Allgemeine Latinisierung der Bildung: Die antiken Namen — Latinisierte Lebensverhältnisse — Ansprüche auf Alleinherrschaft — Cicero und die Ciceronianer — Die lateinische Konversation

In die übrigen Fachwissenschaften hinein dürfen wir den Humanismus nicht begleiten; jede derselben hat ihre Spezialgeschichte, in welcher die italienischen Forscher dieser Zeit, hauptsächlich vermöge des von ihnen neu entdeckten Sachinhaltes des Altertums, einen großen neuen Abschnitt bilden, womit dann jedesmal das moderne Zeitalter der betreffenden Wissenschaft beginnt, hier mehr, dort weniger entschieden. Auch für die Philosophie müssen wir auf die besonderen historischen Darstellungen verweisen. Der Einfluss der alten Philosophen auf die italienische Kultur erscheint dem Blicke bald ungeheuer groß, bald sehr untergeordnet. Ersteres besonders, wenn man nachrechnet, wie die Begriffe des Aristoteles, hauptsächlich aus seiner frühverbreiteten Ethik und Politik, Gemeingut der Gebildeten von ganz Italien wurden und wie die ganze Art des Abstrahierens von ihm beherrscht war. Letzteres dagegen, wenn man die geringe dogmatische Wirkung der alten Philosophen und selbst der begeisterten florentinischen Platoniker auf den Geist der Nation erwägt. Was wie eine solche Wirkung aussieht, ist in der Regel nur ein Niederschlag der Bildung im allgemeinen, eine Folge speziell italienischer Geistesentwicklungen. Bei Anlass der Religion wird hierüber noch einiges zu bemerken sein. Weit in den meisten Fällen aber hat man es nicht einmal mit der allgemeinen Bildung, sondern nur mit der Äußerung einzelner Personen oder gelehrter Kreise zu tun, und selbst hier müsste jedesmal unterschieden werden zwischen wahrer Aneignung antiker Lehre und bloßem modemäßigen Mitmachen. Denn für viele war das Altertum überhaupt nur eine Mode, selbst für solche, die darin sehr gelehrt wurden.

Indes braucht nicht alles, was unserem Jahrhundert als Affektation erscheint, damals wirklich affektiert gewesen zu sein. Die Anwendung griechischer und römischer Namen als Taufnamen z. B. ist noch immer viel schöner und achtungswerter als die heute beliebte von (zumal weiblichen) Namen, die aus Romanen stammen. Sobald die Begeisterung für die alte Welt größer war als die für die Heiligen, erscheint es ganz einfach und natürlich, dass ein adeliges Geschlecht seine Söhne Agamemnon, Achill und Tydeus taufen ließ, dass der Maler seinen Sohn Apelles nannte und seine Tochter Minerva usw. Auch so viel wird sich wohl verteidigen lassen, dass statt eines Hausnamens, welchem man überhaupt entrinnen wollte, ein wohllautender antiker angenommen wurde. Einen Heimatsnamen, der alle Mitbürger mitbezeichnete und noch gar nicht zum Familiennamen geworden war, gab man gewiss um so lieber auf, wenn er zugleich als Heiligenname unbequem wurde; Filippo da S. Gemignano nannte sich Callimachus. Wer von der Familie verkannt und beleidigt sein Glück als Gelehrter in der Fremde machte, der durfte sich, auch wenn er ein Sanseverino war mit Stolz zum Julius Pomponius Laetus umtaufen. Auch die reine Übersetzung eines Namens ins Lateinische oder ins Griechische (wie sie dann in Deutschland fast ausschließlich Brauch wurde) mag man einer Generation zugute halten, welche lateinisch sprach und schrieb und nicht bloß deklinable, sondern leicht in Prosa und Vers mitgleitende Namen brauchte. Tadelhaft und oft lächerlich war erst das halbe Ändern eines Namens, bis er einen klassischen Klang und einen neuen Sinn hatte, sowohl Taufnamen als Zunamen. So wurde aus Giovanni Jovianus oder Janus, aus Pietro Pierius oder Petreius, aus Antonio Aonius u. dgl., sodann aus Sannazaro Syncerus, aus Luca Grasso Lucius Crassus usw. Ariosto, der sich über diese Dinge so spöttisch auslässt, hat es dann noch erlebt, dass man Kinder nach seinen Helden und Heldinnen benannte.


