Kunst und Industrie

Ein Jahrhundert lang galten beide als Feinde
Autor: Koch, Alexander (1860-1939) deutscher Publizist, Verleger und Reformer, Erscheinungsjahr: 1929
Themenbereiche
Enthaltene Themen: Kunst und Industrie, Feinde, Kultur und Zivilisation, gesit und Materie, Art und Weise, Industrielle Ziele, Industriereklame, Werbung
Kunst und Industrie

Ein Jahrhundert lang galten beide als Feinde.

Die Industrie erwürgt die Kunst, — so hieß es. Geist und Materie — so wurde der Gegensatz schlagwortmäßig formuliert. Oder auch: Kultur und Zivilisation. Erst neuerdings bahnt sich eine Beziehung zwischen den in beiden Mächten treibenden geistigen Grundlagen an. Und plötzlich entdeckt man wesentliche Ergänzungen, die beide einander geben können. Ja, man spürt, daß die Gestaltungsgrundzüge beider ein gut Stück Weges zusammengehen, bis sie sich dann in klarer gegenseitiger Auseinandersetzung von einander scheiden und polar entgegengesetzten Zielen zustreben: hie Ausdruck — hie Zweck. Jedenfalls: die vorurteilslose und verantwortungsvolle Durchforschung dieser Beziehung ist ein Grundanliegen allen bildnerischen Bemühens unserer Zeit. Eine Spiegelung solchen Meinungswandels bezüglich „Kunst und Industrie“ gibt die Reklamekunst. Die Art und Weise, wie sich die moderne Industriereklame in das Wesen industriellen Geschehens und industrieller Ziele einschmiegt, kann uns manches von der innigen gegenseitigen Erkenntnis beider Mächte sagen, soweit das auf Oberflächenschichten zum Ausdruck kommen kann. Da ist es interessant, die Einstellung der Industriellen zu dieser Frage zu hören. Und zwar nicht die besondere, wie sie in den Wettbewerbs -Ausschreibungen auftritt, sondern die ganz allgemeine, wie sie ein Großindustrieller anlässlich einer allgemein künstlerischen Streitfrage äußert. Georg Schicht, der Leiter der Außiger Weltfirma, schrieb in seinem Eintreten für eine bestimmte Besetzung der deutschen Professur an der Prager Kunstakademie unter anderem das Folgende, das wir keineswegs vorbehaltslos, wohl aber, da uns typisch erscheinend für den Standpunkt der Industriellen in Reklame-Kunstfragen, wiedergeben“. . .

„In Zukunft wird ein großer Teil der ausübenden Künstler sein Brot und auch künstlerische Befriedigung im Dienste der Industrie finden, als Graphiker oder als Maler oder auch als Bildhauer für Ausstattungen, Formgebung oder Propaganda-Entwürfe. Da es sich bei der industriellen Propaganda sehr oft um naturalistische Darstellungen handelt, muss der Künstler, der für Propaganda arbeiten will, unbedingt in der Lage sein, die Natur nicht nur sehr genau beobachten zu können, sondern sie auch darzustellen. Auch dort, wo es sich um „Übersetzung“ oder stilistische Umformung in der angewandten oder hohen Kunst handelt, dürfte nur das Naturstudium zu neuer Formengebung führen.

Eine besondere Wichtigkeit wird in Zukunft in der Propaganda die Darstellung der menschlichen Figur, des Mienenspiels usw. erlangen. Ein Künstler, der in der Lage ist, Personen so zu malen, daß man bei ihnen z. B. die Freude über den Besitz, den Geschmack oder das Aussehen des zu propagierenden Gegenstandes auf den ersten Blick erkennt, kann heute schon außerordentlich hohe Honorare für seine Arbeiten erzielen.

Ich will durchaus nicht gegen die jungen Akademiker polemisieren, sondern wollte sie lediglich darauf aufmerksam machen, dass die Betätigung der Künstlerschaft auf industriellem Gebiete ein von Jahr zu Jahr größeres Feld bietet, während leider die Zahl der kunstverständigen Personen, die daran Genuss finden und in der Lage sind, für ihre eigenen, persönlichen, privaten Zwecke Kunstwerke zu sammeln, heute wohl bedeutend geringer ist als vor zwanzig Jahren.

Ob sich das so schnell ändern wird, möge dahingestellt bleiben. Die Nachfrage nach ersten Künstlern von selten der Industrie wird sich in den nächsten Jahrzehnten vervielfachen. . .“

00 P. Gutersloh – „Montmatre“ - 1928
01 Anton Faister – Gemälde „Aus Salzburg“ - 1928
02 Franz Zülow – „Dorf“ - 1928

P. Gütersloh – „Montmatre“ - 1928

P. Gütersloh – „Montmatre“ - 1928

Anton Faister – Gemälde „Aus Salzburg“ - 1928

Anton Faister – Gemälde „Aus Salzburg“ - 1928

 L. Gabor – „Südfrankreich“ - 1928

L. Gabor – „Südfrankreich“ - 1928