Sturz der Humanisten im XVI. Jahrhundert: Die Anklagen und das Maß ihrer Schuld — Ihr Unglück — Das Gegenbild der Humanisten — Pomponius Laetus — Die Akademien

Nachdem mehrere glänzende Generationen von Poeten-Philologen seit Anfang des XIV. Jahrhunderts Italien und die Welt mit dem Kultus des Altertums erfüllt, die Bildung und Erziehung wesentlich bestimmt, oft auch das Staatswesen geleitet und die antike Literatur nach Kräften reproduziert hatten, fiel mit dem XVI. Jahrhundert die ganze Menschenklasse in einen lauten und allgemeinen Misskredit, zu einer Zeit, da man ihre Lehre und ihr Wissen noch durchaus nicht völlig entbehren wollte. Man redet, schreibt und ‘dichtet noch fortwährend wie sie, aber persönlich will niemand mehr zu ihnen gehören. In die beiden Hauptanklagen wegen ihres bösartigen Hochmutes und ihrer schändlichen Ausschweifungen tönt bereits die dritte hinein, die Stimme der beginnenden Gegenreformation: wegen ihres Unglaubens.

Warum verlauteten, muss man zunächst fragen, diese Vorwürfe nicht früher, mochten sie nun wahr oder unwahr sein? Sie sind schon frühe genug vernehmlich, allein ohne sonderliche Wirkung, offenbar weil man von den Literaten noch gar zu abhängig war in betreff des Sachinhaltes des Altertums, weil sie im persönlichsten Sinne die Besitzer, Träger und Verbreiter desselben waren. Allein das Überhandnehmen gedruckter Ausgaben der Klassiker, großer wohlangelegter Handbücher und Nachschlagewerke emanzipierte das Volk schon in bedeutendem Grade von dem dauernden persönlichen Verkehr mit den Humanisten, und sobald man sich ihrer auch nur zur Hälfte entschlagen konnte, trat dann jener Umschlag der Stimmung ein. Gute und Böse litten darunter ohne Unterschied.


Renaissanceteppich mit allegorischer Darstellung des März. Mailand, Sammlung Trivulzio

Renaissanceteppich mit allegorischer Darstellung des ]um. Mailand, Sammlung Trivulzio

Renaissanceteppich mit allegorischer Darstellung des Oktobers

Urheber jener Anklagen sind durchaus die Humanisten selbst. Von allen, die jemals einen Stand gebildet, haben sie am allerwenigsten ein Gefühl des Zusammenhaltes gehabt oder, wo es sich aufraffen wollte, respektiert. Sobald sie dann anfingen sich einer über den anderen zu erheben, war ihnen jedes Mittel gleichgültig. Blitzschnell gehen sie von wissenschaftlichen Gründen zur Invektive und zur bodenlosesten Lästerung über; sie wollen ihren Gegner nicht widerlegen, sondern in jeder Beziehung vernichten. Etwas hie von kommt auf Rechnung ihrer Umgebung und Stellung; wir sahen, wie heftig das Zeitalter, dessen lauteste Organe sie waren, von den Wogen des Ruhmes und des Hohnes hin und her geworfen wurde. Auch war ihre Lage im wirklichen Leben meist eine solche, dass sie sich beständig ihrer Existenz wehren mussten. In solchen Stimmungen schrieben und perorierten sie und schilderten einander. Poggios Werke allein enthalten schon Schmutz genug, um ein Vorurteil gegen die ganze Schar hervorzurufen — und diese Opera Poggii mussten gerade am häufigsten aufgelegt werden, diesseits wie jenseits der Alpen. Man freue sich nicht zu früh, wenn sich im XV. Jahrhundert eine Gestalt unter (dieser Schar findet, die unantastbar scheint; bei weiterem Suchen läuft man immer Gefahr, irgendeiner Lästerung zu begegnen, welche, selbst wenn man sie nicht glaubt, das Bild trüben wird. Die vielen unzüchtigen lateinischen Gedichte und etwa eine Persiflage der eigenen Familie, wie z. B. in Pontanos Dialog „Antonius“, taten das übrige. Das XVI. Jahrhundert kannte diese Zeugnisse alle und war der betreffenden Menschengattung ohnehin müde geworden. Sie musste büßen für das was sie verübt hatte und für das Übermaß der Geltung, das ihr bisher zuteil geworden war. Ihr böses Schicksal wollte es, dass der größte Dichter der Nation sich über sie mit ruhiger souveräner Verachtung aussprach.

