Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit - Fra Bartolommeo (1475-1517)

Kunst und Künstler Italiens bis um die Mitte des 18. Jahrhunderts. 2. Abt. Bd. 3
Autor: Lücke, Hermann (?-?), Erscheinungsjahr: 1879
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Mittelalter, Reformationszeit, Savonarola, San Marco, Bartolomeo Pagholo, Dominikaner, Kunstgeschichte, Fra = Frate = Klosterbruder, Florenz, Italien,
Fra Bartolommeo. Geb. in Sussignano (?) 1475; gest., in Florenz den 3. Aug. 1517.

Als die Gegner Savonarolas im April des Jahres 1498 in Florenz das Kloster von San Marco stürmten, um sich des kühnen Reformators zu bemächtigen, befand sich nach Vasaris Bericht unter den Verteidigern des Gebäudes ein junger Maler, Namens Bartolommeo Pagholo, der zu den treuesten und ehrlichsten Anhängern des gewaltigen Dominikaners gehörte. Während des Kampfes, der mit Savonarolas Gefangennahme endigte, soll er das Gelübde getan haben, wenn er leben bliebe, Dominikaner zu werden. 1) Tatsache ist, dass er bald nachher, am 26. Juli 1500 in San Domenico zu Prato das Novizenkleid anlegte und nach dem üblichen Probejahr in den Orden mit dem Namen Fra Bartolommeo aufgenommen wurde 2) Die Kunstgeschichte hat diesen Namen adoptiert und sie bezeichnet mit ihm einen Künstler, der an die Höhe der größten jener Zeit zwar nicht völlig hinanreicht, ihnen aber unter der Schaar bewunderungswürdiger Talente, die diese herrschenden Genien wie ein glänzender Hofstaat umgeben, mit wenigen andern am nächsten kommt und sich ihnen mit dem Charakter einer eigentümlich und bestimmt ausgeprägten künstlerischen Persönlichkeit zur Seite stellt.

1) Villari in seiner Geschichte Savonarolas (Deutsche Ausg. von Berduschek, II. 250. 251) bemerkt, Vasari erzähle von Bartolommeo, dass er sich während der Belagerung des Klosters aus Feigheit versteckt habe, dass sich aber für dieses angebliche Factum nicht der geringste Beleg auffinden lasse. In Wahrheit berichtet Vasari nur, dass B., „zu schüchtern für eine solche Lage, als er mehrere der Eingeschlossenen getötet und verwundet gesehen, das Gelübde getan habe, wenn er aus der Bedrängnis erlöst würde, sogleich in den Dominikaner-Orden eintreten zu wollen.“ Auch die Bemerkung Villaris (II, 112), dass Vasari dem Andenken Bartolommeos überhaupt nicht günstig gewesen, erscheint durch nichts gerechtfertigt.
2) Fra, Abkürzung von Frate (Klosterbruder).


Bartolommeo war 1475, wahrscheinlich in Sussignano, einer kleinen Ortschaft in der Nähe von Florenz, geboren. Drei Jahre später ließ sich der Vater in Florenz nieder, vertauschte das Geschäft eines Maultiertreibers, dem er bisher obgelegen, mit dem einträglicheren eines Fuhrmanns und erwarb am Tor von S. Pietro Gattolino ein kleines Haus, welches Baccio, wie Bartolommeo familiär genannt wurde, nach dem frühzeitigen Tode der Eltern mit seinen Brüdern Piero und Michele bis zum Eintritt ins Kloster bewohnte, und nach welchem er den Beinamen Della Porta erhielt. Schon im siebenten Jahre war er zu dem Maler Cosimo Rosselli in die Lehre gekommen, einem nicht besonders hervorragenden, aber tüchtigen und vielbeschäftigten Meister, bei dem er für den Anfang genügenden Unterricht, aber freilich keine dauernde Anregung fand. Wahrscheinlich sehr bald nach Ablauf der gewöhnlichen Lehrzeit — vielleicht schon um 1490 — verließ Baccio die Werkstatt des alten Cosimo und begann in Gemeinschaft mit seinem Altersgenossen und Mitschüler Mariotto Albertinelli selbständig zu arbeiten. Die Freundschaft, die ihn mit diesem verband, rühmt Vasari mit lebhaften Worten; an Naturell und Charakter sehr verschieden, Bartolommeo ernst und gelassen, Mariotto von unruhigem leichtblütigen Temperament, lebten sie doch wie Brüder zusammen; in künstlerischer Hinsicht empfing Mariotto vom Freunde so entscheidende Einflüsse und ward ihm später in seinen besten Arbeiten so ähnlich, dass er, wie Vasari sagt, auch deshalb ein zweiter Bartolommeo genannt werden konnte.

Bei dem Auftreten Savonarolas, dessen gewaltige Buß- und Reformpredigten in dem lebensheiteren Florenz jener Tage eine so beispiellose Erschütterung hervorriefen, sollte sich die Verschiedenheit ihrer Naturen am schärfsten zeigen. Die wilden Entartungen des Zeitalters hatten die Seele Savonarolas mit Schrecken erfüllt, nur die unheimlich düsteren Schattenseiten der Renaissance, deren glanzreichste Epoche eben anhob, zeigten sich seinen Blicken. In sich selbst eine tragisch widerspruchsvolle Erscheinung, ein Fanatiker des Mittelalters und ein Prophet des kommenden Jahrhunderts, dem Geiste der Renaissance feindselig und doch in seinem Freiheitsenthusiasmus ihm verwandt, erhob er sich in Florenz als Reformator der Sitten und des Staates und erlangte feit den berühmten Fastenpredigten von 1495 jene ungeheure Macht über die Gemüter, durch welche die fest- und prachtliebende Mediceerstadt während der zwei folgenden Jahre völlig verwandelt erschien. Der Gesang der lustigen Lieder, die Lorenzo Magnifico seinen Florentinern gedichtet, war verstummt, Bußpsalmen singend durchzogen die Piagnonen, die Anhänger des Dominikaners, die Straßen der Stadt; die Menge, geängstigt von der Erwartung der furchtbaren Strafgerichte, die Savonarola in flammender Rede verkündigte, drängte sich unablässig zu den Kirchen, und ergriffen von der ethischen Größe des Mannes, die durch alle Verdunklungen eines mönchischen und abergläubischen Fanatismus siegreich hindurchleuchtete, wurden viele der Edelsten jener Zeit seine begeistertsten Verehrer. Der weltlich gesinnte Mariotto hielt sich ihm völlig fern. Während Bartolommeo sich ganz und mit der ernstesten Aufrichtigkeit dem Einfluss Savonarolas hingab, schloss sich jener der Partei seiner Gegner um so entschiedener an, da er zu den Begünstigten der Medici gehörte, der erbittertsten Feinde des Mönchs. Als Bartolommeo kurze Zeit nach dem tragischen Ende Savonarolas ins Kloster ging und der Kunst für längere Zeit gänzlich entsagte, geriet Mariotto darüber, wie Vasari erzählt, vor Unmut fast außer sich.

