7. Weltgeschichte vom psychoanalytischen Standpunkt (1917)

Gott, ein typischer Neurotiker und schwerer Psychopath, schuf die Welt, um seine Komplexe abzureagieren. Die Tatsache, dass er keinen Vater und keine Mutter besitzt, lässt ihn von der Autoerotik nicht loskommen. Er krankt am nicht fixierten Ödipuskomplex. Verzweifelt und voll infantiler Regungen versucht er, sich eine Imago patris zu konstruieren. Adam, sein Geschöpf, sein Sohn — wird sein erster Vater. Eva, sein Geschöpf, seine Tochter — deutet er (hoffnungsvoll) sich als Mutter. In Gestalt der Schlange treibt er mit ihr symbolischen Inzest und vertreibt, nachdem er selbst vom Baum der (Selbst)erkenntnis gekostet, Vater und Mutter, Adam und Eva, aus dem Paradiese seiner Autoerotik — Adam stirbt, d. h. sein Gefühl für ihn. Sein Ödipuskomplex schafft neue Väter: Noah. Manche werden Hunderte von Jahren alt. Am ältesten: Methusalem, an dem er neunhundert Jahre liebend leidet. Es gelang ihm nicht, sich einen ewigen Vater zu schaffen — die Ewigkeit zu überewigen. Sämtliche Mängel der Schöpfung datieren von Gottes Unerlöstheit (vielleicht Unerlösbarkeit? Vielleicht können nur wir Menschen erlöst, d. h. analysiert werden?) — von der Verdrängung seiner zahlreichen Komplexe. Der heutige Krieg ist ein neues sichtbares Zeichen, dass Gottes Kreatur, die Menschheit, an einer Fülle von Komplexen leidet und Gefühle verdrängt, die sie auf gewaltsame explosive Art abzureagieren trachtet.

Das Ultimatum Österreichs an Serbien deutet auf symbolische Analerotik (siehe „Götz von Berlichingen“ . . ). Hindenburg, als gewiegter Psychoanalytiker, versucht Russland von seinem Ödipuskomplex („dem Väterchen [!] Zaren“) zu befreien. Da er aber selbst nicht genügend analysiert und von seinem Vaterkomplex (der „Kaiser“ vertritt bei ihm die Stelle des Vaters) befreit war, mußte das Experiment misslingen und in der Kur(land)pfuscherei ausarten. Russland zerfiel in viele Teilkomplexe.


Das Verhältnis von Deutschland und Frankreich lässt schon im Symbol der Namengebung: Michel und Marianne, auf einen typischen Geschwister komplex schließen. Der gegenseitige Hass basiert auf verdrängter Liebe. Da sie sich vom Standpunkt ihres Komplexes aus ethisch nicht lieben dürfen, findet von Zeit zu Zeit seitens des männlichen Teiles (Michel = Deutschland) eine Vergewaltigung des weiblichen Teiles (Marianne = Frankreich) statt.

Es braucht nicht näher ausgemalt zu werden, als was für Symbole die Waffen: die Lanzen, die Gewehre, die Kanonen, zu gelten haben.

Der Weltkrieg kann nur verstanden werden als eine Betätigung der perversen Sexualität Europas.

Die Eroberung und Befreiung der Meere, von der England und Deutschland träumen, erweist sich als eine ins Ungeheuer liebste gesteigerte Urethralerotik. Die Verschiebung der Grenzen bedeutet nur eine Verschiebung von Affekten.

Auf diese Formel lässt sich der Weltkrieg bringen: Die Menschheit ödipussiert.

Fort mit der Schulpsychologie — da doch die Buhlpsychologie erst in die tiefsten Tiefen der Menschenseele zu leuchten berufen ist. Sie leuchtet uns gleichsam heim: in unsere wahre Heimat, den infantilen Infantilismus. Herrschsüchtige Infanten sind wir vor ihr.

Dr. Jaroslaw Prahas „Weltgeschichte vom psychoanalytischen Standpunkt'^ (Wien, 1918, bei Hugo Heller) ist auf das dringendste einem jeden Europathen (und wer wäre das nicht — da Gott selbst Europath?) zu empfehlen.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kunterbuntergang des Abendlandes