Der moderne Spott und Witz: Sein Zusammenhang mit dem Individualismus — Der Hohn der Florentiner — Die Novelle — Die Witzmacher und Buffonen — Die Späße Leos X. — Die Parodie in der Dichtung — Theorie des Witzes — Die Lästerung — Hadrian VI. als ihr Opfer — Pietro Aretino — Seine Publizistik — Sein Verhältnis zu den Fürsten und Zelebritäten — Seine Religion

Das Korrektiv nicht nur des Ruhmes und der modernen Ruhmbegier, sondern des höher entwickelten Individualismus überhaupt, ist der moderne Spott und Hohn, womöglich in der siegreichen Form des Witzes. Wir erfahren aus dem Mittelalter, wie feindliche Heere, verfeindete Fürsten und Große einander mit symbolischem Hohn auf das Äußerste reizen, oder wie der unterlegene Teil mit höchster symbolischer Schmach beladen wird. Daneben beginnt in theologischen Streitigkeiten schon hie und da, unter dem Einfluss antiker Rhetorik und Epistolographie, der Witz eine Waffe zu werden und die provenzalische Poesie entwickelt eine eigene Gattung von Trotz- und Hohnliedern; auch den Minnesängern fehlt gelegentlich dieser Ton nicht, wie ihre politischen Gedichte zeigen. Aber ein selbständiges Element des Lebens konnte der Witz doch erst werden, als sein regelmäßiges Opfer, das ausgebildete Individuum mit persönlichen Ansprüchen, vorhanden war. Da beschränkt er sich auch bei weitem nicht mehr auf Wort und Schrift, sondern wird tatsächlich: er spielt Possen und verübt Streiche, die sogenannten burle und beffe, welche einen Hauptinhalt mehrerer Novellensammlungen ausmachen.

Die „hundert alten Novellen“, welche noch zu Ende des XIII. Jahrhunderts entstanden sein müssen, haben noch nicht den Witz, den Sohn des Kontrastes, und noch nicht die Burla zum Inhalt; ihr Zweck ist nur, weise Reden und sinnvolle Geschichten und Fabeln in einfach schönem Ausdruck wiederzugeben. Wenn aber irgendetwas das hohe Alter der Sammlung beweist, so ist es dieser Mangel an Hohn. Denn gleich mit dem XIV. Jahrhundert folgt Dante, der im Ausdruck der Verachtung alle Dichter der Welt weit hinter sich lässt und z. B. schon allein wegen jenes großen höllischen Genrebildes von den Betrügern der höchste Meister kolossaler Komik heißen muss. Mit Petrarca beginnen schon die Witzsammlungen nach dem Vorbilde des Plutarch (Apophthegmata usw.). Was dann während des genannten Jahrhunderts sich in Florenz von Hohn aufsammelte, davon gibt Franco Sacchetti in seinen Novellen die bezeichnendste Auswahl. Es sind meist keine eigentlichen Geschichten, sondern Antworten, die unter gewissen Umständen gegeben werden, horrible Naivitäten, womit sich Halbnarren, Hofnarren, Schälke, liederliche Weiber ausreden; das Komische liegt dann in dem schreienden Gegensatz dieser wahren oder scheinbaren Naivität zu den sonstigen Verhältnissen der Welt und zur gewöhnlichen Moralität; die Dinge stehen auf dem Kopf. Alle Mittel der Darstellung werden zu Hilfe genommen, auch z. B. schon die Nachahmung bestimmter oberitalienischer Dialekte. Oft tritt an die Stelle des Witzes die bare freche Insolenz, der plumpe Betrug, die Blasphemie und die Unfläterei; ein paar Kondottierenspäße gehören zum Rohesten und Bösesten, was aufgezeichnet ist. Manche Burla ist hochkomisch, manche aber auch ein bloß vermeintlicher Beweis der persönlichen Überlegenheit, des Triumphes über einen andern. Wie viel man einander zugute hielt, wie oft das Schlachtopfer durch einen Gegenstreich die Lacher wieder auf seine Seite zu bringen sich begnügte, wissen wir nicht; es war doch viele herzlose und geistlose Bosheit dabei, und das florentinische Leben mag hierdurch oft recht unbequem geworden sein. Bereits ist der Spaßerfinder und Spaßerzähler eine unvermeidliche Figur geworden, und es muss darunter klassische gegeben haben, weit überlegen allen bloßen Hofnarren, welchen die Konkurrenz, das wechselnde Publikum und das rasche Verständnis der Zuhörer (lauter Vorzüge des Aufenthaltes in Florenz) abgingen. Deshalb reisten auch einzelne Florentiner auf Gastrollen nach den Tyrannenhöfen der Lombardei und Romagna herum und fanden ihre Rechnung dabei, während sie in der Vaterstadt, wo der Witz auf allen Gassen lief, nicht viel gewannen. Der bessere Typus dieser Leute ist der des amüsanten Menschen (l’uomo piacevole), der geringere ist der des Buffone und des gemeinen Schmarotzers, der sich an Hochzeiten und Gastmählern einfindet mit dem Raisonnement: „wenn ich nicht eingeladen worden bin, so ist das nicht meine Schuld.“ Da und dort helfen diese einen jungen Verschwender aussaugen, im Ganzen aber werden sie als Parasiten behandelt und verhöhnt, während höher stehende Witzbolde sich fürstengleich dünken und ihren Witz für etwas wahrhaft Souveränes halten. Dolcibene, welchen Kaiser Karl IV. zum „König der italienischen Spaßmacher“ erklärt hatte, sagte in Ferrara zu ihm: „Ihr werdet die Welt besiegen, da Ihr mein und des Papstes Freund seid; Ihr kämpft mit dem Schwert, der Papst mit dem Bullensiegel, ich mit der Zunge!“ Dies ist kein bloßer Scherz, sondern eine Vorahnung Pietro Aretinos.