Mit Unrecht hat man Savonarola einer barbarischen Verachtung der Kunst beschuldigt. Schon dass viele der Künstler jener Zeit, außer Bartolommeo Lorenzo di Credi, Sandro Botticelli, mehrere der Robbias, Cronaca und endlich auch Michelangelo zu den Anhängern des Dominikaners zählten, kann als ein Zeugnis dagegen gelten. Von Savonarola selbst ward die Pflege der Kunst den Mönchen als eine würdige Beschäftigung empfohlen, er schätzte sie als ein ehrenhaftes Mittel, die Einkünfte der Orden zu steigern. Wie sehr er jedoch der gesamten Kunstrichtung seiner Zeit, deren herrlichste Blüten nimmer in der Klosterluft von San Marco gedeihen konnten, innerlich fremd gegenüberstand, bezeugen zahlreiche Stellen seiner Predigten ausdrücklich. Die Darstellung der unverhüllten Schönheit des menschlichen Körpers galt ihm für heidnisch und sündlich, und manches künstlerische Opfer ward aus diesem Grunde, wenn wir den Nachrichten Vasaris glauben dürfen, auf den Scheiterhaufen jener berühmten Autodafés niedergelegt, die Savonarolas Eifer in den Fastnachtstagen von 1497 und 1498 auf dem Signorenplatz zu Florenz ins Werk setzte. Ohne Zweifel ist der Verlust an Kunstsachen bei diesen „Bruciamenti delle vanità“ früher mit tendenziöser Absichtlichkeit arg übertrieben worden. Aus den Notizen des Dichters Benivieni und des Historikers Guicciardini ergibt sich, dass bei den Verbrennungen, bei welchen sie beide zugegen waren, kein Kunstwerk von hervorragender Bedeutung zu Grunde ging. Die „Eitelkeiten“, die man vernichtete, bestanden zum größeren Teil aus Luxusgegenständen, Garderobestücken des Fasching, Larven, Maskenanzügen, Toilettengeräten, Lauten, Spielkarten u. dergl.; was die Künstler, die zu Savonarolas nächsten Anhängern gehörten, dem Feuer überlieferten, waren, wie es scheint, nur Studienblätter, Zeichnungen nach dem Nackten. Bartolommeo soll seinen Genossen das Beispiel zu diesem Akte künstlerischer Entsagung gegeben haben, bei dem vielleicht manches zerstört wurde, was uns in die Jugendentwicklung des Künstlers genaueren Einblick hätte gewähren können.

Das frühste der von ihm bekannten Gemälde ist ein Porträt Savonarolas, das lange Zeit im Nonnenkloster S. Vincenzo zu Prato aufbewahrt wurde und sich gegenwärtig im Besitz des Herrn Ermolao Rubieri zu Florenz befindet, eines jener Bildnisse, die durch sich selbst die vollkommene Treue der Auffassung verbürgen und in seiner Vortrefflichkeit von um so größerem Interesse, da die Porträtmalerei der Kunstrichtung Bartolommeos ziemlich fern lag. Ganz im Profil genommen, überaus bestimmt in den Umrissen und kraftvoll modelliert, zeigt das Bild in den seltsamen, hart und derb geschnittenen Formen des Kopfes die ganze Entschlossenheit des gewaltigen und doch so beschränkten Reformators. Das cholerisch Leidenschaftliche seiner Natur tritt in zwei anderen Bildnissen Savonarolas, einem vorzüglichen, vermutlich von Ambrogio della Robbia herrührenden Terrakotta-Relief und einer Gemme von Giovanni delle Corniole entschiedener hervor; der im Ganzen ruhige Ausdruck im Bilde Bartolommeos deutet die Möglichkeit der glühendsten Erregung in dem eigentümlich gespannten und leuchtenden Blick gleichsam nur an; aber gerade bei dieser Auffassung meinen wir jenes dämonischen Geistesdranges, der das Wesen Savonarolas unwiderstehlich beherrschte, um so lebendiger inne zu werden. In späteren Jahren hat ihn Bartolommeo noch einmal, in der verklärten Gestalt des Petrus Martyr, dargestellt, mit höher entwickelter Kunst, aber ohne die unmittelbar überzeugende individuelle Wahrheit, die jenem Jugendwerk eigen ist.

Außer dem letzteren ist bis zum Jahre 1498 kein anderes Gemälde des Künstlers mit Sicherheit nachzuweisen. Zum Glück aber hat sich eine beträchtliche Zahl von Handzeichnungen Bartolommeos erhalten, von denen offenbar nicht wenige dieser Periode angehören; ein Teil derselben befindet sich in den Uffizien zu Florenz, ein anderer im Besitz der Großherzogin von Weimar, noch andere werden in den Sammlungen, von Wien, Paris und Venedig aufbewahrt. Manche dieser Blätter, sehr sorgfältig ausgeführte Federzeichnungen, meist Kompositionsentwürfe in kleinen Figuren, lassen in der mageren Schlankheit der Gestalten, in der ovalen Form der Köpfe, in dem knittrigen Faltenwurf, den gebauschten und festonartig gerafften Gewändern noch Anklänge an Cosimo Rosselli erkennen; doch zeigen sich, was die Gewandung betrifft, die Vorzüge einer einfacheren und edleren Anordnung bereits überwiegend; in den Bewegungen der Figuren tritt, wie Crowe und Cavalcaselle 3) besonders betonen, ein Streben nach Anmut hervor, das an Filippino Lippi, einen der vorzüglichsten Meister des Quattrocento, erinnert, und in der Gruppierung der Gestalten macht sich ein Gefühl für Schönheit der Umrisslinien geltend, das für den Fortschritt der künstlerischen Entwicklung Baccios vor allem bezeichnend ist. Zwei kleine, miniaturartig ausgeführte Bilder in den Uffizien, die Anbetung des Kindes und die Darstellung im Tempel, werden von Vasari ausdrücklich als Jugendarbeiten des Künstlers bezeichnet. Crowe und Cavalcaselle betrachten sie als die ersten Erzeugnisse der Zeit, wo Bartolommeo nach seinem Eintritt ins Kloster die künstlerische Tätigkeit wieder aufnahm, und die meisterliche Art der Durchführung, die außerordentliche Noblesse und Einfachheit in der Behandlung der Gewänder beweisen jedenfalls, dass sie nicht zu den früheren Werken der Jugendperiode gehören. Gleichwohl haben sie im Typus der Gestalten noch eine gewisse Verwandtschaft mit den Arbeiten dieser Epoche, und man wird um so eher geneigt sein, sie an das Ende derselben zu setzen, da die Studienblätter zu den Bildern in technischer Hinsicht mit den Zeichnungen für das große Frescogemälde übereinstimmen, welches Bartolommeo im Friedhof von Sta. Maria Nuova zu Florenz wenige Monate vor seinem Eintritt ins Kloster auszuführen begann. 4)

3) Crowe und Cavalcaselle, History of Painting in Italy, III. Cap. XIII, p. 434. Der Biographie und Charakteristik Bartolommeos, die das genannte Kapitel (in der deutschen Ausg. von M. Jordan, IV. C. XIII) enthält, schließt sich die vorliegende Arbeit in allen wesentlichen Punkten an.
4) Siehe Jahrbücher für Kunstwissenschaft, III. 174 ff. : Die Handzeichnungen Fra Bartolommeos etc. von A. v. Zahn.


Dieses Frescowerk hat nicht bloß in der Entwicklungsgeschichte des Künstlers, sondern in der kunstgeschichtlichen Entwicklung überhaupt epochemachende Bedeutung ; es ist eine der Schöpfungen, welche die höchste Blütezeit der italienischen Malerei, die Epoche der vollendeten Renaissancekunst einleiten. Und eben dies Werk, das in seiner feierlichen Großartigkeit die erhabenste Sammlung und Klarheit des Geistes bekundet, ist kurze Zeit nach jenem furchtbaren Ereignis entstanden, welches die Seele des Künstlers in ihrem Innersten erschüttern musste, bald nach dem Märtyrertode Savonarolas. Am 33. Mai 1498 war die Hinrichtung erfolgt, und noch während desselben Jahres finden wir Bartolommeo an dem Werke beschäftigt. Der Sieg, den er mit der Energie künstlerischer Begeisterung über sich selbst errungen hatte, gab ihm aber nicht Ruhe. Während der Arbeit gelangte der Entschluss, aus dem wild verworrenen Treiben der Welt ins Kloster zu flüchten, in Bartolommeo zur Reife, er brach die Arbeit ab und überließ die Vollendung des Gemäldes Albertinelli.

