Die Förderer des Humanismus: Florentinische Bürger — Niccoli — Mannetti — Die früheren Medici — Fürsten — Die Päpste seit Nicolaus V . — Alfons von Neapel — Federigo von Urbino — Die Sforza und die Este — Sigismondo Malatesta
Zunächst verdienen diejenigen Bürger, hauptsächlich in Florenz, Beachtung, welche aus der Beschäftigung mit dem Altertum ein Hauptziel ihres Lebens machten und teils selbst große Gelehrte wurden, teils große Dilettanten, welche die Gelehrten unterstützten. Sie sind namentlich für die Übergangszeit zu Anfang des XV. Jahrhunderts von höchster Bedeutung gewesen, weil bei ihnen zuerst der Humanismus praktisch als notwendiges Element des täglichen Lebens wirkte. Erst nach ihnen haben sich Fürsten und Päpste ernstlich darauf eingelassen.
Von Niccolò Niccoli, von Giannozzo Mannetti ist schon mehrmals die Rede gewesen. Den Niccoli schildert uns Vespasiano als einen Mann, welcher auch in seiner äußeren Umgebung nichts duldete, was die antike Stimmung stören konnte. Die schöne Gestalt in langem Gewände, mit der freundlichen Rede, in dem Hause voll herrlicher Altertümer, machte den eigentümlichsten Eindruck; er war über die Maßen reinlich in allen Dingen, zumal beim Essen; da standen vor ihm auf dem weißesten Linnen antike Gefäße und kristallene Becher. Die Art, wie er einen vergnügungssüchtigen jungen Florentiner für seine Interessen gewinnt, ist gar zu anmutig, um sie hier nicht zu erzählen.
Piero de’ Pazzi, Sohn eines vornehmen Kaufmannes und zu demselben Stande bestimmt, schön von Ansehen und sehr den Freuden der Welt ergeben, dachte an nichts weniger als an die Wissenschaft. Eines Tages, als er am Palazzo del Podestä vorbeiging, rief ihn Niccoli zu sich heran, und er kam auf den Wink des hochangesehenen Mannes, obwohl er noch nie mit demselben gesprochen hatte. Niccoli fragte ihn, wer sein Vater sei. Er antwortete: Messer Andrea de’ Pazzi. Jener fragte weiter, was sein Geschäft sei? Piero erwiderte, wie wohl junge Leute tun: ich lasse mir es wohl sein, attendo a darmi buon tempo. Niccoli sagte: Als Sohn eines solchen Vaters und mit solcher Gestalt begabt, solltest du dich schämen, die lateinische Wissenschaft nicht zu kennen, die für dich eine so große Zierde wäre; wenn du sie nicht erlernst, so wirst du nichts gelten, und sobald die Blüte der Jugend vorüber ist, ein Mensch ohne alle Bedeutung (virtü) sein. Als Piero dieses hörte, erkannte er sogleich, dass es die Wahrheit sei, und entgegnete, er würde sich gerne daftir bemühen, wenn er einen Lehrer fände; — Niccoli sagte: dafür lasse du mich sorgen. Und in der Tat schaffte er ihm einen gelehrten Mann für das Lateinische und für das Griechische, namens Pontano, welchen Piero wie einen Hausgenossen hielt und mit 100 Goldgulden im Jahr besoldete. Statt der bisherigen Üppigkeit studierte er nun Tag und Nacht und wurde ein Freund aller Gebildeten und ein großgesinnter Staatsmann. Die ganze Aeneide und viele Reden des Livius lernte er auswendig, meist auf dem Wege zwischen Florenz und seinem Landhause zu Trebbio.
In anderem, höherem Sinne vertritt Giannozzo Mannetti das Altertum. Frühreif, fast als Kind, hatte er schon eine Kaufmannslehrzeit durchgemacht und war Buchführer eines Bankiers; nach einiger Zeit aber erschien ihm dieses Tun eitel und vergänglich, und er sehnte sich nach der Wissenschaft, durch welche allein der Mensch sich der Unsterblichkeit versichern könne; er, zuerst vom florentinischen Adel, vergrub sich nun in den Büchern und wurde, wie schon erwähnt, einer der größten Gelehrten seiner Zeit. Als ihn aber der Staat als Geschäftsträger, Steuerbeamten und Statthalter (in Pescia und Pistoja) verwandte, versah er seine Ämter so, als wäre in ihm ein hohes Ideal erwacht, das gemeinsame Resultat seiner humanistischen Studien und seiner Religiosität. Er exequierte die gehässigsten Steuern, die der Staat beschlossen hatte, und nahm für seine Mühe keine Besoldung an; als Provinzial Vorsteher wies er alle Geschenke zurück, sorgte für Kornzufuhr, schlichtete rastlos Prozesse und tat überhaupt alles für die Bändigung der Leidenschaften durch Güte. Die Pistojesen haben nie herausfinden können, welcher von ihren beiden Parteien er sich mehr zuneige; wie zum Symbol des gemeinsamen Schicksals und Rechtes aller verfasste er in seinen Mußestunden die Geschichte der Stadt, welche dann in Purpureinband als Heiligtum im Stadtpalast aufbewahrt wurde. Bei seinem Weggang schenkte ihm die Stadt ein Banner mit ihrem Wappen und einen prachtvollen silbernen Helm.
Für die übrigen gelehrten Bürger von Florenz in dieser Zeit muss schon deshalb auf Vespasiano (der sie alle kannte) verwiesen werden, weil der Ton, die Atmosphäre, in welcher er schreibt, die Voraussetzungen, unter welchen er mit jenen Leuten umgeht, noch wichtiger erscheinen als die einzelnen Leistungen selbst. Schon in einer Übersetzung, geschweige denn in den kurzen Andeutungen, auf welche wir hier beschränkt sind, müsste dieser beste Wert seines Buches verloren gehen. Er ist kein großer Autor, aber er kennt das ganze Treiben und hat ein tiefes Gefühl von dessen geistiger Bedeutung.