Von den Vorwürfen, die sich jetzt zu einem Gesamtwiderwillen sammelten, war nur zu vieles begründet. Ein bestimmter, kenntlicher Zug Zur Sittenstrenge und Religiosität war und blieb in manchen Philologen lebendig, und es ist ein Zeichen geringer Kenntnis jener Zeit, wenn man die ganze Klasse verurteilt, aber viele, und darunter die lautesten, waren schuldig.

Drei Dinge erklären und vermindern vielleicht ihre Schuld: die übermäßige, glänzende Verwöhnung, wenn das Glück ihnen günstig war; die Garantielosigkeit ihres äußeren Daseins, so dass Glanz und Elend je nach Launen der Herren und nach der Bosheit der Gegner rasch wechselten; endlich der irremachende Einfluss des Altertums. Dieses störte ihre Sittlichkeit, ohne ihnen die seinige mitzuteilen; und auch in religiösen Dingen wirkte es auf sie wesentlich von seiner skeptischen und negativen Seite, da von einer Annahme des positiven Götterglaubens doch nicht die Rede sein konnte. Gerade weil sie das Altertum dogmatisch, d. h. als Vorbild alles Denkens und Handelns auffassten, mussten sie hier in Nachteil geraten. Dass es aber ein Jahrhundert gab, welches mit voller Einseitigkeit die alte Welt und deren Hervorbringungen vergötterte, das war nicht mehr Schuld einzelner, sondern höhere geschichtliche Fügung. Alle Bildung der seitherigen und künftigen Zeiten beruht darauf, dass dies geschehen ist und dass es damals so ganz einseitig und mit Zurücksetzung aller anderen Lebenszwecke geschehen ist.

Der Lebenslauf der Humanisten war in der Regel ein solcher, dass nur die stärksten sittlichen Naturen ihn durchmachen konnten ohne Schaden zu nehmen. Die erste Gefahr kam bisweilen wohl von den Eltern her, welche den oft außerordentlich früh entwickelten Knaben zum Wunderkind ausbildeten, im Hinblick auf eine künftige Stellung in jenem Stande, der damals alles galt. Wunderkinder aber bleiben insgemein auf einer gewissen Stufe stehen oder sie müssen sich die weitere Entwicklung und Geltung unter den allerbittersten Prüfungen erkämpfen. Auch für den aufstrebenden Jüngling war der Ruhm und das glänzende Auftreten des Humanisten eine gefährliche Lockung; es kam ihm vor, auch er könne „wegen angeborenen Hochsinnes die gemeinen und niedrigen Dinge nicht mehr beachten“. Und so stürzte man sich in ein wechselvolles, aufreibendes Leben hinein, in welchem angestrengte Studien, Hauslehrerschaft, Sekretariat, Professur, Dienstbarkeit bei Fürsten, tödliche Feindschaften und Gefahren, begeisterte Bewunderung und Überschüttung mit Hohn, Überfluss und Armut wirr aufeinanderfolgten. Dem gediengensten Wissen konnte der flachste Dilettantismus bisweilen den Rang ablaufen. Das Hauptübel aber war, dass dieser Stand mit einer festen Heimat beinahe unverträglich blieb, indem er entweder den Ortswechsel geradezu erforderte oder den Menschen so stimmte, dass ihm nirgends lange wohl sein konnte. Während er der Leute des Ortes satt wurde und im Wirbel der Feindschaften sich übel befand, verlangten auch eben jene Leute stets neues. So manches hier auch an die griechischen Sophisten der Kaiserzeit erinnert, wie sie Philostratus beschreibt, so standen diese doch günstiger, indem sie großenteils Reichtümer besaßen oder leichter entbehrten und überhaupt leichter lebten, weil sie nicht sowohl Gelehrte als ausübende Virtuosen der Rede waren. Der Humanist der Renaissance dagegen muss eine große Erudition und einen Strudel der verschiedensten Lagen und Beschäftigungen zu tragen wissen. Dazu dann, um sich zu betäuben, unordentlicher Genuss und, sobald man ihm ohnehin das Schlimmste zutraute, Gleichgültigkeit gegen alle sonst geltende Moral. Ohne Hochmut sind solche Charaktere vollends nicht denkbar; sie bedürfen desselben, schon um oben schwimmend zu bleiben, und die mit dem Hass abwechselnde Vergötterung bestärkt sie notwendig darin. Sie sind die auffallendsten Beispiele und Opfer der entfesselten Subjektivität.