Der Gegenstand desselben ist das jüngste Gericht. Oben thront Christus unter einem von Seraphimköpfen gebildeten Bogen, etwas tiefer in einem Halbkreis sitzen auf Wolken Maria und die 12 Apostel, den mittleren Raum, umgeben von zwei posaunenblasenden Herolden des Gerichts, nimmt ein Engel mit Kreuz, Dornenkrone und Lanze ein, den unteren Teil die Schaar der Auferstandenen, in ihrer Mitte der Erzengel Michael, der mit erhobenem Schwert die Seligen von den Verdammten scheidet.*) Leider hat das Gemälde, das gegenwärtig in einem Seitenhof des Klosters Sta. Maria Nuova aufgeteilt ist, stark gelitten, namentlich in den unteren, zum Teil von Albertinelli nach Baccios Entwurf ausgeführten Partien, die stellenweise gänzlich zerstört sind. Nach dem was noch vorhanden ist und nach Bartolommeos ganzem Kunstcharakter darf man annehmen, dass diese Partien die minder bedeutenden des Gemäldes waren. Des dramatischen Ausdrucks, den der Gegenstand hier verlangte, war Bartolommeo nur wenig mächtig, eine leidenschaftliche Bewegtheit, wie sie Signorelli in den Gestalten seines jüngsten Gerichts gezeigt hatte, blieb von der Darstellungsweise des Frate jederzeit ausgeschlossen. Am entschiedensten offenbarte sich das Bedeutende seines Stils ohne Zweifel in der oberen Hälfte des Bildes, in den ruhig auf Wolken thronenden Heiligen der Glorie. Eine ganz neue Gattung von Gestalten tritt uns hier entgegen, eine Reihe groß gebildeter Charaktere, denen gegenüber alle früheren Gestalten des Künstlers klein und befangen erscheinen. Was sich in jenen Handzeichnungen nur erst in unvollkommenen Versuchen ankündigte, zeigt sich hier zu einer Größe entwickelt, die nun mit aller Entschiedenheit die Einflüsse desjenigen Meisters erkennen lässt, der die florentinische Kunst zuerst aus den Schranken des 15. Jahrhunderts befreite, die Einwirkungen Lionardos da Vinci.

*) Der beigefügte Holzschnitt, der die obere Hälfte des Gemäldes wiedergibt, ist nach der Photographie einer in der Akademie zu Venedig befindlichen Federzeichnung gemacht, die irrtümlich unter den Originalhandzeichnungen Bartolommeos aufgeführt wird. Sie ist eine ziemlich befangene Kopie von anderer Hand, gibt aber doch von dem allgemeinen Charakter dieser Partie des Gemäldes eine ungefähre Vorstellung.

Der große und freie Zug, der in der Entwicklung der einzelnen Gestalten, in der Bildung der Körperformen und der Behandlung der Gewänder so imposant hervortritt, ist es aber nicht allein, worin die hohe Bedeutung des Gemäldes beruht; hinzu kommt der Charakter der Komposition, der große Stil in der räumlichen Anordnung des Ganzen. Die Florentinische Kunst am Ausgang des Quattrocento hatte sich in ihrem realistischen Eifer, in den Tafelbildern, wie in den Frescomalereien, gewissermaßen ins Enge gezogen, das feierliche Gewand früherer Tage hatte sie abgelegt und im vertraulich intimen Verkehr mit den Erscheinungen des Lebens einen Charakter angenommen, der sich dem Genrehaften näherte; nur Ghirlandajo hatte in einigen seiner Fresken eine monumentale Wirkung erstrebt. Bartolommeo in seinem jüngsten Gericht griff zuerst mit der Sicherheit des Genies auf die Kompositionsgesetze der Altflorentiner zurück und brachte sie zugleich in jenem neuen, freien und großen Sinne zur Anwendung, der mit Lionardos Auftreten in der florentinischen Kunst erwachte. Die feierliche Strenge der Giotto und Masaccio vermählt sich in der Komposition dieses Werkes, vor allem in der Glorie, mit dem Kunstgeist der völlig aufblühenden Renaissance und erzeugt nun erst jene Schönheit des malerischen Gruppenbaues, die in dem Zusammenklang architektonischer Gemessenheit mit dem freien Linienzug lebendig bewegter Gestalten beruht. Tritt den letzten Florentinern des Quattrocento gegenüber vor allem das Strenge in der Kompositionsweise Bartolommeos, seine Verwandtschaft mit jenen früheren Meistern hervor, so erscheint der Stil desselben in seiner ganzen freien Großartigkeit, wenn man ein gleichzeitiges Werk der umbrischen Schule, die mit dem alten Stil noch in Zusammenhang stand, eine der besten Arbeiten Peruginos mit dem Fresco von Sta. Maria Nuova vergleicht. Nach dieser Seite erhielt Bartolommeos Einfluss auf die kunstgeschichtliche Entwicklung eine große, höchst denkwürdige Bedeutung in seinem Verhältnis zu Rafael.

      Abb. 003 Heilige Familie. Sammlung des Earl Cowper in Panshanger.

Bald nachdem sich Bartolommeo in Prato in den Dominikanerorden hatte aufnehmen lassen, war er nach Florenz in das Markuskloster versetzt worden; hier lebte er in den stillen, vom Geiste Savonarolas geweihten Räumen in strenger Zurückgezogenheit, als der jugendliche Urbinate in die toskanische Hauptstadt kam. Der Strom der künstlerischen Bewegung ging zu jener Zeit in Florenz wieder in mächtigen Wogen; Lionardo und Michelangelo waren nach längerer Abwesenheit hierher zurückgekehrt, bei den Arbeiten für den Ratssaal des Signorenpalastes standen sie einander als Rivalen gegenüber, und die öffentliche Ausstellung ihrer berühmten Kartons im Jahre 1505 versetzte die ganze Künstlerschaft von Florenz in leidenschaftliche Erregung. Rafael ist ihnen, wie es scheint, damals persönlich nicht nahe getreten. Der Moment, wo Michelangelo in seine Entwicklung eingreifen sollte, war noch nicht gekommen, der Stil Lionardos aber wirkte auf ihn zumeist durch die Kunstweise des Frate, von dem er zu jener Zeit die unmittelbarsten Einflüsse empfing. Für Bartolommeo blieb die Berührung mit dem jugendlichen Genius Rafaels nicht ohne lebendige Rückwirkung, und der freundschaftliche Verkehr mit demselben mag nicht am wenigsten dazu beigetragen haben, ihn der Kunst wieder zuzuführen.