Die beiden berühmtesten Spaßmacher um die Mitte des XV. Jahrhunderts waren ein Pfarrer in der Nähe von Florenz, Arlotto, für den feineren Witz (faoezie), und der Hofnarr von Ferrara, Gonnella, für die Buffonerien. Es ist bedenklich, ihre Geschichten mit denjenigen des Pfaffen von Kaienberg und des Till Eulenspiegel zu vergleichen; letztere sind eben auf ganz andere, halbmythische Weise entstanden, so dass ein ganzes Volk daran mitgedichtet hat, und dass sie mehr auf das Allgemeingültige, Allverständliche hinauslaufen, während Arlotto und Gonnella historisch und lokal bekannte und bedingte Persönlichkeiten waren. Will man aber einmal die Vergleichung zulassen und sie auf die „Schwanke“ der außeritalienischen Völker überhaupt ausdehnen, so wird es sich im ganzen finden, dass der „Schwank“, in den französischen Fabliaux wie bei den Deutschen, in erster Linie auf einen Vorteil oder Genuss berechnet ist, während der Witz des Arlotto, die Possen des Gonnella sich gleichsam Selbstzweck, nämlich um des Triumphes, um der Satisfaktion willen vorhanden sind. (Till Eulenspiegel erscheint dann wieder als eine eigentümliche Nuance, nämlich als der personifizierte, meist ziemlich geistlose Schabernack gegen besondere Stände und Gewerbe.) Der Hofnarr des Hauses Este hat sich mehr als einmal durch bitteren Hohn und ausgesuchte Rache schadlos gehalten.