Die Klagen wie die satirischen Schilderungen beginnen, wie bemerkt, schon früh, indem ja für jeden entwickelten Individualismus, für jede Art von Zelebrität ein bestimmter Hohn als Zuchtrute vorhanden war. Zudem lieferten ja die Betreffenden selber das furchtbarste Material, welches man nur zu benützen brauchte. Noch im XV. Jahrhundert ordnet Battista Mantovano in der Aufzählung der sieben Ungeheuer die Humanisten mit vielen anderen unter den Artikel: Superbia; er schildert sie mit ihrem Dünkel als Apollssöhne, wie sie verdrossen und maliziösen Aussehens mit falscher Gravität einherschreiten, dem körnerpickenden Kranich vergleichbar, bald ihren Schatten betrachtend, bald in zehrende Sorge um Lob versunken. Allein das XVI. Jahrhundert machte ihnen förmlich den Prozess. Außer Ariosto bezeugt dies hauptsächlich ihr Literarhistoriker Gyraldus, dessen Abhandlung schon unter Leo X. verfasst, wahrscheinlich aber um 1540 überarbeitet wurde. Antike und moderne Warnungsexempel der sittlichen Haltlosigkeit und des jammervollen Lebens der Literaten strömen uns hier in gewaltiger Masse entgegen, und dazwischen werden schwere allgemeine Anklagen formuliert. Dieselben lauten hauptsächlich auf Leidenschaftlichkeit, Eitelkeit, Starrsinn, Selbstvergötterung, zerfahrenes Privatleben, Unzucht aller Art, Ketzerei, Atheismus, — dann Wohlredenheit ohne Überzeugung, verderblichen Einfluss auf die Kabinette, Sprachped anterei, Undank gegen die Lehrer, kriechende Schmeichelei gegen die Fürsten, welche den Literaten zuerst anbeißen und dann hungern lassen u. dgl. m. Den Schluss bildet eine Bemerkung über das goldene Zeitalter, welches nämlich damals geherrscht habe, als es noch keine Wissenschaft gab. Von diesen Anklagen wurde bald eine die gefährlichste: diejenige auf Ketzerei, und Gyraldus selbst muss sich später beim Wiederabdruck einer völlig harmlosen Jugendschrift an den Mantel des Herzogs Ercole II. von Ferrara anklammern, weil schon Leute das Wort führen, welche finden, die Zeit wäre besser an christliche Gegenstände gewendet worden als an mythologische Forschungen. Er gibt zu erwägen, dass letztere im Gegenteil bei so beschaffenen Zeiten fast der einzige unschuldige, d. h. neutrale Gegenstand gelehrter Darstellung seien.