Befreiend wie Lionardo auf die ganze Epoche, so wirkte Bartolommeo auf die Jugendentwicklung seines Freundes. Während die realistische Richtung der florentinischen Malerei Rafaels Blick aus dem beschränkten Ideenkreis der Schule Peruginos zuerst auf die breite Mannigfaltigkeit des Lebens hinlenkte, war es Bartolommeos Einfluss vor allem, durch den er in der künstlerischen Auffassung und Gestaltung zugleich an Größe und Freiheit gewann. Die Typen seines Peruginesken Stils, ihre kleinen und zarten, schwach profilierten Formen wachsen unter diesem Einfluss gleichsam aus sich heraus, wie die Knospe zur Blüte; die befangene schüchterne Grazie in der Bewegung der Gestalten wird zur freien Anmut, die symmetrische, zeremonielle Aufhellung der Figuren zur lebendigen und doch vom Gesetz strenger Linienschönheit beherrschten Gruppierung. Das Frescogemälde, welches Rafael im Jahre 1505 während eines kurzen Aufenthalts in Perugia im dortigen Kloster von S. Severo ausführte, bezeugt die Einwirkung des Frate zuerst mit voller Entschiedenheit. Die Glorie des Gemäldes, ein Halbkreis von Heiligen, dessen System sich später in der Disputa in reicherer Schönheit wiederholt, hat in der Komposition, in der breiten Behandlung der Gewänder, in der freieren Ausgestaltung der männlichen Charaktere ihr unverkennbares Vorbild in dem Fresco von Sta. Maria Nuova. Der Umschwung in Rafaels künstlerischer Anschauung, der sich in diesem Werke bekundet, erscheint kaum minder bedeutend als jener spätere unter der Einwirkung Michelangelos. Dass er sich so plötzlich vollzog, wie der Fall gewesen sein müsste, wenn Rafael, was die gewöhnliche Annahme ist, in jenem Jahre 1505 zum ersten Male nach Florenz kam, darf man um so eher bezweifeln, als es nicht an positiven Gründen fehlt, die eine frühere Anwesenheit Rafaels in Florenz wahrscheinlich machen. 5)

5) S. Kunstgeschichtliche Findlinge von A. Springer. Lützow'sche Zeitschrift für bildende Kunst. IX. 38 1 ff.

Über den Zeitpunkt, in welchem Bartolommeo zur Kunst zurückkehrte, sind wir nicht genau unterrichtet; um 1505 ward er zum Vorsteher der mit dem Markuskloster verbundenen Malerwerkstatt ernannt und seitdem blieb er unausgesetzt künstlerisch tätig. Alles Geschäftliche war Sache des Ordens, bei diesem wurden die Gemälde bestellt, die er ausführte, der Ertrag seiner Arbeit fiel ganz dem Kloster zu, und er selbst hatte keine andere Vergünstigung als die der Enthebung vom Dienste im Chor.

Die großartige Richtung, die er im Fresco von Sta. Maria Nuova genommen, tritt in den Werken dieser neuen Epoche nicht sogleich wieder hervor. In dem Gemälde, das von den uns bekannten Arbeiten des Meisters vermutlich die früheste dieser Periode war, in der Vision des h. Bernhard in der Akademie zu Florenz, klingt die träumerische Stimmung eines kontemplativen, in sich gekehrten Lebens, wie es der Frate in den vorangehenden Jahren geführt, vernehmlich nach; in der zarteren Bildung der Gestalten, in dem weichen schwärmerischen Ausdruck des Heiligen, der vor der himmlischen Erscheinung in die Knie gesunken ist, zeigt sich eine Annäherung an die umbrische Gefühlsweise, die damals bei der ersten Begegnung mit Rafael einen geheimen Reiz auf ihn ausüben mochte. Bald aber begann die höhere Schönheit, die sich unter dem Einfluss seiner eigenen Werke in Rafaels Schöpfungen entfaltete, erhebend auf ihn zurück zu wirken. Zwei Bilder besonders, die während der nächst folgenden Zeit (1508 oder 1509) entstanden, geben dies zu erkennen: ein Gemälde in S. Marco zu Florenz, die Madonna mit dem Kinde zwischen vier Heiligen, welches so viel von Rafael hat, dass es von Pietro da Cortona für ein Werk desselben gehalten wurde, und eine heilige Familie im Besitz des Lord Cowper in Panshanger. Das letztere Bild, das man zu den Kleinoden der Kunst Bartolommeos rechnet, zeigt im Typus und im Gefühlsausdruck der Gestalten die Lionardeske und Rafaelische Weise in der reizvollsten Verschmelzung; eine anmutige Landschaft, wie sie Rafael in der florentinischen Zeit für seine Madonnenbilder besonders liebte, umgibt die Gruppe und unterscheidet das Bild im ganzen Stimmungscharakter von ähnlichen späteren Darstellungen des Künstlers, in denen zumeist — für seinen Stil sehr bezeichnend — eine feierliche Architektur den Hintergrund bildet.

Was die Malweise des Frate betrifft, so entwickelte sie sich direkt aus den technischen Prinzipien Lionardos. In der Untermalung, für welche diese Methode die äußerste Sorgfalt erforderte, wurden die Formen, in der Regel braun in braun, sogleich mit völliger Bestimmtheit modelliert, dann erst wurde der allgemeine Lokalton halb durchsichtig darüber gelegt und durch letzte zarte Lasuren die Abstufung der Halbtöne verseinert und das Ganze in Harmonie gebracht. Das erwähnte Bild der Florentiner Akademie, die Vision des h. Bernhard, lässt in seinem gegenwärtigen Zustande, der infolge wiederholten Reinigens stellenweise starke Verletzungen der Oberstäche zeigt, dieses Verfahren sehr deutlich erkennen. Die Kunst der malerischen Modellierung, die Vollkommenheit des Sfumato, der seinen Überleitung der Schatten ins Licht, die das Relief und die einheitliche Rundung der Gestalten bewirkt, rühmt Vasari an den Gemälden Bartolommeos mit besonderem Nachdruck; zugleich aber hebt er mit lebhafter Bewunderung den spezifisch koloristischen Reiz seiner Werke, die „grazia nei colori“ hervor. Lionardo hatte die Ausbildung des Farbenelements als solchen zu eigenartiger künstlerischer Wirkung noch nicht mit Entschiedenheit angebahnt, der Formenausdruck blieb ihm die Hauptsache. Bei Bartolommeo dagegen machte sich im Zusammenhang mit der völligen Entwicklung seines Kompositions- und Formenstils das Prinzip der Farbe in solcher Bestimmtheit geltend, dass er Kolorist im prägnanten Sinne genannt werden kann und als solcher in der Geschichte der florentinischen Malerei ein ähnliche Stellung einnimmt wie Andrea del Sarto.

Die unmittelbare Berührung mit derjenigen Malerschule, in welcher die Farbe zuerst zu wirklicher Herrschaft gelangte, blieb auf den künstlerischen Charakter Bartolommeos nicht ohne bestimmenden Einfluss. Im Frühling des Jahres 1508 unternahm er mit dem Syndicus seines Klosters eine Reise nach Venedig, wo eben damals mit dem Auftreten Giorgiones und Tizians eine neue Epoche der Malerei begann. Die bedeutenden Einwirkungen, die er hier empfing, bekunden sich sogleich in dem glänzenden, tiefen und reichen Kolorit eines Gemäldes, das er unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Florenz ausführte; es stellt in der oberen Hälfte Gottvater in einer Glorie dar, in der unteren Maria Magdalena und Katharina von Siena in anbetender, höchst edel empfundenen Haltung. Den Auftrag zu dem Bilde hatte Bartolommeo während seines Aufenthalts in Venedig vom Klostervikar von Murano erhalten, der jedoch das Werk infolge geschäftlicher Differenzen später nicht erwarb. Gegenwärtig befindet es sich in der Kirche S. Romano zu Lucca.

