Schilderung des bewegten Lebens: Aeneas Sylvius und andere — Konventionelle Bukolik seit Petrarca — Wirkliche Stellung der Bauern — Echte -poetische Behandlung des Landlebens — Battista Mantovano, Lorenzo magnifico, Pulci — Angelo Poliziano

Zu der Entdeckung des Menschen dürfen wir endlich auch die schildernde Teilnahme an dem wirklichen bewegten Menschenleben rechnen.

Die ganze komische und satirische Seite der mittelalterlichen Literaturen hatte zu ihren Zwecken das Bild des gemeinen Lebens nicht entbehren können. Etwas ganz anderes ist es, wenn die Italiener der Renaissance dieses Bild um seiner selbst willen ausmalen, weil es an sich interessant, weil es ein Stück des großen allgemeinen Weltlebens ist, von welchem sie sich zauberhaft umwogt fühlen. Statt und neben der Tendenzkomik, welche sich in den Häusern, auf den Gassen, in den Dörfern herumtreibt, weil sie Bürgern, Bauern und Pfaffen eines anhängen will, treffen wir hier in der Literatur die Anfänge des echten Genre, lange Zeit bevor sich die Malerei damit abgibt. Dass beides sich dann oft wieder verbindet, hindert nicht, dass es verschiedene Dinge sind.


Wie viel irdisches Geschehen muss Dante aufmerksam und teilnehmend angesehen haben, bis er die Vorgänge seines Jenseits so ganz sinnlich wahr schildern konnte. Die berühmten Bilder von der Tätigkeit im Arsenal zu Venedig, vom Aneinanderlehnen der Blinden vor den Kirchentüren u. dgl. sind lange nicht die einzigen Beweise dieser Art; schon seine Kunst, den Seelenzustand in der äußeren Gebärde darzustellen, zeigt ein großes und beharrliches Studium des Lebens.

Die Dichter, welche auf ihn folgen, erreichen ihn in dieser Beziehung selten und den Novellisten verbietet es das höchste Gesetz ihrer Literaturgattung, bei dem einzelnen zu verweilen. Sie dürfen so weitschweifig präludieren und erzählen als sie wollen, aber nicht genrehaft schildern. Wir müssen uns gedulden, bis die Männer des Altertums Lust und Gelegenheit finden, sich in der Beschreibung zu ergehen.

Hier tritt uns wiederum der Mensch entgegen, welcher Sinn hatte für alles: Aeneas Sylvius. Nicht bloß die Schönheit der Landschaft, nicht bloß das kosmographisch oder antiquarisch Interessante reizt ihn zur Darstellung, sondern jeder lebendige Vorgang. Unter den sehr vielen Stellen seiner Memoiren, wo Szenen geschildert werden, welchen damals kaum jemand einen Federstrich gegönnt hätte, heben wir hier nur das Wettrudern auf dem Bolsener See hervor. Man wird nicht näher ermitteln können, aus welchen antiken Epistolographen oder Erzählern die spezielle Anregung zu so lebensvollen Bildern auf ihn übergegangen ist, wie denn überhaupt die geistigen Berührungen zwischen Altertum und Renaissance oft überaus zart und geheimnisvoll sind.

Sodann gehören hierher jene beschreibenden lateinischen Gedichte, von welchen oben die Rede war: Jagden, Reisen, Zeremonien u. dgl. Es gibt auch Italienisches dieser Gattung; wie z. B. die Schilderungen des berühmten mediceischen Turniers von Poliziano und Luca Pulci. Die eigentlichen epischen Dichter, Luigi Pulci, Bojardo und Ariost, treibt ihr Gegenstand schon rascher vorwärts, doch wird man bei allen die leichte Präzision in der Schilderung des Bewegten als ein Hauptelement ihrer Meisterschaft anerkennen müssen. Franco Sacchetti macht sich einmal das Vergnügen, die kurzen Reden eines Zuges hübscher Weiber aufzuzeichnen, die im Wald vom Regen überrascht werden. Andere Beschreibungen der bewegten Wirklichkeit findet man am ehesten bei Kriegsschriftstellern u. dgl. Schon aus früherer Zeit ist uns in einem umständlichen Gedicht das getreue Abbild einer Söldner schlacht des XIV. Jahrhunderts erhalten, hauptsächlich in Gestalt der Zurufe, Kommandos und Gespräche, die während einer solchen vorkommen.