Die Spezies des uomo piacevole und des Buffone haben die Freiheit von Florenz lange überdauert. Unter Herzog Cosimo blühte der Barlacchia, zu Anfang des XVII. Jahrhunderts Francesco Ruspoli und Curzio Marignolli. Ganz merkwürdig zeigt sich in Papst Leo X. die echt florentinische Vorliebe für Spaßmacher. Der auf die feinsten geistigen Genüsse gerichtete und darin unersättliche Fürst erträgt und verlangt doch an seiner Tafel ein paar witzige Possenreißer und Fresskünstler, darunter zwei Mönche und einen Krüppel; bei festlichen Zeiten behandelte er sie mit gesucht antikem Hohn als Parasiten, indem ihnen Affen und Raben unter dem Anschein köstlicher Braten aufgestellt wurden. Überhaupt behielt sich Leo die Burle für eigenen Gebrauch vor; namentlich gehörte es zu seiner Art von Geist, die eigenen Lieblingsbeschäftigungen — Dichtung und Musik — bisweilen ironisch zu behandeln, indem er und sein Faktotum Kardinal Bibiena die Karikaturen derselben beförderten. Beide fanden es nicht unter ihrer Würde, einen guten alten Sekretär mit allen Kräften so lange zu bearbeiten, bis er sich für einen großen Musiktheoretiker hielt. Den Improvisator Baraballo von Gaeta hetzte Leo durch beständige Schmeicheleien so weit, dass sich derselbe ernstlich um die kapitolinische Dichterkrönung bewarb; am Tage der mediceischen Hauspatrone S. Cosmas und S. Damian musste er erst, mit Lorbeer und Purpur ausstaffiert, das päpstliche Gastmahl durch Rezitation erheitern und, als alles am Bersten war, im vatikanischen Hof den goldgeschirrten Elefanten besteigen, welchen Emanuel der Große von Portugal nach Rom geschenkt hatte; währenddessen sah der Papst von oben durch sein Lorgnon herunter. Das Tier aber wurde scheu vom Lärm der Pauken und Trompeten und vom Bravorufen und war nicht über die Engelsbrücke zu bringen.

Die Parodie des Feierlichen und Erhabenen, welche uns hier in Gestalt eines Aufzuges entgegentritt, hatte damals bereits eine mächtige Stellung in der Poesie eingenommen. Freilich musste sie sich ein anderes Opfer suchen, als z. B. Aristophanes durfte, da er die großen Tragiker in seiner Komödie auftreten ließ. Aber dieselbe Bildungsreife, welche bei den Griechen zu einer bestimmten Zeit die Parodie hervortrieb, brachte sie auch hier zur Blüte. Schon zu Ende des XIV. Jahrhunderts werden im Sonett petrarchische Liebesklagen und anderes der Art durch Nachahmung ausgehöhnt; ja das Feierliche der vierzehnzeiligen Form an sich wird durch geheimtuenden Unsinn verspottet. Ferner lud die göttliche Komödie auf das stärkste zur Parodierung ein, und Lorenzo magnifico hat im Stil des Inferno die herrlichste Komik zu entwickeln gewusst. (Simposio, oder: i Beoni.) Luigi Pulci ahmt in seinem Morgante deutlich die Improvisatoren nach, und überdies ist seine und Bojardos Poesie, schon insofern sie über dem Gegenstande schwebt, stellenweise eine wenigstens halbbewusste Parodie der mittelalterlichen Ritterdichtung. Der große Parodist Teofilo Folengo (blühte um 1520) greift dann ganz unmittelbar zu. Unter dem Namen Limerno Pitocco dichtet er den Orlandino, wo das Ritterwesen nur noch als lächerliche Rokokoeinfassung um eine Fülle moderner Einfälle und Lebensbilder herum figuriert; unter dem Namen Merlinus Coccajus schildert er die Taten und Fahrten seiner phantastischen Landstreicher, ebenfalls mit starker tendenziöser Zutat, in halblateinischen Hexametern, unter dem komischen Scheinapparat des damaligen gelehrten Epos. (Opus Macaronicorum.) Seitdem ist die Parodie auf dem italischen Parnaß immerfort, und bisweilen wahrhaft glanzvoll, vertreten gewesen.

