Die Sprache als Basis der Geselligkeit: Ausbildung einer Idealsprache — Weite Verbreitung derselben — Die extremen Puristen — Ihr geringer Erfolg — Die Konversation

Die höhere Geselligkeit, die hier als Kunstwerk, als eine höchste und bewusste Schöpfung des Volkslebens auftritt, hat ihre wichtigste Vorbedingung und Grundlage in der Sprache.

In der Blütezeit des Mittelalters hatte der Adel der abendländischen Nationen eine „höfische“ Sprache für den Umgang wie für die Poesie zu behaupten gesucht. So gab es auch in Italien, dessen Dialekte schon frühe so weit auseinandergingen, im XIII. Jahrhundert ein sogenanntes „Curiale“, welches den Höfen und ihren Dichtern gemeinsam war. Die entscheidende Tatsache ist nun, dass man dasselbe mit bewusster Anstrengung zur Sprache aller Gebildeten und zur Schriftsprache zu machen suchte. Die Einleitung der noch vor 1300 redigierten „hundert alten Novellen“ gesteht diesen Zweck offen zu. Und zwar wird hier die Sprache ausdrücklich als von der Poesie emanzipiert behandelt; das höchste ist der einfach klare, geistig schöne Ausdruck in kurzen Reden, Sprüchen und Antworten. Dieser genießt eine Verehrung wie nur je bei Griechen und Arabern: „Wie viele haben in einem langen Leben doch kaum ein einziges bei parlare zutage gebracht!“


Allein die Angelegenheit, um welche es sich handelte, war um so schwieriger, je eifriger man sie von sehr verschiedenen Seiten aus betrieb. In diesen Kampf führt uns Dante mitten hinein; seine Schrift „Von der italienischen Sprache“ ist nicht nur für die Frage selbst wichtig, sondern auch das erste raisonierende Werk über eine moderne Sprache überhaupt. Sein Gedankengang und seine Resultate gehören in die Geschichte der Sprachwissenschaft, wo sie auf immer einen hochbedeutenden Platz einnehmen. Hier ist nur zu konstatieren, dass schon lange Zeit vor Abfassung der Schrift die Sprache eine tägliche wichtige Lebensfrage gewesen sein muss, dass alle Dialekte mit parteiischer Vorliebe und Abneigung studiert worden waren und dass die Geburt der allgemeinen Idealsprache von den stärksten Wehen begleitet war.

Das beste tat freilich Dante selber durch sein großes Gedicht. Der toskanische Dialekt wurde wesentlich die Basis der neuen Idealsprache. Wenn damit zu viel gesagt sein sollte, so darf der Ausländer um Nachsicht bitten, indem er schlechtweg in einer höchst bestrittenen Frage der vorherrschenden Meinung folgt.

In Literatur und Poesie mag nun der Hader über diese Sprache, der Purismus eben so viel geschadet als genützt, er mag manchem sonst sehr begabten Autor die Naivität des Ausdruckes geraubt haben. Und andere, die der Sprache im höchsten Sinne mächtig waren, verließen sich hinwiederum auf den prachtvoll wogenden Gang und Wohllaut derselben als auf einen vom Inhalt unabhängigen Vorzug. Auch eine geringe Melodie kann nämlich, von solch einem Instrument getragen, herrlich klingen. Allein wie dem auch sei, in gesellschaftlicher Beziehung hatte diese Sprache einen hohen Wert. Sie war die Ergänzung zu dem edlen, stilgemäßen Auftreten überhaupt, sie nötigte den gebildeten Menschen, auch im Alltäglichen Haltung und in ungewöhnlicheren Momenten äußere Würde zu behaupten. Schmutz und Bosheit genug hüllten sich allerdings auch in dies klassische Gewand wie einst in den reinsten Attizismus, allein auch das Feinste und Edelste fand in ihr einen gültigen Ausdruck. Vorzüglich bedeutend aber ist sie in nationaler Beziehung, als ideale Heimat der Gebildeten aller Staaten des früh zerrissenen Landes. Zudem gehört sie nicht nur den Adeligen oder sonst irgendeinem Stande, sondern der ärmste und geringste hat Zeit und Mittel übrig, sich ihrer zu bemächtigen, sobald er nur will. Noch heutzutage (und vielleicht mehr als je) wird der Fremde in solchen Gegenden Italiens, wo sonst der unverständlichste Dialekt herrscht, bei geringen Leuten und Bauern oft durch ein sehr reines und rein gesprochenes Italienisch überrascht und besinnt sich vergebens auf ähnliches bei denselben Menschenklassen in Frankreich oder gar in Deutschland, wo auch die Gebildeten an der provinzialen Aussprache festhalten. Freilich ist das Lesenkönnen in Italien viel verbreiteter als man nach den sonstigen Zuständen, z. B. des Kirchenstaates, denken sollte, allein wie weit würde dies helfen ohne den allgemeinen, unbestrittenen Respekt vor der reinen Sprache und Aussprache als einem hohen und werten Besitztum? Eine Landschaft nach der anderen hat sich derselben offiziell anbequemt, auch Venedig, Mailand und Neapel noch zur Zeit der Blüte der Literatur und zum Teil wegen derselben. Piemont ist erst in unserem Jahrhundert durch freien Willensakt ein recht italienisches Land geworden, indem es sich diesem wichtigsten Kapital der Nation, der reinen Sprache, anschloss. Der Dialektliteratur wurden schon seit Anfang des XVI. Jahrhunderts gewisse Gegenstände freiwillig und mit Absicht überlassen, und zwar nicht etwa lauter komische, sondern auch ernste. Der Stil, welcher sich darin entwickelte, war allen Aufgaben gewachsen. Bei anderen Völkern findet eine bewusste Trennung dieser Art erst sehr viel später statt.