Wenn aber die Kulturgeschichte nach Aussagen zu suchen verpflichtet ist, in welchen neben der Anklage das menschliche Mitgefühl vorwiegt, so ist keine Quelle zu vergleichen mit der oft erwähnten Schrift des Pierio Valeriano „Über das Unglück der Gelehrten“. Sie ist geschrieben unter dem düsteren Eindruck der Verwüstung von Rom, welche mit dem Jammer, den sie auch über die Gelehrten brachte, dem Verfasser wie der Abschluss eines schon lange gegen dieselben wütenden bösen Schicksals erscheint. Pierio folgt hier einer einfachen, im ganzen richtigen Empfindung; er tut nicht groß mit einem besonderen vornehmen Dämon, der die geistreichen Leute wegen ihres Genies verfolge, sondern er konstatiert das Geschehene, worin oft der bloße unglückliche Zufall als entscheidend vorkommt. Er wünscht keine Tragödie zu schreiben oder alles aus höheren Konflikten herzuleiten, weshalb er denn auch Alltägliches vorbringt. Da lernen wir Leute kennen, welche bei unruhigen Zeiten zunächst ihre Einnahmen, dann auch ihre Stellen verlieren, Leute, welche zwischen zwei Anstellungen leer ausgehen, menschenscheue Geizhälse, die ihr Geld immer eingenäht auf sich tragen und nach geschehener Beraubung im Wahnsinn sterben, andere, welche Pfründen annehmen und in melancholischem Heimweh nach der früheren Freiheit dahinsiechen. Dann wird der frühe Tod vieler durch Fieber oder Pest beklagt, wobei die ausgearbeiteten Schriften mitsamt Bettzeug und Kleidern verbrannt werden; andere leben und leiden unter Morddrohungen von Kollegen; diesen und jenen mordet ein habsüchtiger Diener, oder Bösewichter fangen ihn auf der Reise weg und lassen ihn in einem Kerker verschmachten, weil er kein Lösegeld zahlen kann. Manchen rafft geheimes Herzeleid, erlittene Kränkung und Zurücksetzung dahin; ein Venezianer stirbt vor Gram, weil sein Söhnchen, ein Wunderkind, gestorben ist, und die Mutter und deren Bruder folgen bald, als zöge das Kind sie alle nach sich. Ziemlich viele, zumal Florentiner, enden durch Selbstmord, andere durch geheime Justiz eines Tyrannen. Wer ist am Ende noch glücklich? Und auf welche Weise? Etwa durch völlige Abstumpfung des Gefühles gegen solchen Jammer? Einer der Mitredner des Dialoges, in welchen Pierio seine Darstellung gekleidet hat, weiß Rat in diesen Fragen; es ist der herrliche Gasparo Contarini, und schon bei Nennung dieses Namens darf man erwarten, dass uns wenigstens etwas von dem Tiefsten und Wahrsten mitgeteilt werde, was sich damals darüber denken ließ. Als Bild eines glücklichen Gelehrten erscheint ihm Fra Urbano Valeriano von Belluno, der in Venedig lange Zeit hindurch Lehrer des Griechischen war, Griechenland und den Orient besuchte, noch in späten Jahren bald dieses und bald jenes Land durchlief, ohne je ein Tier zu besteigen, nie einen Heller für sich besaß, alle Ehren und Standeserhöhungen zurückwies und nach einem heiteren Alter im 84sten Jahre starb, ohne, mit Ausnahme eines Sturzes von der Leiter, eine kranke Stunde gehabt zu haben. Was unterschied ihn von den Humanisten? Diese haben mehr freien Willen, mehr losgebundene Subjektivität als sie mit Glück verwerten können; der Bettelmönch dagegen, im Kloster seit seinen Knaben jähren, hatte nie nach eigenem Belieben auch nur Speise oder Schlaf genossen und empfand deshalb den Zwang nicht mehr als Zwang; kraft dieser Gewöhnung führte er mitten in allen Beschwerden das innerlich ruhigste Leben und wirkte durch diesen Eindruck mehr auf seine Zuhörer als durch sein Griechisch; sie glaubten nunmehr, überzeugt zu sein, dass es von uns selbst abhänge, ob wir im Missgeschick jammern oder uns trösten sollen. „Mitten in Dürftigkeit und Mühen war er glücklich, weil er es sein wollte, weil er nicht verwöhnt, nicht phantastisch, nicht unbeständig und ungenügsam war, sondern sich immer mit wenig oder nichts zufrieden gab.“ — Wenn wir Contarini selber hörten, so wäre vielleicht auch noch ein religiöses Motiv dem Bilde beigemischt; doch ist schon der praktische Philosoph in Sandalen sprechend und bedeutsam genug. Einen verwandten Charakter in anderen Umgebungen verrät auch jener Fabio Calvi von Ravenna, der Erklärer des Hippokrates. Er lebte hochbejahrt in Rom bloß von Kräutern „wie einst die Pythagoräer“ und bewohnte ein Gemäuer, das vor der Tonne des Diogenes keinen großen Vorzug hatte; von der Pension, die ihm Papst Leo bezahlte, nahm er nur das Allernötigste und gab den Rest an andere. Er blieb nicht gesund wie Fra Urbano, auch war sein Ende so, dass er wohl schwerlich im Tode gelächelt haben wird wie dieser, denn bei der Verwüstung von Rom schleppten ihn, den fast neunzigjährigen Greis, die Spanier fort, in der Absicht, ihn zu ranzionieren, und er starb an den Folgen des Hungers in einem Spital. Aber sein Name ist in das Reich der Unvergänglichkeit gerettet,, weil Rafael den Alten wie einen Vater geliebt und wie einen Meister geehrt, weil er ihn in allen Dingen zu Rate gezogen hatte. Vielleicht bezog sich die Beratung vorzugsweise auf jene antiquarische Restauration des alten Rom, vielleicht aber auch auf viel höhere Dinge. Wer kann sagen, wie großen Anteil Fabio am Gedanken der Schule von Athen und anderer hochwichtiger Kompositionen Rafaels gehabt hat?

