Freiberg, den 3ten Juli 1839

Der heutige Abend gewährt mir zum ersten Mal einige Ruhe, Dir von den bisherigen Ergebnissen meiner Reise etwas ausführlicher zu schreiben. Als ich nach einer durch zahlreiche und breitleibige Reisegefährten und unaufhörlichen, sehr dicken Tabaksqualm qualvollen Fahrt am 27ten früh endlich in Dresden aus der Schnellpost stieg, war mir ungefähr zu Mute wie Schillers Taucher, wenn er aus dem Meeresabgrunde hervorkommt, und ich empfand recht lebhaft die schönen Worte, „und er atmete hoch und er atmete tief und begrüßte das himmlische Licht.“ Brauchte ich nun auch vielleicht nicht so tief zu atmen, so hatte ich dafür desto mehr zu begrüßen, vor Allem Tieck und die herrliche Bildergalerie. Du weißt, dass mir der Aufenthalt in Dresden jedes Mal ein wahres Fest ist. Ich fühlte mich dieses Mal aber beim Anblick der mir so lieben Stadt besonders bewegt und die verschiedenen Eindrücke meiner früheren Besuche traten mir in seltener Lebhaftigkeit vor die Seele. Wirklich ruft kein anderer Ort so viel der liebsten Erinnerungen aus allen Epochen meines Lebens in mir hervor. Schon im Jahr 1801 empfing ich hier, noch ein Kind, die ersten bedeutenden Kunsteindrücke, welche mein Vater in seiner Begeisterung für die Wunderwerke der Dresdner Galerie immer frisch und lebendig in mir zu erhalten wusste. Auch damals war Tieck grade dort, sodass ich mich schon von so früher Zeit gewöhnt habe, Dresden nicht ohne ihn zu denken. Meine späteren Besuche als Jüngling und Mann vereinigten nun aber seltenerweise die Reize des Heimischen und Fremden, denn bei so lieben Verwandten wie Tiecks, oder Bischofs wohnend, fühlte ich mich in dem traulichen Umgange mit ihnen gleich wie zu Hause, und die herrlichen Kunstwerke erschienen mir in dem Maße, als ich an geistiger Reife zugenommen, jedes Mal neu und immer bedeutender. Ebenso ist es mir aber auch aus demselben Grunde in dem geistigen Verkehr mit Tieck ergangen. Es ist schon eine der wohltätigsten Erfahrungen, welche man machen kann, einen älteren Freund das ganze Leben hindurch immer gleich treu, gleich vorsorglich und mitteilend zu finden; ist nun aber ein solcher vollends eine Natur von einer Vielseitigkeit und Tiefe der Bildung, von einer Grazie und Behaglichkeit des Umgangs wie Tieck, so gehört es gewiss zu dem Schönsten, was einem auf dieser Erde begegnen kann, und es ist daher wohl kein Wunder, wenn ich, geteilt zwischen dem traulichen Verkehr mit so lieben und nahen Verwandten, den geistreichsten und freiesten Mitteilungen, dem vortrefflichsten Vorlesen der schönsten Erzeugnisse der Poesie aller Zeiten und Völker von einem Meister wie Tieck, und dem lehrreichsten Studium der edelsten Kunstschätze, das Wachsen meiner geistigen Schwingen, um mit Plato zu reden, in besonderer Lebhaftigkeit zu fühlen glaube. Obgleich Tieck etwas erkältet war, fand ich ihn doch heiter, geistig frisch und wie immer zum lebhaften Anregen und Eingehen auf alle und jede geistigen Interessen aufgelegt. Ausdehnung und Gegenstand dieser Reise verboten leider dieses Mal einen längeren Aufenthalt, sodass ich einige werte Freunde gar nicht, andere nur flüchtig sehen sonnte. Bei einigen Besuchen der Galerie fand ich, dass seit meinem Aufenthalt mit Dir im Jahr 1836 viele Bilder gefirnisst, manche sorgsam restauriert worden, nahm aber von neuem die Überzeugung mit hinweg, dass alles Dieses, so lange die Galerie in dem jetzigen, so unpassenden und verderblichen Lokale bleibt, nur Palliativmittel sind, und das einzige Heil zur Erhaltung dieser Kunstschätze in der Ausführung eines neuen Baues zu suchen ist. Die warme Kunstliebe des Königs und des Ministers von Lindenau, die in Sachsen in so besonderem Maße verbreitete geistige Bildung lassen hoffen, dass dieser Bau recht bald zu Stande kommen wird, denn der Zustand so vieler Bilder erheischt allerdings die möglichste Beschleunigung*).

