Kunsthistorische Ausstellung Düsseldorf 1904

Katalog
Autor: Clemen, Paul (1866-1947) deutscher Kunsthistoriker und Denkmalpfleger, Erscheinungsjahr: 1904
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Düsseldorf, Kunsthistorische Ausstellung, alte Meister, Gemälde, Bilderhandschriften, Skulpturen, Tapisserien
Inhaltsverzeichnis
    Ausstellungsleitung
Einleitung.

Die von glänzendem Erfolg begleitete Kunsthistorische Ausstellung des Jahres 1902, die in Verbindung mit der großen Düsseldorfer Industrie-, Gewerbe- und Kunstausstellung ins Leben gerufen worden war, hatte ihren Schwerpunkt in der kirchlichen Kunst des frühen und hohen Mittelalters gesucht und gefunden: die Werke der Groß- und Kleinplastik in allen Materialen, des Bronzegusses und der Edelmetallkunst standen im Mittelpunkt des Interesses; weitaus die kostbarste Gruppe bildete die Zusammenstellung der großen romanischen Reliquienschreine des Rheinlandes in Verbindung mit den verwandten Goldschmiede- und Emailarbeiten.

Von vornherein ausgeschieden waren die Werke der Malerei, schon deshalb, weil ihre Werke allein den ganzen zur Verfügung stehenden Raum gefüllt hätten. Ihre Schöpfungen vorzuführen sollte einer zweiten Kunsthistorischen Ausstellung vorbehalten bleiben, die damit ergänzend ihrer Vorgängerin an die Seite tritt. Beide zusammen wollen sie ein volles und geschlossenes Bild von der Höhe des früheren künstlerischen Schaffens im westlichen Deutschland bieten. Ist die neue Ausstellung die Erbin des ihrer älteren Schwester entgegengebrachten Vertrauens gewesen, so darf sie auch den Anspruch auf die gleiche Beachtung und Wertschätzung erheben. Der gelehrten Forschung will sie das vergleichende Studium von noch nie an einem Punkte vereinigten Werken ermöglichen, die das höchste Interesse der kunsthistorischen Welt beanspruchen dürfen — und noch mehr vielleicht als die verflossene Ausstellung darf sie auf das rein künstlerische Interesse und Empfinden weiterer Kreise rechnen. Unsere ältere Kunst ist einem modernen Auge nicht ohne weiteres verständlich; sie verlangt ein aufmerksames Sichversenken in alle Einzelheiten und liebevolles Eingehen auf die letzten und tiefsten Absichten der Schaffenden. Eine Anleitung zum Verständnis und zum Genuss einer ganzen vergangenen Kunstwelt zu bringen, kann eine karge Einleitung nie versuchen — sie möchte nur mahnen, dass der Beschauer etwas von der stillen Andacht, von dem Sinn auch für das Kleinste und von dem unbarmherzigen und unbeugsamen Respekt vor der Natur in sich aufkeimen Hesse, die die Künstler jener Tage leiteten.

Je weiter eine Kunst von uns entfernt zu sein scheint, um so mehr Zeit und Ruhe braucht sie, um verstanden und aufgenommen zu werden. Unter allen Wandlungen und Entwicklungsphasen der nordischen Kunst scheint uns aber die Zeit der Primitiven innerlich am nächsten zu stehen: wir sehen in ihr die Jugend unserer Kunst, und wir lieben diese Jugend in ihrer Frische, ihrer Unmittelbarkeit, ihrer Ehrlichkeit. Die vor zwei Jahren veranstaltete „Exposition des primitifs flamands“ in Brügge, die vor kurzem in Paris eröffnete „Exposition des primitifs français“ haben dieser Kunst auch in den ferneren Kreisen neue Freunde geworben. Für die wissenschaftliche Forschung stehen diese Meister im Mittelpunkt des Interesses. Das Rheinland hat freilich im 15. Jh. keine Künstler vom Range der Gebrüder van Eyck und ihrer unmittelbaren Nachfolger aufzuweisen, dafür bringt es aber eine Kunst, die an kraftvoller Eigenart, an Tiefe des Empfindens, an Frische des Naturgefühls der der meisten, an Reichtum, Mannigfaltigkeit und Fruchtbarkeit der aller anderen deutschen Provinzen voransteht.

Die Ausstellung umfasst das ganze Gebiet der westdeutschen Malerei, vornehmlich der nieder- und mittelrheinischen sowie der verwandten niederländischen und westfälischen und zwar sowohl die Primitiven des 15. Jh., wie die des ausgebildeten 16. Jh. Eine vorbereitende Abteilung sucht die hervorragendsten Werke der Buchmalerei des Mittelalters von den kostbaren Schöpfungen der karolingischen und ottonischen Malerschulen bis zu den deutschen und flandrischen Gebetbüchern des 15. und 16. Jh. vorzuführen. Die Domschätze von Aachen, Köln, Trier, die Kirchen zu Essen, Gladbach, Gerresheim, und alle großen westdeutschen Bibliotheken haben hier ihre erlesensten Schätze zur Verfügung gestellt. Ein von Herrn Dr. Artur Haseloff gesammeltes reiches Abbildungsmaterial in Photographien — in einem eigenen Raum im ersten Stockwerk untergebracht — sucht diese Gruppe zu ergänzen und zu vervollständigen.

