II. Von der 1238 angegebenen Erbauung der Stadt.

Es geht unserm Wismar, wie es mehreren Städten zu gehen pflegt, von deren Erbauungszeit oder Jahr man keine genugsame Nachricht hat. Einige machen dergleichen Orte älter als sie sind, andere dagegen geben sie viel jünger an. Gewiß, wo man einigen Beifall denjenigen geben will, welche sagen, Wismar sei eines von den Marionibus Ptolomaei, so wird man auch bekennen müssen, Wismar sei wohl schon vor Christi Geburt erbaut gewesen. Doch diese Meinung, wie scheinbar sie auch dargestellt werden kann, ist noch nicht genugsam erwiesen. Wie wenn man sagte, Ptolomaei Mariones bedeute in der That so viel als Meerbewohner oder Leute, die allhier am Meere gewohnt, und habe Ptolomäus, wie er sonst mehr gethan, von Völkern Städte gemacht, und zwar von denen, die in Pommern und weiter hinaus gewohnt, die eine; von den aber, die in Mecklenburg und weiter gegen Abend, die andere.

Ein in der Mecklenburgischen Geschichte vor vielen anderen besonders geübter werther Gönner machte unser Wismar eben so alt, aber aus einem ganz anderen Grunde. Nemlich er läßt sich in einem besonderen Manuscripte folgendermaßen aus. Die sonderbare und ansinnige Größe der Stadt Mecklenburg bringt uns auf den Gedanken, daß das alte Wismar eben ein merklicher Theil, ja der Hafen der großen königl. Stadt Mecklenburg gewesen sei, und daß die Ehre dieser hochberühmten Reichsstadt (der Vandalier) diesem Ueberbleibsel oder diesem übergebliebenen Theil mit allem Fuge zuzuschreiben sei. Er fährt fort und bringt verschiedene Einwürfe bei, die wider diese Meinung etwa könnten gemacht werden, als: 1) Wo man die Gärten, Wiesen, Weiden und Aecker, welche beide Städte (Mecklenburg und Wismar) doch wohl hätten haben müssen, hinsetzen wollte; 2) es sei nicht glaublich, daß ein Herr zwei solche mächtige Städte, als Mecklenburg und Wismar gewesen, nur einen Schritt von einander hätte bauen sollen; 3) kömmt er auf den schönen Hafen und erinnert, es würden verschiedene Absurditäten herauskommen, wenn man sagen wollte, bei einem mächtigen Mecklenburg habe ein mächtiges Wismar gestanden. Demnach sei es kaum glaublich, daß Wismar vor Mecklenburgs Untergang erbaut worden sei. Doch dem allen ungeachtet, gesteht er von neuem: der Gedanke, Wismar sei ein Theil der Stadt Mecklenburg, wäre ihm eingefallen, und er habe hernach bei dem sel. Hrn. Bürgermeister Voigten in Epistola ad Schabbellium, desgleichen bei dem sogen. Liborino im Wismarischen Friedens-Wechsel eben dergleichen wahrgenommen. Deswegen sei er auch bei seinen Gedanken geblieben etc. Nach diesem allen heißt es cap. 5.: auf diese Art (wenn man sagt, Wismar sei ein Theil der alten Stadt Mecklenburg gewesen) ist sie älter, als wenn sie von Wismario erbaut worden wäre, mit einem Wort, so alt als die alte große Stadt Mecklenburg selbst, welche nach Latomi Meinung über 300 Jahr vor Christi Geburt von Anthprio schon soll erbaut worden sein.


Man stimmt dem Hr. Autor darin gerne bei, daß Wismar als ein Theil der alten Stadt Mecklenburg anzusehen sei. Aber man weiß doch nicht, ob sie deswegen eben so alt sein müsse, als Mecklenburg. Man hält dafür, die alte Stadt Mecklenburg sei nach und nach größer geworden. Noch diesen Tag kann eine Stadt größer werden, oder einen ansehnlichen Zusatz erhalten, die sonst wohl schon länger als 1000 Jahr gestanden. Eben das hat in alten Zeiten mit Mecklenburg auch füglich geschehen können.

