Zwickau, den 10ten Juli 1839

Die Reise nach Chemnitz war ungeachtet des kalten Wetters für mich doch recht unterhaltend. Die grünen, herrlich stehenden Saaten in dem auf das fleißigste angebauten Gebirge erfrischten das Auge und erfreuten als ein Bild des Segens auch innerlich. Einen malerisch imposanten Eindruck aber machte das Schloss Augustenburg, welches einen steilen Berg stattlich krönend, weit und breit das Land beherrscht. Die Bemerkung eines Reisegefährten, dass es vom Schweiße des Volkes erbauet sei, konnte mich in meiner Freude darüber nicht stören, wohl aber machte es mir Spaß, dass diese, sowie viele andere, ohne alle Einsicht und Kenntnis gemachten Äußerungen von einem anderen, sehr dicken Mann, dessen ungeheure rote Nase dem Bardolph Ehre gemacht haben würde, jedes Mal durch ein näselndes „Ja“ im tiefsten Bass bekräftigt wurden. Die Lage der alten, schon von dem Kaiser Lotar im zwölften Jahrhundert erneuerten Stadt Chemnitz, wo ich gegen acht Uhr ankam, ist durch das mäßig bewegte Erdreich der Umgebungen sehr angenehm. Die vielen neuen Anlagen, welche sich neben den mancherlei alten Gebäuden erheben, zeugen von dem schnellen Aufblühen dieses Hauptes der sächsischen Fabrikstädte und sind eine der segensreichen Folgen von Sachsens Beitritt zu dem großen deutschen Zollverein.

Den 5ten. Von dem herrlichsten Wetter begünstigt, war ich schon morgens um sieben Uhr auf dem in der Nähe der Stadt auf einer Anhöhe gelegenen königlichen Schlosse, welches hierzu erst von dem Churfürsten Moritz aus einem von dem Kaiser Lothar im Jahr 1125 erbauten Benedictinerkloster umgeschaffen worden ist. Wie so häufig haben auch hier die Mönche in der Wahl der Stelle Sinn und Geschmack gezeigt, denn die Aussicht, welche man von dort zunächst über einen großen Teich, weiter über die Stadt und das blühende, umliegende Land genießt, ist herrlich. Von den Gebäuden wird jetzt ein Teil zu einer Gastwirtschaft, welche von der Stadt sehr fleißig besucht wird, ein anderer zu landwirtschaftlichen Zwecken benutzt. Ein Eingang ist noch von dem ursprünglichem Bau übrig geblieben und zeigt in dem runden Bogen, den Verzierungen von vier Capitälen und in zwei Basen von Pilastern noch den romanischen Stil. Die übrigen Teile, unter denen sich ein gewölbter Saal auszeichnet, sind dagegen im gotischen Geschmack des fünfzehnten und sechszehnten Jahrhunderts gebaut. Die alte Klosterkirche, die Veranlassung meines Besuchs, hat an einer der breiten Seiten ein reich mit Skulpturen geschmücktes Portal, welche in Erfindung und Ausführung die Zeit und den Einfluss des Albrecht Dürer bekunden. Die Einteilung dieser Skulpturen wird von senkrechten und horizontalen Baumstämmen, welche sich in verschiedenen Höhen kreuzen, gebildet und sehr gut in einem schönen, roten Sandstein, der auch der Kirche zum Material gedient, nachgeahmt sind. Die einzelnen Statuen stehen auf Blumenkelchen. Zu beiden Seiten der Tür befinden sich ganz unten zwei Hände, darüber zu innerst zwei betende Bischöfe, zu äußerst ein König und eine Königin von negerhafter Bildung, die Modelle von Gebäuden haltend. Über den Bischöfen sieht man zwei Storchnester und in der Mitte zwei Affen. Außerdem ist die Tür noch mit Drachen, Papageien und Fasanen verziert. Über der Tür sind zunächst zwei Engel, welche eine Weltkugel halten, darauf folgt eine Inschrift in zierlicher gotischer Minuskel, worin die Jahrzahl 1525 die Zeit des Werks angibt. Darüber ist in der Mitte Maria mit dem Kinde auf dem Halbmond stehend, und zwei Engel, welche eine schwere Krone über ihrem Haupte halten, zur Rechten Johannes der Täufer und ein anderer Heiliger, zur Linken ein Bischof und eine Heilige. Als die eigentliche Hauptvorstellung erscheint indes die Dreieinigkeit, als Gott Vater, den gekreuzigten Christus vor sich haltend, und die Taube. Zu den Seiten zwei Engel, ein hinter dieser Gruppe ausgespanntes Tuch haltend. Ganz oben schließen sechs symmetrisch zu dreien übereinander angeordnete musizierende Engel das Ganze ab. Der Eindruck ist durch den bedeutenden geistigen Gehalt, dessen Hauptgedanke, das Werk der Erlösung, durch die Musik der Engel gefeiert wird, die gute Anordnung, und eine scharfe und tüchtige Ausführung gleich ansprechend. In Motiven, Charakteren und Gehalt findet sich ganz die Dürer'sche Weise. Die Säume der Gewänder sind bei der Maria und auch bei anderen Statuen sehr mühsam mit sauberen Buchstaben verziert, wie dieses so häufig auf Bildern in jener Zeit vorkommt. Leider sind die obere Hälfte des Christus und einige Instrumente der Engel abgefallen; bei alledem ist im Ganzen die Erhaltung dieses interessanten Werks, welches allen Einwirkungen des Wetters ausgesetzt ist, sehr zu bewundern.


Die Wirkung des Innern der Kirche mit drei gleich hohen Schiffen ist ursprünglich gewiss sehr glücklich gewesen, wird jetzt aber durch eine Querwand, welche einen großen Teil ganz abschneidet, verkümmert. Die Pfeiler haben die Form der Kirche zu Freiberg. Eine Geißelung Christi, welche durch eine sehr grelle Bemalung einen höchst widrigen Eindruck macht, schließt sich in mancher Beziehung den Skulpturen des Portals an. Wie dort Baumstämme in Stein nachgeahmt sind, so ist diese ganze, nicht ohne Geschick angeordnete und ausgeführte, wenn gleich in den Formen magere Gruppe aus einem sehr starken Holzstamm geschnitzt, und der Charakter des Stamm- und Zweig-Wesens auch darin festgehalten.

An einer mit 1533 bezeichneten steinernen Kanzel, welche an der Wand angebracht ist, sind zwar die Reliefe einer Kreuzigung und Auferstehung Christi sehr schwach, die flachgehaltenen Verzierungen im italienischen Geschmack des sechzehnten Jahrhunderts aber sehr hübsch, und als Beispiel, wann jene Kunstweise in diesen Gegenden üblich geworden, bemerkenswert. Zu den Seiten der neuen Kanzel befinden sich die Flügel eines alten Altars. Der rechte stellt das Innere einer Kirche mit einem Kruzifix dar, worin zwei Männer vielen anderen etwas vortragen, vielleicht ein Vorgang aus der Legende des heiligen Jacob, dem diese Kirche geweiht ist, der linke, oben das Martyrium der heiligen Felicitas, unten die Entauptung des heiligen Jacob. Gegenüber hängt die in der Weise, wie an dem Portal, vorgestellte Dreieinigkeit. Beide ziemlich gut erhaltene Bilder rühren von derselben Hand her und zeigen augenscheinlich fränkische, dem Hans Schauffelin verwandte Schule. Dasselbe gilt auch von einem Christus am Kreuz mit Maria am Fuße, auf einem, nach den äußeren Contouren der Figuren ausgeschnittenem Brett gemalt, aber keineswegs ohne Verdienst.

Nachdem ich alles Dieses gesehen, eilte ich nach der Stadtkirche, einem recht ansehnlichen Gebäude, dessen Chor nach der Form der Widerlagen und der Spitzsäulchen noch dem vierzehnten, das Übrige aber dem fünfzehnten Jahrhundert angehören dürfte. Besonders eigentümlich ist eine stattliche Vorhalle, deren Portal mit den Statuen der Maria mit dem Kinde, eines männlichen und zweier weiblichen Heiligen von gutem Stil geschmückt ist. Die Hauptform des sehr ansprechenden Innern ist wie bei der Klosterkirche, nur sind hier die Seiten der Pfeiler nicht concav. Die Mitte des alten Altars, an dessen Stelle jetzt eine gefällig - schwächliche Auferstehung von Oeser befindlich, bestand aus großen, in Holz geschnitzten und bemalten Figuren, welche, wie man mir erzählte, in den Ofen gewandert sind, die gemalten Flügel aber sind an der Rückseite des Altars befestigt. Sie enthalten vier überlebensgroße Figuren. Die Heiligen Franz von Assisi und Ulrich mit dem Fisch der inneren Seiten sind in ganzen, kräftigen Farben, Petrus und Bartolomäus der äußeren Seiten mehr in gebrochenen und hellen Farben durchgeführt. Die Gestalten sind edel, die Charaktere würdig, die Hände gut bewegt. Jedenfalls gehören diese Bilder der fränkischen Schule gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts an, ja sie zeigen so viel Verwandtschaft zu den großen Figuren des Altars von Schwabach, dass ich sehr geneigt bin, sie dem Wohlgemuth beizumessen, dessen Altar in Zwickau ihm vielleicht auch diesen Auftrag verschafft haben möchte.*) Bis jetzt haben diese Bilder den Strahlen der Sonne zum Verwundern gut widerstanden. Möchte der Verein für Erhaltung der Altertümer doch durch einen einfachen Vorhang von starker Leinwand dem weiteren Austrocknen und Verbleichen ein Ziel setzen!

*) Er scheint verschiedentlich in Sachsen beschäftigt worden zu sein, denn auch ein großer Altar mit Schnitzwerk und Gemälden in der Reglerkirche zu Erfurt rührt nach dem Urteil des Hofrat von Schorn von ihm her. S. dessen Abhandlung über altdeutsche Skulptur, B. 19 fg.

In der Sacristei wird noch ein anderes Bild von Oeser und eins von Lucas Kranach dem Älteren aufbewahrt.

Ich suchte endlich noch die Johanneskirche auf, welche nach Fiorillo im zwölften Jahrhundert erbauet, und worin ein schon seit lange auf die Seite gesetzter alter Altar befindlich sein sollte. Von jenem alten Bau fand ich aber keine Spur mehr, sondern ein kleines, gotisches Kirchlein, dessen Formen dem fünfzehnten Jahrhundert angehören; so scheint auch jener Altar gänzlich verschollen zu sein. Von den Bildern des jetzigen Altars, drei Engeln und vier, jetzt von später unpassend zugefügten, Säulen zum Teil verdeckten Vorgängen aus der Passion, welche eine in Holz geschnitzte Statue des Christus umgeben, bemerke ich nur, dass auch sie fränkische, dem Schäuffelin verwandte Schule verraten. Ein Epitaphium an der Wand vom Jahre 1556, unten die Bildnisse der Stifter, darüber „Lasst die Kindlein zu mir kommen“, ist dagegen ein etwas trocknes Bild der breiten Kranach'schen Schule. An dem alten, übrigens wenig erheblichen Taufstein war mir endlich der Gedanke neu, dass auf dem Fuße desselben einige Kinder in Rundwerk vorgestellt sind, welche nach der Taufe verlangen.

