Die Ostseeküste.

Zu dem großen Senkungsgebiet, das im vorigen Abschnitt erwähnt wurde, gehört auch unsere Ostseeküste. Wir haben hierfür, insbesondere für die ostpreußische Küste, ebenso unzweifelhafte Beweise wie für die Nordseeküste. Zunächst haben die Bernsteinfunde als solche zu gelten, dann aber trifft man auch hier auf Baumwurzeln an Stellen, die jetzt unter Wasser oder so niedrig sind, dass die Bäume unmöglich bei diesem Niveau haben gedeihen können. Ähnliche Erscheinungen werden in Südschweden beobachtet, so befindet sich in Malmö unter dem jetzigen Straßenpflaster ein zweites, das jetzt mehrere Fuß unter dem Meeresspiegel liegen würde. — Ob ein Sinken der Küste auch noch in der Jetztzeit stattfindet, ist nicht mit Sicherheit nachzuweisen. Von der ostpreußischen Küste wird es vielfach bejaht, von der mecklenburgischen und pommerschen Küste verneint.

Sturmfluten haben an der Zerstörung der Küste nur geringen Anteil, dennoch weichen die steilen Ufer alljährlich um ein Geringes zurück, hauptsächlich durch Abbröckelung infolge von Brandung, Wind und Wetter. An den meist gefährdeten Stellen wie Arkona auf Rügen wird die Abnahme auf etwa 0,2 m im Jahre geschätzt. An der pommerschen Küste ist sie geringer, da die Dünen immer wieder von neuem von angespültem Meeressand gespeist werden und durch diese von Wind und Wellen zugetragenen Sandmassen auch das dahinterliegende Land erhöht wird; das allmähliche Versinken der Küsten, falls es auch jetzt stattfindet, wird dadurch zum Teil wieder aufgehoben. — Im Allgemeinen kann man auch von der Ostseeküste, ebenso wie von der der Nordsee, sagen, dass das Meer an einer Stelle wieder anschwemmt, was es von einer andern abgetragen hat und zwar ist dies umso mehr der Fall, wo der Mensch durch Dämme und Buhnen der Landbildung nachhilft wie z. B. bei Swinemünde, das zum Teil auf früherem Meeresboden steht und an dessen Ufer durch die weit in die See hineingebauten Molen immer weitere Anlandung stattfindet.


Über die fernere Vergangenheit unserer Ostseeküste schwebt ein noch tieferes Dunkel wie über die der Nordsee, die geschichtlichen Überlieferungen sind noch ungenauer und zweifelhafter als über jene. Es wird zwar behauptet, dass die Phönizier bereits in der Ostsee gewesen sind, um von dort den Bernstein zu holen, einen sicheren Anhalt dafür gibt uns aber die Geschichte nichts ebenso wenig wie es mit Sicherheit erwiesen ist, dass die Römer dort gewesen sind.

Pytheus schreibt von einem germanischen Volke, den Guttones, das an den Ufern einer Bai, Mentonomon genannt, wohnte und von wo in der Entfernung einer Tagesschifffahrt die Insel Balthia läge, an deren Küste der Bernstein gefunden würde. Man hat unter der Bai das Kurische Haff und unter der Insel die Kurische Nehrung verstehen wollen, der Name Guttones soll sich entweder mit den damals die Ostseeküste bewohnenden Goten oder auch mit dem alten preußischen Volksstamme der Goden decken; in neuerer Zeit ist man jedoch von dieser Annahme abgekommen und verlegt die von Pytheus beschriebenen Gegenden nach Jütland.

Plinius und Tacitus machen keine genaueren Angaben über Küste und Bewohner; Letzterer spricht von den Ostbewohnern, welche den Bernstein sammeln und hat man diese Bezeichnung mit den Esthen in Verbindung gebracht. Ein anderer römischer Schriftsteller Ptolemaeus spricht von dem Meerbusen Veneta, womit man das frische Haff gemeint wissen will, ferner von Flüssen, die sich gen Osten in das Meer ergießen; einem derselben gab er den Namen Fistula, der auf die Weichsel bezogen wird.