*) In dieser Hoffnung bin ich leider sehr getäuscht worden. Durch gänzliches Abweisen der von der Regierung desfalls gemachten Vorschläge haben beide Kammern die Schätze der Galerie ihrem gänzlichen Verderben preisgegeben und dadurch bewiesen, dass sie weder die geistigen, noch die materiellen Interessen von Sachsen gehörig zu würdigen und zu vertreten wissen. Vergl. meinen Brief an Herrn H. Brockhaus in Nr. 43 der Blätter für literarische Unterhaltung vom Jahr 1840.


Bei so Vielem des Vortrefflichsten der Kunst früherer Zeiten, wie Dresden bewahrt, tut es dem Kunstfreunde besonders wohl, dort jetzt auch einige frische Kunstsprossen sich lebenskräftig und gesund entfalten zu sehen. Mit vieler Befriedigung betrachtete ich zwölf für die Aula des Leipziger Augusteums von dem liebenswürdigen und talentvollen Professor Rietschel ausgeführte Reliefs, welche grade ausgestellt waren. Es sind in denselben die Hauptmomente menschlicher Kultur von der ältesten vorgeschichtlichen bis zur neuesten Zeit veranschaulicht worden. Die Erfindungen sind meist glücklich, der Styl des sehr erhabenen Reliefs sehr gut, die Angabe der Teile einsichtig auf den hohen Standort, wofür sie bestimmt sind, berechnet. Die Charaktere der verschiedenen Zeiten und Völker sind dabei sehr gut aufgefasst, die Köpfe durchgängig lebendig, das Gefält der Gewänder besonders gelungen. Vorzüglich sagen mir die beiden Reliefe zu, deren das eine den ältesten, idyllischen Zustand des Zähmens der Haustiere, des Ackerbaues, des Beobachtens der Sterne, das andere die älteste namhafte Kunstepoche durch die Ägypter vergegenwärtigt. Sehr glücklich ist in dem letzteren der Gegensatz des starren und strengen Stils einer kolossalen Sphinx mit der Naturwahrheit und Lebendigkeit der dieselbe mit Anstrengung fortziehenden Ägypter durchgeführt. Ein anderes schönes Talent hat Dresden an dem seinem Vaterlande leider entführten Bendemann gewonnen. Die Entwürfe zu den Freskogemälden im königlichen Schlosse, welche er die Güte hatte mir zu zeigen, sind voll von schönen und eigentümlichen Erfindungen. Die meisten behandeln die verschiedensten Zustände des menschlichen Lebens ungefähr in den Kunstformen, welche Dir aus dem Totentanz von Holbein bekannt sind. Die Leichtigkeit und Bequemlichkeit, womit er sich in dieser ihm neuen Form bewegt, die große Lebendigkeit mancher sehr dramatischer Vorgänge ist mir ein Beweis von der Vielseitigkeit seines Talents, welches wir bisher fast nur von der tragischen und elegischen Seite kennen gelernt haben. Die Anschauung einiger Cartons und der in diesem Frühjahr im Thronsaal danach begonnenen Gemälde von einer Reihe von Gesetzgebern, Kaisern und Königen wurde mir leider nicht gestattet*).