Vor meinem Gastofe hielt schon der Wagen, welcher mich nach Annaberg bringen sollte. Der Weg führt mehr und mehr in das Gebirge hinein. Ich fand viele Arbeiter mit dem Bau einer Kunststraße eifrig beschäftigt, wodurch für jetzt das Fortkommen so erschwert wurde, dass es nur sehr langsam von Statten ging. Gern machte ich indes in dem Gedanken, wie sehr diese Straße den Verkehr dieser ganzen Gegend in Zukunft beleben wird, fast den größten Teil des Weges zu Fuße. Mit Vergnügen sah ich den sorgfältigen Anbau eines jeden Stückchen Landes, welches den Bergen nur irgend abgewonnen werden konnte. Freilich zeichnen sich aber auch die Sachsen unter den fleißigen Deutschen noch durch Fleiß und Genügsamkeit aus. Einen schroffen Gegensatz mit solchen üppig grünenden Flecken boten die uralten Halden dar, welche an einigen Stellen, seit Jahrhunderten aufgehäuft, das Ansehen kahler Gebirge von grauer Farbe haben. Solche Gegenden machen einen unsaglich melancholischen Eindruck, zumal wenn, wie es hier meist der Fall ist, die Bergwerke längst ganz ausgebeutet sind, sodass sich zu dem äußerlich toten Ansehen noch das Bewusstsein der innerlichen Verödung und Leere gesellt. Sehr angenehm wurde ich aus solchen Betrachtungen durch den Anblick der Stadt Annaberg gerissen, deren reinliche, weiße Häuser mit der ansehnlichen Kirche, sich auf einer beträchtlichen Anhöhe ausbreitend, glänzend von der Abendsonne beschienen wurden.

Ich fand bei dem Vetter Zürcher und seiner Familie die herzlichste Aufnahme und Alle erinnern sich noch des langen Aufentalts, welchen Du bei ihnen gemacht hast, mit der wärmsten Teilnahme. Noch denselben Abend musste ich ihn nach einem in der Nähe von Annaberg liegenden Vergnügungsort begleiten, von dem man auf Stadt, Tal und Gebirge eine freie Aussicht genießt. Ich wurde dort mit einem Teil der Honoratioren der Stadt bekannt gemacht und fand besonders in den Gesprächen mit dem Superintendenten Herrn Schumann und dem Oberzollinspektor Herrn Frege für meine hiesigen Kunstzwecke mannigfache Belehrung und eine sehr angenehme Unterhaltung. Es ist eine der schönsten Eigentümlichkeiten Deutschlands, dass man auch in kleinen Orten Menschen begegnet, denen man in ihrer geistigen Bildung die sonst so gefährliche Isolierung nicht anmerkt, sondern die, mit dem Besten vaterländischer und fremder Literatur vertraut, sich einen freien und allgemeinen Standpunkt erhalten haben, sodass selbst Der, welchem das Glück geworden, an einem größeren Mittelpunkt geistiger Bildung zu leben, für Jegliches Anklang und Verständnis findet. Am allgemeinsten habe ich jedoch diese Bemerkung, für die ich heute einen neuen und so vollgültigen Belag erhielt, in Sachsen und Schwaben gemacht. Nach so mancherlei Erlebnissen dieses Tages war mir die Ruhe in dem musterhaften Bette des Vetters besonders erquicklich.

Den 6ten. Schon zeitig machte ich mich mit dem Vetter zum Besuch der Kirche auf, wobei uns der gefällige Diaconus Glöckel begleitete, indem der Superintendent durch eine Inspektionsreise verhindert war. Die Entstehung dieser ansehnlichen Kirche, wie der ganzen Stadt, ist ein merkwürdiges Beispiel der schnellen Wirkungen ungewöhnlich reichen bergmännischen Segens. Früher lag an dieser Stelle der kleine Ort Schreckenberg, von welchem die bekannten Silbermünzen den Namen Schreckenberger erhalten haben. Als aber vom Jahre 1496 an die Silberminen eine sehr große Ausbeute gewählten, so beschloss der Landesfürst, Herzog Georg der Bärtige, der bekannte hartnäckige Gegner Luters und der Reformation, hier eine neue Stadt zu bauen, welche nach der gewählten Schutzpatronin St. Annaberg genannt wurde. Schon im Jahre 1503 war die hohe und starke, von Bruchsteinen aufgeführte Mauer mit vorspringenden Türmen beendigt. Der Grundstein der der heiligen Anna geweihten Kirche war bereits den 25. April des Jahres 1499 in Gegenwart des Herzogs Georg und seiner Brüder feierlich gelegt worden; 1507 war der Grund, 1512 die Mauer bis zum Sims beendigt, 1520 brachte der Meister Erasmus Jacob von Schweinfurt, der also wohl als der Baumeister der Kirche anzusehen ist, das Gewölbe zusammen, 1525, am Tage vor Michaelis, stand die ganze Kirche fertig da*). Das Äußere ist ziemlich einfach und verliert noch durch die spätere Form des sich über dem Haupteingange erhebenden Turms, welcher an die Stelle des ursprünglichen, im Jahre 1604 abgebrannten getreten ist, das Innere aber macht durch Schönheit der Verhältnisse, wie durch den Reichtum von bildnerischem Schmuck, einen überraschend befriedigenden Eindruck. Zwölf schlanke Pfeiler von der Form der Freiberger Kirche tragen und trennen die drei gleich hohen Schiffe. Die Grate der Gewölbe, welche von Kragsteinen mit bemalten menschlichen Köpfen ausgehen, bilden in der Mitte der Gewölbe zierliche sechsseitige Sterne, deren Mittelpunkte mit den in Stein gehauenen Königen von Inda und Israel und mit den Wappen der Hauptteilnehmer des Baues geschmückt sind. Das Hauptschiff hat die doppelte Breite der Nebenschiffe, alle drei aber endigen in abgerundeten Chorkapellen, deren jede drei Fenster hat. Vor diesen befinden sich zwei Arme des Kreuzes von ähnlicher Form und ebenfalls mit drei Fenstern. Dabei sind die Maße keineswegs klein, denn die Länge der Kirche beträgt 220, die Breite, in den nur wenig vorspringenden Armen des Kreuzes, 96, die Höhe der Gewölbe aber 72 Fuß. Über die Art, wie die ungeachtet der reichen Silberbergwerke für einen so kleinen Ort doch immer sehr beträchtlichen Kosten in verhältnismäßig so kurzer Zeit aufgebracht wurden, erzählt die Chronik, dass der Bau durch Beiträge der Fürsten, durch milde Gaben, durch die geistlichen Brüderschaften der Maria, Anna, des Joachim und Joseph, welche alle der Herzog Georg der Bärtige gestiftet, endlich durch eine Ablassbewilligung des Papstes Leo X. besonders gefördert worden sei. Bei weitem das Eigentümlichste der Kirche sind aber hundert Vorstellungen in erhabener Arbeit, welche die Brüstung der in der Art wie in der Kirche zu Freiberg an den Wänden mit vorspringenden Erkern umlaufenden Emporen schmücken. Dem Chor zunächst stellen die zehn ersten auf jeder Seite die Lebensalter der beiden Geschlechter vom zehnten bis zum hundertsten Jahr in einzelnen Figuren in den Trachten der Zeiten dar. Bei den Männern wird jedes Lebensalter, bis auf das letzte, durch ein vierfüßiges Tier, bei den Frauen durch einen Vogel näher charakterisiert, deren Beziehungen oft recht sinnreich sind. Diese Tiere sind sämtlich auf neben den Figuren befindlichen Wappenschilden angebracht. Das männliche Geschlecht hat mit 10 Jahren das Kalb, mit 20 den Bock, mit 30 den Stier, mit 40 den Löwen, mit 50 den Fuchs, mit 60 den Wolf, mit 70 den Hund, mit 80 die Katze, mit 90 den Esel, mit l00 den Tod. Der Wolf soll hier den Geiz, der Hund die Treue, die Katze die Schlauheit, der Esel die Verdrossenheit des Alters bezeichnen; die übrigen Beziehungen sind deutlich. Das weibliche Geschlecht hat mit 10 Jahren die Wachtel, mit 20 die Taube, mit 30 die Elster, mit 40 den Pfau, mit 50 die Henne, mit 60 die Gans, mit 70 den Geier, mit 80 die Nachteule, mit 90 die Fledermaus, mit 100 wieder den Tod. Was die Wachtel hier sagen soll, ist mir nicht deutlich, der Geier dürfte Habsucht oder Gefräßigkeit ausdrücken sollen. Der deutsche Humor spricht sich hier in seiner natürlichen Derbheit aus, welche nichts weniger als galant ist. Dass diese Vorstellungen in der Kirche und zwar dicht neben der heiligen Geschichte befindlich sind, ist ein neuer Beweis, wie unsere Altvordern Scherz und Ernst überall zu paaren liebten. Auf der Seite der Frauen schließt sich zunächst ein Mann mit einem Spruchzettel an, worauf man liest: „1499 ist gelegt das Fundament, 1525 ist das Werk vollendt.“ Hiernach möchte man diesen für den Baumeister, Erasmus Jacob von Schweinfurt, halten, welchen die Chronik auch noch ausdrücklich als Mauermeister dieser Emporen nennt, doch sagt dieselbe an einer andern Stelle bestimmt, dass hier der Steinmetz Theophilus Ehrenfried vorgestellt ist, außer welchen noch Jacob Hellwig und Franz von Magdeburg als Arbeiter an der Emporkirche aufgeführt werden. Die übrigen 78 Reliefs entalten folgende Vorstellungen: 1) Die Erschaffung der Welt. 2) Die Erschaffung von Adam und Eva. 3) Adam und Eva ins Paradies gesetzt, mit dem Wappen und Namen des Lorenz Pflock, eines Mannes, der auch einen der schönsten Altäre der Kirche gestiftet hat. 4) Der Sündenfall mit Wappen und Namen der Magdalena Pflockin. 5) Die Vertreibung aus dem Paradiese mit dem Namen des Wolf Pflock. 6) Adam und Eva bei der Arbeit mit dem Namen der Ursula Pflockin. 7) Der Todschlag des Kain mit dem Namen von Michael Lotter und Barbara, dessen Hausfrau. Die Mitglieder dieser Familien ergeben sich hieraus als die Stifter dieser Reliefs. 8) Der Engel verkündigt Joachim die Geburt der Maria. 9) Joachim und Anna an der goldnen Pforte. 10) Die Darstellung Maria im Tempel. 11) Die Verkündigung Maria. 12) Die Heimsuchung Maria. 13) Die Geburt Christi. 14) Die Beschneidung Christi. 15) Die Anbetung der Könige. 16) Die Darstellung Christi im Tempel. 17) Die Flucht nach Aegypten. 18) Christus zwölf Jahr alt im Tempel lehrend. 19) Die Taufe Christi. 20) Die Versuchung Christi vom Teufel. 21) Die Hochzeit zu Cana. 22) Die Verklärung Christi. 23) Die Auferweckung des Lazarus. 24) Der Palmsonntag. 25) Christus verkündigt sein Leiden den Jüngern. 26) Das Abendmahl. 27) Die Fußwaschung. 28) Christus am Ölberg. 29) Der Judaskuss. 30) Christus vor Hannas. 31) Christus vor Caiphas. 32) Christus vor Pilatus. 33) Christus vor Herodes. 34) Die Geißelung Christi. 35) Die Dornenkrönung. 36) Der Ecce Homo. 37) Die Kreuztragung. 38) Die Kreuzeserrichtung. 39) Christus am Kreuz. Als das eigentliche Moment der Erlösung ist dieses Relief höher und breiter als die übrigen und auch sehr sinnreich in der Mitte des Orgelchors, dem Hochaltar gerade gegenüber, angebracht. 40) Die Abnahme vom Kreuz. 41) Die Beweinung Christi. 42) Die Grablegung. 43) Die Niederfahrt zur Hölle. 44) Die Auferstehung. 45) Christus erscheint seiner Mutter Maria. 46) Die drei Marien auf dem Wege zum heiligen Grabe. 47) Der Engel am Grabe. 48) Christus erscheint der Magdalena. 49) Offenbart sich dem heiligen Petrus. 50) Offenbart sich den beiden Jüngern zu Emmaus. 51) Offenbart sich allen Jüngern bei verschlossenen Türen. 52) Offenbart sich dem Apostel Tomas. 53) Christus erscheint am See Genezareth. 54) Die Himmelfahrt Christi. 55) Die Ausgießung des heiligen Geistes. 56) Der Ausgang der Apostel in alle Welt. 57) Der Tod der Maria. 58) Die Bestattung der Maria. 59) Die Salbung der Maria. 60) Die Steinigung des Stephanus. 61) Die Bekehrung Pauli. 62) Die Kreuzigung Petri. 63) Die Entauptung Pauli. 64) Die Kreuzigung des Andreas. 65) Die Entauptung Jacobs des Größeren. 66) Das Martyrium Johannes des Evangelisten durch Gift. 67) Die Schindung des heiligen Bartolomäus. 68) Die Steinigung des heiligen Philippus. 69) Jacobus der Kleinere mit einem Weberbaum erschlagen. 70) Der heilige Simon zersägt. 71) Judas Taddäus mit Keulen erschlagen. 72) Der heilige Tomas gespießt. 73) Der heilige Matias mit dem Fallbeil enthauptet. 74) Der Evangelist Mathäus mit einer breiten Axt getödtet. 75) Johannes der Täufer entauptet. 76) Die Seligen. 77) Christus als Weltrichter. 78) Die Verdammten, unter denen ein Papst mit der dreifachen Krone. Es ist dieses die reichste Folge aus der heiligen Geschichte, welche mir in Skulptur bekannt ist. Die Steinmetzarbeit dieser 100 Reliefs, deren Höhe etwa vier, die Breite, bis auf die schmäleren, der Lebensalter, etwa drei Fuß beträgt, hat 600 Gulden gekostet, mitin jeder einzelne sechs Gulden, welches immer, auch mit Berücksichtigung des großen Unterschiedes des Geldwerts gegen heut, als sehr mäßig erscheint. Sehr beachtenswert ist noch die Nachricht der Chronik, dass Hans von Kalba und Baltasar Müller diese Reliefe 1522 gemalt, 1524 illuminiert und mit Gold überzogen, und dass die Malerei an einem jeden 18 Groschen gekostet habe. Jedem genaueren Beobachter deutscher bemalter Skulpturen aus dem fünfzehnten und der ersten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts muss es aufgefallen sein, dass diese Bemalung in den Fleischteilen mit solcher Zarteit, mit so feinen Abstufungen, und auch in den übrigen Teilen mit so vieler Sorgfalt gemacht worden, dass sie notwendig geschickte Maler voraussetzt. Die ausdrückliche Benennung, wie der Preis beweisen, dass auch diese Bemalung keineswegs in einem bloßen Anstrich bestanden haben kann. Ein solcher scheint hier vielmehr unter dem Ausdruck „gemalt“ im Gegensatz zu dem illuminiert und mit Gold überzogen verstanden zu sein. Im Jahre 1688 ist Bemalung und Vergoldung erneuert, vor vier Jahren aber, mit Ausnahme der vergoldeten Gewänder, Alles bronziert worden, welches allerdings eine minder heitere und mannigfaltige, übrigens aber keineswegs misfällige Wirkung macht. Dieser Zustand läßt jetzt keine sichere Bestimmung über das Material zu, woraus sie bestehen. Zwar habe ich mich überzeugt, dass besonders abstehende Teile, wie Stäbe, Waffen, aus Stuck bestehen, doch glaube ich nach dem Ausdruck der Chronik, dass sie 600 Gulden zu hauen gekostet, am ersten annehmen zu müssen, dass sie gleich der älteren Kanzel in der Freiberger Kirche dem Wesentlichen nach Stein-Skulpturen sind, woran nur manche Teile in Stuck angefügt worden. In derselben Zeit und von denselben Händen sind auch fünf Reliefe der Kanzel beschafft worden. Das mittlere stellt das Christuskind auf dem Schoße der heiligen Anna, welches zur Maria zurückverlangt, die übrigen die vier Kirchenväter vor. Unten befindet sich das augenscheinlich in Stein ausgeführte, sehr hübsche Wappen der Stadt, nämlich die heilige Anna mit der Maria und dem Christuskinde auf dem Arm, als Halter zwei Bergleute, unten zwei sich kreuzende Hämmer. In Rücksicht der Bemalung haben diese Skulpturen Ähnliches wie die der Emporen erfahren.