In der Zeit der mittleren Höhe der Renaissance wird dann auch der Witz theoretisch zergliedert und seine praktische Anwendung in der feineren Gesellschaft genauer festgestellt. Der Theoretiker ist Gioviano Pontano; in seiner Schrift über das Reden, namentlich im vierten Buch, versucht er durch Analyse zahlreicher einzelner Witze oder facetiae zu einem allgemeinen Prinzip durchzudringen. Wie der Witz unter Leuten von Stande zu handhaben sei, lehrt Baidassar Castiglione in seinem Cortigiano. Natürlich handelt es sich wesentlich nur um Erheiterung dritter Personen durch Wiedererzählung von komischen und graziösen Geschichten und Worten; vor direkten Witzen wird eher gewarnt, indem man damit Unglückliche kränke, Verbrechern zu viele Ehre antue und Mächtige und durch Gunst Verwöhnte zur Rache reize, und auch für das Wiedererzählen wird dem Mann von Stande ein weises Maßhalten in der nachahmenden Dramatik, d. h. in den Grimassen, empfohlen. Dann folgt aber, nicht bloß zum Wiedererzählen, sondern als Paradigma für künftige Witzbildner, eine reiche Sammlung von Sach- und Wortwitzen, methodisch nach Gattungen geordnet, darunter viele ganz vortreffliche. Viel strenger und behutsamer lautet etwa zwei Jahrzehnte später die Doktrin des Giovanni della Casa in seiner Anweisung zur guten Lebensart; im Hinblick auf die Folgen will er aus Witzen und Burle die Absicht des Triumphierens völlig verbannt wissen. Er ist der Herold einer Reaktion, welche eintreten musste.

In der Tat war Italien eine Lästerschule geworden wie die Welt seitdem keine zweite mehr aufzuweisen gehabt hat, selbst in dem Frankreich Voltaires nicht. Am Geist des Verneinens fehlte es dem letzteren und seinen Genossen nicht, aber wo hätte man im vorigen Jahrhundert die Fülle von passenden Opfern hernehmen sollen, jene zahllosen hoch und eigenartig entwickelten Menschen, Zelebritäten jeder Gattung, Staatsmänner, Geistliche, Erfinder und Entdecker, Literaten, Dichter und Künstler, die obendrein ihre Eigentümlichkeit ohne Rückhalt walten ließen? Im XV. und XVI. Jahrhundert existierte diese Heerschar, und neben ihr hatte die allgemeine Bildungshöhe ein furchtbares Geschlecht von geistreichen Ohnmächtigen, von geborenen Krittlern und Lästerern großgezogen, deren Neid seine Hekatomben verlangte; dazu kam aber noch der Neid der Berühmten untereinander. Mit letzterem haben notorisch die Philologen angefangen: Filelfo, Poggio, Lorenzo Valla u. a., während zum Beispiel die Künstler des XV. Jahrhunderts noch in fast völlig friedlichem Wettstreit nebeneinander lebten, wovon die Kunstgeschichte Akt nehmen darf.