Gerne möchten wir hier mit einem anmutigen und versöhnlichen Lebensbilde schließen, etwa mit dem des Pomponius Laetus, wenn uns nur über diesen noch etwas mehr als der Brief seines Schülers Sabellieus zu Gebote stände, in welchem Laetus wohl absichtlich etwas antikisiert wird; doch mögen einige Züge daraus folgen. Er war ein Bastard aus dem Hause der neapolitanischen Sanseverinen, Fürsten von Salerno, wollte sie aber nicht anerkennen und schrieb ihnen auf die Einladung, bei ihnen zu leben, das berühmte Billet: Pomponius Laetus cognatis et propinquis suis salutem. Quod petitis fieri non potest. Valete. Ein unansehnliches Männchen mit kleinen, lebhaften Augen, in wunderlicher Tracht, bewohnte er in den letzten Jahrzehnten des XV. Jahrhunderts, als Lehrer an der Universität Rom, bald sein Häuschen mit Garten auf dem Esquilin, bald seine Vigne auf dem Quirinal; dort zog er seine Enten und anderes Geflügel, hier baute er sein Grundstück durchaus nach den Vorschriften des Cato, Varro und Columella; Festtage widmete er draußen dem Fisch- und Vogelfang, auch wohl dem Gelage im Schatten bei einer Quelle oder am Tiber. Reichtum und Wohlleben verachtete er. Neid und Übelrede war nicht in ihm und er duldete sie auch in seiner Nähe nicht; nur gegen die Hierarchie ließ er sich sehr frei gehen, wie er denn auch, die letzten Zeiten ausgenommen, als Verächter der Religion überhaupt galt. In die Humanistenverfolgung Papst Pauls II. verflochten, war er von Venedig an diesen ausgeliefert worden und hatte sich durch kein Mittel zu unwürdigen Geständnissen bringen lassen; seitdem luden ihn Päpste und Prälaten zu sich ein und unterstützten ihn, und als in den Unruhen unter Sixtus IV. sein Haus geplündert wurde, steuerte man für ihn mehr zusammen als er eingebüßt hatte. Als Dozent war er gewissenhaft; schon vor Tage sah man ihn mit seiner Laterne vom Esquilin herabsteigen, und immer fand er seinen Hörsaal schon gedrängt voll; da er im Gespräch stotterte, sprach er auf dem Katheder behutsam, aber doch schön und gleichmäßig. Auch seine wenigen Schriften sind sorgfältig abgefasst. Alte Texte behandelte keiner so sorgfältig und schüchtern, wie er denn auch vor anderen Resten des Altertums seinen wahren Respekt bewies, indem er wie verzückt dastand oder in Tränen ausbrach. Da er die eigenen Studien liegen ließ, wenn er anderen behilflich sein konnte, so hing man ihm sehr an, und als er starb, sandte sogar Alexander VI. seine Höflinge, die Leiche zu begleiten, welche von den vornehmsten Zuhörern getragen wurde; den Exequien in Araceli wohnten vierzig Bischöfe und alle fremden Gesandten bei.