Nach der Rückkehr von Venedig nahm die Tätigkeit Bartolommeos erweiterte Dimensionen an. Der seiner Leitung anvertrauten Kunstwerkstatt des Markusklosters wendete er eine gesteigerte Fürsorge zu, erhöhte ihre Leistungsfähigkeit durch die Heranziehung neuer tüchtiger Kräfte und erlangte vom Kloster, das in der Regel nur Mitglieder des Ordens zur Teilnahme an den Arbeiten der Werkstatt zuließ, die Erlaubnis, auch Albertinelli als Gehilfen zu berufen. Das Kloster schloss mit letzterem 1509 einen förmlichen Kontrakt, und Bartolommeo war mit dem Freunde während mehrerer Jahre wieder, wie früher, gemeinschaftlich tätig. Bei manchen ihrer Arbeiten war Mariottos Anteil offenbar nur untergeordneter Art, bei anderen dagegen, die durch das Monogramm der Markuswerkstatt, zwei ineinander verschränkte Ringe mit durchgestecktem Kreuz, von jenen unterschieden sind, überließ ihm Bartolommeo wesentliche Teile der Ausführung. Ein vortreffliches Madonnenbild mit Petrus und Paulus in Sta. Caterina zu Pisa und die Verkündigung in Ste. Madeleine zu Genf sind durch das erwähnte Monogramm als Werke dieser letzteren Klasse bezeichnet. Als die Geschäftsverbindung im Jahre 1512 aufgelöst wurde, vermutlich weil der damals neu ernannte Prior des Klosters ihr nicht günstig gesinnt war, kam zwischen beiden Künstlern ein Teilungsvertrag zu Stande, in welchem unter anderen in ihrem Besitz befindlichen Gegenständen ein Gliedermann erwähnt wird, der nach Vasari der erste seiner Gattung war. Bartolommeo soll dieses späterhin zu so bedenklichen Ehren gelangte Instrument zum Zweck von Gewandstudien erfunden haben und jenes früheste Exemplar gegenwärtig noch in der Florentiner Akademie aufbewahrt werden.

Während der Zeit seiner gemeinschaftlichen Tätigkeit mit Albertinelli macht sich eine bedeutsame Wendung in der Stilrichtung Bartolommeos bemerklich. Er lenkt in die Bahn seiner früheren Entwicklung ein und strebt aufs neue, mit erweitertem Gefühl und erhöhtem künstlerischen Vermögen, nach jener Größe in der Formenbehandlung und Komposition, die das ursprüngliche Ziel seines Schaffens war. Die weitere Entwicklung ist; in dieser Richtung ein stetig aufsteigender Fortschritt. Die Struktur der Gemälde, der architektonische Aufbau der Gruppen weitet sich aus in großräumigen, immer reicher gegliederten Verhältnissen; alle Formen wachsen an Breite und Fülle, an Großartigkeit der Profilierung, während sich die Einteilung der inneren Flächen durch die Hervorhebung breiter Licht- und Schattenmassen zugleich vereinfacht. Vasari, dem diese Richtung, nach Rumohrs Bemerkung, zuerst als ein kunstgeschichtliches Moment aufgefallen ist, bezeichnet sie, dem Stil des Quattrocento gegenüber, schlechthin als die moderne Manier. Man darf sie zugleich als die Entwicklung des malerischen Geschmacks im engeren Sinne betrachten, bei Bartolommeo um so mehr, als in seinen späteren Werken das eigentlich koloristische Prinzip sich immer entschiedener geltend macht in jener eigentümlichen Erweichung der Umrisslinien, jener Lockerung der Formengrenzen, wie sie durch das Lichtelement der Farbe und die Einwirkungen des Lusttons bedingt wird. Das Feingefühl, womit er den Geheimnissen der Lustperspektive nachging, charakterisiert ihn allein schon als eminenten Koloristen.

      Abb. 004 Madonna della Misericordia, S. Romano zu Lucca. Nach dem Stich bei Rosini.

Jener Wendepunkt in der Stilentwicklung des Frate wird am bestimmtesten durch ein im Jahre 1511 entstandenes Bild in der Galerie des Louvre bezeichnet, die Vermählung der h. Katharina. Die feierliche Schönheit, die in der Komposition dieses Gemäldes waltet und fortan der vorherrschende Charakter seiner Werke bleibt, beruht vor Allem in der bedeutsamen Hervorhebung der Mittelgruppe, in dem System der pyramidalen Anordnung, das durch Bartolommeo zuerst zu seiner vollen künstlerischen Bedeutung gelangte: vor einer breit gewölbten Nische, unter hohem, von Engeln getragenen Baldachin thront Maria mit dem Kinde, das sich zu der unten knienden Katharina herabneigt, um ihr den Vermählungsring an den Finger zu stecken. Umgeben ist diese Gruppe, in welcher die mystische Zeremonie den Charakter der natürlichsten Anmut hat, von einem Halbkreis heiliger Männergestalten, wie sie kein anderer Künstler in Gewandung, Haltung und Ausdruck würdevoller und großartiger gebildet hat. Das Gemälde, das sogleich allgemeine Bewunderung fand, ward in der Werkstatt des Markusklosters mehrmals auf Bestellung kopiert und Bartolommeo selbst schuf eine bereicherte und in Einzelheiten variierte Wiederholung desselben, die gegenwärtig zu den Zierden der Galerie Pitti in Florenz gehört; namentlich hat in dieser Replik die Gruppe der Jungfrau und des Kindes durch die Kontrastierung ihrer Bewegungen an lebendiger Anmut gewonnen, von den beiden Figuren des h. Bartholomäus und Michael, die hier zu der feierlichen Umgebung der Gruppe hinzugetreten find, wird die letztere schon von Vasari als eine der edelsten und stolzesten Gestalten des Künstlers gerühmt.

Ein Beweis des hohen Ansehens, das Bartolommeo damals genoss, ist der Auftrag, den er vom Gonfaloniere Soderini zur Ausschmückung des Ratssaales im Signorenpalast empfing, desselben Raumes, für den Michelangelo und Lionardo wenige Jahre vorher ähnliche Austräge erhalten hatten. Die Entwürfe der beiden großen Rivalen blieben unausgeführt, und ein seltsames Schicksal wollte, dass auch Bartolommeo sein Werk nicht vollendete. Im Jahre 1513 ward dem Markuskloster vom Magistrat von Florenz eine Anzahlung auf die Arbeit des Frate geleistet; welche Ursachen dann die Beendigung derselben verhinderten, ist unbekannt. Das Gemälde gedieh nicht weiter als bis zur braunen Untermalung; diese Skizze aber, die sich jetzt in der Galerie der Uffizien zu Florenz befindet, ist ein Meisterwerk an grandioser Schönheit der Zeichnung und Komposition und gehört zu den edelsten und hervorragendsten Leistungen des Künstlers. Richardson meinte sogar im Hinblick auf dieses Werk behaupten zu können, dass Bartolommeo, wenn er unter ähnlichen Verhältnissen wie Rafael gelebt hätte, neben diesem nicht in zweiter Linie geblieben wäre. 6) Der Gegenstand, an welchem sich hier die Gestaltungskraft des Künstlers offenbarte, ist dem der zwei letztgenannten Bilder nahe verwandt: Maria mit dem Kinde und der h. Anna, umgeben von den 10 Schutzheiligen von Florenz. Die pyramidale Form, die auch hier für die Anordnung der Mittelgruppe angewandt ist, zeigt sich noch bedeutender und wirkungsvoller entwickelt. Auf dem mehrfach abgestuften Throngestelle in der Mitte des Bildes erhebt sich zuoberst die Gestalt der h. Anna, mit betend ausgebreiteten Armen, vor ihr etwas tiefer sitzt die Madonna mit dem Kinde auf dem Schoße, zu beiden Seiten an den Stufen des Throns sind kniende und stehende Nebenfiguren von edelster Schönheit angeordnet, so dass die großen Linien der Pyramide bis in den äußersten Vordergrund herabreichen, und die thronende Gruppe über dieser prachtvoll erweiterten Basis eine doppelt erhabene und großartige Wirkung erhält. Den übrigen Raum zu den Seiten des Throns füllt der feierliche Chor imposanter Heiligengestalten. So kunstvoll ist die Anordnung, dass die architektonische Regel im freien Linienrhythmus völlig aufgehoben und die Gesetzmäßigkeit wie ein Produkt der Freiheit erscheint, dass man das Gesetz, sozusagen, empfindet, ohne es gewahr zu werden und das Ganze der Komposition den ungetrübten und vollen Eindruck reiner Schönheit hervorbringt. In dem begeisterten Aufblick der h. Anna, in der erhabenen Würde der Männergestalten ist eine Kraft und innere Wahrheit des Ausdrucks, die an Rafaels Kunst der Charakteristik erinnert.