Den rheinischen und westfälischen Schulen des 15. und 16. Jh. sind dann vor allem die beiden Hauptsäle gewidmet, die durch den Einbau großer Abgüsse, ganzer Architekturteile und ausgedehnter Portale ihren eigenartigen Schmuck erhalten haben. Die Entwicklung beginnt hier an der Eingangspforte, die von der französischen Abteilung der Internationalen Kunstausstellung zur Kunsthistorischen Ausstellung führt, mit den ältesten Primitiven und leitet in dem großen Eckrisalitsaal zu den niederrheinischen und westfälischen Meistern des beginnenden 16. Jh. über. Den späteren kölnischen Meistern in Verbindung mit den Niederländern des 15. und 16. Jh. sind die drei an den ersten Saal anstoßenden Räume an der Hauptfassade gewidmet, eine vierte Koje enthält einzelne erlesene süddeutsche und mitteldeutsche Stücke. In bislang noch kaum bekanntem Reichtum tritt neben der rheinischen Malerei die westfälische auf, schon durch das ungewöhnliche Format ihrer Tafeln auffallend. Im letzten Hauptsaal, in dem als Abschluss für die lange Durchsicht durch den Nordflügel eine der Hauptschöpfungen der oberrheinischen Malerei, Schongauers Madonna im Rosengarten aus Colmar, aufgestellt ist, überragt alle anderen Werke des niederrheinischen Meisters Jan Joest Hochaltar von Kalkar.

Daneben ist in den Räumen des unteren und oberen Stockwerkes das Beste vereinigt, was in den westdeutschen Privatsammlungen an wertvollen Gemälden jeder Art bis zum Schluss des 15. Jh. vorhanden ist. Wie die Gruppe der rheinischen Kollektionen des Jahres 1902 will sie eine ungefähre Übersicht über die in Westdeutschland heute in Privatbesitz befindlichen Schätze bieten. Einzelnen hervorragenden Gemäldebesitzern und Sammlern ist hier wieder ein eigener Raum zur Verfügung gestellt worden, der von den glücklichen Eigentümern mit den erlesensten Stücken ihres Besitzes geschmückt ist. Im Erdgeschoss ist so einer von den kleineren Oberlichtsälen von Seiner Durchlaucht dem Fürsten von Wied zu Neuwied mit den unschätzbaren Bildern seines Besitzes gefüllt, ein daneben gelegener Raum sucht einen Begriff von dem Charakter der Gemäldegalerie des Herrn Konsul Eduard Weber in Hamburg zu bringen; eine der vorderen Kojen enthält auserlesene Stücke aus der Kollektion eines jüngst verstorbenen älteren Düsseldorfer Sammlers, des Herrn Werner Dahl. Die 40 Meter lange obere Galerie birgt eine Eliteausstellung von Werken der holländischen und vlämischen Meister. Seine Durchlaucht der Herzog von Arenberg hat aus seinen Sammlungen in Brüssel und Nordkirchen die kostbarsten Gemälde und Tapisserien zur Verfügung gestellt, ebenso Seine Durchlaucht der Fürst zu Salm-Salm aus Schloss Anholt, in einem besonderen Raum sind endlich auch die Hauptstücke einer der hervorragendsten der am Rhein entstandenen neueren Sammlungen, der Galerie von Carstanjen in Berlin, für diesen Sommer zur Ausstellung gebracht. Die weiteren Sammlungen und die einzelnen Stücke sind zumeist in Gruppen aufgeteilt. Die Liste der Aussteller in dem Katalog vorangestellten Register gibt zugleich das Verzeichnis der Patrone der Ausstellung, die dieser in der liberalsten Weise ihre Schätze zur Verfügung gestellt haben: Seine Majestät der König von Württemberg, Seine Königliche Hoheit der Großherzog von Hessen, Seine Königliche Hoheit der Herzog von Sachsen-Coburg-Gotha stehen an der Spitze der stolzen Reihe.

Allen denen, die zum Gelingen des großen Werkes beigetragen, den Hütern alten Gemäldebesitzes wie den Sammlern, den öffentlichen Korporationen, den Domkapiteln und Kirchenvorständen wie den Leitern der großen und kleineren deutschen Gemäldegalerien und Bibliotheken sei an dieser Stelle der ehrerbietigste und wärmste Dank dargebracht.