Jedoch, es fragt sich jetzt besonders, was von der Meinung derer zu halten sei, die da sagen wollen, daß Wismar 1238 zuerst erbaut worden sei; so viel man weiß, ist Erantzius der erste, der dieses geschrieben hat. Doch dieses mit fast seltsamen Worten. Es ist seltsam: 1) Daß Crantzius sagt, Guncellinus, der seiner Meinung nach Wismar zuerst erbaute, sei nach seinem Vater genannt; in Hederichs Stamm-Baum der Grafen von Schwerin heißt der Vater des wismarischen Guncellini (wo man ihn so nennen mag) nicht Guncellinus sondern Henricus I.; 2) daß er hinzusetzt, es sei Guncellini Vater seiner Verdienste wegen von Heinrich dem Löwen mit der Grafschaft begnadigt worden. Es soll sein Großvater heißen; 3) daß er melden will: Guncellinus habe gesehen, daß die Stadt Mecklenburg mit keiner Mauer oder Wall umgeben war. Was ging den Grafen von Schwerin, besonders 1238, die Stadt Mecklenburg an? ist denn Mecklenburg nicht vorher schon befestigt gewesen? kann man beweisen, daß Wismar, als es von Guncellino erbaut wurde, sogleich von demselben mit einer Mauer umgeben worden ist? das Gegentheil wird sich unten finden; 4) ist es seltsam, daß Crantzius sonst so zweifelhaft von diesen Händeln redet; z. B.: ich weiß nicht, woher sie den Namen bekommen.....ich habe wohl von andern gehört, Wismar sei ein Wendischer Name, und kann vielleicht ein adeliger Mann da gewohnt und ihr diesen Namen gegeben haben.

Doch wenn man auch dieses alles an die Seite setzt, so möchte man wohl fragen: Woher denn Crantzius diese seine ganze Relation genommen? Wenn Mareschallus, indem er von der Erbauung der Stadt Wismar redet, sich auf alte Autoren bezieht, so findet er keinen Beifall, man lacht ihn nur aus; wenn Crantzius auf nichts sich bezieht, so glaubet man ihm, so ungleich verfährt man mit einerlei Leuten.

Kurz Latomus hat Crantzii Nachricht schon verworfen, und zwar aus folgenden Gründen: 1) weil man in den Schriften der Stadt Wismar nicht das geringste von Guncellino und dessen Erbauung findet; 2) weil Wismar niemals weder zur Schwerinischen Grafschaft noch Bisthum gehört; 3) weil zu der Zeit, da Guncellinus Wismar soll erbaut haben, vier Herren zu Mecklenburg lebten, die den Bau nimmer würden zugegeben haben, aus einer noch vorhandenen heimlichen Feindschaft gegen den Grafen zu Schwerin; 4) weil 10 Jahre vorher, nemlich 1228, Johann Theol. dem Hospital zu St. Jakob vor Wismar schon ein Stück Landes verehrte; 5) weil 27 Jahre vorher, nemlich 1211, Kaiser Otto IV. den Bürgern Schwerins in den Wismanschen Hafen zu schiffen, schon erlaubte, oder derselben dortiges Privilegium confirmirte.

Wie Latomus es mit Crantzii Nachricht gemacht hat, so auch Chemnit. in Chron. M., der außer den Gründen Latomi noch folgendes hinzufügt: 1) daß 975 Kaiser Otto I. und die Gesandten des Königs von Dänemark in Wismar schon eine Zusammenkunft gehalten haben; 2) daß Hinrich der Löwe schon 1171 den Schwerinern in den Wismanschen Hafen zu schiffen erlaubte; 3) daß Henricus Burevinus, der Großvater Johannes Theol., die zerstörte Stadt Wismar schon wieder zu erbauen angefangen hat; 4) daß 1230 zwischen Johann Theol. und Graf Guncelin schon ein Vergleich aufgerichtet wurde, in welchem etwas vom Einreiten in Wismar enthalten ist; 5) daß Bischof Ludolphus zu Ratzeburg, welcher von 1236-1250 dem Bisthume vorstund, dem Kloster-Probst zu Rhena in einem Brief die Aufsicht über die Kirchen, welche in Wismar entweder schon erbaut oder noch erbaut werden möchten, schon vorher aufgetragen. Durch so vielfältige Gründe möchte man wohl bewogen werden, diesen Männern beizupflichten und Crantzii Meinung fahren zu lassen.