*) Diese und andere die Kirche betreffende Angaben sind der „Chronika der freien Bergstadt St. Annaberg“ (Annaberg, 1746, 4.) entlehnt, deren Benutzung mir der Herr Diaconus Glöckel gütigst gestattete.

An Erfindung wie an geistreicher Ausführung müssen nun zwar alle diese Skulpturen vielen anderen in Deutschland weit nachstehen, denn erstere ist häufig nicht eigentümlich, sondern nach Dürer'schen Kompositionen genommen, wie z. B. dem Relief des Engels, welcher Joachim die Maria verkündigt, ganz der bekannte Holzschnitt des A. Dürer zum Grunde liegt*); die Ausführung aber, in welcher man verschiedene Hände erkennt, ist weder besonders geistreich, noch sorgfältig, sondern erstreckt sich nicht über eine tüchtige Angabe der Charaktere, der Gewänder und der Hauptformen. In einem Stücke sind sie dagegen vielen gepriesenen Skulpturen des funfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts überlegen, nämlich in der Richtigkeit des plastischen Stils. Die Compositionen sind mit wenigen Ausnahmen glücklich vereinfacht, die Hintergründe nur sehr flach angedeutet, die sich dem Rundwerk nährenden Figuren aber in einem Plan und ihre Höhen in einer Linie gehalten, das mehr im Geschmack der Augsburger, als der Nürnberger Schule entworfene Gewandwesen endlich sehr glücklich behandelt. Als architektonische Skulpturen machen daher diese einen besonders befriedigenden Eindruck.

*) Bei Bartsch im peintre gravur Nr. 78.

Am gelungensten scheint mir aber in der ganzen Kirche die Tür der alten, im Jahre 1522 beendigten Sacristei. Die in den Verhältnissen sehr glückliche Architektur derselben enthält ein sehr harmonisch verbundenes Gemisch gotischer und antiker Motive. Über dem von zwei zierlichen gewundenen Säulen getragenen horizontalen Sturz befindet sich eine halbkreisförmige Lunette, deren Zwickel wieder von gut profilierten Gesimsen umgeben werden. Die Capitäle, die Basen, die Ornamente des Frieses und der Archivolte, die hübsch erfundenen und sich nicht wiederholenden Rosetten an den Pfosten und unter dem Sturz sind im italienischen Geschmack des sechszehnten Jahrhunderts und von sehr scharfer, zierlicher Ausführung. Die eigentlichen Skulpturen davon sind dagegen in gotischer, den obigen verwandter Weise. In der Lunette ist die heilige Anna, welche ein verdrießliches Gesicht macht, dass das von der Maria unterstützte, ihr auf der Bank, worauf die Frauen sitzen, entgegenlaufende Kind aufgehalten wird. Von sechs umgebenden Engeln tragen zwei mit komischer Feierlichkeit Speise und Trank herbei. In den Zwickeln sind zwei Rauchfässer schwingende Engel, deren Flügel und fliegende Gewänder den Raum höchst stilgemäß ausfüllen. In den kleineren Zwickeln der oben halbrunden Tür ist einerseits ein komischer Engel, der Kegel schiebt, andererseits ein anderer, der einen Widder am Kopf hat. Der Stil dieser, wie die ganze Tür in Stein ausgeführten Reliefe ist sehr gut. Da die Chronik sagt, dass die Sacristei von einem fremden Priester auf seine eignen Kosten ausgemalt worden sei, möchte ich fast vermuten, dass er auch an der Erfindung dieser offenbar eine Bekanntschaft mit italienischer Kunst verratenden Tür Anteil gehabt hat.

Noch bedeutender durch ihren Umfang und den Wert ihrer Skulpturen ist die schöne, oder auch die goldne Pforte genannte Tür, welche sich ursprünglich an der Kirche des vom Jahre 4502 — 1512 von Georg dem Bärtigen erbauten Franciskaner - Klosters befunden, im Jahre 1577 aber zum Schmuck der inneren Seite eines Eingangs an dem vorderen Teil der linken Seite der St. Annakirche verwendet worden ist. Innerhalb eines gotischen Bogens, von der späten, gedrückten und geschweiften Form, findet sich die Dreieinigkeit in der Art vorgestellt, dass Gott Vater den gekreuzigten Christus vor sich hält, wobei neun verehrende Engel. Außer dem Bogen sind zwei andere Engel mit den Leidenswerkzeugen, und in den Zwickeln ein Heiliger und eine Frau, emporsiehend, von vortrefflicher Erfindung. Auf dem horizontalen Gesims, welches über der Tür in der ganzen Breite hinläuft, erinnern die liegenden Statuen von Adam und Eva in der Großheit der Motive im besten Sinne an Michel Angelo und sind auch die zu den Seiten stehenden Gestalten des Moses und Johannes des Täufers sehr edel. Noch höher wird das Ganze von dem Pelican, der seine Jungen mit seinem Blute füttert, gekrönt. Unmittelbar über der Tür befindet sich ein Engel, an den Seiten zwei andere, deren einer das sächsische Wappen in Bezug auf Georg den Bärtigen, der andere den polnischen Adler in Bezug auf seine Gemahlin Barbara, einer polnischen Prinzessin, hält. Unter jenen Engeln befinden sich endlich auf Blumenkelchen stehend Joachim und Anna. Dieses ganze Werk ist aber nicht allein durch die Erfindung und den Stil, sondern auch durch die gute Zeichnung, welche sich auch auf die Bildung und Bewegung der Hände erstreckt, und die sorgfältige Ausführung sehr ausgezeichnet und steigerte die günstige Vorstellung, welche ich von den Bildhauern gewonnen, so um diese Zeit hier gearbeitet haben, noch um Vieles.

