Tyrannis des XIV. Jahrhunderts: Finanzielle Grundlage und Verhältnis zur Bildung — Das Ideal des absoluten Herrschers — Innere und äußere Gefahren — Urteil der Florentiner über die Tyrannen — Die Visconti bis auf den vorletzten

Die größeren und kleineren Gewaltherrschaften des XIV. Jahrhunderts verraten es häufig genug, dass Eindrücke dieser Art nicht verloren waren. Ihre Missetaten schrien laut, und die Geschichte hat sie umständlich verzeichnet; aber als ganz auf sich selbst gestellte und danach organisierte Staaten haben sie immerhin ein höheres Interesse.

Die bewusste Berechnung aller Mittel, wovon kein damaliger außeritalischer Fürst eine Idee hatte, verbunden mit einer innerhalb der Staatsgrenzen fast absoluten Machtvollkommenheit, brachte hier ganz besondere Menschen und Lebensformen hervor. Das Hauptgeheimnis der Herrschaft lag für die weiseren Tyrannen darin, dass sie die Steuern möglichst so ließen, wie sie dieselben angetroffen oder am Anfang eingerichtet hatten: eine Grundsteuer, basiert auf einem Kataster, bestimmte Konsumsteuern und Zölle auf Ein- und Ausfuhr, wozu noch die Einnahmen von dem Privatvermögen des herrschenden Hauses kamen; die einzige mögliche Steigerung hing ab von der Zunahme des allgemeinen Wohlstandes und Verkehres. Von Anleihen, wie sie in den Städten vorkamen, war hier nicht die Rede, eher erlaubte man sich hier und da einen wohlberechneten Gewaltstreich, vorausgesetzt, dass er den ganzen Zustand unerschüttert ließ, wie z. B. die echt sultanische Absetzung und Ausplünderung des obersten Finanzbeamten.


Mit diesen Einkünften suchte man auszureichen, um den kleinen Hof, die Leibwache, die geworbene Mannschaft, die Bauten — und die Spaßmacher sowohl als die Leute von Talent zu bezahlen, die zur persönlichen Umgebung des Fürsten gehörten. Die Illegitimität, von dauernden Gefahren umschwebt, vereinsamt den Herrscher; das ehrenvollste Bündnis, welches er nur irgend schließen kann, ist das mit der höheren geistigen Begabung, ohne Rücksicht auf die Herkunft. Die Liberalität (Miltekeit) der nordischen Fürsten des XIII. Jahrhunderts hatte sich auf die Ritter, auf das dienende und singende Adelsvolk beschränkt. Anders der monumental gesinnte, ruhmbegierige italienische Tyrann, der Talent als solches braucht. Mit dem Dichter oder Gelehrten zusammen fühlt er sich auf neuem Boden, ja fast im Besitz einer neuen Legitimität.