Wenn man dann den Zauber zu analysieren sucht, durch welchen die Medici des XV. Jahrhunderts, vor allen Cosimo der Ältere († 1464) und Lorenzo magnifico († 1492), auf Florenz und auf ihre Zeitgenossen überhaupt gewirkt haben, so ist neben aller Politik ihre Führerschaft auf dem Gebiete der damaligen Bildung das Stärkste dabei. Wer in Cosimos Stellung als Kaufmann und lokales Parteihaupt noch außerdem alles für sich hat, was denkt, forscht und schreibt, wer von Haus aus als der erste der Florentiner und dazu von Bildungswegen als der größte der Italiener gilt, der ist tatsächlich ein Fürst. Cosimo besitzt dann den speziellen Ruhm, in der platonischen Philosophie die schönste Blüte der antiken Gedankenwelt erkannt, seine Umgebung mit dieser Erkenntnis erfüllt, und so innerhalb des Humanismus eine zweite und höhere Neugeburt des Altertums ans Licht gefördert zu haben. Der Hergang wird uns sehr genau überliefert; alles knüpfte sich an die Berufung des gelehrten Johannes Agyropulos und an den persönlichsten Eifer des Cosimo in seinen letzten Jahren, so dass, was den Piatonismus betraf, der große Marsilio Ficino sich als den geistigen Sohn Cosimos bezeichnen durfte. Unter Pietro Medici sah sich Ficino schon als Haupt einer Schule; zu ihm ging auch Pietros Sohn, Cosimos Enkel, der erlauchte Lorenzo von den Peripatetikern über; als seine namhaftesten Mitschüler werden genannt Bartolommeo Valori, Donato Acciajuoli und Pierfilippo Pandolfini. Der begeisterte Lehrer hat an mehreren Stellen seiner Schriften erklärt, Lorenzo habe alle Tiefen des Piatonismus durchforscht und seine Überzeugung ausgesprochen, ohne denselben wäre es schwer, ein guter Bürger und Christ zu sein. Die berühmte Reunion von Gelehrten, welche sich um Lorenzo sammelte, war durch diesen höheren Zug einer idealistischen Philosophie verbunden und vor allen anderen Vereinigungen dieser Art ausgezeichnet. Nur in dieser Umgebung konnte ein Pico della Mirandola sich glücklich fühlen. Das Schönste aber, was sich sagen lässt, ist, dass neben all diesem Kultus des Altertums hier eine geweihte Stätte italienischer Poesie war und dass von allen Lichtstrahlen, in die Lorenzos Persönlichkeit auseinanderging, gerade dieser der mächtigste heißen darf. Als Staatsmann beurteile ihn jeder, wie er mag; in die florentinische Abrechnung von Schuld und Schicksal mischt sich ein Ausländer nicht, wenn er nicht muss; aber eine ungerechtere Polemik gibt es nicht, als wenn man Lorenzo beschuldigt, er habe im Gebiet des Geistes vorzüglich Mediokritäten beschützt und durch seine Schuld seien Lionardo da Vinci und der Mathematiker Fra Luca Pacciolo außer Landes, Toscanella, Vespucci u. a. wenigstens unbefördert geblieben. Allseitig ist er wohl nicht gewesen, aber von allen Großen, welche je den Geist zu schützen und zu fördern suchten, einer der vielseitigsten, und derjenige, bei welchem dies vielleicht am meisten Folge eines tieferen inneren Bedürfnisses war.
Laut genug pflegt auch unser laufendes Jahrhundert den Wert der Bildung überhaupt und den des Altertums insbesondere zu proklamieren. Aber eine vollkommen enthusiastische Hingebung, ein Anerkennen, dass dieses Bedürfnis das erste von allen sei, findet sich doch nirgends wie bei jenen Florentinern des XV. und beginnenden XVI. Jahrhunderts. Hiefür gibt es indirekte Beweise, die jeden Zweifel beseitigen: man hätte nicht so oft die Töchter des Hauses an den Studien teilnehmen lassen, wenn letztere nicht absolut als das edelste Gut des Erdenlebens gegolten hätten; man hätte nicht das Exil zu einem Aufenthalt des Glückes gemacht wie Palla Strozzi; es hätten nicht Menschen, die sich sonst alles erlaubten, noch Kraft und Lust behalten die Naturgeschichte des Plinius kritisch zu behandeln wie Filippo Strozzi. Es handelt sich hier nicht um Lob oder Tadel, sondern um Erkenntnis eines Zeitgeistes in seiner energischen Eigentümlichkeit.
Außer Florenz gab es noch manche Städte in Italien, wo einzelne und ganze gesellschaftliche Kreise bisweilen mit Aufwand aller Mittel für den Humanismus tätig waren und die anwesenden Gelehrten unterstützten. Aus den Brief Sammlungen jener Zeit kommt uns eine Fülle von persönlichen Beziehungen dieser Art entgegen. Die offizielle Gesinnung der höher Gebildeten trieb fast ausschließlich nach der bezeichneten Seite hin.