In der Tat hätte die Stadt es daher nicht nötig gehabt, sich zur Ausführung des ebenfalls ganz aus Skulpturen bestehenden stattlichen Hochaltars nach Augsburg zu wenden, wie dieses geschehen ist, da aus der Chronik erhellt, dass derselbe von einem Meister Adolph in Augsburg verfertigt und im Jahre 1522 aufgestellt worden ist. Dieser Künstler ist nun ohne Zweifel derselbe, welcher in dem alten Bürgerbuche von Augsburg bei dem Jahre 1491 unter dem Namen Meister Adolph Dowher, Bildhauer, in dem neueren als Bildschnitzer aufgeführt wird, und im Jahre 1514 eine hölzerne Tafel für den Frühmessaltar in der St. Ulrichskirche in Augsburg für 350 Gulden ausführte*). Der Aufwand von 2.551 Gulden für die Errichtung des Altars, wozu der Herzog 1.000 beigesteuert, ist für jene Zeit höchst beträchtlich zu nennen. Derselbe stellt in Rundwerken den Stammbaum Christi vor, welcher von der Brust des zuunterst liegenden Abraham ausgeht, und in sieben, von Säulen und Simsen im italienischen Geschmack des sechszehnten Jahrhunderts eingefaßten Feldern in symmetrischer Anordnung die Hauptpersonen desselben in halben, aus Blumenkelchen hervorragenden Figuren darstellt. Die untere Reihe entält in dem mittleren Felde sechs, in den Seitenfeldern je drei Erzväter und Könige, unter denen im ersteren David und Salomo. Die zweite Reihe zeigt in dem Hauptfelde des Ganzen zu unterst Joachim und Anna, darüber als ganze Figuren Maria und Joseph, welche, in großen Blumenkelchen kniend, das Christuskind verehren, darüber schwebend den heiligen Geist, zu den Seiten noch je drei Figuren, unter denen zwei weibliche. Das oberste Feld endlich entält rechts vier, links zwei singende Engel. Über dem antiken Gebälk erhebt sich noch eine Attika, auf deren Mitte Cherubim und goldne, auf das Christuskind herabfallende Strahlen, auf den Seiten zwei, das sächsische und polnische Wappen haltende, zu äußerst, auf einem architektonischen Ablauf, zwei sitzende Engel. Darüber erhebt sich noch eine Krönung mit einer von sechs Engeln umgebenen Vase. Diese Skulpturen bestehen sämtlich aus dem jetzt durch seinen Gebrauch für die Litographie so allgemein bekannten Solenhofer Kalkstein und sind auf einem Grund von rötlichem Marmor aufgesetzt. Sie sind von sehr fleißiger, wenn schon etwas trockner und in manchen Teilen, besonders dem sehr im Einzelnen ausgeführten Haar, von etwas goldschmiedsartiger Arbeit. Die Köpfe sind sehr individell und mannigfaltig, die Augensterne schwarz angegeben, die Lippen der Maria, von sehr feiner Bildung, sowie die des Joseph rot bemalt. Ersteres macht mit dem gelblichen Ton des Steins einen sehr unangenehmen Kontrast. Die Zeichnung ist sorgfältig, manche Hände selbst sehr zierlich. Die Gewänder haben neben gotisch knittrichen auch Falten von sehr reinen und zierlichen Motiven. Der Saum am Gewande des Abraham ist vergoldet und bildet mit jenen farbigen Angaben einzelner Teile noch Überreste der früheren Weise, die Skulpturen zu bemalen. Wie groß muss der Ruf der Augsburgschen Bildhauer in jener Zeit gewesen sein, dass ein Werk von solchem Umfange von so weit her bestellt wurde!

Der im Jahre 1556 aus der Kirche der Zisterzienser zu Grünhayn hierher versetzte Taufstein ist auch dem Wesentlichen nach die Nachahmung eines Baumstamms. Am Bauche des Gefäßes sind drei Engel mit Spruchzetteln, am Fuße drei nach der Taufe verlangende Kinder, welche in Röcken und Kappen ein komisches Ansehen haben. Diese Rundfiguren sind in Holz geschnitzt, das Gefäß selbst aber ist von Stein.

Die Sitte, in Augsburg Denkmale ausführen zu lassen, scheint sich hier noch länger erhalten zu haben, denn ein Epitaphium von Johann Unwirth vom Jahre 1578 ist ein besonders gutes Beispiel des um diese Zeit in Augsburg herrschenden Kunstsgeschmacks. Auf einer Tafel von dem Solenhofer Stein, welcher von einer reichen architektonischen Einfassung von bräunlichem Marmor im antiken Geschmack umgeben wird, ist in erhabenem Relief der auferstehende Christus und die vier Evangellsten am Grabe vorgestellt. Die Formen der Körper von den mannierirten Motiven jener Zeit sind schwach und plump, die Ausführung aber höchst sorgfältig. Moses, der Wasser aus dem Felsen schlägt, und die Mannahsammlung, welche in sehr flachem Relief im Hintergrunde erscheinen, gehören noch den mittelalterlichen, emblematischen Beziehungen aus dem alten auf das neue Testament an, die Figürchen der Gerechtigkeit und der Stärke, in sehr gut behandeltem, ganz flachem Relief an den Postamenten der beiden einfassenden korintischen Säulen befindlich, sind dagegen Beispiele der in jener Zeit so beliebten Allegorien. Die Krönung bildet das von zwei Engeln mit Sanduhr und Totenkopf gehaltene Familienwappen. Auf einem Stein unter dem Fuß des Marcus befindet sich folgendes mir unbekannte Monogramm des Künstlers: W. I. ... . Auch von den jetzt im Hauptchor eingemauerten Leichensteinen sind einige durch ihre Bemalung nicht ohne Interesse.

Unter diesen interessanten Betrachtungen war der Morgen schnell verflogen und ich auch so ermüdet, dass es mir ganz recht war abzubrechen, um an einem Mittagsmahl Teil zu nehmen, wozu der Vetter verschiedene der Honoratioren der Stadt versammelt hatte. Der Bürgermeister teilte mir als mein Tischnachbar manches Interessante über die örtlichen Verhältnisse mit. Die arme Stadt ist seit ihrer Entstehung durch eine Plünderung im dreißigjährigen Kriege, und früher und später von großen Feuersbrünsten, deren letzte, wie Du weißt, sich erst vor wenigen Jahren ereignet hat, sehr schwer heimgesucht worden. Bei der großen Abnahme des Bergbaues dürfte sie daher ganz heruntergekommen sein, wenn sie nicht durch den Aufschwung einiger bedeutender Fabriken, besonders in Seidenwaren, einen neuen und sehr einträglichen Erwerbszweig gefunden hätte. Sie teilt indes natürlich das Schicksal aller Fabrikstädte, dass sich neben sehr namhaftem Wohlstande auch viele bittere Armut findet. In der großen Reinlichkeit auch der kleinsten Häuser, der ärmsten Menschen erkannte ich eine andere, dem sächsischen Stamme in einem besonderen Grade inwohnende Eigenschaft. Mein anderer Tischnachbar, der Oberzollinspektor Frege, belebte die Gesellschaft durch den glücklichsten Humor und nahm als ein eifriger Freund der englischen Sprache und Literatur an meinen Mitteilungen über England lebhaften Anteil. Diese Unterhaltungen verhinderten mich indes nicht, einer Schüssel trefflicher Gebirgsforellen von seltenster Größe die gebührende Aufmerksamkeit zu schenken. Der terrassenförmige Garten, wo der Kaffee genommen wurde, hat durch hübsche Blumen und Springbrunnen, wie durch eine freie Aussicht auf die Umgebungen der Stadt etwas sehr Anziehendes. Am Abend besuchte ich mit dem Vetter noch eine geschlossene Gesellschaft und freute mich über das geräumige und hübsche Lokal für die geselligen Vergnügungen des Winters, der sich über diese Gegend in besonderer Länge und Grimmigkeit herlagert.

Den 7ten. Ein früher Spaziergang um die meist noch sehr gut erhaltene Mauer der Stadt, welche mit dem Terrain bald auf bald absteigt, gewährte nah und fern recht malerische Ansichten. Neue Anlagen an der einen Seite versprechen ein gutes Gedeihen. In der Kirche fand ich darauf mit der Betrachtung der übrigen Altäre und Bilder für den Vormittag wieder vollauf zu tun.

Die Kirchenreformation, welche hier 1527 ihren Anfang genommen, aber erst nach dem Tode des Herzogs Georg von dessen Bruder, Herzog Heinrich, vollendet worden ist, hat hier glücklicherweise verschiedene Altäre aus der früheren Zeit verschont, sodass von den in der Chronik aufgeführten nur die der Rosenkranz- und Annen-Brüderschaften, und die von den Familien Thumshirn und Bierwagen gestifteten vermisst werden.

Unter den noch vorhandenen Altären ist der, welchen die Bergknappschaft im Jahre 1521 für die Summe von 800 Gulden hat errichten lassen, wegen seiner lokalen Beziehung der merkwürdigste. Die architektonische Einfassung dieses reichen Altars ist bis auf den Aufsatz nicht gotisch, sondern von dem zierlichen italienischem Geschmack, den der jüngere Holbein mit am frühsten in Deutschland eingeführt hat. Die Mitte, wie das Innere der Flügel und die hohe Altarstaffel entalten bemalte Schnitzwerke. Auf dem rechten Flügel ist oben in Bezug auf die Patronin der Kirche, Anna und Joachim vor der goldnen Pforte, unten die Geburt der Maria, in der Mitte die Geburt Christi, auf dem linken Flügel die Verkündigung und die Anbetung der Könige, auf der Altarstaffel der Tod Maria dargestellt. An zweien die Mitte einschließenden Pfeilern befinden sich je sechs Bergleute, an der oberen Verbindung derselben aber, in reichem Blätterwerk, musizierende Engel. Ebenso enthält der Aufsatz, unter reichen Baldachinen von spätgotischer Form, Christus am Kreuz mit Magdalena am Fuße, Maria und Johannes zu den Seiten, welchen sich rechts der Schutzpatron des Bergbaues mit dem Hammer (vor ihm ein flehender Bergmann), links der große Christoph, zu äußerst aber zwei sitzende Bergleute, die Wappenschilde mit gekreuzten Hammern halten, anschließen. Über Alles erhebt sich endlich Maria mit dem Kinde von zwei Engeln gekrönt, von zwei anderen angebetet. Die drei Hauptvorstellungen sind gut, wenn schon nach malerischem Prinzip angeordnet, die Fleischteile mit großer Zarteit bemalt, die meisten Gewänder vergoldet, die Köpfe meist von gefälliger Bildung, die Proportionen im Ganzen zum Kurzen neigend. Nur zwei zu den Seiten der Altarstaffel verehrend kniende Bergleute, von sehr glücklichen Motiven, sind von schlankeren Verhältnissen und mit den beiden Wappenhaltern oben von so lebendigen und individuellen Gesichtsbildungen, dass sie wol sicher Portraite sind. Die Außenseiten der Flügel und die inneren Seiten eines zweiten Flügelpaars sind mit Gemälden geschmückt, welche die Darstellung im Tempel und die Flucht nach Ägypten, die Heimsuchung und die Himmelfahrt Maria nach den Dürer'schen Holzschnitten *) mit mehr oder minder großen, meist durch das schmalere Format bedingten Veränderungen vorstellen. Die Ausbildung dieser Kompositionen hat dem Künstler noch Gelegenheit genug gegeben, eine ansprechende Eigentümlichkeit und ein großes Geschick zu entfalten. Die Köpfe haben in den Charakteren etwas Edles und Mildes, die Schärfe in den Brüchen der Gewänder ist öfter gemäßigt, die Farbe des Fleisches blühend rotlich, die sonstigen Farben kräftig, die Ausführung sehr gediegen. In allen diesen Stücken erinnern sie am meisten an Matäus Grunewald, und sind, wenn nicht von ihm, doch gewiss von einem in seiner Schule gebildeten Meister ausgeführt. Die Außenseiten dieser Flügel, sowie die inneren eines neuen Flügelpaars, sind von minder geschickter Hand mit folgenden acht Vorgängen aus der Passion geziert, Christus am Ölberg, die Geißelung, Christus vor Caiphas, die Dornenkrönung, die Verspottung, der Ecce Homo, Christus vor Pilatus geführt und die Kreuztragung. Auch die Rückseite dieses reichen Altars ist in der Mitte, auf den Flügeln und der Altarstaffel mit Malereien bedeckt, welche die wunderbare Entdeckung und die verschiedenen Verrichtungen der Bergwerke von Annaberg darstellen. Sie sind in Leimfarben von einem nicht ungeschickten, doch minder guten Meister als die Bilder der Vorderseite ausgeführt und durch die Einwirkung von Luft und Sonne ebenso verdorben, als jene gut erhalten sind. Diese stattliche Stiftung der Frömmigkeit der Bergleute, denen ein so mühseliges und öfter gefährliches Loos beschieden ist, machte auf mich einen eigentümlich erhebenden und rührenden Eindruck.