6) S. Lanzi, Storia pittorica della Italia, 4. Ed. I. 152.

Im Sommer 1514 brachte Bartolommeo einige Zeit im Landhospital der Dominikaner in Pian' di Mugnone zu; ein körperliches Leiden, von dem er sich nicht mehr völlig erholen sollte, hatte ihn befallen; doch blieb seine schöpferische Kraft ungeschwächt, vielmehr, sie zeigte sich noch der höchsten Leistungen fähig. Von den drei Fresken, die er in verschiedenen Räumen jenes Hospitales ausführte, hat sich, wie es scheint, nur eines erhalten, das gegenwärtig in S. Marco zu Florenz aufgestellt ist, eine Madonna in halber Figur, mit dem Knaben im Arm. Meisterhaft in der technischen Behandlung, groß und edel in den Formen, hat dieses Bild in der Innigkeit der Gruppierung nahe Verwandtschaft mit Rafaels Madonna della Sedia. Die Wiederholung desselben, die Bartolommeo bald nachher für die Capella del Giovanato von S. Marco malte, ist im Zusammenschluss der Linien noch vollendeter und im Ausdruck noch tiefer empfunden. Bewunderungswürdig gesteigert und völlig in sich gesammelt erscheint die Kraft des Meisters in den Schöpfungen des folgenden Jahres, die den reichsten und geklärtesten Ausdruck seiner künstlerischen Eigentümlichkeit enthalten, in denen er alles Höchste umfasste, was seiner Kunst erreichbar war. Den Impuls zu diesem letzten großartigen Aufschwunge seines Schaffens empfing er vielleicht während eines Aufenthaltes in Rom. Vasari erzählt, bevor er von der Reise nach Pian' di Mugnone berichtet, dass Bartolommeo, durch den Ruf der Wunderwerke Michelangelos und Rafaels bewogen, mit einem Klostergenossen nach Rom gegangen sei und dort in S. Silvestro auf Montecavallo für den Frate Mariano del Piombo, bei dem er gastliche Aufnahme gefunden, die Apostel Paulus und Petrus, jeden auf einer besonderen Tafel gemalt, weil ihm aber die römische Lust nicht zuträglich gewesen, das Bild des Petrus unfertig zurückgelassen habe; später sei dasselbe von Rafael beendigt worden. Eine Notiz in den Rechnungsbüchern des Markusklosters steht mit diesem Berichte in Widerspruch; ihr zufolge sind zwei von Bartolommeo gemalte Bilder jener beiden Apostel von Florenz aus — die Petrusfigur unvollendet — nach S. Silvestro geschickt worden; sich selbst widerspricht Vasari, indem er an einer andern Stelle, in der Lebensbeschreibung des Rosso, sagt, dass Bartolommeo von Rom weggegangen sei, ohne etwas gemalt zu haben. Von den beiden Apostelbildern, die sich zu Vasaris Zeit noch in S. Silvestro befanden und gegenwärtig im Quirinal aufbewahrt werden, ist die Figur des Petrus in einigen Teilen offenbar nicht von der Hand Bartolommeos. Die Angabe, dass Rafael an der Ausführung derselben Anteil gehabt, glaubte man in einer Anekdote des Cortigiano von Castiglione bestätigt zu finden; doch macht die Art der Malerei in den fraglichen Partien jener Figur diese Annahme sehr unwahrscheinlich. 7) Beide Gestalten sind von kühner und mächtiger Bildung und lassen voraussetzen, dass Bartolommeo zu jener Zeit Werke Michelangelos und Rafaels studierte. Geschah dies bei einem Aufenthalte in Rom oder fand er dazu Gelegenheit in Florenz, jedenfalls hat der Einfluss dieses Studiums bei dem herrlichen Aufschwung seiner Kunst in dieser Epoche entscheidend mitgewirkt.

7) S. Crowe und Cavalcaselle, a. a. O.

Das Hauptwerk des Jahres 1515, derjenigen Zeit, die man als die glänzendste in der gesamten künstlerischen Tätigkeit Bartolommeos bezeichnen darf, ist: die Madonna della Misericordia in der Kirche S. Romano zu Lucca. Alles, was ihm an Wirkungsmitteln der Kunst zu Gebote stand, ist in diesem wundervollen Werke, in der feierlichen Pracht der Komposition, in der Schönheit und Tiefe des seelischen Ausdrucks, in dem Reichtum und der Feinheit der Farbe, harmonisch vereinigt. In der Höhe des Bildes, von einem breit und prachtvoll wallenden Gewände umflossen, schwebt die majestätische Gestalt Christi mit ausgebreiteten Armen, auf die Schaar der Anbetenden, die in reichbewegten Gruppen unten versammelt sind, segnend herabschauend. Aus ihrer Mitte, auf hohem Piedestal, erhebt sich als Fürbitterin der Welt die gnadenreiche Jungfrau, eine der herrlichsten Gestalten, die der Künstler geschaffen. In der klassischen Schönheit ihrer Bewegung, in der Großartigkeit ihrer Gebärde und dem aufwärts gerichteten Blick ist eine Begeisterung der Liebe und des Erbarmens, eine Größe und Innigkeit der Empfindung ausgesprochen, deren rührende und zugleich erhebende und hinreißende Wirkung nur mit wenigen anderen Eindrücken der Kunst verglichen werden kann. Die um sie Versammelten, ernste Männergestalten, anmutige Kinder- und Frauengruppen, zeigen in Bewegung und Ausdruck eine Fülle der anziehendsten Motive, und ein vollendeter Wohlklang der Linien herrscht im Einzelnen, wie im Ganzen. Auch in koloristischer Hinsicht gehört das Werk zu den bedeutendsten des Meisters; vor Allem ist es durch die kunstvolle Behandlung des Lusttons ausgezeichnet, der die Farben verschmilzt und harmonisiert und zugleich, in der Abstufung derselben nach der Tiefe, die Massen von einander löst und den Eindruck des Weiten und Großräumigen in der Komposition hervorbringt; namentlich rühmen Crowe und Cavalcaselle die Feinheit, mit der die Gestalt Christi in den Ton des Äthers hineingestimmt ist. Mit dem idealen Stile der Komposition steht der Charakter der Färbung in vollkommenem Einklang, und in der Tat kann man sagen, dass in diesem Werke alle Vorzüge der Kunst Bartolommeos im reinsten Gleichgewicht mit einander verbunden sind. Noch zwei andere Gemälde gehören dem Jahre 1515 an, ein großartiges Madonnenbild in der Eremitage zu Petersburg und die Verkündigung Maria im Louvre zu Paris; das letztere Bild zeigt den altherkömmlichen Gegenstand in einer ganz neuen, für die Auffassungsweise des Frate charakteristischen Behandlung: den Hintergrund bildet eine nischenartige Architektur, vor derselben, von 17 Heiligengestalten umgeben, sitzt Maria und blickt, sich zurückneigend, nach dem von oben herabschwebenden Engel empor. Das Feierliche der Darstellung hat einen gewissen zeremoniellen Charakter, der vielleicht etwas störend empfunden wird; in der Durchführung aber, besonders in der Schönheit der im Vordergrund knien-, den Frauengestalten, trägt das Werk alle Merkmale der vollendeten Kunst des Meisters. Um dieselbe Zeit entstand vermutlich auch das verschollene Bild eines h. Sebastian , das einzige, in welchem sich Bartolommeo die Darstellung der unverhüllten Schönheit des menschlichen Körpers zur Aufgabe machte. Nach Vasari war die nackte Gestalt des Heiligen von so außerordentlichem Reiz, so lebensvoll in Form und Farbe, dass die Mönche das Bild für heidnisch erachteten und es später aus der Kirche S. Marco, wo es aufgestellt war, entfernen ließen.