Doch es ist Zeit, den Humanismus an den Fürstenhöfen ins Auge zu fassen. Die innere Zusammengehörigkeit des Gewaltherrschers mit dem ebenfalls auf seine Persönlichkeit, auf sein Talent angewiesenen Philologen wurde schon früher angedeutet; der letztere aber zog die Höfe eingestandenermaßen den freien Städten vor, schon um der reichlicheren Belohnung willen. Zu der Zeit, da es schien, als könne der große Alfons von Aragon Herr von ganz Italien werden, schrieb Aeneas Sylvius an einen anderen Sienesen: „Wenn unter seiner Herrschaft Italien den Frieden bekäme, so wäre mir das lieber als (wenn es) unter Stadtregierungen (geschähe), denn ein edles Königsgemüt belohnt jede Trefflichkeit.“ Auch hier hat man in neuester Zeit die unwürdige Seite, das erkaufte Schmeicheln, zu sehr hervorgehoben, wie man sich früher von dem Humanistenlob allzugünstig für jene Fürsten stimmen ließ. Alles in allem genommen, bleibt es immer ein überwiegend vorteilhaftes Zeugnis für letztere, dass sie an der Spitze der Bildung ihrer Zeit und ihres Landes — wie einseitig dieselbe sein mochte — glaubten stehen zu müssen. Vollends bei einigen Päpsten hat die Furchtlosigkeit gegenüber den Konsequenzen der damaligen Bildung etwas unwillkürlich Imposantes. Nicolaus V. war beruhigt über das Schicksal der Kirche, weil Tausende gelehrter Männer ihr hilfreich zur Seite ständen. Bei Pius II. sind die Opfer für die Wissenschaft lange nicht so großartig, sein Poetenhof erscheint sehr mäßig, allein er selbst ist noch weit mehr das persönliche Haupt der Gelehrtenpolitik als sein zweiter Vorgänger und genießt dieses Ruhmes in vollster Sicherheit. Erst Paul II. war mit Furcht und Misstrauen gegen den Humanismus seiner Sekretäre erfüllt, und seine drei Nachfolger, Sixtus, Innozenz und Alexander, nahmen wohl Dedikationen an und ließen sich andichten, so viel man wollte, — es gab sogar eine Borgiade, wahrscheinlich in Hexametern — , waren aber zu sehr anderweitig beschäftigt und auf andere Stützpunkte ihrer Gewalt bedacht, um sich viel mit den Poeten-Philologen einzulassen. Julius II. fand Dichter, weil er selber ein bedeutender Gegenstand war, scheint er sich übrigens nicht viel um sie gekümmert zu haben. Da folgte auf ihn Leo X. „wie auf Romulus Numa“, d.h. nach dem Waffenlärm des vorigen Pontifikates hoffte man auf ein ganz den Musen geweihtes. Der Genuss schöner lateinischer Prosa und wohllautender Verse gehörte mit zu Leos Lebensprogramm und soviel hat sein Mäzenat allerdings in dieser Beziehung erreicht, dass seine lateinischen Poeten in zahllosen Elegien, Oden, Epigrammen, Sermonen jenen fröhlichen, glänzenden Geist der leonischen Zeit, welchen die Biographie des Jovius atmet, auf bildliche Weise darstellten. Vielleicht ist in der ganzen abendländischen Geschichte kein Fürst, welchen man im Verhältnis zu den wenigen darstellbaren Ereignissen seines Lebens so vielseitig verherrlicht hätte. Zugang zu ihm hatten die Dichter hauptsächlich zu Mittag, wann die Saitenvirtuosen aufgehört hatten; aber einer der Besten aus der ganzen Schar gibt zu verstehen, dass sie ihm auch sonst auf Schritt und Tritt in den Gärten wie in den innersten Gemächern des Palastes beizukommen suchten, und wer ihn da nicht erreichte, ver-“ suchte es mit einem Bettelbrief in Form einer Elegie, worin der ganze Olymp vorkam. Denn Leo, der kein Geld beisammen sehen konnte und lauter heitere Mienen zu erblicken wünschte, schenkte auf eine Weise, deren Andenken sich in den folgenden knappen Zeiten rasch zum Mythus verklärte. Von seiner Reorganisation der Sapienza ist bereits die Rede gewesen. Um Leos Einfluss auf den Humanismus nicht zu gering zu taxieren, muss man den Blick frei halten von den vielen Spielereien, die dabei mit unterliefen; man darf sich nicht irremachen lassen durch die bedenklich scheinende Ironie, womit er selbst diese Dinge bisweilen behandelt; das Urteil muss ausgehen von den großen geistigen Möglichkeiten, welche in den Bereich der „Anregung“ fallen und schlechterdings nicht im ganzen zu berechnen, wohl aber für die genauere Forschung in manchen einzelnen Fällen tatsächlich nachzuweisen sind. Was die italienischen Humanisten seit etwa 1520 auf Europa gewirkt haben, ist immer irgendwie von dem Antriebe bedingt, der von Leo ausging. Er ist derjenige Papst, welcher im Druckprivilegium für den neugewonnenen Tacitus sagen durfte: Die großen Autoren seien eine Norm des Lebens, ein Trost im Unglück; die Beförderung der Gelehrten und der Erwerb trefflicher Bücher habe ihm von jeher als ein höchstes Ziel gegolten, und auch jetzt danke er dem Himmel, den Nutzen des Menschengeschlechtes durch Begünstigung dieses Buches befördern zu können.
Wie die Verwüstung Roms 1527 die Künstler zerstreute, so trieb sie auch die Literaten nach allen Winden auseinander und breitete den Ruhm des großen verstorbenen Beschützers erst recht bis in die äußersten Enden Italiens aus.
Von den weltlichen Fürsten des XV. Jahrhunderts zeigt den höchsten Enthusiasmus für das Altertum Alfons der Große von Aragon, König von Neapel. Es scheint, dass er dabei völlig naiv war, dass die antike Welt in Denkmälern und Schriften ihm seit seiner Ankunft in Italien einen großen, überwältigenden Eindruck machte, welchem er nun nachleben musste. Wunderbar leicht gab er sein trotziges Aragon samt Nebenlanden an seinen Bruder auf, um sich ganz dem neuen Besitz zu widmen. Er hatte teils nach, teils neben einander in seinen Diensten den Georg von Trapezunt, den jüngeren Chrysoloras, den Lorenzo Valla, den Bartolommeo Facio und den Antonio Panormita, welche seine Geschichtsschreiber wurden; der letztere musste ihm und seinem Hofe täglich den Livius erklären, auch während der Feldzüge im Lager. Diese Leute kosteten ihn jährlich über 20.000 Goldgulden; dem Facio schenkte er für die Historia Alphonsi über die 500 Dukaten Jahresbesoldung, am Schluss der Arbeit noch 1500 Goldgulden obendrein, mit den Worten: „Es geschieht nicht, um Euch zu bezahlen, denn Euer Werk ist überhaupt nicht zu bezahlen, auch nicht, wenn ich Euch eine meiner besten Städte gäbe; aber mit der Zeit will ich suchen Euch zufriedenzustellen.“ Als er den Giannozzo Mannetti unter den glänzendsten Bedingungen zu seinem Sekretär nahm, sagte er: „Mein letztes Brot würde ich mit Euch teilen.“ Schon als Gratulationsgesandter von Florenz bei der Hochzeit des Prinzen Ferrante hatte Giannozzo einen solchen Eindruck auf den König gemacht, dass dieser „wie ein Erzbild“ regungslos auf dem Throne saß und nicht einmal die Mücken abwehrte. Seine Lieblingsstätte scheint die Bibliothek des Schlosses von Neapel gewesen zu sein, wo er an einem Fenster mit besonders schöner Aussicht gegen das Meer saß und den Weisen zuhörte, wenn sie z. B. über die Trinität diskutierten. Denn er war auch völlig religiös und ließ sich außer Livius und Seneca auch die Bibel vortragen, die er beinahe auswendig wusste. Wer will die Empfindung genau erraten, die er den vermeintlichen Gebeinen des Livius zu Padua widmete? Als er auf große Bitten von den Venezianern einen Armknochen davon erhielt und ehrfurchtsvoll zu Neapel in Empfang nahm, mag in seinem Gemüte Christliches und Heidnisches sonderbar durcheinander gegangen sein. Auf einem Feldzug in den Abruzzen zeigte man ihm das ferne Sulmona, die Heimat des Ovid, und er grüßte die Stadt und dankte dem Genius des Ortes; offenbar tat es ihm wohl, die Weissagung des großen Dichters über seinen künftigen Ruhm wahr machen zu können. Einmal gefiel es ihm auch, selber in antiker Weise aufzutreten, nämlich bei seinem berühmten Einzug in das definitiv eroberte Neapel (1443); unweit vom Mercato wurde eine vierzig Ellen weite Bresche in die Mauer gelegt; durch diese fuhr er auf einem goldenen Wagen wie ein römischer Triumphator. Auch die Erinnerung hieran ist durch einen herrlichen marmornen Triumphbogen im Castello nuovo verewigt. — Seine neapolitanische Dynastie hat von diesem antiken Enthusiasmus wie von all seinen guten Eigenschaften wenig oder nichts geerbt.