*) Bei Bartsch a. a. O., die Nrn. 84. 88. 89. u. 94.

In der Nähe dieses im Chor des linken Schiffs befindlichen Altars steht ein anderer, nur mit Gemälden geschmückter, welchen die schon oben erwähnte Familie Pflock gestiftet hat. Das Mittelbild, der Tod der Maria, ist in den Hauptmotiven nach dem schönen Kupferstich des Martin Schongauer genommen, die Zusätze des Malers aber sehr geschickt damit zu einem Ganzen verschmolzen. Hinten sieht man die Seele der Maria als bekleidetes junges Mädchen in der Profilansicht zu Gott Vater emporschweben. Im Vordergrunde befinden sich in sehr kleinem Maßstabe die Portraite der Familie Pflock mit ihren Wappen. Die innere Seite des rechnen Flügels stellt Johann VII., Bischof zu Meißen, vor, welcher einem an der fallenden Sucht Leidenden zu seinen Füßen den Segen erteilt, die des linken den heiligen Sebalo. Die Außenseiten zeigen Barbara und Dorothea, welche letztere einem nur mit einem Röckchen von durchsichtigem Stoffe bekleidetem Knaben aus einem Korbe Rosen reicht. Die Bilder dieses ganzen Altars, zumal aber die vier lebensgroßen Figuren der Heiligen, haben mich auf das Angenehmste überrascht, denn nur selten findet man an altdeutschen Gemälden so viele Vorzüge vereinigt. Die guten, bei den Frauen schlanken Proportionen, die kräftigen und würdigen und wieder die feinen und schönen Köpfe, die korrekte Zeichnung, der rötliche Fleischton, die in den Brüchen gemäßigten Falten, die Zusammenstellung der Farben, bei denen öfter ein in den Schatten bläuliches Weiß vorkommt, stimmen so sehr mit den Gemälden des Matäus Grunewald in der Pinakotek zu München überein, dass ich nicht anstehen möchte, diesen Altar jenem trefflichen Meister beizumessen *).

*) Hiernach müsste er allerdings länger als 1510 gelebt haben, doch beruht die Annahme, dass er in diesem Jahre gestorben, lediglich auf folgender Stelle im Sandrart: „wo und wann er gestorben, ist mir unbekannt, halte doch dafür, dass es um 1510 geschehen“, deren Unbestimmteit durch die Angabe feiner Blüte bei demselben Schriftsteller als um das J. 1505, welche also nur fünf Jahre vor seinem Tode fiele, noch vermehrt wird.

Der in der Chorkapelle des rechten Schiffs befindliche Altar des Münzgewerks ist in seinen architektonischen Teilen im Geschmack dem der Bergknappschaft ähnlich und auch wie jener vorzugsweise mit Schnitzwerk von fein bemalten Gesichtern und goldnen Gewändern geschmückt. Die Hauptvorstellung, Maria mit dem Kinde von Engeln verehrt, ist sehr zierlich. Die inneren Seiten der Flügel enthalten die Verkündigung und Geburt, die Heimsuchung und die Anbetung der Könige, die Altarstaffel den Tod der Maria, wobei sie kniend mit der Kerze dargestellt ist. Den Aufsatz bildet die Krönung Maria, und ganz oben Christus am Kreuz mit Maria und Johannes an den Seiten. Die Hintergründe sind hier mehr als gewöhnlich malerisch ausgebildet und bemalt. Diese verdienstlichen Arbeiten werden von den Gemälden, welche die Außenseiten der Flügel und die inneren eines zweiten Flügelpaars zieren, noch übertroffen. Der heilige Bartolomäus mit seiner Haut, und der heilige Georg, dessen individueller Kopf von feinem Naturgefühl, auf den ersteren, die Heiligen, Katarina, mit besonders gut gezeichneten und bewegten Händen, und Barbara, von edeln Gestalten und schönen Köpfen, auf den letzten, haben in der ganzen Kunstweise viel Verwandtschaft zu der früheren Zeit des jüngeren Holbein.

Der in der Nähe befindliche, von der Bäckerzunft gestiftete Altar ist auf eine ähnliche Weise geschmückt, indes von ungleich geringerem Kunstwert.

Unfern desselben hängt indes als Epitaphium vom Jahre 1571 ein sehr fleißiges und schön koloriertes Bild des jüngeren Kranach. Es stellt die Ehebrecherin vor Christus vor, ist indes von dem bekannten Bilde des älteren Kranach in der Pinakotek zu München in der Komposition verschieden.

Auch eine mit dem Kinde auf dem Halbmonde stehende Maria, mit dem Szepter in der Hand, über deren Haupte zwei Engel eine Krone halten, zieht durch die sehr edle Bildung des Kopfes, die schlanke Gestalt, den trefflichen Wurf des weißen Mantels sehr an. Das Untergewand ist seltnerweise hier schwarz mit goldnen Mustern. Die Lichter im Fleische sind bleich, die Schatten grau. Auf einem Zettel in Beziehung auf den Stifter „Mater dei, memento mei“. Dieses Bild wird leider durch viele schlechte Retouchen entstellt.

Auch hinter dem Hochaltar hängen noch einige Bilder. Eine Auferstehung Christi ist zwar fleißig ausgeführt, sonst aber minder bedeutend. Dagegen ist die Verkündigung auf den Außenseiten der Flügel eines kleinen Altarbildes anmutig und fein in den Figuren, das Zimmer und die Landschaft von altniederländischer Kraft und Klarheit. Die inneren Seiten der Flügel mit vielen Portraiten der Stifter, und das Mittelbild, eine Kreuzigung, worauf die Jahrszahl 1537 und das Monogramm, kommt jener nicht gleich. Das Ganze zeigt Verwandtschaft zur Augsburger Schule.

Zu den besten Kunstwerken, welche diese Kirche bewahrt, gehört eine heilige Katarina, welche neben der Tür der alten Sacristei hängt. Obgleich die warmen Töne des Fleisches verflogen sind, spricht der Kopf durch die feinen Züge, den schönen Ausdruck noch immer sehr an. Das herabfließende, goldige Haar ist sehr zart beendigt, die Falten des Gewandes von sehr gewähltem Geschmack. Im Hintergrunde ist das Martyrium der Heiligen vorgestellt, vorn die Familie des Stifters in elf Portraiten. Sowohl nach dem auf dem Grunde befindlichen Monogramm, als auch der ganzen Art des Bildes könnte es sehr wohl eine frühere Arbeit des jüngeren Hans Holbein sein.

In der neuen Sacristei verdient noch ein Altärchen von einem secundären niederländischen Maler aus dem ersten Viertel des sechszehnten Jahrhunderts Beachtung. Die bei Kerzenlicht genommene Geburt Christi des Mittelbildes zeichnet sich durch das tiefe Helldunkel aus. Die Flügel mit der Verkündigung Maria auf den inneren, den grau in grau gemalten Magdalena und Katarina auf den äußeren Seiten sind minder gut, überhaupt die Charaktere wenig ansprechend und zu einförmig.

Ich habe mich absichtlich über diese Kirche und ihre Denkmäler etwas ausführlicher verbreitet, weil sie durch die sonst so selten erhaltenen urkundlichen Notizen ein merkwürdiges Beispiel gewährt, auf welche Weise kirchliche Gebäude und Kunstwerke im Mittelalter in Deutschland zu entstehen pflegten.

Den 8ten. Da der Gottesdienst ein bequemes Verweilen in der Kirche zu Schneeberg, wohin ich zunächst wollte, verhindert haben würde, gab ich den Bitten des Vetters nach und verbrachte diesen Sonntag vom schönsten Wetter begünstigt sehr angenehm in dem Dir so wohlbekannten Wiesenbad. Die Spaziergänge in dem hübsch bewachsenen Tal wurden durch interessante Gespräche mit den mir so wert gewordenen Herren aus Annaberg gewürzt, deren Zahl sich hier noch durch den Besitzer des Bads, Hrn. Eisenstuck, einen Mann von sehr gebildeten Formen, vermehrte. Durch ein sehr stattliches Gebäude, welches den Badegästen Wohnungen und Bäder darbietet, hat er neuerdings sehr viel für die Aufnahme der Anstalt getan.

Den 9ten. Als ich heut dem Superintendenten meinen Abschiedsbesuch machte, hatte ich die Freude, dort den Vater des Oberzollinspektors Frege zu treffen, welcher sich, nachdem er lange Jahre einer gelehrten Schule vorgestanden, hierher zu seinem Sohne zurückgezogen hat. Ich fand in ihm das Bild eines würdigen Schulmanns mit weißen Haaren und konnte ihn nicht ohne die innigste Verehrung und Rührung betrachten. Solche Männer sind die eigentlichen Träger und Pflanzer der gründlichen und tüchtigen Bildung, welcher Deutschland auch noch jetzt ein geistiges Übergewicht über die meisten anderen Nationen verdankt. Und wie unsäglich sind die Anstrengungen, wie reich der stille Segen eines langen so verwendeten Lebens, dessen äußeres Loos meist so sehr bescheiden, häufig nicht einmal frei von drückenden Sorgen ist. Darauf machte ich auch der Industrie, als dem unsere Zeit bewegenden Hauptmoment, mein Kompliment, und fand dieses in der großen Manufaktur von Seidenstoffen des sehr einnehmenden und liebenswürdigen Herrn Tilo hier auf das Stattlichste vertreten. Diese neue Anlage ist eben so großartig, als in allen Teilen höchst reinlich und zweckmäßig. Die Stoffe zeichneten sich gleich sehr durch Schönheit der Farben, wie durch Geschmack der Muster aus.