Der große Ruhmesmarkt Florenz geht hierin, wie gesagt, allen anderen Städten eine Zeitlang voran. „Scharfe Augen und böse Zungen“ ist das Signalement der Florentiner. Ein gelinder Hohn über alles und jedes mochte der vorherrschende Alltagston sein. Macchiavelli, in dem höchst merkwürdigen Prolog seiner Mandragola, leitet mit Recht oder Unrecht von der allgemeinen Medisance das sichtbare Sinken der moralischen Kraft her, droht übrigens seinen Verkleinern damit, dass auch er sich auf Übelreden verstehe. Dann kommt der päpstliche Hof, seit langem ein Stelldichein der allerschlimmsten und dabei geistreichsten Zungen. Schon Poggios Facetiae sind ja aus dem Lügenstübchen (bugiale) der apostolischen Schreiber datiert, und wenn man erwägt, welche große Zahl von enttäuschten Stellen Jägern, von hoffnungsvollen Feinden und Konkurrenten der Begünstigten, von Zeitvertreibern sittenloser Prälaten beisammen war, so kann es nicht auffallen, wenn Rom für das wilde Pasquill wie für die beschaulichere Satire eine wahre Heimat wurde. Rechnet man noch gar hinzu was der allgemeine Widerwille gegen die Priesterherrschaft und was das bekannte Pöbelbedürfnis, den Mächtigen das Grässlichste anzudichten, beifügte, so ergibt sich eine unerhörte Summe von Schmach. Wer konnte, schützte sich dagegen am zweckmäßigsten durch Verachtung, sowohl was die wahren als was die erlogenen Beschuldigungen betraf, und durch glänzenden, fröhlichen Aufwand. Zartere Gemüter aber konnten wohl in eine Art von Verzweiflung fallen, wenn sie tief in Schuld und noch tiefer in üble Nachrede verstrickt waren. Allmählich sagte man jedem das Schlimmste nach und gerade die strengste Tugend weckte die Bosheit am sichersten. Von dem großen Kanzelredner Fra Egidio von Viterbo, den Leo um seiner Verdienste willen zum Kardinal erhob und der sich bei dem Unglück von 1527 auch als tüchtiger populärer Mönch zeigte, gibt Giovio zu verstehen, er habe sich die asketische Blässe durch Qualm von nassem Stroh und dergleichen konserviert. Giovio ist bei solchen Anlässen ein echter Curiale; in der Regel erzählt er sein Histörchen, fügt dann bei, er glaube es nicht, und lässt endlich in einer allgemeineren Bemerkung durchblicken, es möchte doch etwas dran sein. Das wahre Brandopfer des römischen Hohnes aber war der gute Hadrian VI.; es bildete sich ein Übereinkommen, ihn durchaus nur von der burlesken Seite zu nehmen. Mit der furchtbaren Feder eines Francesco Berni verdarb er es gleich von Anfang an, indem er drohte — nicht die Statue des Pasquino, wie man sagte — , sondern die Pasquillanten selber in den Tiber werfen zu lassen. Die Rache dafür war das berühmte Capitolo „gegen Papst Adriano“, diktiert nicht eigentlich vom Hass, sondern von der Verachtung gegen den lächerlichen holländischen Barbaren; die wilde Drohung wird aufgespart für die Kardinäle, die ihn gewählt haben. Berni und andere malen auch die Umgebung des Papstes mit derselben pikanten Lügenhaftigkeit aus, mit welcher das heutige Pariser Feuilleton das So zum Anders und das Nichts zum Etwas verkünstelt. Die Biographie, welche Paolo Giovio im Auftrag des Kardinals von Tortosa verfasste, und welche eigentlich eine Lobschrift vorstellen sollte, ist für jeden, der zwischen den Zeilen lesen kann, ein wahrer Ausbund von Hohn. Es liest sich (zumal für das damalige Italien) sehr komisch, wie Hadrian sich beim Domkapitel von Saragossa um die Kinnlade des S. Lambert bewirbt, wie ihn dann die andächtigen Spanier mit Schmuck und Zeug ausstatten „bis er einem wohlherausgeputzten Papst recht ähnlich sieht“, wie er seinen stürmischen und geschmacklosen Zug von Ostia gen Rom hält, sich über die Versenkung oder Verbrennung des Pasquino berät, die wichtigsten Verhandlungen wegen Meldung des Essens plötzlich unterbricht und zuletzt nach unglücklicher Regierung an allzuvielem Biertrinken verstirbt; worauf das Haus seines Leibarztes von Nachtschwärmern bekränzt und mit der Inschrift Liberatori Patriae S. P. Q. R. geschmückt wird. Freilich, Giovio hatte bei der allgemeinen Renteneinziehung auch seine Rente verloren und nur deshalb zur Entschädigung eine Pfründe erhalten, weil er „kein Poet“, d. h. kein Heide sei. Es stand aber geschrieben, dass Hadrian das letzte große Opfer dieser Art sein sollte. Seit dem Unglück Roms (1527) starb mit der äußersten Ruchlosigkeit des Lebens auch die frevelhafte Rede sichtlich ab.

Während sie aber noch in Blüte stand, hatte sich, hauptsächlich in Rom, der größte Lästerer der neueren Zeit, Pietro Aretino, ausgebildet. Ein Blick auf sein Wesen erspart uns die Beschäftigung mit manchen geringeren seiner Gattung.

