem Segelhandbuch für die Nordsee im Juli auf Borkum an 2,8 Tagen stürmisches Wetter von Windstärke 8 und darüber, in Sylt nur an einem Tag; noch größer ist der Unterschied im Monat August, in dem auf Borkum an 4,2 Tagen, auf Sylt an 1,1 Tagen stürmische Winde wehen.

Ähnlich bedeutend sind die Unterschiede an den verschiedenen Orten der Ostseeküste. Hier wehen auf der Halbinsel Heia am häufigsten stürmische Winde, dann kommt die Nordspitze von Rügen, während die ganze übrige Küste kaum die Hälfte der stürmischen Winde von Hela aufzuweisen hat.

Nach einer anderen Berechnung in dem Handbuch der Meteorologie von v. Bebber wehen Stürme über Windstärke 8
im Juli August Januar
auf Sylt an 2 Tagen an 2 Tagen an 4 Tagen
in Swinemünde an 1 Tagen an 2 Tagen an 4 Tagen
Memel an 1 Tagen an 2 Tagen an 5 Tagen

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und See. Unser Klima und Wetter