Das merkwürdigste dieser Art aber ist die echte Schilderung des Bauernlebens, welche besonders bei Lorenzo magnifico und den Dichtern in seiner Umgebung bemerklich wird.

Seit Petrarca gab es eine falsche, konventionelle Bukolik oder Eklogendichtung, eine Nachahmung Virgils, mochten die Verse lateinisch oder italienisch sein. Als ihn Nebengattungen traten auf der Hirtenroman von Boccaccio bis auf Sannazaros Arcadia, und später das Schäferspiel in der Art des Tasso und Guarini, Werke der allerschönsten Prosa wie des vollendetsten Versbaues, worin jedoch das Hirtenwesen nur ein äußerlich übergeworfenes ideales Kostüm für Empfindungen ist, die einem ganz anderen Bildungskreis entstammen.

Daneben aber tritt gegen das Ende des XV. Jahrhunderts jene echt genrehafte Behandlung des ländlichen Daseins in die Dichtung ein. Sie war nur in Italien möglich, weil nur hier der Bauer (sowohl der Colone als der Eigentümer) Menschenwürde und persönliche Freiheit und Freizügigkeit hatte, so hart bisweilen auch sein Los sein mochte. Der Unterschied zwischen Stadt und Dorf ist bei weitem nicht so ausgesprochen wie im Norden; eine Menge Städtchen sind ausschließlich von Bauern bewohnt, die sich des Abends Städter nennen können. Die Wanderungen der komaskischen Maurer gingen fast durch ganz Italien; das Kind Giotto durfte von seinen Schafen hinweg und konnte in Florenz zünftig werden; überhaupt war ein beständiger Zustrom vom Lande nach den Städten und gewisse Bergbevölkerungen schienen dafür eigentlich geboren. Nun sorgen zwar Bildungshochmut und städtischer Dünkel noch immer dafür, dass Dichter und Novellisten sich über den villano lustig machen und die Improvisierkomödie tat vollends das übrige. Aber wo fände sich ein Ton von jenem grausamen, verachtungsvollen Rassenhass gegen die vilains, der die adeligen provenzalischen Dichter und stellenweise die französischen Chronisten beseelt? Vielmehr erkennen italienische Autoren jeder Gattung das Bedeutende und Große, wo es sich im Bauernleben zeigt, freiwillig an und heben es hervor. Gioviano Pontano erzählt mit Bewunderung Züge und Seelenstärke der wilden Abruzzesen; in den biographischen Sammelwerken wie bei den Novellisten fehlt auch das heroische Bauernmädchen nicht, welches sein Leben daransetzt, um seine Unschuld oder seine Familie zu verteidigen.

Unter solchen Voraussetzungen war eine poetische Betrachtung des Bauernlebens möglich. Zunächst sind hier zu erwähnen die einst viel gelesenen und noch heute lesenswerten Eklogen des Battista Mantovano (eines seiner früheren Werke, etwa um 1480). Sie schwanken noch zwischen echter und konventioneller Ländlichkeit, doch überwiegt die erstere. Im wesentlichen spricht daraus der Sinn eines wohldenkenden Dorfgeistlichen, nicht ohne einen gewissen aufklärerischen Eifer. Als Karmelitermönch mag er viel mit Landleuten verkehrt haben.

Allein mit einer ganz anderen Kraft versetzt sich Lorenzo magnifico in den bäuerischen Gesichtskreis hinein. Seine Nencia di Barberino liest sich wie ein Inbegriff echter Volkslieder aus der Umgegend von Florenz, zusammengegossen in einen großen Strom von Ottaven. Die Objektivität des Dichters ist derart, dass man im Zweifel bleibt, ob er für den Redenden (den Bauernburschen Vallera, welcher der Nencia seine Liebe erklärt) Sympathie oder Flohn empfindet. Ein bewusster Gegensatz zur konventionellen Bukolik mit Pan und Nymphen ist unverkennbar; Lorenzo ergeht sich absichtlich im derben Realismus des bäuerischen Kleinlebens und doch macht das Ganze einen wahrhaft poetischen Eindruck.