Ungleich gelehrter als Alfonso war Federigo von Urbino, der weniger Leute um sich hatte, gar nichts verschwendete und wie in allen Dingen, so auch in der Aneignung des Altertums planvoll verfuhr. Für ihn und für Nicolaus V. sind die meisten Übersetzungen aus dem Griechischen und eine Anzahl der bedeutendsten Kommentare, Bearbeitungen u. dgl. verfasst worden. Er gab viel aus, aber zweckmäßig, an die Leute, die er brauchte. Von einem Poetenhof war in Urbino keine Rede; der Herr selber war der Gelehrteste. Das Altertum war allerdings nur ein Teil seiner Bildung; als vollkommener Fürst, Feldherr und Mensch bemeisterte er einen großen Teil der damaligen Wissenschaft überhaupt, und zwar zu praktischen Zwecken, um der Sachen willen. Als Theologe z. B. verglich er Thomas und Scotus und kannte auch die alten Kirchenväter des Orients und Okzidents, erstere in lateinischen Übersetzungen. In der Philosophie scheint er den Plato gänzlich seinem Zeitgenossen Cosimo überlassen zu haben; von Aristoteles aber kannte er nicht nur Ethik und Politik genau, sondern auch die Physik und mehrere andere Schriften. In seiner sonstigen Lektüre wogen die sämtlichen antiken Historiker, die er besaß, beträchtlich vor; diese und nicht die Poeten „las er immer wieder und ließ sie sich vorlesen’*.
Die Sforza sind ebenfalls alle mehr oder weniger gelehrt und erweisen sich als Mäzenaten, wovon gelegentlich die Rede gewesen ist. Herzog Francesco mochte bei der Erziehung seiner Kinder die humanistische Bildung als eine Sache betrachten, die sich schon aus politischen Gründen von selbst verstehe; man scheint es durchgängig als Vorteil empfunden zu haben, wenn der Fürst mit den Gebildetsten auf gleichem Fuße verkehren konnte. Lodovico Moro, selber ein trefflicher Latinist, zeigt dann eine Teilnahme an allem Geistigen, die schon weit über das Altertum hinausgeht.
Auch die kleineren Herrscher suchten sich ähnlicher Vorzüge zu bemächtigen und man tut ihnen wohl unrecht, wenn man glaubt, sie hätten ihre Hofliteraten nur genährt, um von denselben gerühmt zu werden. Ein Fürst wie Borso von Ferrara macht bei aller Eitelkeit doch gar nicht mehr den Effekt, als erwartete er die Unsterblichkeit von den Dichtern, so eifrig ihm dieselben mit einer „Borseis“ u. dgl. aufwarteten; dazu ist sein Herrschergefühl bei weitem zu sehr entwickelt; allein der Umgang mit Gelehrten, das Interesse für das Altertum, das Bedürfnis nach eleganter lateinischer Epistolographie waren von dem damaligen Fürstentum unzertrennlich. Wie sehr hat es noch der praktisch hochgebildete Herzog Alfonso beklagt, dass ihn die Kränklichkeit in der Jugend einseitig auf Erholung durch Handarbeit hingewiesen! Oder hat er sich mit dieser Ausrede doch eher nur die Literaten vom Leibe gehalten? In eine Seele wie die seinige schauten schon die Zeitgenossen nicht recht hinein.
Selbst die kleinsten romagnolischen Tyrannen können nicht leicht ohne einen oder mehrere Hofhumanisten auskommen; der Hauslehrer und Sekretär sind dann öfter eine Person, welche zeitweise sogar das Faktotum des Hofes wird. Man ist mit der Verachtung dieser kleinen Verhältnisse insgemein etwas zu rasch bei der Hand, indem man vergisst, dass die höchsten Dinge des Geistes gerade nicht an den Maßstab gebunden sind.
