Die höhere Form der Geselligkeit: Übereinkommen und Statuten — Die Novellisten und ihr Auditorium — Die großen Damen und die Salons — Florentinische Geselligkeit — Lorenzo als Schilderer seines Kreises

Die Geselligkeit war wenigstens zu Anfang des XVI. Jahrhunderts eine gesetzlich schöne und beruhte auf einem stillschweigenden, oft aber auch auf einem laut zugestandenen und vorgeschriebenen Übereinkommen, welches sich frei nach der Zweckmäßigkeit und dem Anstand richtete und das gerade Gegenteil von aller bloßen Etikette ist. In derberen Lebenskreisen, wo dergleichen den Charakter einer dauernden Korporation annahm, gab es Statuten und förmlichen Eintritt, wie z. B. bei jenen tollen Gesellschaften florentinischer Künstler, von welchen Vasari erzählt, ein solches Beisammenbleiben machte denn auch die Aufführung der wichtigsten damaligen Komödien möglich. Die leichtere Geselligkeit des Augenblicks dagegen nahm gerne die Vorschriften an, welche etwa die namhafteste Dame aussprach. Alle Welt kennt den Eingang von Boccaccios Decamerone und hält das Königtum der Pampinea über die Gesellschaft für eine angenehme Fiktion; um eine solche handelt es sich auch gewiss in diesem Falle, allein dieselbe beruht auf einer häufig vorkommenden wirklichen Übung. Firenzuola, der fast zwei Jahrhunderte später seine Novellensammlung auf ähnliche Weise einleitet, kommt gewiss der Wirklichkeit noch viel näher, indem er seiner Gesellschaftskönigin eine förmliche Thronrede in den Mund legt, über die Einteilung der Zeit während des bevorstehenden gemeinsamen Landaufenthaltes: zuerst eine philosophische Morgenstunde, während man nach einer Anhöhe spaziert; dann die Tafel mit Lautenspiel und Gesang; darauf, in einem kühlen Raum, die Rezitation einer frischen Kanzone, deren Thema jedesmal am Vorabend aufgegeben wird; ein abendlicher Spaziergang zu einer Quelle, wo man Platz nimmt und jedermann eine Novelle erzählt; endlich das Abendessen und heitere Gespräche „von solcher Art, dass sie für uns Frauen noch schicklich heißen können und bei euch Männern nicht vom Weine eingegeben scheinen müssen“. Bandello gibt in den Einleitungen oder Widmungen zu den einzelnen Novellen zwar nicht solche Einweihungsreden, indem die verschiedenen Gesellschaften, vor welchen seine Geschichten erzählt werden, bereits als gegebene Kreise existieren, allein er lässt auf andere Weise erraten, wie reich, vielartig und anmutig die gesellschaftlichen Voraussetzungen waren. Manche Leser werden denken, an einer Gesellschaft, welche so unmoralische Erzählungen anzuhören imstande war, sei nichts zu verlieren, noch zu gewinnen. Richtiger möchte der Satz so lauten: auf welchen sicheren Grundlagen musste eine Geselligkeit ruhen, die trotz jener Historien nicht aus den äußeren Formen, nicht aus Rand und Band ging, die zwischenhinein wieder der ernsten Diskussion und Beratung fähig war. Das Bedürfnis nach höheren Formen des Umganges war eben stärker als alles. Man braucht dabei nicht die sehr idealisierte Gesellschaft als Maßstab zu nehmen, welche Castiglione am Hofe Guidobaidos von Urbino, Pietro Bembo auf dem Schloss Asolo selbst über die höchsten Gefühle und Lebenszwecke reflektieren lassen. Gerade die Gesellschaft eines Bandello mitsamt den Frivolitäten, die sie sich bieten lässt, gibt den besten Maßstab für den vornehm leichten Anstand, für das Großweltswohlwollen und den echten Freisinn, auch für den Geist und den zierlichen poetischen und anderen Dilettantismus, der diese Kreise belebte. Ein bedeutender Wink für den Wert einer solchen Geselligkeit liegt besonders darin, dass die Damen, welche deren Mittelpunkte bildeten, damit berühmt und hochgeachtet wurden, ohne dass es ihrem Ruf im geringsten schadete. Von den Gönnerinnen Bandellos z. B. ist wohl Isabella Gonzaga, geborene Este durch ihren Hof von lockeren Fräulein, aber nicht durch ihr eigenes Benehmen in ungünstige Nachrede geraten; Giulia Gonzaga Colonna, Ippolita Sforza, vermählte Bentivoglio, Bianca Rangona, Cecilia Gallerana, Camilla Scarampa u. a. waren entweder völlig unbescholten oder es wurde auf ihr sonstiges Benehmen kein Gewicht gelegt neben ihrem sozialen Ruhm. Die berühmteste Dame von Italien, Vittoria Colonna, war vollends eine Heilige. Was nun Spezielles von dem zwanglosen Zeitvertreib jener Kreise in der Stadt, auf der Villa, in Badeorten gemeldet wird, lässt sich nicht so wiedergeben, dass daraus die Superiorität über die Geselligkeit des übrigen Europa buchstäblich klar würde. Aber man höre Bandello an und frage sich dann nach der Möglichkeit von etwas Ähnlichem, z. B. in Frankreich, bevor diese Art von Geselligkeit eben durch Leute wie er aus Italien dorthin verpflanzt worden war. — Gewiss wurde auch damals das Größte im Gebiete des Geistes hervorgebracht ohne die Beihilfe solcher Salons und ohne Rücksicht auf sie; doch täte man Unrecht, ihren Wert für die Bewegung von Kunst und Poesie gar zu gering zu schätzen, wäre es auch nur, weil sie das schaffen halfen, was damals in keinem Lande existierte: eine gleichartige Beurteilung und Teilnahme für die Produktionen. Abgesehen davon ist diese Art von Sozietät schon als solche eine notwendige Blüte jener bestimmten Kultur und Existenz, welche damals eine italienische war und seitdem eine europäische geworden ist.

