Kunst und Altertum in St. Petersburg. Band 01

Autor: Hand, Ferdinand Gotthelf (1786-1851) deutscher klassischer Philologe und Urgroßvater von Joachim Ringelnatz, Erscheinungsjahr: 1827

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Themenbereiche
Enthaltene Themen: Russland, St. Petersburg, Kunst und Kultur, Architektur, Eremitage, Galerien, Deutsche, Kunstgeschichte, Kulturgeschichte, Land und Leute, Residenz, Peter der Große,
Vorwort.

Ein längerer Aufenthalt in St. Petersburg wird Jeden, der mit offenem Auge und vorurteilslosem Geiste schaut, zu einem Reichtum von Beobachtungen auf dem Gebiete der Kunstgeschichte und des Menschenlebens führen. Diese seit hundert Jahren zu der schönsten und prachtvollsten aller europäischen Städte schnell erwachsene Residenz vereint, in sich und in ihrem Leben das Mannigfaltigste. Es verschmilzt europäischer Charakter mit asiatischem; angeeignetes Fremde erscheint neben ursprünglicher Nationalität; Süden berührt den Norden; man glaubt hier Italien nahe zu wohnen, und wird dort an den Weg nach Sibirien erinnert; hier erkennt man den reinen Kern des alten ehrenwerten Russenvolkes, dort die Spuren einer Umgestaltung und Auflösung des selbstständigen Nationalcharakters. Vielfach ist daher auch Petersburg betrachtet und beschrieben worden, von den Eingeborenen meistens mit hyperbolischer Ausschmückung und schmeichlerischen Lobsprüchen, von den Ausländern mit ungerechter Einseitigkeit und flacher Unkunde. Daher möchte eine ruhige, gründliche, vorurteilsfreie Darstellung des vielgestaltigen Lebens in der großen Kaiserstadt noch immer für ein verdienstliches Werk erachtet werden und ein allgemeines Interesse in Anspruch nehmen. Dieses Verdienst bleibe Anderen überlassen; denn obgleich ich, kein fahrlässiger Zuschauer des großen vielnamigen Getriebes, in welchem sich fast alle Nationen an der Newa vereinen, vielmehr mit allem Eifer darauf gerichtet, das Eigentümliche des russischen Chambers, der Sitten .und Einrichtungen in ihren Tilgenden und Mangeln zu umfassen, vielleicht manches Denkwürdige zu erzählen und manchen Irrtum zu berichtigen vermöchte, soll mein Weg sich nur auf ein enges Gebiet beschränken. Nur von den Schätzen der Kunst und des Altertums in St. Petersburg will ich den Freunden der Kunst berichten.

Dass Petersburg eine große Summe von Kunstwerken aller Art und Zeit in sich vereine, haben die Reisenden oft schon gerühmt, die topographischen Beschreibungen im Allgemeinen bezeichnet; dem aber, welchem die Sache der Kunst zum Studium ward blieb die Frage: was denn eigentlich dort zu finden und was dort gefördert worden sei, unbeantwortet. Nicht allein, dass nur Wenigen vergönnt ist, zur weiten Ferne des Nordens zu wandern, kann man von dorther nicht einmal Verzeichnisse der Sammlungen mitbringen, da in keiner der kaiserlichen und Privat-Galerien ein gedruckter Katalog gefunden wird, der wenigstens den Inhalt äußerlich bezeichne, und dem Gedächtnis Hilfe gewähre. Darum gewinnt auch der vorübergehende Beobachter nur allgemeine Eindrücke und nirgends eine vollständige Übersicht.

Seit aber das Studium der Kunst eine reingeschichtliche Tendenz angenommen hat, sollte man, um eine kritische Untersuchung möglich zu machen, vor Allem darauf bedacht gewesen sein, eine vollständige Kenntnis des Vorhandenen zu ermitteln und sich in den Besitz der geschichtlichen Tatsachen zu setzen. Selbst die Schicksale manches einzelnen Hauptwerks sind zum Gegenstand der Geschichte geworden; was nur dem Namen nach noch bekannt und verloren scheint, muss in seiner dauernden Existenz ausgemittelt werden. Italien hat seinen Reichtum allen Ländern der Erde spenden müssen. Klöster wurden aufgehoben und geplündert, verarmte Familien veräußerten ihre Habe, über Werke der Menschen walteten nicht minder sonderbare Schicksale als über Menschen selbst, und was man auf seine, ihm ursprünglich angewiesenen, Stelle sucht, findet man in weit entlegener Ferne. So fällt allerdings dem Forscher sehr schwer, das in alle Welt Zerstreute zusammenzuhalten und zu ordnen. Ein allgemeines Repertorium der Werke alter und neuer Kunst, dessen Bedürfnis täglich drückender gefühlt wird, kann nur das Resultat von eifrigen Bemühungen Vieler sein; auf ihm allein aber wird eine gründliche Kritik und Beurteilung sicher fußen können. Für ein solches blieb bisher Petersburg eine Lücke. Durch einen Beitrag diese auszufüllen, hielt ich für ein billigenswertes Unternehmen, und übergebe daher den Freunden der Kunstforschung einen möglichst vollständigen Bericht über die in Petersburg vereinten Kunstschätze, wobei ich den Zweck unverrückt vor Augen hielt, die Geschichte der Kunst und Kunstwerke durch das Einzelne zu ergänzen und zu berichtigen; denn ich wollte kein Buch für anmutig ergötzende Unterhaltung schreiben, und mache keinen Anspruch auf schöne Darstellung, die mir die Natur versagt hat.

