Stellung der Frau: Ihre männliche Bildung — Vollendung ihrer Persönlichkeit — Die Virago — Das Weib in der Gesellschaft — Die Bildung der Buhlerinnen

Zum Verständnis der höheren Geselligkeit der Renaissance ist endlich wesentlich zu wissen, dass das Weib dem Manne gleich geachtet wurde. Man darf sich ja nicht irre machen lassen durch die spitzfindigen und zum Teil boshaften Untersuchungen über die vermutliche Inferiorität des schönen Geschlechtes, wie sie bei den Dialogenschreibern hin und wieder vorkommen, auch nicht durch eine Satire, wie die dritte des Ariosto, welcher das Weib wie ein gefährliches großes Kind betrachtet, das der Mann zu behandeln wissen müsse, während es durch eine Kluft von ihm geschieden bleibt. Letzteres ist allerdings in einem gewissen Sinne wahr; gerade weil das ausgebildete Weib dem Manne gleichstand, konnte in der Ehe das, was man geistige und Seelengemeinschaft, oder höhere Ergänzung nennt, nicht so zur Blüte gelangen wie später in der gesitteten Welt des Nordens.

Vor allem ist die Bildung des Weibes in den höchsten Ständen wesentlich dieselbe wie beim Manne. Es erregt den Italienern der Renaissance nicht das geringste Bedenken, den literarischen und selbst den philologischen Unterricht auf Töchter und Söhne gleichmäßig wirken zu lassen; da man ja in dieser neuantiken Kultur den höchsten Besitz des Lebens erblickte, so gönnte man sie gerne auch den Mädchen. Wir sahen bis zu welcher Virtuosität selbst Fürstentöchter im lateinischen Reden und Schreiben gelangten. Andere mussten wenigstens die Lektüre der Männer teilen, um dem Sachinhalt des Altertums, wie er die Konversation großenteils beherrschte, folgen zu können. Weiter schloss sich daran die tätige Teilnahme an der italienischen Poesie durch Kanzonen, Sonette und Improvisation, womit seit der Venezianerin Cassandra Fedele (Ende des XV. Jahrhunderts) eine Anzahl von Damen berühmt wurden; Vittoria Colonna kann sogar unsterblich heißen. Wenn irgend etwas unsere obige Behauptung beweist, so ist es diese Frauenpoesie mit ihrem völlig männlichen Ton. Liebessonette wie religiöse Gedichte zeigen eine so entschiedene, präzise Fassung, sind von dem zarten Halbdunkel der Schwärmerei und von allem Dilettantischen, was sonst der weiblichen Dichtung anhängt, so weit entfernt, dass man sie durchaus für die Arbeiten eines Mannes halten würde, wenn nicht Namen, Nachrichten und bestimmte äußere Andeutungen das Gegenteil besagten.


Denn mit der Bildung entwickelt sich auch der Individualismus in den Frauen höherer Stände auf ganz ähnliche Weise wie in den Männern, während außerhalb Italiens bis auf die Reformation die Frauen, und selbst die Fürstinnen noch sehr wenig persönlich hervortreten. Ausnahmen wie Isabeau von Bayern, Margarethe von Anjou, Isabella von Kastilien usw. kommen auch nur unter ganz ausnahmsweisen Verhältnissen, ja gleichsam nur gezwungen zum Vorschein. In Italien haben schon während des ganzen XV. Jahrhunderts die Gemahlinnen der Herrscher und vorzüglich die der Kondottieren fast alle eine besondere, kenntliche Physiognomie und nehmen an der Notorität, ja am Ruhme ihren Anteil. Dazu kommt allmählich eine Schar von berühmten Frauen verschiedener Art, wäre auch ihre Auszeichnung nur darin zu finden gewesen, dass in ihnen Anlage, Schönheit, Erziehung, gute Sitte und Frömmigkeit ein völlig harmonisches Ganzes bildeten. Von einer aparten, bewussten „Emanzipation“ ist gar nicht die Rede, weil sich die Sache von selber verstand. Die Frau von Stande musste damals ganz wie der Mann nach einer abgeschlossenen, in jeder Hinsicht vollendeten Persönlichkeit streben. Derselbe Hergang in Geist und Herz, welcher den Mann vollkommen macht, sollte auch das Weib vollkommen machen. Aktive literarische Tätigkeit verlangt man nicht von ihr, und wenn sie Dichterin ist, so erwartet man wohl irgend einen mächtigen Klang der Seele, aber keine speziellen Intimitäten in Form von Tagebüchern und Romanen. An das Publikum dachten diese Frauen nicht; sie mussten vor allem bedeutenden Männern imponieren und deren Willkür in Schranken halten.