Das Programm für die Ausstellung war schon im Herbst des Jahres 1902 ausgearbeitet und zunächst in einer Denkschrift niedergelegt worden. Auf Grund dieses Planes konnte dann auch mit der Königlichen Staatsregierung und den Provinzialverwaltungen der Rheinprovinz und Westfalens wegen der Gewährung von Zuschüssen verhandelt werden. Die im öffentlichen Besitz befindlichen Gemälde sollten zugleich hier sorgfältig auf ihren Zustand hin untersucht werden — wo erforderlich, sollte eine gewissenhafte Restauration eingeleitet, eine bessere Pflege angeregt werden. Die eingehende Untersuchung zumal der größeren, in kirchlichem Besitz befindlichen Bilder ergab, wie verwahrlost viele von ihnen waren, wie dringend notwendig hier ein Eingreifen war, um sie vor dem völligen Untergang zu retten. Eine Reihe von Gemälden konnte mit Hilfe der von der Königlichen Staatsregierung wie von den beiden Provinzialverwaltungen in der liberalsten Weise zur Verfügung gestellten Mittel schon in Stand gesetzt werden; weitere Stücke sollen nach Schluss der Ausstellung einer sorgsamen Pflege unterzogen werden. So will diese ganze Veranstaltung zugleich auch der staatlichen und provinzialen Denkmaipflege förderlich sein.

Eine umfängliche Liste der für die Ausstellung in Betracht kommenden Gemälde aus öffentlichem wie privatem Besitz war schon im Sommer des Jahres 1903 von Herrn Dr. Firmenich-Richartz ausgearbeitet worden, der sich ganz in den Dienst des Unternehmens stellte und auf ausgedehnten Reisen in den Rheinlanden und in Westfalen das Material wiederholt prüfte. Durch persönliche Verhandlungen und vielfache Reisen des Vorsitzenden wie einzelner Ausschussmitglieder wurden dann die einzelnen Kunstwerke wie die ganzen Sammlungen angeworben und erbeten; um die Berliner wie um einzelne ausländische Sammlungen hat sich Herr Dr. Max Friedländer in dankenswertester Weise bemüht. Umfängliche Vorsichtsmassregeln waren weiterhin nötig, um die Sicherheit der unschätzbaren Stücke in Düsseldorf wie auf dem Transport zu garantieren. Um die Herrichtung der Räume und die Verhandlungen wegen der Versicherung hat sich Herr Dr. Board besonders verdient gemacht, der es auch während der ganzen Sommermonate übernommen hat, die Aufsicht in der Ausstellung zu führen. Der verantwortungsvolle amtliche Schriftwechsel lag in den Händen des Schriftführers der Ausstellung, des Herrn Dr. Renard, der zugleich wieder, wie im Jahre 1902, die Einlieferung der Kunstwerke und die Aufstellung überwachte. Bei den letzten Installationsarbeiten ist fast der ganze Ausschuss gemeinsam tätig gewesen.

Der vorliegende Katalog gibt in seiner Anordnung einen Überblick über die verschiedenen Kunstwerke. Der Hauptanteil fällt den Gemälden zu. Für sie ein wissenschaftliches Verzeichnis ausgearbeitet zu haben, ist ein besonderes Verdienst des Herrn Dr. Firmenich-Richartz. Das Verzeichnis der Originalskulpturen und Tapisserien ist von Herrn Dr. Paul Hartmann zusammengestellt, die Liste der Bilderhandschriften von dem Unterzeichneten. Sollte der Katalog zum 1. Mai 1904, am Tage der Eröffnung, fertig gedruckt vorliegen, so musste in der ersten Auflage manches ausbleiben, was erst in den letzten Tagen vor der Eröffnung zugesagt wurde oder was erst nach der Eröffnung eingeliefert werden konnte.

Die jetzt vollendet vorliegende, sorgfältig revidierte und erweiterte, auch mit einer größeren Anzahl neuer Abbildungen ausgestattete Auflage will eine erschöpfende Übersicht über die in Düsseldorf vorhandenen Kunstwerke geben. Zwei Register suchen die Brauchbarkeit zu erhöhen. Ein späteres Abändern und Umtauschen der Nummern erschien unzweckmäßig und bedenklich ; daher ist die ursprüngliche Reihenfolge beibehalten worden, die neu hinzugekommenen Werke sind nur mit den laufenden Nummern und a, b, c etc. bezeichnet. Auch den Fachgenossen des Inlandes und des Auslandes, die seit dem Beginn der Ausstellung in so reicher Zahl nach Düsseldorf geströmt sind, gebührt für mancherlei wertvolle Fingerzeige und Hinweisungen der Dank der Ausstellungsleitung. Das Verzeichnis der Bilderhandschriften verdankt Herrn P. Stephan Beissel wesentliche Ergänzungen.

Eine größere Anzahl der Gemälde ist von der Kunstanstalt F. Bruckmann in München auf Veranlassung der Ausstellungsleitung aufgenommen worden — die kunstgeschichtlich bedeutendsten Gemälde werden von Herrn Dr. Firmenich-Richartz und dem Unterzeichneten noch in diesem Herbst veröffentlicht werden.

Im Juli 1904.

Paul Clemen.