Eine große, oder die größte Zahl der Kunstberichte über Italien und andere Länder, genügen dem geschichtlichen Forscher nicht. Entweder geben sie bloße Namen, die an sich zweifelhaft, leer und unbrauchbar sind (denn mit den dürren Angaben: eine heilige Familie von Leonardo, eine Taufe Christi von Albani, lässt sich weiter nichts vornehmen), oder sie fügen ein Urteil über den Wert, wie er eben dem Beschauer nach einmaliger Auffassung erschien, in allgemeiner Bezeichnung und abgenutzten Exklamationen bei, womit dem vom Kunstwerk entfernt stehenden Leser, welcher über Erfindung, Komposition und Ausführung genau belehrt sein will, wenig gedient ist; wer vor dem Werke selbst steht, bedarf solcher Urteile noch weniger. Es kommt hinzu, dass die gehäufte Zahl von Kopien, die Menge falscher und untergeschobener Namen besondere Untersuchung und Vergleichung nötig macht, da ja nicht leicht ein Aufseher eines Kabinetts sich den Vorzug streitig machen lässt, das Original in seiner Obhut zu besitzen. Und so wird durchaus eine ausführliche und genaue Darstellung für weitere Benutzung notwendig, wichtiger selbst als irgend eine individuell gültige Beurteilung. Aus ihr nur lässt sich eine Einsicht in das Gebiet der Kunstideen und deren Umwandlung, in die Eigentümlichkeit des einzelnen Werks und in dessen Geschichte gewinnen. Dies der Grund meines ausführlicheren Verfahrens, bei welchem ich vorzüglich auf Erfindung und Anordnung gesehen habe.

Doch Beschreibungen von Galerien ermüden auch gemeinhin durch Zerstückelung. Die Lokalität, welche der Beschreiber stillschweigend sich vor Äugen hält, bietet dem fernen unkundigen Leser keinen haltbaren Faden, und derselbe wird, von Bild zu Bild aus verschiedenen Zeiten und Schulen fortgezogen, des Mangels an Zusammenhang bald überdrüssig, und sieht sich am Ende doch genötigt, die zerstreute zufällige Masse selbst erst zu ordnen. Um auch diesen Fehler zu vermeiden, ordnete ich die Werke der Galerien nach der Zeit, absehend von aller lokalen Aufstellung, die überdies in Petersburg nie eine dauernde war, und auf das Wesentliche weniger als auf Äußerlichkeit Rücksicht nahm? und brachte so die Beschreibung der Gemälde in einen geschichtlichen Zusammenhang, der dann freilich wieder auf allgemeine Bemerkungen führte. Allein, wer kann von einem echten und bedeutungsvollen Kunstwerk sprechen, ohne von der Kunst selbst zu reden? wer ein einzelnes Gemälde beurteilen, ohne den gesamten Charakter des Künstlers in Anschlag zu bringen?
Wenn daraus die Geschichtsforscher brauchbare Notizen entnehmen, an der zu einem mehr lebendigen Ganzen verbundenen Masse vieler trefflicher Meisterwerke die Freunde des Schönen sich erfreuen, und vielleicht auch dieser oder jener Gedanke von den Kennern der Kunst beachtet werden sollte, wäre der Zweck meines Bemühens erreicht; denn nur mit Bescheidenheit sei dieser kleine Beitrag zu einer künftigen Kunstgeschichte dargeboten. Andere würden treffender als ich charakterisiert, geschickter und lebendiger geschildert haben; Andere würden der jetzt herkömmlichen Weise gemäß sich mehr mit dem, wie Etwas sein solle, als mit dem, wie es wirklich ist, befasst haben, wo ich nur verehre und bewundere. Doch unantastbar scheint mir die Wahrheit des Grundsatzes, man müsse in Werken der Kunst, die ja immer als gleichartige Bestrebungen nach der Verwirklichung der Idee der Schönheit gelten, vor Allein das Gute, Tüchtige, Vorzügliche auffinden, erkennen und sich dessen achtend erfreuen. Oft finden wir es da, wo wir sein Gegenteil voraussetzten, oder es die Verdammungsurteile hochfahrender Kritiker ableugnen wollen. Nur an der Ausklügelung des Mangelhaften sich ergötzen, nach scharfen Grundsätzen des Alten und Neuen Alles in Klassenbegriffen behandeln, rührt von Einseitigkeit und Affektation her, und führt von dem Genuss ab zu einer traurigen Weisheit. So ist es eben zur Mode geworden, die Produkte der frühesten Perioden der Kunstentwicklung, denen als geschlossenen Blütenknospen ein hoher Wert allerdings zukommt, unbedingt zu überschätzen, und z. B. nach Raphael nicht leicht einen Maler mehr vorzüglich und bewunderungswürdig zu nennen. Dieses Altertümeln wird in der Kunstkritik endlich widrig, und bezeugt den Mangel wahrer historischer Forschung, in welcher auch der durch die Zeit bedingte Geschmack als ein der gesamten Entwicklung des kunstbildenden Seelenlebens zugehöriges Gesetz sorgsam berücksichtigt werden muss.