Ein sonderbares Treiben muss jedenfalls an dem Hofe zu Rimini unter dem frechen Heiden und Kondottiere Sigismondo Malatesta geherrscht haben. Er hatte eine Anzahl von Philologen um sich und stattete einzelne derselben reichlich, z.B. mit einem Landgut, aus, während andere als Offiziere wenigstens ihren Lebensunterhalt hatten. In seiner Burg — arx Sismundea — halten sie ihre oft sehr giftigen Disputationen, in Gegenwart des „rex“, wie sie ihn nennen; in ihren lateinischen Dichtungen preisen sie natürlich ihn und besingen seine Liebschaft mit der schönen Isotta, zu deren Ehren eigentlich der berühmte Umbau von San Francesco in Rimini erfolgte, als ihr Grabdenkmal, Divae Jsottae Sacrum. Und wenn die Philologen sterben, so kommen sie in (oder unter) die Sarkophage zu liegen, womit die Nischen der beiden Außenwände dieser nämlichen Kirche geschmückt sind; eine Inschrift besagt dann, der betreffende sei hier beigesetzt worden zur Zeit, da Sigismundus, Pandulfus’ Sohn, herrschte. Man würde es heute einem Scheusal, wie dieser Fürst war, schwerlich glauben, dass Bildung und gelehrter Umgang ihm ein Bedürfnis seien, und doch sagt der, welcher ihn exkommunierte, in effigie verbrannte und bekriegte, nämlich Papst Pius II.: „Sigismondo kannte die Historien und besaß eine große Kunde der Philosophie; zu allem, was er ergriff, schien er geboren.“
Von Niccolò Niccoli, von Giannozzo Mannetti ist schon mehrmals die Rede gewesen. Den Niccoli schildert uns Vespasiano als einen Mann, welcher auch in seiner äußeren Umgebung nichts duldete, was die antike Stimmung stören konnte. Die schöne Gestalt in langem Gewände, mit der freundlichen Rede, in dem Hause voll herrlicher Altertümer, machte den eigentümlichsten Eindruck; er war über die Maßen reinlich in allen Dingen, zumal beim Essen; da standen vor ihm auf dem weißesten Linnen antike Gefäße und kristallene Becher. Die Art, wie er einen vergnügungssüchtigen jungen Florentiner für seine Interessen gewinnt, ist gar zu anmutig, um sie hier nicht zu erzählen.
Piero de’ Pazzi, Sohn eines vornehmen Kaufmannes und zu demselben Stande bestimmt, schön von Ansehen und sehr den Freuden der Welt ergeben, dachte an nichts weniger als an die Wissenschaft. Eines Tages, als er am Palazzo del Podestä vorbeiging, rief ihn Niccoli zu sich heran, und er kam auf den Wink des hochangesehenen Mannes, obwohl er noch nie mit demselben gesprochen hatte. Niccoli fragte ihn, wer sein Vater sei. Er antwortete: Messer Andrea de’ Pazzi. Jener fragte weiter, was sein Geschäft sei? Piero erwiderte, wie wohl junge Leute tun: ich lasse mir es wohl sein, attendo a darmi buon tempo. Niccoli sagte: Als Sohn eines solchen Vaters und mit solcher Gestalt begabt, solltest du dich schämen, die lateinische Wissenschaft nicht zu kennen, die für dich eine so große Zierde wäre; wenn du sie nicht erlernst, so wirst du nichts gelten, und sobald die Blüte der Jugend vorüber ist, ein Mensch ohne alle Bedeutung (virtü) sein. Als Piero dieses hörte, erkannte er sogleich, dass es die Wahrheit sei, und entgegnete, er würde sich gerne daftir bemühen, wenn er einen Lehrer fände; — Niccoli sagte: dafür lasse du mich sorgen. Und in der Tat schaffte er ihm einen gelehrten Mann für das Lateinische und für das Griechische, namens Pontano, welchen Piero wie einen Hausgenossen hielt und mit 100 Goldgulden im Jahr besoldete. Statt der bisherigen Üppigkeit studierte er nun Tag und Nacht und wurde ein Freund aller Gebildeten und ein großgesinnter Staatsmann. Die ganze Aeneide und viele Reden des Livius lernte er auswendig, meist auf dem Wege zwischen Florenz und seinem Landhause zu Trebbio.
In anderem, höherem Sinne vertritt Giannozzo Mannetti das Altertum. Frühreif, fast als Kind, hatte er schon eine Kaufmannslehrzeit durchgemacht und war Buchführer eines Bankiers; nach einiger Zeit aber erschien ihm dieses Tun eitel und vergänglich, und er sehnte sich nach der Wissenschaft, durch welche allein der Mensch sich der Unsterblichkeit versichern könne; er, zuerst vom florentinischen Adel, vergrub sich nun in den Büchern und wurde, wie schon erwähnt, einer der größten Gelehrten seiner Zeit. Als ihn aber der Staat als Geschäftsträger, Steuerbeamten und Statthalter (in Pescia und Pistoja) verwandte, versah er seine Ämter so, als wäre in ihm ein hohes Ideal erwacht, das gemeinsame Resultat seiner humanistischen Studien und seiner Religiosität. Er exequierte die gehässigsten Steuern, die der Staat beschlossen hatte, und nahm für seine Mühe keine Besoldung an; als Provinzial Vorsteher wies er alle Geschenke zurück, sorgte für Kornzufuhr, schlichtete rastlos Prozesse und tat überhaupt alles für die Bändigung der Leidenschaften durch Güte. Die Pistojesen haben nie herausfinden können, welcher von ihren beiden Parteien er sich mehr zuneige; wie zum Symbol des gemeinsamen Schicksals und Rechtes aller verfasste er in seinen Mußestunden die Geschichte der Stadt, welche dann in Purpureinband als Heiligtum im Stadtpalast aufbewahrt wurde. Bei seinem Weggang schenkte ihm die Stadt ein Banner mit ihrem Wappen und einen prachtvollen silbernen Helm.
Für die übrigen gelehrten Bürger von Florenz in dieser Zeit muss schon deshalb auf Vespasiano (der sie alle kannte) verwiesen werden, weil der Ton, die Atmosphäre, in welcher er schreibt, die Voraussetzungen, unter welchen er mit jenen Leuten umgeht, noch wichtiger erscheinen als die einzelnen Leistungen selbst. Schon in einer Übersetzung, geschweige denn in den kurzen Andeutungen, auf welche wir hier beschränkt sind, müsste dieser beste Wert seines Buches verloren gehen. Er ist kein großer Autor, aber er kennt das ganze Treiben und hat ein tiefes Gefühl von dessen geistiger Bedeutung.