      Abb. Pietà. Galerie Pitti zu Florenz

Ein Gemälde des folgenden Jahres (1516), die Auferstehung Christi im Palast Pitti zu Florenz, gemahnt in seiner hoheitsvollen Erscheinung, vor allem in dem grandiosen Charakter der Hauptfigur, an den Stil Michelangelos. Auch hier zeigt die Komposition den idealen Raum einer klassischen Architektur. Der Auferstandene, der mit dem Ausdruck erhabener Milde die Rechte segnend erhebt, in herrlich angeordnetem Gewände und großartiger Haltung, ist ohne bestimmte Beziehung auf die neutestamentliche Erzählung, schlechthin als der Genius des Heils, der Gemeinde, der Welt gegenüber gedacht, deren symbolisches Abbild sich in dem Spiegel zeigt, den zwei anmutige, auf den Stufen des Vordergrunds fitzende Engelknaben halten. Dieser Christus und die vier mächtigen Apostel, die in fest in sich ruhender Haltung ihn umgeben, sind die letzten Gestalten des Meisters, in denen er sein sittliches Ideal zu künstlerisch vollendetem Ausdruck brachte. Die beiden Propheten, Hiob und Jesaias, die ursprünglich an den Seiten dieses Gemäldes aufgestellt waren und sich jetzt in den Uffizien befinden, und die Kolossalgestalt des Marcus in der Galerie Pitti, so imposant sie auf den ersten Blick erscheinen, lassen doch die volle innere Belebung und Beseelung ihrer gewaltigen Formen vermissen; namentlich bei der Markusfigur, die später als eines der Hauptwerke des Meisters, als ein Wunder der Kunst gepriesen wurde, ist der Eindruck dieser Leere sehr auffällig. Bemerkenswert erscheint, dass Vasari das Bild nur beiläufig, als das Produkt eines künstlerischen Eigensinnes, und mit nicht außergewöhnlichem Lobe erwähnt. In rascher Folge entstanden dann noch eine Anzahl kleiner Fresken in S. Marco, Brustbilder von Heiligen des Dominikanerordens, zwei h. Familien (in der Galerie Corsini zu Rom und in Pitti zu Florenz) eine Himmelfahrt der Maria (nach Crowe und Calvalcaselle gegenwärtig im Museum zu Neapel) und eine Darstellung im Tempel (in der Belvedere-Galerie zu Wien), eine Reihe von Werken, welche die Fruchtbarkeit des Meisters und den andauernden Ernst seiner Arbeit bewundern lassen, die aber in der Auffassung nicht mehr die geistige Frische, in der Durchführung nicht mehr die Vollendung der früheren Leistungen zeigen. Nur einmal noch erhebt sich der Meister auf die volle Höhe seiner Kunst in der berühmten Pietà der Galerie Pitti, die, vielleicht als die letzte seiner Arbeiten, sein künstlerisches Schaffen in der feierlichsten Stimmung ausklingen lässt. Niemals hat der Adel des Schmerzes einen ergreifenderen Ausdruck gefunden, als in der Gebärde und dem Antlitz der Madonna dieses Bildes; wie sie sich zu dem Leichnam des Sohnes, der in halb aufrechter Stellung im Schoße des Johannes ruht, herabneigt, im Begriff, seine Stirn mit den Lippen zu berühren, und wie ihr das Haupt des Sohnes entgegensinkt, dieses stille Sichbegegnen in der Bewegung beider Gestalten ist von einer Schönheit, die in keiner andern Darstellung dieser Scene übertroffen worden ist; mit heftigerem, leidenschaftlichem Schmerz umfasst Magdalena die Füße des Leichnams, aber ohne den weihevollen Eindruck der Mittelgruppe zu stören. Der Christuskörper und das Gepräge der Köpfe ist von den edelsten und zugleich ganz individuellen Formen, und die eigentümliche Weichheit im Gesamtton der Farbe erscheint wie unmittelbar hervorgegangen aus der elegischen Stimmung des Ganzen. Bugiardini soll das Gemälde vollendet haben, wahrscheinlich aber bezieht sich diese Angabe nur auf den Umstand, dass er der Komposition zwei Seitenfiguren hinzufügte, die später wieder getilgt wurden.

Im Herbst 1515 hatte Bartolommeo aufs Neue, um seine Gesundheit zu stärken, einige Wochen in Pian' di Mugnone zugebracht. Auf der Rückreise nach Florenz besuchte er Suffignano, wo noch Brüder seines Vaters lebten, die er lange nicht gesehen. Die Aufzeichnungen eines Tagebuchs, die diesen Besuch und den Verkehr mit den bäuerlichen Verwandten in gemütlicher Weise schildern, enthalten zugleich die interessante Notiz, dass der König von Frankreich damals nach dem Frate gesandt habe, in der Absicht, ihn in seinen Dienst; zu nehmen.“ Eine andere Nachricht über diese Berufung, die sonach stattgefunden hätte, bevor Franz I. Lionardo nach Frankreich berief, ist nicht vorhanden; auch ist nicht bekannt, weshalb der Plan unausgeführt blieb. Einen herben Verlust erfuhr Bartolommeo um dieselbe Zeit durch den Tod Albertinellis, mit dem er, so verschiedenartig ihre Naturen und Lebensanschauungen waren, jederzeit gute Freundschaft gehalten hatte. Mariotto, der nach der Auflösung seiner Geschäftsverbindung mit dem Frate längere Zeit ein ziemlich abenteuerliches Leben geführt, sich dann aber der Malerei mit erneutem Eifer zugewandt hatte, erkrankte im Oktober 1515 in Guercia bei Orvieto, ließ sich von da nach Florenz bringen und starb hier wenige Tage später in den Armen des Freundes, der auf die Nachricht seiner Erkrankung rasch nach Florenz zurückgekehrt war. Eine Verschlimmerung, die im Befinden Bartolommeos eintrat, veranlasste ihn im Frühjahr 1517 die Bäder von S. Filippo zu brauchen. Hier jedoch so wenig, wie in Pian' di Mugnone, das er kurze Zeit darauf zum letzten Mal besuchte, fand er Genesung; er erlag der Krankheit, die langsam an seiner Lebenskraft gezehrt, bald nach der Rückkehr in die Heimat, am 3. August 1517. Im Kloster S. Marco, das er, wie ein halbes Jahrhundert früher Fiesole, zu einer Stätte der edelsten Kunsttätigkeit geweiht hatte, liegt Bartolommeo begraben.