*) Bei einem Besuche Dresdens im Jahr 1841 habe ich durch Hrn. Professor Hübner nicht allein diese, sondern auch die anderen seitdem ausgeführten Malereien gesehen. Der Eindruck ist durchaus günstig, doch strahlen freilich die von Hrn. Prof. Bendemann eigenhändig ausgeführten durch eine ungleich geistreichere Behandlung und eine feiner abgewogene Harmonie in den Farben sehr hervor.[I]

Es ist eine der vielen schönen Früchte des langen Friedens, dass durch die Bildung von Vereinen immer mehr für die Kenntnis und Erhaltung vaterländischer Denkmäler von den ältesten Zeiten unserer noch heidnischen Altvordern bis auf die Gegenwart Sorge getragen wird. Der dadurch zur allgemeinen Kunde kommende Bestand vermehrt sich alljährlich so ansehnlich, dass die Aussicht auf eine durch eine Reihe von Denkmalen begründete Geschichte der Kunst bei den verschiedenen Stämmen deutscher Nation, woran noch vor wenigen Jahren gar nicht zu denken war, immer wahrscheinlicher wird. Mit einer solchen würde auch die Teilnahme an diesen Vereinen immer allgemeiner werden. Von dem erfolgreichen Wirken des sächsischen Vereins dieser Art wurde ich durch den Sekretär desselben, den Dr. Klemm, welcher vor drei Jahren so freundlich den Cicerone in der reichen königlichen Porzellansammlung machte, sehr genau unterrichtet und mit Winken und Empfehlungen für meinen Besuch der Städte des Erzgebirges auf das Freundlichste ausgerüstet. Er selbst besitzt eine gewählte Sammlung germanischer Altertümer, unter denen einige bronzene Geräte, namentlich ein Szepter und ein Schwert, selbst in den größten öffentlichen Sammlungen dieser Art als Prachtstücke glänzen würden. Gestern um Mittag fuhr ich hierher bei sehr kaltem und regnerischem Wetter ab. Welch einen Abstand bildete dieser Besuch des romantischen Plauenschen Grundes, des reizenden Tharant in ganz fremder und gleichgültiger Gesellschaft mit meiner letzten Fahrt mit Dir bei dem herrlichsten Sonnenschein! Es war mir, als ob Alles verwandelt wäre. So viel kommt es bei allen Eindrücken auf die Umstände an, unter denen wir sie empfangen!