Wenn man dann den Zauber zu analysieren sucht, durch welchen die Medici des XV. Jahrhunderts, vor allen Cosimo der Ältere († 1464) und Lorenzo magnifico († 1492), auf Florenz und auf ihre Zeitgenossen überhaupt gewirkt haben, so ist neben aller Politik ihre Führerschaft auf dem Gebiete der damaligen Bildung das Stärkste dabei. Wer in Cosimos Stellung als Kaufmann und lokales Parteihaupt noch außerdem alles für sich hat, was denkt, forscht und schreibt, wer von Haus aus als der erste der Florentiner und dazu von Bildungswegen als der größte der Italiener gilt, der ist tatsächlich ein Fürst. Cosimo besitzt dann den speziellen Ruhm, in der platonischen Philosophie die schönste Blüte der antiken Gedankenwelt erkannt, seine Umgebung mit dieser Erkenntnis erfüllt, und so innerhalb des Humanismus eine zweite und höhere Neugeburt des Altertums ans Licht gefördert zu haben. Der Hergang wird uns sehr genau überliefert; alles knüpfte sich an die Berufung des gelehrten Johannes Agyropulos und an den persönlichsten Eifer des Cosimo in seinen letzten Jahren, so dass, was den Piatonismus betraf, der große Marsilio Ficino sich als den geistigen Sohn Cosimos bezeichnen durfte. Unter Pietro Medici sah sich Ficino schon als Haupt einer Schule; zu ihm ging auch Pietros Sohn, Cosimos Enkel, der erlauchte Lorenzo von den Peripatetikern über; als seine namhaftesten Mitschüler werden genannt Bartolommeo Valori, Donato Acciajuoli und Pierfilippo Pandolfini. Der begeisterte Lehrer hat an mehreren Stellen seiner Schriften erklärt, Lorenzo habe alle Tiefen des Piatonismus durchforscht und seine Überzeugung ausgesprochen, ohne denselben wäre es schwer, ein guter Bürger und Christ zu sein. Die berühmte Reunion von Gelehrten, welche sich um Lorenzo sammelte, war durch diesen höheren Zug einer idealistischen Philosophie verbunden und vor allen anderen Vereinigungen dieser Art ausgezeichnet. Nur in dieser Umgebung konnte ein Pico della Mirandola sich glücklich fühlen. Das Schönste aber, was sich sagen lässt, ist, dass neben all diesem Kultus des Altertums hier eine geweihte Stätte italienischer Poesie war und dass von allen Lichtstrahlen, in die Lorenzos Persönlichkeit auseinanderging, gerade dieser der mächtigste heißen darf. Als Staatsmann beurteile ihn jeder, wie er mag; in die florentinische Abrechnung von Schuld und Schicksal mischt sich ein Ausländer nicht, wenn er nicht muss; aber eine ungerechtere Polemik gibt es nicht, als wenn man Lorenzo beschuldigt, er habe im Gebiet des Geistes vorzüglich Mediokritäten beschützt und durch seine Schuld seien Lionardo da Vinci und der Mathematiker Fra Luca Pacciolo außer Landes, Toscanella, Vespucci u. a. wenigstens unbefördert geblieben. Allseitig ist er wohl nicht gewesen, aber von allen Großen, welche je den Geist zu schützen und zu fördern suchten, einer der vielseitigsten, und derjenige, bei welchem dies vielleicht am meisten Folge eines tieferen inneren Bedürfnisses war.
Laut genug pflegt auch unser laufendes Jahrhundert den Wert der Bildung überhaupt und den des Altertums insbesondere zu proklamieren. Aber eine vollkommen enthusiastische Hingebung, ein Anerkennen, dass dieses Bedürfnis das erste von allen sei, findet sich doch nirgends wie bei jenen Florentinern des XV. und beginnenden XVI. Jahrhunderts. Hiefür gibt es indirekte Beweise, die jeden Zweifel beseitigen: man hätte nicht so oft die Töchter des Hauses an den Studien teilnehmen lassen, wenn letztere nicht absolut als das edelste Gut des Erdenlebens gegolten hätten; man hätte nicht das Exil zu einem Aufenthalt des Glückes gemacht wie Palla Strozzi; es hätten nicht Menschen, die sich sonst alles erlaubten, noch Kraft und Lust behalten die Naturgeschichte des Plinius kritisch zu behandeln wie Filippo Strozzi. Es handelt sich hier nicht um Lob oder Tadel, sondern um Erkenntnis eines Zeitgeistes in seiner energischen Eigentümlichkeit.
Außer Florenz gab es noch manche Städte in Italien, wo einzelne und ganze gesellschaftliche Kreise bisweilen mit Aufwand aller Mittel für den Humanismus tätig waren und die anwesenden Gelehrten unterstützten. Aus den Brief Sammlungen jener Zeit kommt uns eine Fülle von persönlichen Beziehungen dieser Art entgegen. Die offizielle Gesinnung der höher Gebildeten trieb fast ausschließlich nach der bezeichneten Seite hin.
Doch es ist Zeit, den Humanismus an den Fürstenhöfen ins Auge zu fassen. Die innere Zusammengehörigkeit des Gewaltherrschers mit dem ebenfalls auf seine Persönlichkeit, auf sein Talent angewiesenen Philologen wurde schon früher angedeutet; der letztere aber zog die Höfe eingestandenermaßen den freien Städten vor, schon um der reichlicheren Belohnung willen. Zu der Zeit, da es schien, als könne der große Alfons von Aragon Herr von ganz Italien werden, schrieb Aeneas Sylvius an einen anderen Sienesen: „Wenn unter seiner Herrschaft Italien den Frieden bekäme, so wäre mir das lieber als (wenn es) unter Stadtregierungen (geschähe), denn ein edles Königsgemüt belohnt jede Trefflichkeit.“ Auch hier hat man in neuester Zeit die unwürdige Seite, das erkaufte Schmeicheln, zu sehr hervorgehoben, wie man sich früher von dem Humanistenlob allzugünstig für jene Fürsten stimmen ließ. Alles in allem genommen, bleibt es immer ein überwiegend vorteilhaftes Zeugnis für letztere, dass sie an der Spitze der Bildung ihrer Zeit und ihres Landes — wie einseitig dieselbe sein mochte — glaubten stehen zu müssen. Vollends bei einigen Päpsten hat die Furchtlosigkeit gegenüber den Konsequenzen der damaligen Bildung etwas unwillkürlich Imposantes. Nicolaus V. war beruhigt über das Schicksal der Kirche, weil Tausende gelehrter Männer ihr hilfreich zur Seite ständen. Bei Pius II. sind die Opfer für die Wissenschaft lange nicht so großartig, sein Poetenhof erscheint sehr mäßig, allein er selbst ist noch weit mehr das persönliche Haupt der Gelehrtenpolitik als sein zweiter Vorgänger und genießt dieses Ruhmes in vollster Sicherheit. Erst Paul II. war mit Furcht und Misstrauen gegen den Humanismus seiner Sekretäre erfüllt, und seine drei Nachfolger, Sixtus, Innozenz und Alexander, nahmen wohl Dedikationen an und ließen sich andichten, so