Auch die Antikisierung vieler Lebensverhältnisse, Amtsnamen, Verrichtungen, Zeremonien usw. in den lateinischen Schriftstellern darf nicht zu strenge beurteilt werden. So lange man sich mit einem einfachen, fließenden Latein begnügte, wie dies bei den Schriftstellern etwa von Petrarca bis auf Aeneas Sylvius der Fall war, kam dies allerdings nicht in auffallender Weise vor, unvermeidlich aber wurde es, seit man nach einem absolut reinen, zumal ciceronischen Latein strebte. Da fügten sich die modernen Dinge nicht mehr in die Totalität des Stiles, wenn man sie nicht künstlich umtaufte. Pedanten machten sich nun ein Vergnügen daraus, jeden Stadtrat als Pater conscriptus, jedes Nonnenkloster als Virgines Vestales, jeden Heiligen als Divus oder Deus zu betiteln, während Leute von feinerem Geschmack wie Paolo Giovio damit wahrscheinlich nur taten, was sie nicht vermeiden konnten. Weil Giovio keinen Akzent darauf legt, stört es auch nicht, wenn in seinen wohllautenden Phrasen die Kardinäle Senatores heißen, ihr Dekan Princeps Senatus, die Exkommunikation Dirae, der Karneval Luper calia usw. Wie sehr man sich hüten muss, aus dieser Stilsache einen voreiligen Schluss auf die ganze Denkweise zu ziehen, liegt gerade bei diesem Autor klar zutage.

Die Geschichte des lateinischen Stiles an sich dürfen wir hier nicht verfolgen. Volle zwei Jahrhunderte hindurch taten die Humanisten dergleichen, als ob das Lateinische überhaupt die einzige würdige Schriftsprache wäre und bleiben müsste. Poggio bedauert, dass Dante sein großes Gedicht italienisch verfasst habe, und bekanntlich hatte Dante es in der Tat mit dem Lateinischen versucht und den Anfang des Inferno zuerst in Hexametern gedichtet. Das ganze Schicksal der italienischen Poesie hing davon ab, dass er nicht in dieser Weise fortfuhr, aber noch Petrarca verließ sich mehr auf seine lateinischen Dichtungen als auf seine Sonette und Kanzonen, und die Zumutung, lateinisch zu dichten, ist noch an Ariosto ergangen. Einen stärkeren Zwang hat es in literarischen Dingen nie gegeben, allein die Poesie entwischte demselben größtenteils und jetzt können wir wohl ohne allzugroßen Optimismus sagen: es ist gut, dass die italienische Poesie zweierlei Organe hatte, denn sie hat in beiden Vortreffliches und Eigentümliches geleistet, und zwar so, dass man inne wird, weshalb hier italienisch, dort lateinisch gedichtet wurde. Vielleicht gilt Ähnliches auch von der Prosa; die Weltstellung und der Weltruhm der italienischen Bildung hing davon ab, dass gewisse Gegenstände lateinisch — Urbi et orbi — behandelt wurden, während die italienische Prosa gerade von denjenigen am besten gehandhabt worden ist, welchen es einen inneren Kampf kostete, nicht lateinisch zu schreiben.