Das Ruhmvollste, was damals von den großen Italienerinnen gesagt wird, ist, dass sie einen männlichen Geist, ein männliches Gemüt hätten. Man braucht nur die völlig männliche Haltung der meisten Weiber in den Heldengedichten, zumal bei Bojardo und Ariosto, zu beachten, um zu wissen, dass es sich hier um ein bestimmtes Ideal handelt. Der Titel einer „virago“, den unser Jahrhundert für ein sehr zweideutiges Kompliment hält, war damals reiner Ruhm. Ihn trug mit vollem Glänze Caterina Sforza, Gemahlin, dann Witwe des Girolamo Riario, dessen Erbe Forli sie zuerst gegen die Partei seiner Mörder, dann später gegen Cesare Borgia mit allen Kräften verteidigte; sie unterlag, behielt aber doch die Bewunderung aller ihrer Landsleute und den Namen der „prima donna d’Italia“. Eine heroische Ader dieser Art erkennt man noch in verschiedenen Frauen der Renaissance, wenn auch keine mehr solchen Anlass fand, sich als Heldin zu betätigen. Isabella Gonzaga verrät diesen Zug ganz deutlich.

Frauen dieser Gattung konnten denn freilich auch in ihrem Kreise Novellen erzählen lassen, wie die des Bandello, ohne dass darunter die Geselligkeit Schaden litt. Der herrschende Genius der letzteren ist nicht die heutige Weiblichkeit, d. h. der Respekt vor gewissen Voraussetzungen, Ahnungen und Mysterien, sondern das Bewusstsein der Energie, der Schönheit, und einer gefährlichen, schicksalsvollen Gegenwart. Deshalb geht neben den gemessensten Weltformen ein Etwas einher, das unserem Jahrhundert wie Schamlosigkeit vorkommt, während wir nur eben das Gegengewicht, nämlich die mächtige Persönlichkeit der dominierenden Frauen des damaligen Italien uns nicht mehr vorstellen können.

Dass alle Traktate und Dialoge zusammengenommen keine entscheidende Aussage dieser Art enthalten, versteht sich von selbst, so weitläufig auch über die Stellung und die Fähigkeiten der Frauen und über die Liebe debattiert wird.

Was dieser Gesellschaft im allgemeinen gefehlt zu haben scheint, war der Flor junger Mädchen, welche man sehr davon zurückhielt, auch wenn sie nicht im Kloster erzogen wurden. Es ist schwer zu sagen, ob ihre Abwesenheit mehr die größere Freiheit der Konversation oder ob umgekehrt letztere jene veranlasst hat.

Auch der Umgang mit Buhlerinnen nimmt bisweilen einen scheinbaren Aufschwung, als wollte sich das Verhältnis der alten Athener zu ihren Hetären erneuern. Die berühmte römische Kurtisane Imperia war ein Weib von Geist und Bildung und hatte bei einem gewissen Domenico Campana Sonette machen gelernt, trieb auch Musik. Die schöne Isabella de Luna, von spanischer Herkunft, galt wenigstens als amüsant, war übrigens aus Gutherzigkeit und einem entsetzlich frechen Lästermaul wunderlich zusammengesetzt. In Mailand kannte Bandello die majestätische Caterina di San Celso, welche herrlich spielte und sang und Verse rezitierte, usw. Aus allem geht hervor, dass die berühmten und geistreichen Leute, welche diese Damen besuchten und zeitweise mit ihnen lebten, auch geistige Ansprüche an sie stellten und dass man den berühmten Buhlerinnen mit der größten Rücksicht begegnete; auch nach Auflösung des Verhältnisses suchte man sich ihre gute Meinung zu bewahren, weil die vergangene Leidenschaft doch einen bedeutenden Eindruck für immer zurückgelassen hatte. Im ganzen kommt jedoch jeder Umgang in geistigem Sinne nicht in Betracht neben der erlaubten, offiziellen Geselligkeit, und die Spuren, welche er in Poesie und Literatur zurücklässt, sind vorherrschend skandalöser Art. Ja man darf sich billig wundern, dass unter den 6.800 Personen dieses Standes, welche man zu Rom im Jahre 1490 — also vor dem Eintreten der Syphilis — zählte, kaum irgend ein Weib von Geist und höherem Talent hervortritt; die oben genannten sind erst aus der nächstfolgenden Zeit. Die Lebensweise, Moral und Philosophie der öffentlichen Weiber, namentlich den raschen Wechsel von Genuss, Gewinnsucht und tieferer Leidenschaft sowie die Heuchelei und Teufelei einzelner im späteren Alter schildert vielleicht am besten Giraldi in den Novellen, welche die Einleitung zu seinen Hecatommiti ausmachen; Pietro Aretina dagegen in seinen Ragionamenti zeichnet wohl mehr sein eigenes Inneres als das jener unglücklichen Klasse, wie sie wirklich war.

Die Mätressen der Fürsten, wie schon oben bei Anlass des Fürstentums erörtert wurde, sind der Gegenstand von Dichtern und Künstlern und daher der Mit- und Nachwelt persönlich bekannt, während man von einer Alice Perries, einer Clara Dettin (Mätresse Friedrichs des Siegreichen) kaum mehr als den Namen und von Agnes Sorel eine eher fingierte als wahre Minnesage übrig hat. Anders verhält es sich dann schon mit den Geliebten der Könige der Renaissance, Franz I. und Heinrich II.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kultur und Kunst der Renaissance in Italien. 5. Buch