Ein zugestandenes Seitenstück zur Nencia ist die Beca da Dicomano des Luigi Pulci. Allein es fehlt der tiefere objektive Ernst; die Beca ist nicht sowohl gedichtet aus innerem Drang, ein Stück Volksleben darzustellen, als vielmehr aus dem Verlangen, durch etwas der Art den Beifall gebildeter Florentiner zu gewinnen. Daher die viel größere, absichtlichere Derbheit des Genrehaften und die beigemischten Zoten. Doch wird der Gesichtskreis des ländlichen Liebhabers noch sehr geschickt festgehalten.

Der dritte in diesem Verein ist Angelo Poliziano mit seinem Rusticus in lateinischen Hexametern. Er schildert, unabhängig von Virgils Georgica, speziell das toskanische Bauern jähr, beginnend mit dem Spätherbst, da der Landmann einen neuen Pflug schnitzt und die Wintersaat bestellt. Sehr reich und schön ist die Schilderung der Fluren im Frühling und auch der Sommer enthält vorzügliche Stellen; als eine Perle aller neulateinischen Poesie aber darf das Kelterfest im Herbste gelten. Auch auf italienisch hat Poliziano einzelnes gedichtet, woraus hervorgeht, dass man im Kreise des Lorenzo bereits irgendein Bild aus dem leidenschaftlich bewegten Leben der unteren Stände realistisch behandeln durfte. Sein Liebeslied des Zigeuners ist wohl eines der frühesten Produkte der echt modernen Tendenz, sich in die Lage irgend einer Menschenklasse mit poetischem Bewusstsein hineinzuversetzen. Mit komischer Absicht war dergleichen wohl von jeher versucht worden und in Florenz boten die Gesänge der Maskenzüge sogar eine bei jedem Karneval wiederkehrende Gelegenheit hiezu. Neu aber ist das Eingehen auf die Gefühlswelt eines anderen, womit die Nencia und diese „Canzone zingaresca“ einen denkwürdigen neuen Anfang in der Geschichte der Poesie ausmachen.

Auch hier muss schließlich darauf hingewiesen werden, wie die Bildung der Kunst vorangeht. Von der Nencia an dauert es wohl achtzig Jahre bis zu den ländlichen Genremalereien des Jacopo Bassano und seiner Schule.

Im nächsten Abschnitt wird es sich zeigen, dass in Italien damals die Geburtsunterschiede zwischen den Menschenklassen ihre Geltung verloren. Gewiss trug hiezu viel bei, dass man hier zuerst die Menschen und die Menschheit in ihrem tieferen Wesen vollständig erkannt hatte. Schon dieses eine Resultat der Renaissance darf uns mit ewigem Dankgefühl erfüllen. Den logischen Begriff der Menschheit hatte man von jeher gehabt, aber sie kannte die Sache.

Die höchsten Ahnungen auf diesem Gebiete spricht Pico della Mirandola aus in seiner Rede von der Würde des Menschen, welche wohl eines der edelsten Vermächtnisse jener Kulturepoche heißen darf. Gott hat am Ende der Schöpfungstage den Menschen geschaffen, damit derselbe die Gesetze des Weltalls erkenne, dessen Schönheit liebe, dessen Größe bewundere. Er band denselben an keinen festen Site, an kein bestimmtes Tun, an keine Notwendigkeiten, sondern er gab ihm Beweglichkeit und freien Willen. „Mitten in die Welt“, spricht der Schöpfer zu Adam, „habe ich dich gestellt, damit du umso leichter um dich schauest und sehest alles, was darinnen ist. Ich schuf dich als ein Wesen, weder himmlisch noch irdisch, weder sterblich noch unsterblich allein, damit du dein eigener freier Bildner und Überwinder seiest; du kannst zum Tier entarten und zum gottähnlichen Wesen dich wiedergebären. Die Tiere bringen aus dem Mutterleibe mit, was sie haben sollen, die höheren Geister sind von Anfang an oder doch bald hernach, was sie in Ewigkeit bleiben werden. Du allein hast eine Entwicklung, ein Wachsen nach freiem Willen, du hast Keime eines allartigen Lebens in dir.“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kultur und Kunst der Renaissance in Italien. 4. Buch