Vorwort zur vierten Auflage. 1911

Mehr als zwölf Jahre sind ins Land gegangen, seitdem die ersten Kapitel dieses Bandes gedruckt wurden. Die Zustände sehen heute wesentlich hoffnungsvoller aus, als sie es damals taten. Es ist nicht bloß bei Vorsätzen oder Einzelversuchen geblieben, dem geschilderten Tiefstand unserer sichtbaren Kultur ein Ende zu bereiten, sondern es sind schon überall auf breitester Grundlage Ansätze zur Besserung zu finden. Unsere Architekten sind sich der Wichtigkeit ihrer Aufgabe bewusst geworden, die Erziehungsanstalten haben neue und bessere Wege eingeschlagen. Eine große Vereinigung, die sich „Heimatschutz“ nennt, hat sich gebildet und sucht das Verständnis für ihre Aufgabe in alle Volksschichten zu tragen. Aber trotzdem sind wir heute noch nicht so weit, dass man sagen könnte: der Zweck dieser Veröffentlichungen ist erfüllt, das Buch ist überflüssig geworden. Denn wie viel Arbeit muss noch geschehen, bis die Entstellung und Zerstörung unseres Landes ein Ende nimmt, bis ein Verantwortungsgefühl für seine sichtbaren Gestaltungen das ganze Volk durchdrungen hat und die Forderung nach wahrhaftiger, schöner Gestaltung aller Dinge eine ebenso selbstverständliche geworden ist, wie sie auf ethischem Gebiet die nach Redlichkeit eines jeden Menschen schon lange bedeutet.

Die Gegenbeispiele unserer heutigen Jahre sind zwar nach einer andern Mode gekleidet, sind aber noch lange nicht ausgestorben. Es scheint mir jedoch eine verlorene Liebesmüh zu sein, sie jedes Jahr der augenblicklich herrschenden Mode anzupassen, und ich lasse daher die Bilder so stehen, wie sie damals entstanden sind, in der Überzeugung, dass der, der den Sinn verstehen will, es auch heute noch vermag.


Saaleck, im Herbst 1911

Paul Schultze-Naumburg

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kulturarbeiten - Band 1 - Hausbau