Die Umgegend von Freiberg ist kahl und traurig, die Stadt selbst, welche ihre Entstehung den schon im zwölften Jahrhundert in dieser Gegend entdeckten reichen Silberbergwerken verdankt und dadurch lange in einem sehr blühenden Zustande war, ist durch verschiedene Feuersbrünste, Belagerungen, ganz besonders aber durch die Abnahme des Bergbaues sehr heruntergekommen und hat jetzt ein totes und ärmliches Ansehen. Der Architekt des Bergamts, an den mich Freund Klemm empfohlen, war leider gestern nach Dresden gefahren, doch zeigte mir seine Frau, in Begleitung einiger munteren Kinder, eine Anzahl dem Verein für Erforschung der Altertümer zugehöriger Gegenstände, welche man ganz neuerdings in alten Särgen gefunden hatte. Sehr bemerkenswert waren mir darunter wegen der Verschiedenheit in der meist sehr guten Auffassung und der großenteils fleißigen und geschickten Ausführung eine Anzahl kleiner bronzener Kruzifixe, welche man in der Gegend der Brust, oder der zusammengefaltenen Hände angetroffen hat. Verschiedene waren von der schönsten smaragdgrünen Patina. Ich traf dann noch mit dem in demselben Hause wohnenden Domküster eine Verabredung für heut früh und eilte, bei einer Temperatur von nicht mehr als acht Graden, nach meinem Gasthofe zurück. Schon sehr zeitig stand ich vor der berühmten, durch das so höchst verdienstliche Werk des Dr. Puttrich*) jetzt allen Kunstfreunden bekannten „goldenen Pforte“, der Hauptveranlassung meiner Reise hierher. Es ist dieses reich mit Skulpturen geschmückte Portal der Hauptüberrest der im Jahr 1484 abgebrannten Frauenkirche. Obgleich über die Zeit der Entstehung dieser Pforte sich kein historisch beglaubigtes Datum vorfindet, scheint mir doch die Vermutung des Dr. Puttrich, dass dieselbe ein Teil der von Otto dem Reichen, dem Gründer Freibergs, zwischen den Jahren 1175 und 1189 erbauten Kirche sein möge, viel für sich zu haben. Die Architektur ist durchaus in dem Stil durchgeführt, welcher gewöhnlich der byzantinische heißt, den ich aber den romanischen nenne, und stimmt in den halbkreisförmigen Bogen, den Verhältnissen, den Verzierungen der Schäfte und Kapitäle der Säulen, wie der Archivolten völlig mit anderen Gebäuden in Deutschland überein, deren Entstehung in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts außer allem Zweifel ist. Keinenfalls aber kann der Bau derselben später als bis 1250 fallen, denn, wenn schon bis dahin jene romanische Bauweise sich in vielen Fällen, wie z. B. an dem Dome zu Münster, in Gebrauch erhalten, tritt doch später überall der Spitzbogen mit den anderen Eigentümlichkeiten der gotischen Baukunst ein. Da es nun keinem aufmerksamen Beschauer beifallen kann, dass die Skulpturen etwa in späterer Zeit in die Architektur eingefügt worden, indem sie, räumlich streng bedingt, mit der Architektur die größte Einheit der Gesamtwirkung hervorbringen und im Styl auch jener obenbezeichneten Epoche durchaus entsprechen, so möchte sich von dem kritischen Standpunkt gegen die hohe Ausbildung der Skulptur in Deutschland gegen Ende des zwölften, oder doch in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts, nichts Gegründetes einwenden lassen. Leider wurde der Totaleindruck der goldenen Pforte für mich durch ein wegen einer Reparatur vor derselben errichtetes Gerüst gestört, und auch durch den starken Schatten desselben das Studium der acht vortrefflichen Statuen, von denen an jeder Seite vier zwischen den zierlichen Säulen stehen, sehr verkümmert. Dafür hatte ich aber den Vorteil, auf dem Gerüst die Anbetung der Könige in dem Bogenfelde, sowie die vier Reihen von Skulpturen in den umlaufenden Vertiefungen der Archivolten in der Nähe betrachten zu können. Allerdings verdient schon die musterhaft stilgemäße Weise, wie durch die Anordnung die gegebenen Räume ausgefüllt worden, große Bewunderung, indes findet sich diese Eigenschaft mehr oder minder bei den meisten Skulpturen jener Zeit vor; in Rücksicht des Schönheitsgefühls, wie der Ausbildung sind sie dagegen allen mir aus dem oben bezeichneten Zeitraum aus eigner Anschauung bekannten Bildwerken in Deutschland weit überlegen. Man findet hier weder lokalbyzantinische, noch italienische Einflüsse, noch eine Spur von dem Charakteristischen der Skulpturen, welche gotische Gebäude begleiten, sondern eine eigentümliche Ausbildung nach den Prinzipien antiker Kunst, wie sich dieselben in den ältesten Gebilden christlicher Kunst angewendet finden. Die Motive der einzelnen Figuren sind natürlich, edel und mannigfaltig, die Verhältnisse neigen eher, im Gegensatz mit der Verlängerung der Byzantiner, zum Kurzen und Breiten, so sind auch die Formen nicht nach Art der Byzantiner dürftig und mager, sondern von einer gewissen Fülle. Besonders zeigen die Ovale der wohlgebildeten und im Charakter verschiedenen Köpfe das Volle und Breite der abendländischen Miniaturen des zwölften Jahrhunderts; doch spricht sich öfter in dem Contour derselben ein feines Gefühl aus. Das in großen Massen gehaltene Haar ist im Einzelnen bindfadenartig behandelt, Hände und Füße sind gut bewegt, und, wo die Oberfläche erhalten, findet sich selbst eine Angabe von Knöcheln und Sehnen. In den engen, nicht sehr vertieften Falten ist das antike Prinzip in besonderer Reinheit angewendet worden. Die Ausführung ist nicht sehr groß, doch vollkommen ausreichend für architektonische Skulpturen. Mit musterhafter Schärfe sind die reichen Gesimse und Kapitäle gemacht, und die Acanthusblätter vortrefflich unterarbeitet. Wenn schon die jetzige, keineswegs störende Bemalung nicht die ursprüngliche ist, so ist doch mit Sicherheit anzunehmen, dass ihr eine solche, oder ähnliche, zum Grunde liegt, bei welcher eine teilweise Anwendung von Gold der Pforte den Namen der goldnen gegeben hat. Das Gewand der Maria ist blau, mit rotem Futter, das des Christkindes blau, die Augensterne sind mit schwarzer Farbe angegeben. Die Deutung von verschiedenen der unteren acht Statuen ist schwierig. Da aber David durch Psalter und Szepter, Johannes der Täufer (von Stieglitz mutmaßlich für Jesaias gehalten) durch Bekleidung mit dem Fell und dem Lamm außer Zweifel sind, dürften auch die anderen wohl am sichersten als Personen, welche von der Erscheinung Christi gezeugt haben, anzusehen sein, und die vier Frauen, von denen drei mit Spruchzetteln, am ersten Sibyllen vorstellen, welche die katholische Kirche schon sehr früh als Prophetinnen aus dem Heidentume deutete. Bei den oberen Skulpturen sind die Verherrlichung Maria, welcher die Kirche geweiht war, und die beseligenden Folgen der Lehre Christi für die Gläubigen die beiden leitenden Ideen. Daher thront in der Bogenfüllung bei der Anbetung der Könige Maria in der Mitte und wird in der nächsten Archivolte von Gott Vater gekrönt, der in der Linken aber zugleich das aufgeschlagene Buch des Lebens hält. Das Kind, welches in der folgenden Archivolte von einem Engel einem bärtigen Alten übergeben wird, auf dessen Schoß eine andere kleine Figur, ist meines Erachtens eine gläubige Seele, der Alte Abraham, die Figur in seinem Schoße der arme Mann aus dem Gleichnis. Diese Weise, die Seligen oder den Himmel anzudeuten, findet sich wenigstens bei verschiedenen Darstellungen des jüngsten Gerichts aus dem zwölften und dreizehnten Jahrhundert vor. Der heilige Geist als Taube, in der Archivolte darauf, bedarf keiner Erklärung, eben so wenig die beiden Erstandenen, welche der Engel in der Mitte zu Gnaden annimmt, in der letzten Archivolte. Alle diese Vorstellungen nehmen die Mitte der Archivolten ein und werden zu beiden Seiten von Engeln, Aposteln, Heiligen und aus den Gräbern Erstehenden begleitet. Obgleich einzelne starke Beschädigungen vorkommen, wie denn der Kopf des Christuskindes ganz fehlt, ist im Ganzen die Erhaltung für ein so altes Werk sehr gut zu nennen und vornehmlich wohl dem Umstande zu danken, dass es durch eine geschlossene Vorhalle der Kirche geschützt wird. Die Vortrefflichkeit dieser Skulpturen, welche allerdings allen italienischen vor Nichola Pisano unendlich weit überlegen sind, erscheint mir keineswegs so ganz unerklärlich. Die Kultur, welche die großen sächsischen Kaiser das ganze zehnte Jahrhundert hindurch in ihren Landen durch Errichtung von Bistümern und Klöstern begründet hatten, trug erst in den folgenden beiden Jahrhunderten ihre schönsten Früchte, wie so viele Berichte über von weltlichen und besonders geistlichen Fürsten und Äbten gestiftete Gebäude, Bildwerke, zumal in Metall und Malereien, beweisen. Durch den Reichtum, welcher Obersachsen aus seinen Bergwerken zufloss, mochte es begreiflicher Weise im zwölften Jahrhundert den übrigen sächsischen Landen vorausgeeilt sein. Die Zeit, die Reformation, vor Allem der dreißigjährige Krieg und die später eingetretene Gleichgültigkeit gegen alle Bauten und Kunstwerke des Mittelalters, haben indes die Denkmale dieser Epoche so gründlich zerstört, dass sich nur einzelne, erst ganz neuerdings bemerkte Überreste, wie die Skulpturen in der Kirche zu Wechselburg und diese goldene Pforte, erhalten haben. Bei der jetzt auf diesen Gegenstand gerichteten Aufmerksamkeit steht indes zu hoffen, dass sich noch mehr dieser Art vorfinden, und vielleicht ein sicher beglaubigtes Werk die Entstehungszeit der obigen außer allen Zweifel setzen wird.