Den 9ten. Schneeberg, wo ich gestern Abend nach einem beständigen Bergauf und Bergab anlangte, ist zerstreuter als Annaberg gebaut und daher der Gesamteindruck minder günstig. Es verdankt ebenfalls seine Entstehung den Silberwerken, welche, hier im Jahre 1471 entdeckt, die Veranlassung zur Anlage der ersten Häuser wurden, die sich aber so schnell mehrten, dass die Stadt schon 1479 von den Herzogen Ernst und Albrecht von Sachsen Gesetze, Richter und Schöffen erhielt. Wenn auch die Angabe in der Meißnerischen Bergchronik, dass die Ausbeute von der Entdeckung bis zum Jahre 1550 164.473 Tonnen Goldes und 60.644 Gulden betragen habe, stark übertrieben sein mag, so war sie doch jedenfalls sehr beträchtlich. Das Versiegen dieser Schätze, die zweimalige Ausplünderung durch die Kaiserlichen und die Schweden im dreißigjährigen Kriege musste den Ort sehr herabgebracht haben. Durch die Anlage von Fabriken, welche auch jetzt in einem blühenden Zustande sind, hat er sich nachmals wieder in etwas gehoben.

Von dem einstmaligen Reichtum legt jetzt nur noch die gotische Pfarrkirche ein stattliches Zeugnis ab. Über einer ziemlich einfachen Tür liest man: „Der erst Stein 1516 am 1ten Tag des Brachmonts gelegt. Der Bau 1540 Wintermonat vollbracht“*). Die Kirche zeigt also die gotische Bauart in ihrer allerspätesten Form. Der Hauptplan, wie die Form der zehn Pfeiler, stimmen mit der Kirche in Annaberg überein, nur dass der Chor hier nicht nach den Schiffen in einzelnen Kapellen abgeteilt ist, sondern nur wie ein stumpf abgerundeter, durch vier Fenster erhellter Abschluss der Seitenmauern erscheint. Die Gewölbe sind im Verhältnis; zur Höhe der Pfeiler sehr flach und die sich ohne Kapitelle und Kragsteine in die Pfeiler verlaufenden Grate bilden in der Mitte ein Viereck, dessen Schlußstein immer auf schwarzem Grunde mit einem sehr zierlichen, vergoldeten Ornament im Holbein'schen Geschmack geschmückt ist. Auch die Bogen der Fenster sind ziemlich stumpf und haben ein einfaches und mir neues Muster. Diese, wie die Einfassungen der Fenster und Türen, sind in rotem Sandstein, alles Übrige aber, wie die Annaberger Kirche, in Bruchsteinen ausgeführt. Der Fußboden ist mit Ausnahme des Mittelschiffs und des mittleren Teils des Chors mit Ziegelsteinen gepflastert. Dasselbe gilt auch von den in der Art wie die in der Kirche zu Freiberg angelegten Emporen. — Obgleich um etwas kleiner als die Annaberger Kirche, ist die Wirkung des Innern doch besonders frei, heiter und licht. Als Baumeister der Kirche wird in der ersten Zeit des Baues ein Meister Hans, in der späteren Fabian Lobwasser genannt **). Der an der Vorderseite der Kirche gelegene Turm ist nicht von Bedeutung und noch ein Überrest der früheren an dieser Stelle vorhandenen St. Wolfgangskirche.

*) An einer anderen Türe findet sich dieselbe Inschrift mit dem Unterschiede, dass die Bestimmung der Monate durch „Juni“ und „September“ ausgedrückt ist.

**) Christian Metzlers Stadt- und Berg-Chronica der freien Bergstadt Schneeberg, 1716, S. 80.


Bei weitem das Wichtigste in dieser Kirche ist das Altargemälde, in Umfang, wie an Kunstwert das Hauptwerk des älteren Kranach. Leider hat dasselbe manche widrige Schicksale erfahren. Im Jahre 1539 von den Churfürsten Johann und seinem Sohne Johann Friedrich dem Großmütigen mit dem ganzen Altar gestiftet, wurde es im Jahre 1633 von den Kaiserlichen geraubt und nach dem Kloster Strahof in Prag gebracht, von wo es jedoch im Jahre 1649 durch Vermittelung des Churfürsten Johann Georg nach Schneeberg zurückgelangte. Im Jahre 1705 wurde aber leider durch ein Legat des Kobald-Inspektors, Michael Frank, das Mittelbild mit dem jetzigen, in der geschmacklosen Weise jener Zeit ausgeführten, großmächtigen Altar aus als Marmor angestrichenem Holz umgeben*), und die acht trefflichen Flügel an einer Wand über der Emporkirche zwischen den Fenstern, die Altarstaffel der Rückseite aber an einer fünften Wand in der unteren Kirche aufgehangen. Das etwa acht Fuß hohe und sechs Fuß breite Mittelbild stellt die Kreuzigung in einer sehr reichen Komposition vor. Die ohnmächtige, von Johannes unterstützte Maria ist in Motiv, Form und Ausdruck höchst edel, und weit über die meisten Bilder des Kranach, ja an Schönheitsgefühl ist sowohl sie, als die vier anderen sie umgebenden Frauen dem Dürer überlegen. Die Gruppe der hadernden Kriegsknechte ist sehr lebendig und die Köpfe trotz aller Gemeinheit doch nicht karikiert. Ganz vorzüglich durch Handlung und Mannigfaltigkeit der Köpfe sind die Hauptleute und die Priester zu Pferde. Besonders hoch ist dem Meister aber der würdige Ausdruck des Schmerzes in dem sterbenden Christus, wie der der Reue in dem gläubigen Schacher anzurechnen, welcher letzte auch in der Zeichnung ungewöhnlich gelungen ist. Der böse Schacher ist dagegen feist und eine in Gemeinheit verzweifelnde Natur. Die Finsternis senkt sich bei dem eintretendem Tode Christi schon herab. Auf der etwa 3/2 Fuß hohen Altarstaffel ist das Abendmahl an einem länglichen Tisch vorgestellt, sodass man zwei Apostel vom Rücken sieht. Christus steckt dem im Profil gesehenen, hässlichen und rotharigen Judas den Bissen in den Mund, während er mit der Linken das Haupt des Johannes an sich drückt. Auch hier sind die Köpfe Christi wie einiger Apostel edel, Alles aber sehr lebendig. Die Farben der Gewänder sind dagegen etwas bunt und grell, der Grund schwarz. Die Rückseite des Altars stellt das jüngste Gericht dar. Der tronende Christus, von einem hellgelben Rund umgeben, ist in der Auffassung eben so eigentümlich als edel. Den Seligen zugewendet, erteilt die Rechte ihnen den Segen, während die Linke gegen die Verdammten hin nur eine ruhig abweisende Bewegung macht, und der schmerzlich milde Ausdruck seiner Züge andeutet, dass ihm die Notwendigkeit des Urteils zu Herzen geht. An der Zeichnung des von dem roten Mantel meist unbekleidet gelassenen Körpers ist nur das rechte zu spitze Knie etwas störend. In bläulichen Wolken umher oben zwei posaunende Eugel und Cherubim, unten die Altväter, die Apostel und eine Frau, wohl Eva, sämtlich unbekleidet und nur als Brustbilder aus den Wolken hervorragend. In der unteren, durch einen Leisten getrennten Abteilung, rechts in ähnlicher Weise die Beseligten — unter welchen sehr schöne Köpfe —, von Jünglingsengeln von schönen Motiven der Arme emporgehoben; unten und oben Cherubim, links die Hölle. Obgleich diese, um bei dem Besuche eines schon katolischen Churfürsten keinen Anstoß zu geben, indem sich unter den Verdammten auch ein Papst befindet, schwarz überstrichen worden ist, schimmern dennoch der Papst, wie andere Verdammte, grünliche Teufel und die Flammen durch. Die Altarstaffel entält die zum jüngsten Gericht Erstehenden, welche alle nur erst halb aus den Gräbern hervorragen; unter ihnen auch hier der Papst. Verzweiflung, Entsetzen, Schrecken, Flehen um Erbarmen, schuldloses Erwachen einiger Kinder sind sehr gut ausgedrückt, und daher der durch die Feuchtigkeit bevorstehende Untergang dieser Tafel sehr zu beklagen. Die acht Flügeltafeln entalten folgende Vorstellungen **): H. Flügel der Vorderseite. Innere Seiten, l) Unten das Portrait des Churfürsten Johann des Bekenners in halber Figur am Bettisch, der, obwol schon 1532 gestorben, hier als einer der Stifter erscheint, oben Christus am Ölberge, welchem ein Engel mit einer Schale erscheint, im Vorgrunde die schlafenden Jünger, im Hintergrunde Judas mit seiner Schar. 2) Unten das Portrait des Churfürsten Johann Friedrich des Großmütigen in ähnlicher Weise, oben die Auferstehung Christi; der Kopf Christi sehr würdig. Äußere Seiten. 1) Der die Gesetztafeln haltende Moses, als Repräsentant des alten Bundes, steht mit den vier großen Propheten unter einem dürren Baum und deutet auf den das Grab grabenden Tod, als Folge des Sündenfalls, welcher im Hintergrunde vorgestellt ist. Darunter die Sprüche Römer IV, 15, IV, 20. 2) Johannes der Täufer zeigt dem gefallenen Adam, der unter einem grünenden Baum steht, Christus am Kreuz, aus dessen Seite er mit dem sühnenden Blute besprengt wird; am Fuße des Kreuzes das Lamm und die Siegesfahne. Im Hintergrunde die Errichtung der ehernen Schlange. Die Köpfe sind hier von besonderer Schönheit. Darunter die Sprüche: Römer I, 17; III, 28; I. Johannes I, 29. L. Flügel der Rückseite. Innere Seiten. 1) Der auf dem Totengeripp stehende Christus bohrt die krystallene Lanze dem graufarbigen Teufel von trefflicher Erfindung in den Rachen. Im Hintergrunde die Verkündigung Maria, dieselbe auf einem Berge betend und das mit dem Kreuze zu ihr herabschwebende Kind. Ganz oben die Füße des zum Himmel gefahrenen Christus. Darunter: l. Corinter XV, 55. 2) Adam von dem Teufel mit der Lanze in den Höllenpfuhl gejagt, worin die Verdammten schmachten. Dieser Pfuhl ist hier schon, wol um die Finsternis auszudrücken, schwärzlich gehalten, und beweist, dass der schwarze Anstrich der Hölle des Mittelbildes, woran sich dieser Flügel schließt, nur sehr dünn ist. Im Hintergrunde in der Luft Christus als verdammender Weltrichter. Darunter l Corint. XV, 56. Äußere Seiten.

*) Über diese Umstände s. dieselbe Chronik, S. 87

**) Die Angabe der Chronik über die Anordnung derselben (S. 84 ff.) scheint mir teilweise irrig, doch ist es schwierig, die richtige mit Sicherheit anzugeben, obgleich ich es versucht habe.


1) Die Sündflut. Auf der großen Wasserfläche nur einzelne sterbende und todte Menschen und Tiere, von ergreifender Wahrheit des Ausdrucks. Im Hintergrunde die Arche, in der Luft die Taube mit dem Ölzweig.

2) Lot mit seinen Töchtern. Die Lüsternheit in ihm und der einen sehr hübschen Tochter ist sehr wahr und nicht so gemein als in anderen Bildern des Kranach ausgedrückt. Im Hintergrunde das brennende Sodom.