Wir kennen ihn hauptsächlich in den letzten drei Jahrzehnten seines Lebens (1527 — 1556), die er in dem für ihn einzig möglichen Asyl Venedig zubrachte. Von hier aus hielt er das ganze berühmte Italien in einer Art von Belagerungszustand; hierher mündeten auch die Geschenke auswärtiger Fürsten, die seine Feder brauchten oder fürchteten. Karl V. und Franz I. pensionierten ihn beide zugleich, weil jeder hoffte, Aretino würde dem andern Verdruss machen; Aretino schmeichelte beiden, schloss sich aber natürlich enger an Karl an, weil dieser in Italien Meister blieb. Nach dem Sieg über Tunis (1535) geht dieser Ton in den der lächerlichsten Vergötterung über, wobei zu erwägen ist, dass Aretino fortwährend sich mit der Hoffnung hinhalten ließ, durch Karls Hilfe Kardinal zu werden. Vermutlich genoss er eine spezielle Protektion als spanischer Agent, indem man durch sein Reden oder Schweigen auf die kleineren italienischen Fürsten und auf die öffentliche Meinung drücken konnte. Das Papstwesen gab er sich die Miene gründlich zu verachten, weil er es aus der Nähe kenne; der wahre Grund war, dass man ihn von Rom aus nicht mehr honorieren konnte und wollte. Venedig, das ihn beherbergte, beschwieg er weislich. Der Rest seines Verhältnisses zu den Großen ist lauter Bettelei und gemeine Erpressung.

Bei Aretino findet sich der erste ganz große Mißbrauch der Publizität zu solchen Zwecken. Die Streitschriften, welche hundert Jahre vorher Poggio und seine Gegner gewechselt hatten, sind in der Absicht und im Ton ebenso infam, allein sie sind nicht auf die Presse, sondern auf eine Art von halber und geheimer Publizität berechnet; Aretino macht sein Geschäft aus der ganzen und unbedingten; er ist in gewissem Betracht einer der Urväter der Journalistik. Periodisch lässt er seine Briefe und andere Artikel zusammendrucken, nachdem sie schon vorher in weiteren Kreisen kursiert haben mochten.

Verglichen mit den scharfen Federn des XVIII. Jahrhunderts hat Aretino den Vorteil, dass er sich nicht mit Prinzipien beladet, weder mit Aufklärung noch mit Philantropie und sonstiger Tugend, noch auch mit Wissenschaft; sein ganzes Gepäck ist das bekannte Motto: „Veritas“ odium parit. Deshalb gab es auch für ihn keine falschen Stellungen, wie z. B. für Voltaire, der seine Pucelle verleugnen und anderes lebenslang verstecken musste; Aretino gab zu allem seinen Namen, und noch später rühmt er sich offen seiner berüchtigten Ragionamenti. Sein literarisches Talent, seine lichte und pikante Prosa, seine reiche Beobachtung der Menschen und Dinge würden ihn unter allen Umständen beachtenswert machen, wenn auch die Konzeption eines eigentlichen Kunstwerkes z. B. die echte dramatische Anlage einer Komödie ihm völlig versagt blieb; dazu kommt dann noch außer der gröbsten und feinsten Bosheit eine glänzende Gabe des grotesken Witzes, womit er im einzelnen Fall dem Rabelais nicht nachsteht.

Unter solchen Umständen, mit solchen Absichten und Mitteln geht er auf seine Beute los oder einstweilen um sie herum. Die Art, wie er Clemens VII. auffordert, nicht zu klagen, sondern zu verzeihen, während das Jammergeschrei des verwüsteten Rom zur Engelsburg, dem Kerker des Papstes, empordringt, ist lauter Hohn eines Teufels oder Affen. Bisweilen, wenn er die Hoffnung auf Geschenke völlig aufgeben muss, bricht seine Wut in ein wildes Geheul aus, wie z. B. in dem Capitolo an den Fürsten von Salerno. Dieser hatte ihn eine Zeitlang bezahlt und wollte nicht weiter zahlen; dagegen scheint es, dass der schreckliche Pierluigi Farnese, Herzog von Parma, niemals Notiz von ihm nahm. Da dieser Herr auf gute Nachrede wohl überhaupt verzichtet hatte, so war es nicht mehr leicht, ihm wehe zu tun; Aretino versucht es, indem er sein äußeres Ansehen als das eines Sbirren, Müllers und Bäckers bezeichnet. Possierlich ist Aretino am ehesten im Ausdruck der reinen, wehmütigen Bettelei, wie z. B. im Capitolo an Franz I., dagegen wird man die aus Drohung und Schmeichelei gemischten Briefe und Gedichte trotz aller Komik nie ohne tiefen Widerwillen lesen können. Ein Brief wie der an Michelangelo vom November 1545 existiert vielleicht nicht ein zweitesmal; zwischen alle Bewunderung (wegen des Weltgerichtes) hinein droht er ihm wegen Irreligiosität, Indezenz und Diebstahl (an den Erben Julius II.) und fügt in einem begütigenden Postskript bei: „Ich habe Euch nur zeigen wollen, dass, wenn Ihr ,divino’ (di-vino) seid, ich auch nicht d’aqua bin.“ Aretino hielt nämlich darauf — man weiß kaum, ob aus wahnsinnigem Dünkel oder aus Lust an der Parodie alles Berühmten — dass man ihn ebenfalls göttlich nenne, und so weit brachte er es in der persönlichen Berühmtheit allerdings, dass in Arezzo sein Geburtshaus als Sehenswürdigkeit der Stadt galt. Anderseits freilich gab es ganze Monate, da er sich in Venedig nicht über die Schwelle wagte, um nicht irgend einem erzürnten Florentiner wie z. B. dem jüngeren Strozzi in die Hände zu laufen; es fehlte nicht an Dolchstichen und entsetzlichen Prügeln, wenn sie auch nicht den Erfolg hatten, welchen ihm Berni in einem famosen Sonett weissagte; er ist in seinem Hause am Schlagfluss gestorben.