Doch es ist sonst noch etwas vorhanden, das einen dazu vollkommen bewegen kann: nemlich ein besonderer Brief, der in des Hrn. Rethmeyers Beilagen zu seiner Braunschweigischen Kirchen-Historie zu lesen ist. Dieser Brief ist 1283 in Wismar selbst geschrieben, und bis 1707, wo er zuerst gedruckt, in Lüneburg aufgehoben worden. Er ist im Namen eines Wismarischen Abtes und eines ganzen Convents geschrieben, und verdient demnach um so mehr Glauben. Es heißt auch in der Unterschrift desselben, welches zugleich wohl zu merken ist, nicht prope, ante oder extra Wismariam, sondern in Wismaria. Am allermeisten aber ist in Sicht zu nehmen, daß in diesem Briefe nicht Sachen vorkommen, die erstlich 1283, da der Brief geschrieben, alleine oder vornehmlich geschehen, sondern die schon vor Zeiten vorgegangen, nemlich circa 1180 zur Zeit Heinrich des Löwen und Heinrich, Bischof von Lübeck. Kurz man sieht aus dem Briefe, daß dieser Bischof im oben gedachten Jahre das Kloster in Wismar, in dessen Namen der Brief geschrieben, gestiftet, und mit etwas von dem heiligen Blute, so Heinrich, der Löwe, aus Griechenland mitgebracht, beschenkte etc. Man kann nicht begreifen, daß nach jetztgedachtem unverwerflichen Brief eines ganzen Wismarischen Convents in eben dem Wismar, welches 1283 gestanden, circa 1180 schon ein Kloster gründete, dasselbe 1238 hat können wieder, geschweige zuerst erbaut worden sein, sondern man muß dafür halten, daß Wismar schon vorher gestanden habe.

Aus eben demselben Briefe des Wismarischen Convents kann man urtheilen, was von Kochs, Latomi und anderen Nachrichten zu halten sei, wenn selbe sagen wollen, Wismar sei vor 1238 ein großes Dorf gewesen, das weiter in Osten gelegen, weil, da die große Stadt Mecklenburg noch in Flor gewesen, so nahe dabei keine Stadt habe gebaut werden können. Nemlich dies letzte, heißt so viel als nichts, weil man ja nicht läugnen kann, daß noch jetzt, wenn andere Umstände es leiden wollen, sowohl gegen Osten als gegen Westen, wo nicht eine neue Stadt erbaut, doch ein gut Theil an Wismar angebaut werden könnte; das erste aber, Wismar sei vor 1238 ein großes Dorf gewesen, ist daher gar nicht glaublich, weil das circa 1180 in Wismar gegründete Kloster 1283 noch in Wismar, nicht aber neben oder vor Wismar gestanden. Nebenbei ist zu wissen, daß außer mehr gedachtem Kloster eine noch ältere Kirche in Wismar gefunden worden, welche in alten Urkunden Templum antiquae Wismariae genannt wird, welches, wenn man es recht bedenkt, und dann dasjenige mit überlegt, was von einem 1230 wegen Wismar und dem Einlager in demselben aufgerichteten Vergleich, des gleichen von einem 1228 dem St. Jakobs-Hof oder Hospital von Wismar geschenkten Stück Acker beigebracht, so wird man freilich sagen müssen, Wismar sei circa 1180 nicht ein Dorf, sondern, schon eine Stadt gewesen (denn wer hat damals in einem Dorfe zwei Kirchen gebaut), nun aber ist es nicht erweisbar, daß nach 1180 eine Zerstörung dieser Stadt sich ereignete, deswegen ist es auch gar nicht glaublich, daß Wismar vor 1238 ein großes Dorf war, ist es aber damals kein Dorf, sondern wirklich eine Stadt gewesen, so thut man unrecht, wenn man sagen will, die Stadt Wismar sei 1238 und zwar von Gunzellin, Grafen zu Schwerin zuerst oder auch wieder erbaut.