Als reinste Quelle der Prosa galt seit dem XIV. Jahrhundert unbestritten Cicero. Dies kam bei weitem nicht bloß von einer abstrakten Überzeugung zugunsten seiner Wörter, seiner Satzbildung und seiner literarischen Kompositionsweise her, sondern im italienischen Geiste fand die Liebenswürdigkeit des Briefschreibers, der Glanz des Redners, die klare beschauliche Art des philosophischen Darstellers einen vollen Wiederklang. Schon Petrarca erkannte vollständig die Schwächen des Menschen und Staatsmannes Cicero, er hatte nur zu viel Respekt, um sich darüber zu freuen; seit ihm hat sich zunächst die Epistolographie fast ausschließlich nach Cicero gebildet und die anderen Gattungen, mit Ausnahme der erzählenden, folgten nach. Doch der wahre Ciceronianismus, der sich jeden Ausdruck versagte, wenn derselbe nicht aus der Quelle zu belegen war, beginnt erst zu Ende des XV. Jahrhunderts, nachdem die grammatischen Schriften des Lorenzo Valla ihre Wirkung durch ganz Italien getan, nachdem die Aussagen der römischen Literarhistoriker selbst gesichtet und verglichen waren. Jetzt erst unterscheidet man genauer und bis auf das Genaueste die Stilschattierungen in der Prosa der Alten, und kommt mit tröstlicher Sicherheit immer wieder auf das Ergebnis, dass Cicero allein das unbedingte Muster sei, oder, wenn man alle Gattungen umfassen wollte: „Jenes unsterbliche und fast himmlische Zeitalter Ciceros.“ Jetzt wandten Leute wie Pietro Bembo, Pierio Valeriano u. a. ihre besten Kräfte auf dieses Ziel; auch solche, die lange widerstrebt und sich aus den ältesten Autoren eine archaiistische Diktion zusammengebaut, gaben endlich nach und knieten vor Cicero; jetzt ließ sich Longolius von Bembo bestimmen, fünf Jahre lang nur Cicero zu lesen; derselbe gelobte sich, gar kein Wort zu gebrauchen, welches nicht in diesem Autor vorkäme, und solche Stimmungen brachen dann zu jenem großen gelehrten Streit aus, in welchem Erasmus und der ältere Scaliger die Scharen führten.

Denn auch die Bewunderer Ciceros waren doch lange nicht alle so einseitig, ihn als die einzige Quelle der Sprache gelten zu lassen. Noch im XV. Jahrhundert wagten Poliziano und Ermolao Barbaro mit Bewusstsein nach einer eigenen, individuellen Latinität zu streben, natürlich auf der Basis einer „überquellend großen“ Gelehrsamkeit, und dieses Ziel hat auch derjenige verfolgt, welcher uns dies meldet, Paolo Giovio. Er hat eine Menge moderner Gedanken, zumal ästhetischer Art, zuerst und mit großer Anstrengung lateinisch wiedergegeben, nicht immer glücklich, aber bisweilen mit einer merkwürdigen Kraft und Eleganz. Seine lateinischen Charakteristiken der großen Maler und Bildhauer jener Zeit enthalten das Geistvollste und das Missratenste nebeneinander. Auch Leo X., der seinen Ruhm darein setzte, „ut lingua latina nostro pontificatu dicatur facta auctior“, neigte sich einer liberalen, nicht ausschließlichen Latinität zu, wie dies bei seiner Richtung auf den Genuss nicht anders möglich war; ihm genügte es, wenn das, was er anzuhören und zu lesen hatte, wahrhaft lateinisch, lebendig und elegant erschien. Endlich gab Cicero für die lateinische Konversation kein Vorbild, so dass man hier gezwungen war, andere Götter neben ihm zu verehren. In die Lücke traten die in- und außerhalb Roms ziemlich häufigen Aufführungen der Komödien des Plautus und Terenz, welche für die Mitspielenden eine unvergleichliche Übung des Lateinischen als Umgangssprache abgaben. Schon unter Paul II. wird der gelehrte Kardinal von Theanum (wahrscheinlich Niccolò Fortiguerra von Pistoja) gerühmt, weil er sich auch an die schlechterhaltensten, der Personenverzeichnisse beraubten plautinischen Stücke wage und dem ganzen Autor um der Sprache willen die größte Aufmerksamkeit widme, und von ihm könnte wohl auch die Anregung zum Aufführen jener Stücke ausgegangen sein. Dann nahm sich Pomponius Laetus der Sache an, und wo in den Säulenhöfen großer Prälaten Plautus über die Szene ging, war er Regisseur. Dass man seit etwa 1520 davon abkam, zählt Giovio, wie wir sahen, mit unter die Ursachen des Verfalls der Eloquenz.

Zum Schluss dürfen wir hier eine Parallele des Ciceronianismus aus dem Gebiete der Kunst namhaft machen: den Vitruvianismus der Architekten. Und zwar bekundet sich auch hier das durchgehende Gesetz der Renaissance, dass die Bewegung in der Bildung durchgängig der analogen Kunstbewegung vorangeht. Im vorliegenden Fall möchte der Unterschied etwa zwei Jahrzehnte betragen, wenn man von Kardinal Hadrian von Corneto (1505?) bis auf die ersten absoluten Vitruvianer rechnet.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kultur und Kunst der Renaissance in Italien. 3. Buch