Nach der genauen Betrachtung dieses wichtigen Denkmals trat ich in die Kirche, welche im gotischen Geschmack vom Jahr 1484 — 1500 erbauet worden ist und, die Beisteuer durch Almosen ungerechnet, einen Aufwand von 72.000 Gulden, also eine für jene Zeit sehr beträchtliche Summe, erfordert hat. Das Äußere ist weder durch einen namhaften Turm, noch durch sonstigen architektonischen Schmuck ausgezeichnet. Das Jnnere von drei gleich hohen Schiffen macht dagegen einen schönen, heiteren Eindruck. Die Verhältnisse sind glücklich, die Fenster breit und hoch, die zwölf Pfeiler sehr schlank. Als besondere Eigentümlichkeiten dieser späten Formen gotischer Bauweise in dieser Gegend siel mir Folgendes auf. Die acht Seiten der Pfeiler haben durch eine mäßige Concavität das Ansehen von großen Kanneluren [senkrechte, konkav eingeschnittene Vertiefungen am Schaft einer Säule], welches sehr gut lässt und den Eindruck der Schlankheit noch erhöht, die Rippen der Gewölbe laufen ohne Capitell von den scharfen Kanten der acht Seiten aus, die Gewölbe selbst von einfachem, aber hübschem Muster der Rippen, sind im Verhältnis zu der Länge der Pfeiler etwas kurz. Längs den Wänden läuft in schicklicher Höhe eine auf starken Wandbögen ruhende Empore umher, deren steinernes durchbrochenes Geländer über jedem der Pfeiler einen erkerartigen Vorsprung hat.