E ist indessen noch eines im Wege, welches nicht zu vergessen ist, nemlich eine gewisse Denkschrift in einem Fenster des hiesigen Rathhauses; in diesem Fenster steht das Wappen der Stadt und unter demselben die Worte: Insignia Vandalicae Urbis, civitatis Wismariae prirno quidem a Visimaro Vandalorum Rege fundatae postea vero per Guncelinum comitem Syerinensem confirmatae et in urbis formam redactae 1238. Wieviel Chemnitz von dieser Denkschrift gemacht, das erhellt aus seiner Chronico Magno, und man kann eben nicht in Abrede stellen, daß man dasselbe als etwas Unverwerfliches angesehen habe. Aber ein jetzt seliger Greifswaldischer Polyhistor ließ sich dagegen 1708 in einem geehrten Schreiben folgendermaßen vernehmen: Sollte das Fenster, wie ich vermuthe, höchstens nicht über 100 Jahr alt sein, so würde es schwerlich zum Beweis einer vor mehr als 1000 Jahre vorher geschehenen Sache, wohl aber zum monumento popularis opinionis ejus seculi, quo verba ista vitro inscripta sunt, dienen können. Dieß könnte Gelegenheit geben, nachzufragen, wie alt die Fenster wohl wären? und die Antwort war: die Fenster wären damals etwa nur vor 8 Jahren von einem unsinnigen Menschen eingeschlagen worden, und es hätten also um diese Zeit wieder neue eingesetzt werden müssen. Indessen wären die jetzigen ganz accurat nach den vorigen gemacht worden, weil Jemand einen völligen Abriß in Händen gehabt hat. Wann die alten Fenster, in welchen die Schrift gestanden, hinein gesetzt wurden, das könnte man nicht wissen. Man hat indessen bemerkt, daß schon Latomus in Geneal. 1238 dieser Fensterschrift Erwähnung thut, und also muß zum wenigsten 1610 (denn damals hat Latomus sein Geneal. schon fertig gehabt) schon etwas in dem Fenster von dergleichen gestanden sein. Doch es ist bei dem allen (ehr bedenklich, daß Latomus weiter nichts von dieser Schrift anführt, als die folgenden Worte: Haec civitas condita est a Wisimaro. Es ist bedenklich, daß sie bei Chemnitz auch anders lauten, als oben aus den Fenstern sie selbst abgeschrieben. Es ist bedenklich, daß die Buchstaben nicht nach der alten, sondern nach der neuen Schreibart gemacht sind, da doch versichert werden will, daß das jetzige nach dem vorigen ganz genau erneuert wurde. Man hat demnach bis diese Stunde nicht finden können, was demjenigen so de monumento popularis opinionis geschrieben, hätte können geantwortet werden, womit man aber Niemanden will zu nahe geredet haben.

Es fragt sich zuletzt, ob denn 1238 gar nichts geschehen, und man denn des Grafen Gunzellin gar nicht gedenken solle? Antwort: nach dem geschriebenen Stammbaum der Grafen zu Schwerin, welchen man dem Fleiße Hederichs zu danken hat, mag man sagen, 1238 hat Graf Gunzellin Wismar nicht wieder erbaut, vielweniger zuerst erbaut, sondern Johann der Theologe erweitern helfen. Ziemlich Johann, der Theologe, welchen 1238 Mecklenburg und demnach auch Wismar als ein Theil desselben zugehörte, wußte, wie man nicht lange vorher in Pommern mit Golnow, Anklam, Ueckermünde, Freienwalde, Rügenwalde, Dam, Grimm, Stralsund, Greifenhagen, Greifswalde etc. verfuhr, indem man diese Oerter entweder neu oder weiter erbaute, und mochte wohl schon früher daran gedacht haben, es mit Wismar ebenso zu machen. Was geschah? Gunzellin heirathete die Schwester des Theologen Johannes, und damit hatte er gute Gelegenheit, sich oftmals in Mecklenburg ja in Wismar selbst aufzuhalten, dies gab jedoch keinen Anlaß zur Erbauung, sondern nur zur Eweiterung der Stadt, was auch sogleich geschah. Bei dieser Arbeit that Johann, der Theologe, als Bauherr wirklich viel, so auch der Graf Gunzellin, aber nur als Gehülfe. Ob dieser Gehülfe dem rechten Bau- oder Erweiterungs-Herrn nicht einige Vorschläge zu der Erweiterung gegeben und sich auch geschäftiger erwiesen, als der andere, der doch wohl mehr vom stillen Leben und vom Studiren, als vom Bauen und Erweitern gehalten, das ist eine andere Frage. Genug der Bau, welcher 1238 vorgenommen, ist nur eine Erweiterung nicht aber eine Wiedererbauung oder gar eine Neuerbauung gewesen. Und zwar nach der Westseite hinaus, vermuthlich von der Gasse, welche noch heute die Neu-Stadt heißt, bis an das Lübsche Thor, wogegen an der Ostseite etwa schon 1160 fast eben so viel, wo nicht noch mehr, bereits eingegangen, wie die vor etlichen Jahren in der Erde gefundenen alten Ueberreste vormaliger Gebäude mit mehreren bekräftigen können. Und soviel von der 1238 angegebenen Erbauung der Stadt Wismar, wobei man das so man von Gunzellin und seinen betrüglichen Vorstellungen, die er Johann, dem Theologen, indem er Wismar bauen, ja sich desselben bemächtigen wollte, gethan, an einen Ort gefunden, nicht einmal mit berühren mag, weil man ohnedem in diesem Punkte bereits weitläufiger sich abgegeben, als man zu thun gesonnen gewesen.

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kurze Beschreibung der Stadt und Herrschaft Wismar