Laetus hatte die Aufführungen antiker, hauptsächlich plautinischer Stücke in Rom aufgebracht und geleitet. Auch feierte er den Gründungstag der Stadt alljährlich mit einem Feste, wobei seine Freunde und Schüler Reden und Gedichte vortrugen. Bei diesen beiden Hauptanlässen bildete sich und blieb dann auch später beisammen, was man die römische Akademie nannte. Dieselbe war durchaus nur ein freier Verein und an kein festes Institut geknüpft; außer jenen Gelegenheiten kam sie zusammen, wenn ein Gönner sie einlud oder wenn das Gedächtnis eines verstorbenen Mitgliedes, z. B. des Piatina, gefeiert wurde. Vormittags pflegte dann ein Prälat, der dazu gehörte, eine Messe zu lesen; darauf betrat etwa Pomponio die Kanzel und hielt die betreffende Rede; nach ihm stieg ein anderer hinauf und rezitierte Distichen. Der obligate Schmaus mit Disputationen und Rezitationen beschloß Trauer- wie Freudenfeste, und die Akademiker, z. B. gerade Piatina selber, galten schon früh als Feinschmecker. Andere Male führten einzelne Gäste auch Farcen im Geschmack der Atellanen auf. Als freier Verein von sehr wandelbarem Umfang dauerte diese Akademie in ihrer ursprünglichen Art weiter bis auf die Verwüstung Roms und erfreute sich der Gastlichkeit eines Angelus Coloccius, eines Joh. Corycius u. a. Wie hoch sie für das Geistesleben der Nation zu werten ist, lässt sich’ so wenig genau bestimmen als bei irgendeiner geselligen Verbindung dieser Art; immerhin rechnet sie selbst ein Sadoleto zu den besten Erinnerungen seiner Jugend. — Eine ganze Anzahl anderer Akademien entstand und verging in verschiedenen Städten, je nachdem die Zahl und Bedeutung der ansässigen Humanisten oder die Gönnerschaft von Reichen und Großen es möglich machte. So die Akademie von Neapel, welche sich um Jovianus Pontanus versammelte und von welcher ein Teil nach Lecce übersiedelte, diejenige von Pordenone, welche den Hof des Feldherrn Alviano bildete usw. Von derjenigen des Lodovico Moro und ihrer eigentümlichen Bedeutung für den Umgang des Fürsten ist bereits die Rede gewesen.

Gegen die Mitte des XVI. Jahrhunderts scheint eine vollständige Umwandlung mit diesen Vereinen vorgegangen zu sein. Die Humanisten, auch sonst aus der gebietenden Stellung im Leben verdrängt und der beginnenden Gegenreformation Objekte des Verdachtes, verlieren die Leitung der Akademien, und die italienische Poesie tritt auch hier an die Stelle der lateinischen. Bald hat jede irgend beträchtliche Stadt ihre Akademie mit möglichst bizarrem Namen und mit eigenem, durch Beiträge und Vermächtnisse gebildetem Vermögen. Außer dem Rezitieren von Versen ist aus der früheren, lateinischen Zeit herübergenommen das periodische Gastmahl und die Aufführung von Dramen, teils durch die Akademiker selbst, teils unter ihrer Aufsicht durch junge Leute und bald durch bezahlte Schauspieler. Das Schicksal des italienischen Theaters, später auch der Oper, ist lange Zeit in den Händen dieser Vereine geblieben.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kultur und Kunst der Renaissance in Italien. 3. Buch