Außerdem ist die Kirche noch durch einen seltenen Reichtum von Skulpturen verschiedener Art und Zeit merkwürdig. Ich spreche zunächst von den zwei Kanzeln. In der älteren, mit dem Bau der Kirche gleichzeitigen, von sehr eigentümlicher und geistreicher Erfindung, ist das der gotischen Baukunst innewohnende vegetative Prinzip zu einer förmlichen Nachahmung aus der Pflanzenwelt ausgestaltet. Die Kanzel hat das Ansehen eines großen Blumengewächses. Der untere Teil wird von dem Stamm mit abstehenden Stengeln, Blättern und Knospen, der obere von der tulpenförmigen Blume in der Art gebildet, dass der Prediger wie in dem Kelch derselben stehend erscheinen muss. An diesem oberen Teil sind in erhabenem Relief die vier Kirchenväter Hieronymus, Augustinus, Ambrosius und Gregor dargestellt. Vielleicht hat der letzte die Züge von dem den Bau der Kirche durch Erlaubnis dafür zu sammeln fördernden Papst Sixtus IV., welches die Meinung veranlasst haben mag, dass er als Papst Sixtus mit den drei anderen Kirchenvätern dargestellt sei, welches aber ganz gegen den Geist jener Zeit ist. Mehr unten finden sich zwischen dem abstehenden Stengelwerk vier Engel in Rundwerk, von denen einer bekleidet ist. Am Fuße sitzt der bärtige Meister mit seinem Hunde; hinter ihm, auf einem Baume, ein junger Mann, wohl der Gesell, welcher mit seinem Rücken die auf mehreren Baumstämmen ruhende Treppe unterstützt. Am Fuß der Baumstämme sind zwei Löwen. Die Motive der Figuren sind, bis auf die zu verdrehten Stellungen der Engel, wahr und gut, die Köpfe lebendig, besonders im Ausdruck der Anstrengung des Tragens in den feinen Zügen des Gesellen. Haar und Flügel der Engel sind gut behandelt. Im Ganzen aber entspricht die Ausführung an Sorgfalt nicht der guten Erfindung und ist besonders der Meister etwas roh geraten. Die Masse ist teils Stein, teils Stuck*).

