Reisen der Italiener: Columbus — Verhältnis der Kosmographie zu den Reisen

Frei von zahllosen Schranken, die anderwärts den Fortschritt hemmten, individuell hoch entwickelt und durch das Altertum geschult, wendet sich der italienische Geist auf die Entdeckung der äußeren Welt und wagt sich an deren Darstellung in Wort und Form. Wie die Kunst diese Aufgabe löste, wird anderswo erzählt werden.

Über die Reisen der Italiener nach fernen Weltgegenden ist uns hier nur eine allgemeine Bemerkung gestattet. Die Kreuzzüge hatten allen Europäern die Ferne geöffnet und überall den abenteuernden Wandertrieb geweckt. Es wird immer schwer sein, den Punkt anzugeben, wo derselbe sich mit dem Wissensdrang verbindet oder vollends dessen Diener wird; am frühesten und vollständigsten aber ist dies bei den Italienern geschehen. Schon an den Kreuzzügen selbst hatten sie sich in einem anderen Sinne beteiligt als die übrigen, weil sie bereits Flotten und Handelsinteressen im Orient besaßen; von jeher hatte das Mittelmeer seine Anwohner anders erzogen als das Binnenland die seinigen, und Abenteurer im nordischen Sinne konnten die Italiener nach ihrer Natur anläge überhaupt nie sein. Als sie nun in allen östlichen Häfen des Mittelmeeres heimisch geworden waren, geschah es leicht, dass sich die Unternehmendsten dem grandiosen mohammedanischen Wanderleben, welches dort ausmündete, anschlössen; eine ganze große Seite der Erde lag dann gleichsam schon entdeckt vor ihnen. Oder sie gerieten, wie die Polo von Venedig, in die Wellenschläge der mongolischen Welt hinein und wurden weiter getragen bis an die Stufen des Thrones des Großchans. Frühe finden wir einzelne Italiener auch schon im atlantischen Meere als Teilnehmer von Entdeckungen, wie denn z. B. Genuesen im XIII. Jahrhundert bereits die kanarischen Inseln fanden; in demselben Jahre, 1291, da Ptolemais, der letzte Rest des christlichen Ostens, verlorenging, machten wiederum Genuesen den ersten bekannten Versuch zur Entdeckung eines Seeweges nach Ostindien; Columbus ist nur der Größte einer ganzen Reihe von Italienern, welche im Dienste der Westvölker in ferne Meere fuhren. Nun ist aber der wahre Entdecker nicht der, welcher zufällig zuerst irgendwohin gerät, sondern der, welcher gesucht hat und findet; ein solcher allein wird auch im Zusammenhange stehen mit den Gedanken und Interessen seiner Vorgänger, und die Rechenschaft, die er ablegt, wird danach beschaffen sein. Deshalb werden die Italiener, auch wenn ihnen jede einzelne Priorität der Ankunft an diesem oder jenem Strande abgestritten würde, doch immer das moderne Entdeckervolk im vorzugsweisen Sinne für das ganze Spätmittelalter bleiben.


Die nähere Begründung dieses Satzes gehört der Spezialgeschichte der Entdeckungen an. Immer von neuem aber wendet sich die Bewunderung der ehrwürdigen Gestalt des großen Genuesen zu, der einen neuen Kontinent jenseits der Wasser forderte, suchte und fand und der es zuerst aussprechen durfte: il mondo è poco, die Erde ist nicht so groß als man glaubt. Während Spanien den Italienern einen Alexander VI. sendet, gibt Italien den Spaniern den Columbus; wenige Wochen vor dem Tode jenes Papstes (7. Juli 1503) datiert dieser aus Jamaika seinen herrlichen Brief an die undankbaren katholischen Könige, den die ganze Nachwelt nie wird ohne die stärkste Erregung lesen können. In einem Kodizill zu seinem Testamente, datiert zu Valladolid, 4. Mai 1506, vermacht er „seiner geliebten Heimat, der Republik Genua, das Gebetbuch, welches ihm Papst Alexander geschenkt und welches ihm in Kerker, Kampf und Widerwärtigkeiten zum höchsten Tröste gereicht hatte“. Es ist als ob damit auf den fürchterlichen Namen Borgia ein letzter Schimmer von Gnade und Güte fiele.

Ebenso wie die Geschichte der Reisen dürfen wir auch die Entwicklung des geographischen Darstellens bei den Italienern, ihren Anteil an der Kosmographie, nur kurz berühren. Schon eine flüchtige Vergleichung ihrer Leistungen mit denjenigen anderer Völker zeigt eine frühe und augenfällige Überlegenheit. Wo hätte sich um die Mitte des XV. Jahrhunderts außerhalb Italiens eine solche Verbindung des geographischen, statistischen und historischen Interesses gefunden wie in Aeneas Sylvius? Wo eine so gleichmäßig ausgebildete Darstellung? Nicht nur in seiner eigentlichen kosmographischen Hauptarbeit, sondern auch in seinen Briefen und Kommentarien schildert er mit gleicher Virtuosität Landschaften, Städte, Sitten, Gewerbe und Erträgnisse, politische Zustände und Verfassungen, sobald ihm die eigene Wahrnehmung oder lebendige Kunde zu Gebote steht; was er nur nach Büchern beschreibt, ist natürlich geringer. Schon die kurze Skizze jenes tirolischen Alpentales, wo er durch Friedrich III. eine Pfründe bekommen hatte, berührt alle wesentlichen Lebensbeziehungen und zeigt eine Gabe und Methode des objektiven Beobachtens und Vergleichens, wie sie nur ein durch die Alten gebildeter Landsmann des Columbus besitzen konnte. Tausende sahen und wussten wenigstens stückweise, was er wusste, aber sie hatten keinen Drang, ein Bild davon zu entwerfen, und kein Bewusstsein, dass die Welt solche Bilder verlange.

Auch in der Kosmographie wird man umsonst genau zu sondern suchen, wie viel dem Studium der Alten, wie viel dem eigentümlichen Genius der Italiener auf die Rechnung zu schreiben sei. Sie beobachten und behandeln die Dinge dieser Welt objektiv noch bevor sie die Alten genauer kennen, weil sie selber noch ein halbantikes Volk sind und weil ihr politischer Zustand sie dazu vorbereitet; sie würden aber nicht zu solcher raschen Reife darin gelangt sein, hätten ihnen nicht die alten Geographen den Weg gewiesen. Ganz unberechenbar ist endlich die Einwirkung der schon vorhandenen italienischen Kosmographien auf Geist und Tendenz der Reisenden, der Entdecker. Auch der dilettantische Bearbeiter einer Wissenschaft, wenn wir z. B. im vorliegenden Fall den Aeneas Sylvius so niedrig taxieren wollen, kann gerade diejenige Art von allgemeinem Interesse für die Sache verbreiten, welche für neue Unternehmer den unentbehrlichen neuen Boden einer herrschenden Meinung, eines günstigen Vorurteils bildet. Wahre Entdecker in allen Fächern wissen recht wohl, was sie solchen Vermittlern verdanken.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kultur und Kunst der Renaissance in Italien. 4. Buch