viel man wollte, — es gab sogar eine Borgiade, wahrscheinlich in Hexametern — , waren aber zu sehr anderweitig beschäftigt und auf andere Stützpunkte ihrer Gewalt bedacht, um sich viel mit den Poeten-Philologen einzulassen. Julius II. fand Dichter, weil er selber ein bedeutender Gegenstand war, scheint er sich übrigens nicht viel um sie gekümmert zu haben. Da folgte auf ihn Leo X. „wie auf Romulus Numa“, d.h. nach dem Waffenlärm des vorigen Pontifikates hoffte man auf ein ganz den Musen geweihtes. Der Genuss schöner lateinischer Prosa und wohllautender Verse gehörte mit zu Leos Lebensprogramm und soviel hat sein Mäzenat allerdings in dieser Beziehung erreicht, dass seine lateinischen Poeten in zahllosen Elegien, Oden, Epigrammen, Sermonen jenen fröhlichen, glänzenden Geist der leonischen Zeit, welchen die Biographie des Jovius atmet, auf bildliche Weise darstellten. Vielleicht ist in der ganzen abendländischen Geschichte kein Fürst, welchen man im Verhältnis zu den wenigen darstellbaren Ereignissen seines Lebens so vielseitig verherrlicht hätte. Zugang zu ihm hatten die Dichter hauptsächlich zu Mittag, wann die Saitenvirtuosen aufgehört hatten; aber einer der Besten aus der ganzen Schar gibt zu verstehen, dass sie ihm auch sonst auf Schritt und Tritt in den Gärten wie in den innersten Gemächern des Palastes beizukommen suchten, und wer ihn da nicht erreichte, ver-“ suchte es mit einem Bettelbrief in Form einer Elegie, worin der ganze Olymp vorkam. Denn Leo, der kein Geld beisammen sehen konnte und lauter heitere Mienen zu erblicken wünschte, schenkte auf eine Weise, deren Andenken sich in den folgenden knappen Zeiten rasch zum Mythus verklärte. Von seiner Reorganisation der Sapienza ist bereits die Rede gewesen. Um Leos Einfluss auf den Humanismus nicht zu gering zu taxieren, muss man den Blick frei halten von den vielen Spielereien, die dabei mit unterliefen; man darf sich nicht irremachen lassen durch die bedenklich scheinende Ironie, womit er selbst diese Dinge bisweilen behandelt; das Urteil muss ausgehen von den großen geistigen Möglichkeiten, welche in den Bereich der „Anregung“ fallen und schlechterdings nicht im ganzen zu berechnen, wohl aber für die genauere Forschung in manchen einzelnen Fällen tatsächlich nachzuweisen sind. Was die italienischen Humanisten seit etwa 1520 auf Europa gewirkt haben, ist immer irgendwie von dem Antriebe bedingt, der von Leo ausging. Er ist derjenige Papst, welcher im Druckprivilegium für den neugewonnenen Tacitus sagen durfte: Die großen Autoren seien eine Norm des Lebens, ein Trost im Unglück; die Beförderung der Gelehrten und der Erwerb trefflicher Bücher habe ihm von jeher als ein höchstes Ziel gegolten, und auch jetzt danke er dem Himmel, den Nutzen des Menschengeschlechtes durch Begünstigung dieses Buches befördern zu können.
Wie die Verwüstung Roms 1527 die Künstler zerstreute, so trieb sie auch die Literaten nach allen Winden auseinander und breitete den Ruhm des großen verstorbenen Beschützers erst recht bis in die äußersten Enden Italiens aus.
Von den weltlichen Fürsten des XV. Jahrhunderts zeigt den höchsten Enthusiasmus für das Altertum Alfons der Große von Aragon, König von Neapel. Es scheint, dass er dabei völlig naiv war, dass die antike Welt in Denkmälern und Schriften ihm seit seiner Ankunft in Italien einen großen, überwältigenden Eindruck machte, welchem er nun nachleben musste. Wunderbar leicht gab er sein trotziges Aragon samt Nebenlanden an seinen Bruder auf, um sich ganz dem neuen Besitz zu widmen. Er hatte teils nach, teils neben einander in seinen Diensten den Georg von Trapezunt, den jüngeren Chrysoloras, den Lorenzo Valla, den Bartolommeo Facio und den Antonio Panormita, welche seine Geschichtsschreiber wurden; der letztere musste ihm und seinem Hofe täglich den Livius erklären, auch während der Feldzüge im Lager. Diese Leute kosteten ihn jährlich über 20.000 Goldgulden; dem Facio schenkte er für die Historia Alphonsi über die 500 Dukaten Jahresbesoldung, am Schluss der Arbeit noch 1500 Goldgulden obendrein, mit den Worten: „Es geschieht nicht, um Euch zu bezahlen, denn Euer Werk ist überhaupt nicht zu bezahlen, auch nicht, wenn ich Euch eine meiner besten Städte gäbe; aber mit der Zeit will ich suchen Euch zufriedenzustellen.“ Als er den Giannozzo Mannetti unter den glänzendsten Bedingungen zu seinem Sekretär nahm, sagte er: „Mein letztes Brot würde ich mit Euch teilen.“ Schon als Gratulationsgesandter von Florenz bei der Hochzeit des Prinzen Ferrante hatte Giannozzo einen solchen Eindruck auf den König gemacht, dass dieser „wie ein Erzbild“ regungslos auf dem Throne saß und nicht einmal die Mücken abwehrte. Seine Lieblingsstätte scheint die Bibliothek des Schlosses von Neapel gewesen zu sein, wo er an einem Fenster mit besonders schöner Aussicht gegen das Meer saß und den Weisen zuhörte, wenn sie z. B. über die Trinität diskutierten. Denn er war auch völlig religiös und ließ sich außer Livius und Seneca auch die Bibel vortragen, die er beinahe auswendig wusste. Wer will die Empfindung genau erraten, die er den vermeintlichen Gebeinen des Livius zu Padua widmete? Als er auf große Bitten von den Venezianern einen Armknochen davon erhielt und ehrfurchtsvoll zu Neapel in Empfang nahm, mag in seinem Gemüte Christliches und Heidnisches sonderbar durcheinander gegangen sein. Auf einem Feldzug in den Abruzzen zeigte man ihm das ferne Sulmona, die Heimat des Ovid, und er grüßte die Stadt und dankte dem Genius des Ortes; offenbar tat es ihm wohl, die Weissagung des großen Dichters über seinen künftigen Ruhm wahr machen zu können. Einmal gefiel es ihm auch, selber in antiker Weise aufzutreten, nämlich bei seinem berühmten Einzug in das definitiv eroberte Neapel (1443); unweit vom Mercato wurde eine vierzig Ellen weite Bresche in die Mauer gelegt; durch diese fuhr er auf einem goldenen Wagen wie ein römischer Triumphator. Auch die Erinnerung hieran ist durch einen herrlichen marmornen Triumphbogen im Castello nuovo verewigt. — Seine neapolitanische Dynastie hat von diesem antiken Enthusiasmus wie von all seinen guten Eigenschaften wenig oder nichts geerbt.