In der Schmeichelei macht er beachtenswerte Unterschiede; für Nichtitaliener trägt er sie plump und dick auf, für Leute wie den Herzog Cosimo von Florenz weiß er sich anders zu geben. Er lobt die Schönheit des damals noch jungen Fürsten, der in der Tat auch diese Eigenschaft mit Augustus in hohem Grade gemein hatte; er lobt seinen sittlichen Wandel mit einem Seitenblick auf die Geldgeschäfte von Cosimo s Mutter Maria Salviati, und schließt mit einer wimmernden Bettelei wegen der teueren Zeiten usw. Wenn ihn aber Cosimo pensionierte, und zwar im Verhältnis zu seiner sonstigen Sparsamkeit ziemlich hoch (in der letzten Zeit mit 160 Dukaten jährlich), so war wohl eine bestimmte Rücksicht auf seine Gefährlichkeit als spanischer Agent mit im Spiel. Aretino durfte in einem Atemzug über Cosimo bitter spotten und schmähen und doch dabei dem florentinischen Geschäftsträger drohen, dass er beim Herzog seine baldige Abberufung erwirken werde. Und wenn der Medici sich auch am Ende von Karl V. durchschaut wusste, so mochte er doch nicht wünschen, dass am kaiserlichen Hofe aretinische Witze und Spottverse über ihn in Kurs kommen möchten. Eine ganz hübsch bedingte Schmeichelei ist auch diejenige an den berüchtigten Marchese von Marignano, der als „Kastellan von Musso“ einen eigenen Staat zu gründen versucht hatte. Zum Dank für übersandte hundert Scudi schreibt Aretin: „Alle Eigenschaften, die ein Fürst haben muss, sind in Euch vorhanden und jedermann würde dies einsehen, wenn nicht die bei allen Anfängen unvermeidliche Gewaltsamkeit Euch noch als etwas rauh (aspro) erscheinen ließe.“

Man hat häufig als etwas besonderes hervorgehoben, dass Aretino nur die Welt, nicht auch Gott gelästert habe. Was er geglaubt hat, ist bei seinem sonstigen Treiben völlig gleichgültig, ebenso sind es die Erbauungsschriften, welche er nur aus äußeren Rücksichten verfasste. Sonst aber wüsste ich wahrlich nicht, wie er hätte auf die Gotteslästerung verfallen sollen. Er war weder Dozent noch theoretischer Denker und Schriftsteller; auch konnte er von Gott keine Geldsummen durch Drohungen und Schmeicheleien erpressen, fand sich also auch nicht durch Versagung zur Lästerung gereizt. Mit unnützer Mühe aber gibt sich ein solcher Mensch nicht ab.

Es ist ein gutes Zeichen des heutigen italienischen Geistes, dass ein solcher Charakter und eine solche Wirkungsweise tausendmal unmöglich geworden sind. Aber von Seite der historischen Betrachtung aus wird dem Aretino immer eine wichtige Stellung bleiben.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kultur und Kunst der Renaissance in Italien. 2. Buch