Ich habe absichtlich die Gegenstände der Bilder dieses Altars im Einzelnen angegeben, weil sie das ausführlichste und schönste Beispiel einer evangelischen Symbolik und Emblematik enthalten, welche Kranach ohne Zweifel nach der Angabe seiner Freunde Luther und Melanchton ausgebildet hat. Teilweise, oder mehr zusammengedrängt, finden sich dieselben Vorstellungen auch auf anderen Bildern des Kranach; so auf dem Altarblatt der Stadtkirche zu Weimar, einem Bilde der herzoglichen Gallerie zu Gota, und einem anderen auf dem Rathause zu Leipzig. Die Erlösung von der Erbsünde durch das Blut Christi tritt überall als das Hauptmoment hervor. So ist Lucas Kranach recht eigentlich als der Kirchenmaler der Reformation zu betrachten und Stiftungen wie dieser Altar beweisen zugleich am schlagendsten, wie weit entfernt die Lehre Luthers davon war, die Bilder als etwas Ungehöriges aus den Kirchen zu verbannen. Wir lernen endlich daraus, was Kranach vermochte, wenn er seine ganze Kraft zusammennahm, welches hier bei einem so großen Auftrag seiner Landesherrn und besonderen Gönner geschehen ist, sowie dass er sich von den Jahren 1530 — 1539 auf der eigentlichen Höhe seiner Kunst befunden hat.

Neben jener Altarstaffel mit den Auferstehenden hangt ein Epitaphium mit der mir unbekannten Vorstellung eines Königs, welchem ein Heiliger einen Brief übergibt, von einem sehr geschickten, dem Lucas von Leyden nahe verwandten Meister. Ein anderes Epitaphium mit der Taufe Christi und vier Portraiten darunter ist von mäßigem Kunstverdienst, doch führe ich es als einen Beweis an, dass auch noch um das Jahr 1561, womit es bezeichnet ist, hier Bilder für die Kirche gemalt wurden.

Selbst noch etwas später ist von einzelnen Bürgern eine Reihe von 14 Bildern, Christus, Johannes der Täufer und die zwölf Apostel in ganzen, lebensgroßen Figuren, gestiftet und über den Pfeilern der Emporen aufgehangen worden. Obschon von einer Hand, sind sie doch von sehr verschiedenem Wert. Manche haben etwas Grandioses und erinnern an Dürer's Apostel als Vorbilder, so besonders Christus, Andreas, Paulus und Petrus, bei welchem sich folgendes Monogramm findet . . ., welches zufolge der Chronik auf Martin Krodel, den Maler der Bilder, zu beziehen ist*). Andere sind in den Köpfen sehr gemein, in den Proportionen sehr kurz ausgefallen, so vor Allen Philippus und Johannes der Evangelist. Bei den besseren sind die Motive würdig und frei, die Formen breit und völlig, zumal in Händen und Füßen, die Gewänder von großem, edlem Geschmack, die Zusammenstellung der leider jetzt sehr verblichenen Farben fein und eigentümlich, wie das Violett einer Tunica, mit dem Grün der Toga. Auf dem Bilde Johannes des Täufers, welches noch am besten erhalten, liest man die Jahreszahl 1581. Die Wappen auf einigen Bildern beziehen sich auf die Stifter; bei dem Paulus ist überdem der Name Wolf Schroder beigesetzt. Möchte doch auch für die Wiederherstellung **) dieser immer in Betracht der Zeit sehr merkwürdigen Bilder etwas geschehen!

*) S. 101.

**) Eine Erneuerung haben sie schon im Anfange des vorigen Jahrhunderts erfahren. S. die Chronik ebenda.


Unter den vier Bogen der Emporen im Chor befinden sich vier große, durch eiserne Gitter geschlossene Epitaphien mit vergoldeten und bemalten Skulpturen, die durch ihre überladene, schwülstige und stillose Kunstweise indes wenig Anziehendes haben. Diese, sowie die mit Bildern geringer Art verzierte Kanzel, der marmorne Taufstein, dessen Becken von einer Caritas getragen wird, und einige andere Epitaphien beweisen, dass es den Schneebergern selbst im siebzehnten und zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts nicht an Mitteln und Sinn zur Beschaffung von Kunstwerken für ihre Kirche gefehlt hat. Der hölzerne Orgelchor, sowie fünf andere derselben Art, sämtlich aus späterer Zeit, entstellen in etwas die ursprüngliche Architektur der Kirche, deren Eindruck durch eine Reihe von Gemälden aus der biblischen Geschichte, welche die Brüstung der alten Emporen schmückten *), sowie durch die zwei Altäre der Bergknappschaft und der Schmelzer dereinst sehr reich und stattlich gewesen sein muß. Bei letzteren hat hier leider bei Einführung der Reformation nicht die Milde wie zu Annaberg gewaltet, sondern sie sind im Jahre 1541 aus der Kirche entfernt worden**).

*) S. die Chronik, S. 101.

**) S. dieselbe, S. 92. Der Altar der Knappschaft, dessen Mitte die Krönung Maria vorstellte, ist indes in der Hospitalkirche wieder aufgestellt worden. S. ebenda und S. 110.


Die Fahrt nach Zwickau, welche ich gleich nach Tische antrat, war sehr angenehm, denn sie gewährte, wie sich der Weg allmälig in das Land herabsenkt, für die Ferne weite und durch die günstigste Beleuchtung verschönte Aussichten, für die Nähe aber durch das hübsch bewachsene Tal der rauschenden Mulde einen erfrischenden Anblick. Zwickau stellt sich von weitem in der fruchtbaren, rings von Bergen umgebenen Talebne sehr vorteilhaft dar und befriedigt den Altertumsfreund durch die Marien- und Katarinen-Kirche, das Rathaus und andere ansehnliche öffentliche und Privatgebäude, deren Formen das fünfzehnte und sechszehnte Jahrhundert verraten, auch in der Nähe ganz ungemein. Einige alte Tore haben kürzlich leider der flachen Neuerungswut weichen müssen. Obgleich diese Stadt ihren Ursprung mindestens bis zu Heinrich dem Vogler hinauf verfolgen kann, scheint doch kein Gebäude den furchtbaren Brand vom Jahre 1463 überdauert zu haben; so hat sich der Ort auch nach der schrecklichen Belagerung, Plünderung und Pest, welche ihn in den Jahren 1632 und 1633 im dreißigjährigen Kriege heimgesucht, nie wieder zu der früheren Ausdehnung und Blüte erheben können.

Ich eilte gleich zur Betrachtung von Unserer lieben Frauenkirche, deren Äußeres weit am zierlichsten von allen Kirchen des Erzgebirges ist, welche ich gesehen habe. Die verschiedenen Teile der Kirche deuten auf eine sehr lange Dauer des Baues. Der Turm an der Vorderseite, dessen alter Bau sich in zwei viereckigen Stockwerken erhebt, sowie der daran grenzende Teil der Schiffe, beweisen durch die schöneren und reineren Formen, welche der ersten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts angehören, dass der Bau wohl bald nach dem Brand von 1403 begonnen worden ist. Der Chor, dessen Bau nach einer lateinischen Inschrift über einer Tür im Jahre 1453 angefangen, ist im Jahre 1470 beendigt und somit wohl der ganze Bau abgeschlossen worden *). Die einfacheren und kunstloseren Formen der Fenster, die fehlende Verzierung des Gesimses und die kahlen Strebepfeiler am Chor lassen vermuten, dass auch die des hinteren Teils der Schiffe ähnlich gewesen, und die Veranlassung geworden, dass die Seitenmauern im Jahre 1506**) wieder abgebrochen, und die gegen Norden bis zum Jahre 1517, die gegen Süden aber von da bis zum Jahre 1536, in schönen Werkstücken viel reicher, aber mit den gedrückten Bögen und den überkünstelten Formen der gotischen Bauweise dieser Zeit von neuem aufgebaut worden sind. In dem letzten Jahre ist auch das Gewölbe wieder geschlossen worden, wie eine Inschrift an demselben besagt. Auch hier findet sich an einigen Türen das förmliche Nachahmen von Baumstämmen, was ich schon öfter bemerkt habe und charakteristisch für die gotische Baukunst des sechszehnten Jahr hunderts im Erzgebirge zu sein scheint. Das schöne Material des Sandsteins, die hübschen Spitzsäulchen, welche die Widerlagen krönen, die menschlichen Köpfe, unter denen ein König und eine Königin besonders auffallen, und die Tiere am Gesimse machen diese Kirche zu einem der reicheren und fleißigeren Denkmale gotischer Baukunst, welches ursprünglich auch, wie die leeren Stellen zeigen, des Schmucks der Statuen nicht entbehrt haben mag. Das Innere stimmt in allen Hauptteilen mit den schon beschriebenen Kirchen in anderen erzgebirgischen Städten überein, und hat als das Frühere jenen offenbar in der Form der Emporen mit den Erkern, sowie der Pfeiler zum Vorbilde gedient. Nur der Ausgang der Rippen der Gewölbe, welche nach Art der Palmenblätter in höheren und niederen Ansätzen aus den Pfeilern hervorsprießen, ist hier eigentümlich; so laufen auch die Emporen hier nur bis zum Chor, welcher durch einen sogenannten Triumphbogen von den Schiffen geschieden ist. Von den Glasmalereien, welche die Kirche dereinst geschmückt, ist leider nichts mehr vorhanden. Dieser Chor erhält seinen Hauptschmuck durch den berühmten Altar des Michael Wohlgemut, welcher durch folgende, jetzt zwar verlorene, aber von Schmidt aufbehaltene Inschrift das am ausführlichsten beglaubigte Werk dieses Meisters ist:

„Nach Christi Geburt vierhundert und im neun und siebenzigsten Jahr, am Sontag Laetare sind übereinkommen, der gestrenge Merten Römer, die Zeit Hauptmann zu Zwickau, und der erbare Rat allhier, Paul Strödel, die Zeit Bürgermeister, Caspar Sangner, und Tomas Wilberer, Alter-Leute, mit Meister Michel Wolgemut, Maler zu Nürnberg, und dieses gegenwertige Werk, das da allenthalben gestehet (kostet) vierzehen hundert Reinische Gulden.“