In Florenz wird das Gesellschaftsleben stark bedingt von Seiten der Literatur und der Politik. Lorenzo magnifico ist vor allem eine Persönlichkeit, welche nicht, wie man glauben möchte, durch die fürstengleiche Stellung, sondern durch das außerordentliche Naturell seine Umgebung vollständig beherrscht, eben weil er diese unter sich so verschiedenen Menschen in Freiheit sich ergehen lässt. Man sieht z. B. wie er seinen großen Hauslehrer Poliziano schonte, wie die souveränen Manieren des Gelehrten und Dichters eben noch kaum verträglich waren mit den notwendigen Schranken, welche der sich vorbereitende Fürstenrang des Hauses und die Rücksicht auf die empfindliche Gemahlin vorschrieben; dafür ist aber Poliziano der Herold und das wandelnde Symbol des mediceischen Ruhmes. Lorenzo freut sich dann auch recht in der Weise eines Medici, sein geselliges Vergnügen selber zu verherrlichen, monumental darzustellen. In der herrlich improvisierten „Falkenjagd“ schildert er seine Genossen scherzhaft, in dem „Gelage“ sogar höchst burlesk, allein so, dass man die Fähigkeit des ernsthaftesten Verkehrs deutlich durchfühlt. Von diesem Verkehr geben dann seine Korrespondenz und die Nachrichten über seine gelehrte und philosophische Konversation reichliche Kunde. Andere spätere gesellige Kreise in Florenz sind zum Teil theoretisierende politische Klubs, die zugleich eine poetische und philosophische Seite haben, wie z. B. die sogenannte platonische Akademie, als sie sich nach Lorenzos Tode in den Gärten der Ruccelai versammelte.


An den Fürstenhöfen hing natürlich die Geselligkeit von der Person des Herrschers ab. Es gab ihrer allerdings seit Anfang des XVI. Jahrhunderts nur noch wenige und diese konnten nur geringerenteils in dieser Beziehung etwas bedeuten. Rom hatte seinen wahrhaft einzigen Hof Leos X., eine Gesellschaft von so besonderer Art, wie sie sonst in der Weltgeschichte nicht wieder vorkommt.

Mantegna: Lodovico Gonzaga empfängt seinen Sohn, Kardinal Francesco, aus Rom. Mantua, Castello di Corte

B. Sgrilli: Prozession vor dem Florentiner Dom. Kupferstich

Mansueti: Taten des hl. Markus. Venedig, Akademie

Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kultur und Kunst der Renaissance in Italien. 5. Buch