Ungleich gelehrter als Alfonso war Federigo von Urbino, der weniger Leute um sich hatte, gar nichts verschwendete und wie in allen Dingen, so auch in der Aneignung des Altertums planvoll verfuhr. Für ihn und für Nicolaus V. sind die meisten Übersetzungen aus dem Griechischen und eine Anzahl der bedeutendsten Kommentare, Bearbeitungen u. dgl. verfasst worden. Er gab viel aus, aber zweckmäßig, an die Leute, die er brauchte. Von einem Poetenhof war in Urbino keine Rede; der Herr selber war der Gelehrteste. Das Altertum war allerdings nur ein Teil seiner Bildung; als vollkommener Fürst, Feldherr und Mensch bemeisterte er einen großen Teil der damaligen Wissenschaft überhaupt, und zwar zu praktischen Zwecken, um der Sachen willen. Als Theologe z. B. verglich er Thomas und Scotus und kannte auch die alten Kirchenväter des Orients und Okzidents, erstere in lateinischen Übersetzungen. In der Philosophie scheint er den Plato gänzlich seinem Zeitgenossen Cosimo überlassen zu haben; von Aristoteles aber kannte er nicht nur Ethik und Politik genau, sondern auch die Physik und mehrere andere Schriften. In seiner sonstigen Lektüre wogen die sämtlichen antiken Historiker, die er besaß, beträchtlich vor; diese und nicht die Poeten „las er immer wieder und ließ sie sich vorlesen’*.
Die Sforza sind ebenfalls alle mehr oder weniger gelehrt und erweisen sich als Mäzenaten, wovon gelegentlich die Rede gewesen ist. Herzog Francesco mochte bei der Erziehung seiner Kinder die humanistische Bildung als eine Sache betrachten, die sich schon aus politischen Gründen von selbst verstehe; man scheint es durchgängig als Vorteil empfunden zu haben, wenn der Fürst mit den Gebildetsten auf gleichem Fuße verkehren konnte. Lodovico Moro, selber ein trefflicher Latinist, zeigt dann eine Teilnahme an allem Geistigen, die schon weit über das Altertum hinausgeht.
Auch die kleineren Herrscher suchten sich ähnlicher Vorzüge zu bemächtigen und man tut ihnen wohl unrecht, wenn man glaubt, sie hätten ihre Hofliteraten nur genährt, um von denselben gerühmt zu werden. Ein Fürst wie Borso von Ferrara macht bei aller Eitelkeit doch gar nicht mehr den Effekt, als erwartete er die Unsterblichkeit von den Dichtern, so eifrig ihm dieselben mit einer „Borseis“ u. dgl. aufwarteten; dazu ist sein Herrschergefühl bei weitem zu sehr entwickelt; allein der Umgang mit Gelehrten, das Interesse für das Altertum, das Bedürfnis nach eleganter lateinischer Epistolographie waren von dem damaligen Fürstentum unzertrennlich. Wie sehr hat es noch der praktisch hochgebildete Herzog Alfonso beklagt, dass ihn die Kränklichkeit in der Jugend einseitig auf Erholung durch Handarbeit hingewiesen! Oder hat er sich mit dieser Ausrede doch eher nur die Literaten vom Leibe gehalten? In eine Seele wie die seinige schauten schon die Zeitgenossen nicht recht hinein.
Selbst die kleinsten romagnolischen Tyrannen können nicht leicht ohne einen oder mehrere Hofhumanisten auskommen; der Hauslehrer und Sekretär sind dann öfter eine Person, welche zeitweise sogar das Faktotum des Hofes wird. Man ist mit der Verachtung dieser kleinen Verhältnisse insgemein etwas zu rasch bei der Hand, indem man vergisst, dass die höchsten Dinge des Geistes gerade nicht an den Maßstab gebunden sind.
Ein sonderbares Treiben muss jedenfalls an dem Hofe zu Rimini unter dem frechen Heiden und Kondottiere Sigismondo Malatesta geherrscht haben. Er hatte eine Anzahl von Philologen um sich und stattete einzelne derselben reichlich, z.B. mit einem Landgut, aus, während andere als Offiziere wenigstens ihren Lebensunterhalt hatten. In seiner Burg — arx Sismundea — halten sie ihre oft sehr giftigen Disputationen, in Gegenwart des „rex“, wie sie ihn nennen; in ihren lateinischen Dichtungen preisen sie natürlich ihn und besingen seine Liebschaft mit der schönen Isotta, zu deren Ehren eigentlich der berühmte Umbau von San Francesco in Rimini erfolgte, als ihr Grabdenkmal, Divae Jsottae Sacrum. Und wenn die Philologen sterben, so kommen sie in (oder unter) die Sarkophage zu liegen, womit die Nischen der beiden Außenwände dieser nämlichen Kirche geschmückt sind; eine Inschrift besagt dann, der betreffende sei hier beigesetzt worden zur Zeit, da Sigismundus, Pandulfus’ Sohn, herrschte. Man würde es heute einem Scheusal, wie dieser Fürst war, schwerlich glauben, dass Bildung und gelehrter Umgang ihm ein Bedürfnis seien, und doch sagt der, welcher ihn exkommunierte, in effigie verbrannte und bekriegte, nämlich Papst Pius II.: „Sigismondo kannte die Historien und besaß eine große Kunde der Philosophie; zu allem, was er ergriff, schien er geboren.“
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kultur und Kunst der Renaissance in Italien. 3. Buch