Die Denkweise der Gebildeten über den Wert der Sprache als Medium der höheren Geselligkeit stellt der Cortigiano sehr vollständig dar. Es gab schon damals, zu Anfang des XVI. Jahrhunderts, Leute, welche geflissentlich die veralteten Ausdrücke aus Dante und den übrigen Toskanern seiner Zeit festhielten, bloß weil sie alt waren. Für das Sprechen verbittet sich der Autor dieselben unbedingt und will sie auch für das Schreiben nicht gelten lassen, indem dasselbe doch nur eine Form des Sprechens sei. Hierauf folgt dann konsequent das Zugeständnis: dasjenige Reden sei das schönste, welches sich am meisten den schön verfassten Schriften nähere. Sehr klar tritt der Gedanke hervor, dass Leute, die etwas Bedeutendes zu sagen haben, ihre Sprache selber bilden, und dass die Sprache beweglich und wandelbar, weil sie etwas Lebendiges ist. Man möge die schönsten beliebigen Ausdrücke brauchen, wenn, nur das Volk sie noch brauchte, auch solche aus nicht toskanischen Gegenden, ja hie und da französische und spanische, wenn sie der Gebrauch schon für bestimmte Dinge angenommen habe. So entstehe, mit Geist und Sorgfalt, eine Sprache, welche zwar nicht rein eine antik toskanische, wohl aber eine italienische wäre, reich an Fülle, wie ein köstlicher Garten voller Blumen und Früchte. Es gehört sehr wesentlich mit zu der allgemeinen Virtuosität des Cortigiano, dass nur in diesem ganz vollkommenen Gewande seine feine Sitte, sein Geist und seine Poesie zutage treten.

Da nun die Sprache eine Angelegenheit der lebendigen Gesellschaft geworden war, so setzten die Archaisten und Puristen trotz aller Anstrengung ihre Sache im wesentlichen nicht durch. Es gab zu viele und treffliche Autoren und Konversationsmenschen in Toskana selbst, welche sich über das Streben jener hinwegsetzten oder lustig machten; letzteres vorzüglich, wenn ein Weiser von draußen kam und ihnen, den Toskanern, dartun wollte, sie verständen ihre eigene Sprache nicht. Schon das Dasein und die Wirkung eines Schriftstellers wie Macchiavelli riss alle jene Spinnweben durch, insofern seine mächtigen Gedanken, sein klarer, einfacher Ausdruck in einer Sprache auftraten, welche eher alle andern Vorzüge hatte als den eines reinen Trecentismo. Andererseits gab es zu viele Oberitaliener, Römer, Neapolitaner usw., welchen es lieb sein musste, wenn man in Schrift und Konversation die Ansprüche auf Reinheit des Ausdruckes nicht zu hoch spannte. Sie verleugnen zwar Sprachformen und Ausdrücke ihres Dialektes völlig, und ein Ausländer wird es leicht für falsche Bescheidenheit halten, wenn z. B. Bandello öfter hoch und teuer protestiert: „ich habe keinen Stil; ich schreibe nicht florentinisch, sondern oft barbarisch; ich begehre der Sprache keine neuen Zierden zu verleihen; ich bin nur ein Lombarde und noch dazu von der ligurischen Grenze her.“ Allein gegenüber der strengen Partei behauptete man sich in der Tat am ehesten, indem man auf höhere Ansprüche ausdrücklich verzichtete und sich dafür der großen allgemeinen Sprache nach Kräften bemächtigte. Nicht jeder konnte es Pietro Bembo gleichtun, welcher als geborener Venezianer zeitlebens das reinste Toskanisch, aber fast als eine fremde Sprache schrieb, oder einem Sannazaro, der es als Neapolitaner ebenso machte. Das Wesentliche war, dass jeder die Sprache in Wort und Schrift mit Achtung behandeln musste. Daneben mochte man den Puristen ihren Fanatismus, ihre Sprachkongresse u. dgl. lassen; schädlich im großen wurden sie erst später, als der originale Hauch in der Literatur ohnehin schwächer war und noch ganz anderen, viel schlimmeren Einflüssen unterlag. Endlich stand es der Accademia della Crusca frei, das Italienische wie eine tote Sprache zu behandeln. Sie war aber so machtlos, dass sie nicht einmal die geistige Französierung desselben im vorigen Jahrhundert verhindern konnte. Diese geliebte, gepflegte, auf alle Weise geschmeidig gemachte Sprache war es nun, welche als Konversation die Basis der ganzen Geselligkeit ausmachte. Während im Norden der Adel und die Fürsten ihre Muße entweder einsam oder mit Kampf, Jagd, Gelagen und Zeremonien, die Bürger die ihrige mit Spielen und Leibesübungen, allenfalls auch mit Verskünsten und Festlichkeiten hinbrachten, gab es in Italien zu all diesem noch eine neutrale Sphäre, wo Leute jeder Herkunft, sobald sie das Talent und die Bildung dazu hatten, der Unterredung und dem Austausch von Ernst und Scherz in veredelter Form oblagen. Da die Bewirtung dabei Nebensache war, so konnte man stumpfe und gefräßige Individuen ohne Schwierigkeit fernhalten. Wenn wir die Verfasser von Dialogen beim Wort nehmen dürften, so hätten auch die höchsten Probleme des Daseins das Gespräch zwischen auserwählten Geistern ausgefüllt; die Hervorbringung der erhabensten Gedanken wäre nicht, wie bei den Nordländern in der Regel, eine einsame, sondern eine mehreren gemeinsame gewesen. Doch wir beschränken uns hier gerne auf die spielende, um ihrer selbst willen vorhandene Geselligkeit.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kultur und Kunst der Renaissance in Italien. 5. Buch