                      * * * * * *

Wenig umfänglich war der Kreis künstlerischer Gegenstände und Aufgaben, in welchem sich der Frate bewegte. Weite Stoffgebiete, die von der Renaissance zuerst für die Malerei wieder gewonnen wurden, die Gebiete der Geschichte und antiken Mythologie, die Rafael mit unumschränkter Freiheit beherrschte, hat Bartolommeo niemals betreten. Auf große epische Darstellungen in ausgedehnten zyklischen Wandgemälden hat er ebenso verzichtet, wie auf Darstellungen von eigentlich dramatischem Charakter. Unter den religiösen Gegenständen, die er im Fresco, wie im Tafelbild ausschließlich behandelte, waren diejenigen seinem künstlerischen Naturell die gemäßesten, die ihm Gelegenheit gaben, Gestalten von ruhiger Schönheit und erhabener Würde in großartig feierlichen Situationen zu vereinigen; auch der Ausdruck des gesteigerten Affekts, der Ausdruck des Pathos hatte bei ihm einen feierlich getragenen Charakter, das, was die Italiener „portamento“ nennen. Mit der Großheit in den Formen und Bewegungen der einzelnen Gestalt stand die Größe und Schönheit, das Monumentale der Komposition im Einklang. Wie er es liebte, seine Gewalten mit edel gebauten Architekturen zu umgeben, so ließ er in den Figuren selbst, in ihrer Gruppierung, in der Anordnung des Ganzen den Rhythmus einer architektonischen Schönheit walten. Jene große künstlerische Wirkung, die aus der vollendet harmonischen Fügung aller Linien und Formen entspringt, hat Bartolommeo in der Malerei der italienischen Renaissance, neben Lionardo, zuerst; und in epochemachender Weise erreicht. In den Anfängen dieser Malerei hatte sich das Gefühl für das Bedeutende der räumlichen Anordnung im Kompositionsstil eines Giotto noch befangen, bei Masaccio in strenger und ernster Einfachheit angekündigt; in den Werken der späteren Quattrocentisten dagegen, deren Hauptaugenmerk und leidenschaftliches Streben sich auf wesentlich andere Dinge richtete, war es immer entschiedener zurückgetreten und öfters gänzlich verschwunden. Wie groß und bedeutend erscheint bei Signorelli die Bildung der einzelnen Gestalten, wie verworren aber, gerade in den hervorragendsten seiner Werke, wie unklar und überladen die Komposition! Die volle künstlerische Herrschaft über das Ganze der Darstellung ist in Wahrheit bei keinem italienischen Maler vor Lionardo und Bartolommeo zu finden. Das Raumgefühl, wie es in ihren Werken sich ausspricht, und die Großartigkeit der Totalwirkung der Komposition sind Kennzeichen der höchsten Kunstvollendung der Renaissance, Merkmale, die in ihrer ganzen Bedeutung erscheinen, wenn man die Malerei der zeitgenössischen deutschen Meister in Vergleich zieht, bei denen die Komposition, bei allen sonstigen bewundernswerten Eigenschaften ihrer Kunst, fast durchgehend etwas Befangenes behält, die sich bei ihrer leidenschaftlichen Hingebung an das Detail, bei ihrem Sichvertiefen in das Charakteristische der einzelnen Erscheinung nur selten zu einer freien harmonischen Gestaltung des Ganzen erheben. Der freie Blick für das Zusammenwirken aller Formen, Linien und Massen, das Gefühl für die Schönheit aller räumlichen Verhältnisse, die für den bildenden Künstler das nämliche ist, wie für den Dichter der Rhythmus des Verses, dieses Talent des Komponierens zeigt sich beim Frate in so eminenter Weife entwickelt, dass es leicht als die größte seiner künstlerischen Eigenschaften erscheint. Nimmt man hinzu, dass den großartigen Typen seiner Gestalten, den Motiven ihrer Bewegung eine gewisse Gleichförmigkeit eigen ist, so kann man geneigt sein, die geistreiche Bemerkung zutreffend zu finden, dass sein Stil, als Ganzes betrachtet, höhere Bedeutung habe, als die Erfindung und Gestaltung des einzelnen Werkes. 8) Es gibt manieristische Talente, denen in einzelnen Leistungen oft das Höchste gelingt, die m der Kraft und Kühnheit eines momentanen Aufschwungs oft eine Größe erreichen, die über die Bedeutung ihres künstlerischen Gesamtcharakters weit hinausgeht. Bei Bartolommeo kann es scheinen, als sei das Entgegengesetzte der Fall; und in der Tat, jener unerschöpflich quellende Reichtum der Phantasie, jene Fülle künstlerischer Gedanken, wie sie sich verschwenderisch und in immer neuer Gestaltung in den Schöpfungen der Genien höchsten Ranges entfaltet, war dem Frate versagt; glauben wir doch bei einigen Werken zu gewahren, dass seine schöpferische Kraft nicht ausreichte, die gewaltig stilisierten Formen ganz mit innerem Leben zu erfüllen. Wo aber die Seele des Künstlers das Werk völlig zu durchdringen vermochte, da ist eine höchste Schönheit erreicht. Aus der feierlichen Struktur der Komposition, aus der Erhabenheit der Gestalten und der Großartigkeit ihrer Gewandung, aus dem Rhythmus der Linien und dem tiefen Wohllaut der Farbe entspringt dann der Akkord einer künstlerischen Gesamtwirkung, die unter allen Wirkungen der Malerei nur wenige ihresgleichen hat. Zeigt sich Bartolommeo in solchen Werken auf der vollen Kunsthöhe der Renaissance, so meinen wir seine innere Verwandtschaft mit dem Geiste dieser großen Epoche noch in anderem Sinne zu erkennen, wenn wir uns der ethischen Bedeutung seiner mächtigen Charaktergestalten erinnern, jener Männergestalten, die so fest, mit so sicherem Bewusstsein der Kraft in sich selber ruhen, ideale Typen der freien, von jedem Zwange mittelalterlicher Befangenheit erlösten Charaktere der Renaissance. Diese ethische Seite seines künstlerischen Ideals zeigt den Meister weit hinausgehoben über die traditionelle Empfindungsweife seines Standes. Bartolommeo, der letzte Künstlermönch, der Verehrer Savonarolas, war auch insofern ein echter Sohn der Renaissance. In den großartigen Charaktergestalten seiner Werke verspürt man den gewaltigen Atem jenes Geistes, der die Macht der klösterlichen Weltanschauung brach und die letzten Fesseln des Mittelalters sprengte.

8) In dem oben angeführten Aufsatz A. v. Zahns.

Fra Bartolommeo (1475-1517) italienischer Maler, Dominikaner

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Kunst und Künstler des Mittelalters und der Neuzeit - Cover

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Fra Bartolommeo, Heilige Familie, Sammlung des Earl Cowper in Panshanger

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Fra Bartolommeo, Madonna della Misericordia, S. Romano zu Lucca. Nach einem Stich bei Rosini

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Fra Bartolommeo, Pieà, Galerie Pitti zu Florenz

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Fra Bartolommeo, Skizze zum oberen Teil des Jüngsten Gerichts, nach einer Handzeichnung

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RA 018 Savonarola

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Vinci Lionardo da (1452-1519) italienischer Maler und Erfinder. Das Porträt ist nach der Zeichnung Lionardos in der Ambrosiana gefertigt

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