Von den früheren Bewohnern der Küste nimmt man an, dass die Ureinwohner wahrscheinlich finnischen Ursprungs waren, die dann von Germanen und Slaven nach Norden abgedrängt worden sind. Kurz vor unserer Zeitrechnung bewohnten die Teutonen den westlichen Teil, die Goten den östlichen Teil unserer Küste, östlich von diesen saßen die Oestier, die jetzigen Esthen. In der Völkerwanderung wurden die germanischen Volksstämme, soweit sie nicht vorher nach Süden gewandert waren, von den Slaven verdrängt; von diesen sind die Obotriten in Mecklenburg, die Liutizen und Wilzen in Pommern, die Kassuben in Pommern und Westpreußen am meisten in der Geschichte genannt. Tacitus unterscheidet übrigens die slavischen Volksstämme bereits sehr scharf von den Germanen nicht allein durch ihre Sprache und Gestalt, sondern durch ihren Schmutz und durch ihre dumpfe Trägheit. — Im Allgemeinen sind die Bewohner der Ostseeküste nicht so sesshaft gewesen wie die der Nordseeküste, vielleicht weil ihnen der Kampf um Leben und Eigentum gegen das ewig drohende Meer erspart geblieben ist und damit die Hochschätzung und Liebe zur heimatlichen Scholle, die die Friesen in so hohem Maße besitzen. — Wir verlassen jetzt dies unsichere, von den Gelehrten viel umstrittene Gebiet und wollen nunmehr einen Blick auf die Formation der Ostseeküste und ihre charakteristischen Unterschiede von der der Nordsee werfen.

Während der Friese die Küste seines Landes durch Deichbauten gegen die Fluten verteidigen muss, hat die gütige Natur an der Ostsee, wo sie das nötige Baumaterial zur Verfügung hat, sich selbst daran gemacht, das Land vor dem Meere zu schützen und zwar durch Aufbauen von Dünen. Dies Baumaterial ist der Sand und der hervorstehendste Zug der Ostseeküste ist daher die Düne, über deren Entstehen und Vergehen hier einige Daten angegeben werden sollen.

Der Sand wird von den Wellen bei auflandigem Wind auf dem flach ansteigenden Meeresboden aufgerührt, an das Ufer getrieben und hier abgesetzt, wo er bei niedrigem Wasserstande trocknet und vom Winde zu Sandhügeln, den Dünen, zusammengetrieben wird. Den ersten Halt gibt dabei vielleicht ein kleines Hindernis, das möglicherweise nur in einem Büschel Sandhafer besteht, über dem sich dann Dünenberge von 10, 30 ja 60 m Höhe auftürmen können. — Die Dünen sind ewigen Wechsel unterworfen, denn der feine Sand wird weiter geweht^ die Düne wandert und hinter ihr entsteht eine zweite und dritte Düne; von diesen wandernden Dünen ist schon manches Dorf trotz aller möglichen Verteidigungsmittel, die der Mensch gegen sie angewendet, begraben worden. Ihr Fortschreiten findet naturgemäß in Richtung der Hauptwinde statt und da dies die westlichen sind, so kommen Wanderdünen hauptsächlich an der in nordöstlicher Richtung sich hinziehenden Küste östlich von Swinemünde und auf den Nehrungen vor; auf der Kurischen Nehrung erreichen sie eine Höhe von 50 — 60 m. Dass es gegen solche, wenn auch nur ganz langsam, so doch mit elementarer Gewalt herankommenden Berge keinen Widerstand gibt, ist klar. Auf der Kurischen Nehrung haben die Dünen ihren gefährlichen Charakter übrigens erst seit dem siebenjährigen Kriege angenommen. Das Land stand damals für kurze Zeit unter russischer Herrschaft und die Russen taten ihm das Schlimmste an, was sie überhaupt tun konnten, sie holzten die Wälder ab, ermöglichten damit die großen Dünenbildungen und verwüsteten auf diese Weise das Land für viele Jahrzehnte; erst jetzt gelingt es allmählich, die Dünen dort wieder zu binden. — Die Dünen der Nehrungen üben noch eine besondere Wirkung aus, ihr Sand wird zum Teil in das frische resp. Kurische Haff hineingeweht und trägt auf diese Weise zur Verflachung und Verkleinerung derselben bei.

Den Küsten gewähren die Dünen einen vorzüglichen Schutz gegen Sturmfluten und auch aus diesem Grunde sucht man sie mit allen Mitteln am Strande festzuhalten und, wo nötig, neue zu schaffen; ersteres geschieht durch Bepflanzen mit Sandhafer und anderen Strandpflanzen, letzteres durch Anlegen von Faschinenzäunen zum Festhalten des Sandes. Die Notwendigkeit solcher künstlichen Dünenbildungen als Schutzwall ist übrigens an der Ostseeküste weit geringer als an der Nordsee, wo Dünenbildungen in größerem Umfange nur an der jütischen Küste und auf den Inseln vorkommen. Im Allgemeinen gilt der Satz, dass unsere Ostseeküste mit ihren Dünen vorzügliche natürliche Schutzmittel gegen nur unbedeutende Sturmfluten, die Nordseeküste hingegen nur unbedeutende natürliche Schutzmittel gegen die schwersten Sturmfluten aufzuweisen haben.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Land und See. Unser Klima und Wetter