Das Innere des Altarschreines entält neun lebensgroße Statuen von Lindenholz, welche sehr reich und zierlich vergoldet und bemalt sind. In der Mitte steht Maria mit dem Christuskinde aus dem Halbmond, rechts, nach den Attributen, von der heiligen Katarina und Magdalena, links von Barbara und einer Heiligen mit Buch und Pilgerstab umgeben. Auf dem rechten Flügel folgt zunächst eine Heilige ohne Attribute, dann Agnes, auf dem linken ebenfalls eine ohne Attribute, dann Dorotea. Wie nun die drei, Salome, Agata und Blandina, welche hier noch vorgestellt sein sollen, unter jene unbekannten zu verteilen, kann ich nicht bestimmen. Sämmtliche Jungfrauen tragen Kronen und stehen unter sehr reichen gotischen Baldachinen. Die Außenseiten dieses, und die inneren eines zweiten Flügelpaares zeigen in vier Gemälden die Verkündigung, die Geburt Christi, die Anbetung der Könige, und die Familie der drei Marien, alle mit goldner Luft. Die äußeren Seiten dieses zweiten und die inneren eines dritten unbeweglichen Flügelpaares stellen in vier anderen Bildern folgende Vorgänge aus der Passion dar: Christus am Ölberge, der Ecce Homo mit verschiedenen Episoden, die Kreuztragung und Kreuzigung. Hier sind die Hintergründe landschaftlich behandelt. Die Mitte der Altarstaffel entält in ähnlichem Schnitzwerk die 1 ½ Fuß hohen, sitzenden Figuren Christi und der zwölf Apostel, das Innere der Flügel die Heiligen Antonius, den Einsiedler, Petrus, Georg und Christoph in halben Figuren; das Äußere zwei Engel mit der Monstranz und die vier Evangelisten mit ihren Zeichen. Auf der Rückseite des Altars ist in flüchtiger Temperamalerei das jüngste Gericht und darunter das Schweißtuch, die Einsammlung des Manna und Melchisedech, welcher Brot und Wein segnet, dargestellt. Der Aufsatz des Schreins von durchbrochenem und vergoldetem Schnitzwerk ist erst im Jahre 1570 gemacht worden. Obschon er im Stil nicht zu dem Übrigen passt, ist er ein zierliches Beispiel von dem Geschmack des sechszehnten Jahrhunderts in dieser Gegend. Das Innere des Altars macht einen sehr reichen und prachtvollen Eindruck. Die Köpfe sind zwar etwas einförmig, doch von feinen Zügen und jungfräulichem Ausdruck, und durch die sehr zarte Bemalung von einem ganz eigenen Reiz. Die Hände sind meist sehr zierlich in Form und Bewegung, doch kommen in beider Rücksicht auch einige starke Verstöße vor. Die Gestalten sind schmächtig und erscheinen teilweise nur durch das bauschige Gefält, welches bei der Katarina am meisten übertrieben ist und am unangenehmsten auffällt, von ansehnlicherem Umfang. Die Gewänder sind teils vergoldet, teils farbig und, wie bei den Bildern der van Eyck'schen Schule, mit prächtigen Mustern verziert. Wer die sicheren Werke des Adam Kraft in Nürnberg gesehen, kann der Tradition, dass diese Schutzwerke von ihm herrühren, nicht beipflichten. Der Christus und die Apostel der Predella mit dicken Köpfen und plumpem Gefält sind vollends sehr geringe Arbeiten.

Allerdings haben die Herren v. Schorn und v. Quandt recht, wenn sie die vier auf die Maria bezüglichen Bilder für die besten Malereien des Altars erklären*); an sich gehören sie indes immer zu den roheren Bildern des Wohlgemut und halten in Feinheit und Schönheit keinen Vergleich mit den Figuren von einzelnen Heiligen aus, welche früher in der Augustinerkirche zu Nürnberg, jetzt daselbst in der Moritzkapelle befindlich sind. Unter den Köpfen der Maria zeichnet sich der auf der Familie der drei Marien noch am meisten aus. Von den vier Bildern aus der Leidensgeschichte zeigen Christus am Ölberge und die Kreuzigung in allen Teilen, Gefühl, Zeichnung, Färbung und Behandlung, eine so völlige Übereinstimmung mit den vier vorigen, dass ich sie um so mehr auch von der Hand des Wohlgemut halte, als die Kreuzigung auch mit dem Bilde desselben Gegenstandes von Wohlgemut in der Pinakotek zu München die größte Ähnlichkeit hat. Dagegen weisen bei dem Ecce Homo, der Kreuztragung und den Bildern der Predella die große Rohheit und Faustmäßigkeit des Gefühls und der Malerei, der schwere, lederbraune Ton entschieden auf einen rohen Gesellen, ja ist selbst die Composition so kindisch und verworren, dass man fast geneigt sein möchte, auch diese dem Wohlgemut abzusprechen. Durch die in Dresden bewirkte Restauration dieses Altars hat sich der sächsische Altertumsverein ein namhaftes Verdienst erworben.

*) S. das Kunstblatt 1836, S. 10, und den Text zu den Steindrücken, welche auf Veranlassung des sächsischen Altertumsvereins sehr verdienstlicherweise nach den Bildern des obigen Altars erschienen sind.

Ein Gemälde des jüngern Kranach vom Jahre 1544, welches ein Epitaphium schmückt, ist zwar überladen und stillos in der Composition, übrigens in Ton und Liebe der Ausführung noch dem Vater nahe stehend und einer Wiederherstellung sehr wert.

Ein heiliges Grab aus Lindenholz in der Sacristei in Form eines großen, gotischen Sarkophags, auf dessen Mitte sich ein Turm erhebt, ist in der Hauptform wie in dem durchbrochenen Schnitzwerk sehr gelungen, in den Statuetten der Maria und der vier Evangelisten, wie der des Leichnams Christi und von zwölf Kriegsknechten am Fuße des Grabes aber schwach. Freilich sind einige der letzten noch ungleich schlechter erneuet. Es ist bezeichnet: „Anno Domini MCCCCCVII.“ Ein Monogramm M. R. wird auf Martin Römer als Besteller bezogen, welchem auch die Kirche so viel verdankt. Ein anderes M. H. bezieht sich wahrscheinlich auf den Künstler *).

*) Von der Beurteilung des Altars bis hierher ist ein Zusatz, welchen ich erst im Jahre 1841, auf einer Reise nach Italien, in Zwickau selbst gemacht habe, indem obige Kunstwerke im Jahre 1839 einer Reparatur der Kirche wegen, welche im Sept. 1841 erst kürzlich beendigt war und sehr befriedigend ausgefallen ist, zu meinem großen Leidwesen nicht zugänglich waren. Anmerk. d. Verfassers.

Die Katharinenkirche, welche ich noch aufsuchte, ist ein recht hübscher gotischer Bau, welcher in seiner jetzigen Hauptgestalt im Jahre 1465 fertig geworden ist, indes auch viele spätere Umänderungen, Zusätze und Reparaturen erfahren hat. Sie entält drei von sechs Pfeilern getragene Schiffe, deren Gewölbrippen auf Kragsteinen ruhen. Der helle Chor hat fünf Fenster. Besonders zierlich ist die Sacristei mit einem Pfeiler in der Mitte und hübschem Muster der Gewölbrippen.

Der Hauptaltar befand sich ursprünglich auf dem Kunigundenaltar der Marienkirche, woraus er im Jahre 1530 nach dem Chor des Barfüßerklosters, 1534 aber hierher versetzt worden ist. Das Mittelbild stellt die Fußwaschung Christi, das Innere der Flügel die beiden Stifter mit ihren Patronen, den heiligen Bartolomäus und Jacobus dem größeren, vor. Diese Stifter werden in der Chronik für die Portraite Friedrichs des Weisen und seines Bruders Johann gehalten, wogegen aber die Namen der Patrone und das eine Wappen sprechen, bei welchem es schon Schmidt aufgefallen, dass es nicht das sächsische ist. Die Außenseiten zeigen Kaiser Heinrich II. und seine Gemahlin Kunigunde und, von geringerer Hand, Christus am Ölberge und die Kreuzigung. In einem Halbkreise über dem Hauptbilde befindet sich der im Grabe stehende Christus, von einem Geistlichen und einem Weltlichen verehrt; auf der Altarstaffel, wieder von der geringeren Hand, die Anbetung der Könige. Die Angabe der Chronik, welche L. Kranach als den Maler dieses Altars nennt, ist sehr irrig, denn man erkennt hier in Zeichnung, Charakteren, Färbung und Behandlung einen vorzüglichen Meister der Nürnbergschen Schule. Die edeln Gestalten und schönen Köpfe der Heiligen erinnern lebhaft an Hans von Kulmbach, mit dessen bester Zeit auch der Ausdruck der Chronik, dass die Tafeln 1518 nach Zwickau gebracht worden, sehr wohl übereinstimmt.

Bevor ich indes von hier scheide, will ich noch einen Gesamtblick auf meine erzgebirgische Reise zurückwerfen. Während die in den Bergwerken gewonnenen Schätze längst zerronnen sind, legen die stattlichen Kirchen, die vielen Bildnereien und Gemälde noch ein würdiges Zeugnis von dem einstmaligen Segen und dessen Verwendung ab. Für die gotische Architektur habe ich auch hier die treffende Bemerkung in den geistreichen Briefen von Schnaase bestätigt gefunden, dass dieselbe in verschiedenen Gegenden auch verschiedene Formen entwickelt hat. Für die fleißige Ausübung der Skulptur ist ein Hauptgrund wohl in dem zur Hand liegenden Material zu suchen. Besonders bemerkenswert ist das Vorherrschen der Kunstart der fränkischen und schwäbischen Schule über die des Lucas Kranach. Indes möchte ich doch anstehen, deshalb mit Einigen eine eigne erzgebirgische Schule anzunehmen. Wie wir historisch wissen, dass die Hauptaltäre der Kirchen zu Zwickau und Annaberg im fünfzehnten und sechszehnten Jahrhundert in Nürnberg und Augsburg gemacht worden, so mag es auch mit anderen der vorzüglichsten Denkmale der Fall sein. Minder bedeutende dürften von fahrenden Malergesellen beschafft worden sein. Sollten aber auch manche von einheimischen Malern herrühren, was ich nicht im geringsten in Zweifel ziehen will, so begründet dieses meines Erachtens immer noch nicht eine eigentliche Schule.

Auf der Stadtbibliothek befindet sich bekanntlich ein Exemplar der ars moriendi. Die sehr rohen Holzschnitte sind bereits mit der Presse gedruckt und sehr schwarz, die Rückseiten sind weiß, das Ganze mit dem Texte vollständig. Für die spätere Entstehungszeit spricht auch der Umstand, dass es mit einer Abhandlung von Walter Isenburg, Bürger zu Memmingen, „Wie das Haus Österreich an Ungarn, Böhmen und Geldern gekommen“, vom Jahre 1520 zusammengebunden ist.

Sehr bemerkenswert sind zwei große Blätter von geschrotener Arbeit zu Anfang und zu Ende des Bandes. Das erste stellt oben Maria in der Herrlichkeit zwischen dem Erzengel Michael und dem heiligen Georg, unten rechts Betende, links eine Predigt des heiligen Jacob, ganz unten als Wappen behandelt die Marterwerkzeuge mit dem Spruchzettel „Spes christiana“ vor. Mit dem zierlichen, aus einzelnen Plättchen zusammengesetzten Rande ist das Blatt etwa 5 ½ Zoll breit und 9 Zoll hoch. Das zweite zeigt oben die Anbetung der Könige, unten die Maria von Schützlingen verehrt. Auf einem Spruchzettel: Ima permutat brevi hora summis. Ganz unten eine Frau mit einem Heiligenschein, und sieben Personen in einem Feuerkessel im Gebet. Das Ganze ist von einer Architektur im italienischen Geschmack mit drei Ordnungen von Säulen eingefasst. Oben rechts drei Kronen, unten Hermelin, gegenüber ein Monogramm. Composition und Arbeit verdienen gleichmäßig Lob.

Noch heut Nacht gehe ich mit der Schnellpost von hier fort und morgen bin ich schon in Franken.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kunstwerke und Künstler in Deutschland - Band 1