Eine Geschichte der Kunst in Russland beizufügen vermochte ich nicht, da man dazu wenigstens auch Moskau und Nowogorod gesehen haben muss. Dort nämlich finden sich noch die ehrwürdigen Reste der alten Zeit, in welcher der fortdauernde Verkehr mit Griechenland seit Wladimir des Großen Annahme des Christentums auch neugriechische Kunst nach dem Norden führte, und die Klöster einen tätigen Betrieb in sich schlossen. Die Einflüsse, welche dann später im fünfzehnten Jahrhundert unter Iwan I. eingewanderte italienische, und im sechzehnten deutsche Künstler bewirkten, und wie solche wieder vereitelt wurden und ohne Spur verloren gingen: dies könnte in einer von den Kunstwerken abgenommenen Betrachtung nur gehaltvoll und wichtig sein. Petersburg gehört ganz der neuen Zeit an, und nur weniges Einzelne, der alten Geschichte Zugehörige, wurdet zufällig dahin versetzt. Allein nicht unzweckmäßig schien mir eine Nachmessung dessen, wie die vorhandenen Sammlungen in Petersburg entstanden seien, was man überhaupt in Sachen der Kunst seit Gründung der Stadt getan, gefördert und sich angeeignet habe. Darauf war meine sorgfältige Erkundigung gerichtet, und aus zerstreuten mit vieler Mühe aufgebrachten Nachrichten konnte ich die geschichtliche Übersicht zusammenstellen, die ich nun der Beschreibung der Sammlungen vorausschicke. Was bisher darüber von Andern gesagt worden ist, enthält eine Menge falscher Angaben, auf welche hier nicht weiter Rücksicht genommen werden konnte. Ich auch gebe nur so Vieles als aus den mir offenstehenden Quellen zu schöpfen war, und werde mich jeder Verbesserung und Ergänzung aufrichtig freuen.

Der zweite Band wird die Fortsetzung der Beschreibung der Eremitage, die Antiken, die Sammlungen der kaiserlichen Schlösser und der Privaten enthalten.
                  Jena, den 12. März 1827.