[i]*) Es ist dieselbe Art von Arbeit, welche auch von Adam Kraft in Nürnberg angewendet worden und häufig irrig für Steinguss ausgegeben wird.


Die andere daneben stehende ebenfalls steinerne Kanzel, zu deren Entstehung der Umstand, dass auf der ersten die Höhe und die freie durchbrochene Treppe ältere Prediger schwindeln gemacht, Veranlassung gegeben haben soll, ist von dem 1638 verstorbenen Zehntner und Bürgermeister Schönleben gestiftet worden, muss aber nach den Formen der Architektur geraume Zeit vor seinem Tode beendigt worden sein. Obgleich hier die Ausführung sich nicht über eine tüchtige, derbe Steinmetzenarbeit erhebt, verdient diese Kanzel doch wegen des Reichtums und der Art der Erfindung einige Beachtung. An einem alten Bergmann, der die Kanzel, einem jungen, von dickem, schalkischem, eulenspiegelartigem Gesicht, welcher die Treppe trägt, erkennt man hier die bergbauende Stadt und den Stifter. An dem Treppengeländer und der Kanzel befinden sich in malerisch angeordneten Compositionen Christus am Ölberg, vor Caiphas und Pilatus, die Kreuztragung, Kreuzigung und Grablegung. Der Sturz der reich verzierten Treppentür ist in Rundwerk mit den Evangelisten Mattäus und Marcus, und in deren Mitte mit dem Propheten Jonas, welcher von dem Walfisch ausgespien wird, diesem ältesten Symbol der Auferstehung, sinnreich geschmückt. Ein Kruzifix und die Statuetten des Stifters und seiner Frau auf drei Kragsteinen an der Vorderseite der Kanzel sind von anderer Hand und wahrscheinlich erst nach ihrem Tode hinzugefügt worden. Diese beiden früher bemalten Kanzeln haben durch den weißen Anstrich, welchen sie in neuerer Zeit mit der Kirche erhalten, einen großen Teil ihres ursprünglichen Charakters und Reizes verloren.

Das zufolge der Aufschrift um 1560 von dem Münzmeister Rohdtens gestiftete, von seinen Enkeln 1649 „renovierte“ Altarbild, stellt jm Hintergrunde die Einsetzung, im Vorgrunde die Austeilung des Abendmahls zur Zeit des Stifters vor. Anordnung, Charaktere und Ausdruck sind zu loben, so auch die kräftige Färbung. Alles deutet nicht auf die sonst in Sachsen so verbreitete Schule des Kranach, sondern auf Einflüsse von Franken her. Die Communicanten sind wol gewiss Portraite der Familie des Stifters. Kostüm und Malerei zeigen, dass das Bild bei jener Renovation wenig verändert worden ist. Schmuz und Anfang von Abblättern lassen eine Reinigung und Restauration sehr wünschen.

In einer Kapelle ist mir ein Epitaphium vom Jahr 1632, woran in bemaltem Relief Jacob, der mit dem Engel ringt, und der kniende Verstorbene mit seiner Frau, durch gute Arbeit und Lebendigkeit aufgefallen.

Das Chor entält das vom Churfürsten August errichtete Grabesdenkmal des berühmten Churfürsten Moritz von Sachsen, welches in verschiedenen kostbaren Marmorarten gänzlich im italienischen Geschmack des sechszehnten Jahrhunderts ausgeführt ist. Auf dem sehr großen, von zehn bronzenen Greifen getragenen Sarkophag, dessen Hauptmasse von schwarzem Marmor ist, befindet sich in weißem Alabaster die vor einem Kruzifix kniende Statue des geharnischten Fürsten. Der Kopf ist von gutem Ausdruck. Die vielen alabasternen Statuetten, welche an den verschiedenen mit Säulen verzierten Abstufungen des Sarkophags verteilt sind, stehen indes in keinem guten Größenverhältnis zu demselben und haben ein zu puppenartiges Ansehen, sind übrigens aber von vielem Verdienst in der Arbeit. In zwölf weiblichen, die Musen und Grazien vorstellenden Figuren, welche auf den obersten drei Stufen verteilt sind, tritt die Nachahmung des Michelangelo besonders deutlich hervor, und, obwohl nicht ohne Manier, ziehen sie doch durch die öfter anmutigen Stellungen und den Ausdruck der Trauer an. Besonders zierlich ist eine Reihe von weiblichen Masken und eine andere von arabeskenartig gehaltenen Tritonen in Relief. Dieses ganze Begräbnis ist von einem sehr geschickten Bildhauer in den Niederlanden gearbeitet worden. Der schwarze Marmor bricht bei Dinant. An dem Harnisch des Churfürsten, welcher hoch in einer Ecke des Chors angebracht ist, sieht man die Stelle, wo die tödtliche Kugel in der Brust eingedrungen ist.

Diesem Raum schließt sich die eigentliche Begräbniskapelle der sächsischen Churfürsten an, welche auf Befehl Christians I. ebenfalls im italienischen Geschmack mit inländischen Steinarten von dem churfürstlichen Landbaumeister, Johann Maria Nosseni aus Lugano, sehr reich verziert, mit vielen Bildhauerarbeiten geschmückt und im Jahr 1593 beendigt worden ist, wie eine Inschrift besagt. Die symmetrisch angeordneten Skulpturen sind im Geiste jener Zeit, aber in passender Beziehung zur Begräbniskapelle, erfunden. Auf dem Altar steht das Kruzifix, zu beiden Seiten ruhen auf einem ablaufenden architektonischen Gliede, in der Art, wie bei Michelangelos Grabmal der Medicäer, Johannes der Täufer und der Apostel Paulus, auf Christus deutend. Diese Figuren sind in Bronze ausgeführt. Über dem Altar befindet sich in der Mitte der auferstehende Christus, zu den Seiten, zu zweien übereinander, die Liebe, die Gerechtigkeit, die Hoffnung und der Glaube. An den Seitenwänden sieht man in Nischen einerseits die Statuen von dem Herzog Heinrich und den Churfürsten August und Christian I. in Harnischen, andererseits die ihrer Gemahlinnen in der Tracht der Zeit. Diese sind in vergoldeter Bronze sehr wahr und fleißig von dem venezianischen, auch durch zwei bronzene Engel in der Kirche St. Giorgio Maggiore in Venedig bekannten Bildhauer Pietro Boselli ausgeführt, wie aus der Inschrift an einer derselben erhellt. Über diesen sechs Statuen, sowie über denen der Hoffnung und des Glaubens, sieht man die der Propheten Daniel, Jeremias, Joel, Micha, Zacharias, Malachias, Hosea und Jesaias, mit beigeschriebenen, gut gewählten Sprüchen aus ihren Büchern. Alle diese Statuen sind bronziert. An der Decke endlich befinden sich in bemalten Statuen Christus als Weltrichter, von zehn Engeln, welche teils die Marterwerkzeuge halten, teils posaunen, umgeben, und der Engel Michael mit der Waage. Die Decke selbst ist durch Malerei mit den himmlischen Heerscharen als der Himmel bezeichnet. Das Ganze verdient immer als eines der bedeutendsten Werke in der durch Johann von Bologna in Aufnahme gebrachten Kunstweise sehr beachtet zu werden.

Auf dem Fußboden der Kapelle befinden sich neunundzwanzig bronzene Platten, auf denen meist die Figur des Verstorbenen, bei einigen auch nur das Wappen, eingegraben, und die Vertiefungen zur größeren Erkennbarkeit mit einer hellen Masse angefüllt sind.

Die schönen Kreuzgänge der Kirche wurden grade zu einer Art Museum für den Verein der sächsischen Altertumskunde eingerichtet. Unter manchen dort vorläufig aufgestellten bemalten Holzskulpturen schien mir ein großes Kruzifix mit Maria und Johannes zu den Seiten, als ein sehr bedeutendes Denkmal aus dem zwölften oder der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts, bei weitem das Wichtigste.


Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kunstwerke und Künstler in Deutschland - Band 1