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Als Peter der Große nach der Eroberung der Festungen Schlüsselburg und Nyenschanz wieder zum Besitze des Newastroms gelangt war, und im Jahr 1703 den kühnen Gedanken fasste, auf einem nur erst erkämpften Boden alsbald eine befestigte Handelsstadt zu gründen und seinem großen Reiche einen neuen Weg des Verkehrs mit den Völkern der Kultur zu eröffnen, ahndete er selbst nicht, welch majestätischer Riesenbau sich schon nach hundert und wenigeren Jahren auf den Grundsteinen, die er mit eigene, Hand gelegt, prachtvoll würde erhoben haben. Die nach dem Schutzheiligen seines Namens benannte Stadt sollte eine Werkstätte der bürgerlichen Betriebsamkeit und des Handels werden, und dem damals noch auf rohe Natürlichkeit beschränkten Volke die Mittel einer vielseitigen Ausbildung zuführen. Wie hätte da, wo zahllose Schwierigkeiten jedem Unternehmen entgegentraten und es zu vereiteln drohten, irgend vorausbestimmt werden können, in einer unwirtlichen Gegend werde nach so kurzer Zeit der Wohlstand und ein bürgerlicher Verkehr unter Menschen aus allen Nationen hausen, ein glänzender Hof, vom Reichtum eines unermesslichen Reiches umgeben, der feineren Sitte und gesellschaftlichen Bildung huldigen, und den Künsten und der Literatur zur Aufstellung ihrer Schätze eine Freistatt eröffnen? So beflügelt und groß sind die Schritte der in ihrer Entwicklung aufstrebenden Menschheit. Allein wo Peter Pläne entwarf, trugen sie auch Keime für weitentlegene Zukunft in sich; denn er umfasste, wenn auch oftmals selbst unbewusst und ohne klare Einsicht in das Einzelne, mit fester, sicherer Hand das Ganze, und was sein Genius, der auch in diesem großen Manne von der Persönlichkeit wohl zu unterscheiden ist, mächtig schuf, und für ein schnelles Gedeihen bekräftigte, blieb dennoch eine Aussaat für späte, noch vielfache Pflege erfordernde Ernte. Einige neuere Geschichtsforscher haben zwar in ihrem nur modisch-gültigen Bemühen um auffallend neue Meinungen die Grundlage des Gedankens an eine Kultivierung seiner Nation in Peter dem Ersten bezweifeln oder deren Reinheit nicht anerkennen wollen; sie urteilten aber dann in oberflächlichen und einseitigen, mehr der äußeren Politik zugehörigen Betrachtungen, und sahen nicht mit eigenen Augen die Werkstätte seines Wirkens, wo noch viele Zeugnisse von der rastlosen Tätigkeit des kräftigen Geistes sprechen, und den hohen allgemeingültigen Zielpunkt seines Strebens nachweisen.

Das heutige Russland

Das heutige Russland

Katharina II (1729-1796) Genannt Katharina die Große, Kaiserin von Russland

Katharina II (1729-1796) Genannt Katharina die Große, Kaiserin von Russland

Petersburg in der Zeit Katharinas II.

Petersburg in der Zeit Katharinas II.

Petersburg 1722

Petersburg 1722

Pertersburg, Werft zur Zeit Peters des Großen

Pertersburg, Werft zur Zeit Peters des Großen

An der Neva mit Blick auf den Winter-Palast

An der Neva mit Blick auf den Winter-Palast

Iwan der Schreckliche

Iwan der Schreckliche

003 Im Park von Peterhof

003 Im Park von Peterhof

005 Die Nikolaus-Brücke

005 Die Nikolaus-Brücke

007 St. Petersburg, Die Börse

007 St. Petersburg, Die Börse

008 St. Petersburg, Der Kaiserliche Winterpalst

008 St. Petersburg, Der Kaiserliche Winterpalst

009 St. Petersburg, Die Isaakskirche

009 St. Petersburg, Die Isaakskirche

010 Volksleben in Petersburg

010 Volksleben in Petersburg

011 St. Petersburg, Fest der Wasserweihe auf der Newa

011 St. Petersburg, Fest der Wasserweihe auf der Newa

012 St. Petersburg, Droschke

012 St. Petersburg, Droschke

013 St. Petersburg, Der Narwa- Triumphbogen (Errichtet 1816)

013 St. Petersburg, Der Narwa- Triumphbogen (Errichtet 1816)

014 Sternwarte von Pulkowa

014 Sternwarte von Pulkowa

Russland 002. Petersburg, Winterpalast, Architekt Rastrelli

Russland 002. Petersburg, Winterpalast, Architekt Rastrelli

Russland 002. Petersburg. Der Taurische Palst (Gebäude des Reichsduma)

Russland 002. Petersburg. Der Taurische Palst (Gebäude des Reichsduma)

Russland 003. Petersburg, Altes Michael-Palais (Ingeneurschloss)

Russland 003. Petersburg, Altes Michael-Palais (Ingeneurschloss)

Russland 005. Petersburg, Museum Alexander III.

Russland 005. Petersburg, Museum Alexander III.

Russland 006. Petersburg, Holzbarken auf der Fontanka bei Eisgang

Russland 006. Petersburg, Holzbarken auf der Fontanka bei Eisgang

Russland 007. Petersburg, Alexandersäule, errichtet von Nikolaus I. zur Erinnerung an den Sieg über Napoleon

Russland 007. Petersburg, Alexandersäule, errichtet von Nikolaus I. zur Erinnerung an den Sieg über Napoleon

Russland 007. Petersburg, Vorhalle der Isaakskathedrale

Russland 007. Petersburg, Vorhalle der Isaakskathedrale

Russland 008. Petersburg, Ein Landhaus in der Umgebung

Russland 008. Petersburg, Ein Landhaus in der Umgebung

Russland 008. Petersburg, Eine Feuerwachstation

Russland 008. Petersburg, Eine Feuerwachstation