Weltbekannt ist in dieser Beziehung der Gewaltherrscher von Verona, Can Grande della Scala, welcher in den ausgezeichneten Verbannten an seinem Hofe ein ganzes Italien beisammen unterhielt. Die Schriftsteller waren dankbar; Petrarca, dessen Besuche an diesen Höfen so strenge Tadler gefunden haben, schilderte das ideale Bild eines Fürsten des XIV. Jahrhunderts. Er verlangt von seinem Adressaten — dem Herrn von Padua — vieles und großes, aber auf eine Weise, als traute er es ihm zu. „Du musst nicht Herr deiner Bürger, sondern Vater des Vaterlandes sein und jene wie deine Kinder lieben, ja wie Glieder deines Leibes. Waffen, Trabanten und Söldner magst du gegen die Feinde wenden — gegen deine Bürger kommst du mit dem bloßen Wohlwollen aus; freilich meine ich nur die Bürger, welche das Bestehende lieben; denn wer täglich auf Veränderungen sinnt, der ist ein Rebell und Staatsfeind, und gegen solche mag strenge Gerechtigkeit walten.“ Im einzelnen folgt nun die echt moderne Fiktion der Staatsallmacht; der Fürst soll für alles sorgen: Kirchen und öffentliche Gebäude herstellen und unterhalten, die Gassenpolizei aufrecht halten, Sümpfe austrocknen, über Wein und Getreide wachen; die Steuern gerecht verteilen, Hilflose und Kranke unterstützen und ausgezeichneten Gelehrten seinen Schutz und Umgang widmen, indem dieselben für seinen Nachruhm sorgen würden. Aber welches auch die allgemeinen Lichtseiten und die Verdienste einzelner gewesen sein mögen, so erkannte oder ahnte doch schon das XIV. Jahrhundert die geringe Dauer, die Garantielosigkeit der meisten dieser Tyrannien. Da aus inneren Gründen politische Verfassungen wie diese genau um so viel haltbarer sind, als das Gebiet größer ist, so waren die mächtigeren Gewaltherrschaften stets geneigt, die kleineren zu verschlingen. Welche Hekatombe kleiner Herrscher ist nur allein den Visconti in dieser Zeit geopfert worden! Dieser äußeren Gefahr aber entsprach gewiss fast jedesmal eine innere Gärung, und die Rückwirkung dieser Lage auf das Gemüt des Herrschers musste in den meisten Fällen überaus verderblich sein. Die falsche Allmacht, die Aufforderung zum Genuss und zu jeder Art von Selbstzucht von der einen, die Feinde und Verschwörer von der anderen Seite machten ihn fast unvermeidlich zum Tyrannen im Übeln Sinne. Wäre nur wenigstens den eigenen nächsten Blutsverwandten zu trauen gewesen! Allein, wo alles illegitim war, da konnte sich auch kein festes Erbrecht, weder für die Sukzession in der Herrschaft noch für die Teilung der Güter bilden, und vollends in drohenden Augenblicken schob den unmündigen oder untüchtigen Fürstensohn ein entschlossener Vetter oder Oheim beiseite, im Interesse des Hauses selbst. Auch über Ausschluss oder Anerkennung der Bastarde war beständiger Streit. So kam es, daß eine ganze Anzahl dieser Familien mit unzufriedenen, rachsüchtigen Verwandten heimgesucht waren, ein Verhältnis, das nicht eben selten in offenen Verrat und in wilden Familienmord ausbrach. Andere, als Flüchtlinge auswärts lebend, fassen sich in Geduld und behandeln auch diese Sachlage objektiv, wie z. B. jener Visconti, der am Gardasee Fischnetze auswarf. Der Bote seines Gegners fragte ihn ganz direkt: wann er wieder nach Mailand zurückzukehren gedenke? und erhielt die Antwort: „Nicht eher, als bis die Schandtaten jenes über meine Verbrechen das Übergewicht erlangt haben werden“. Bisweilen opfern auch die Verwandten den regierenden Herrn der allzu sehr beleidigten öffentlichen Moral, um dadurch das Gesamthaus zu retten. Hie und da ruht die Herrschaft noch so auf der Gesamtfamilie, dass das Haupt an deren Beirat gebunden ist; auch in diesem Falle veranlasste die Teilung des Besitzes und des Einflusses leicht den bittersten Hader.

Bei den damaligen florentinischen Autoren begegnet man einem durchgehenden tiefen Hass gegen dieses ganze Wesen. Schon das pomphafte Aufziehen, das Prachtkostüm, wodurch die Gewaltherrscher vielleicht weniger ihrer Eitelkeit Genüge tun als vielmehr Eindruck auf die Phantasie des Volkes machen wollten, erweckt ihren ganzen Sarkasmus. Wehe, wenn ihnen gar ein Emporkömmling in die Hände fällt, wie der neugebackene Doge Agnello von Pisa (1364), der mit dem goldenen Zepter auszureiten pflegte und sich dann wieder zu Hause am Fenster zeigte „wie man Reliquien zeigt“, auf Teppich und Kissen von Goldstoff gelehnt; kniend musste man ihn bedienen wie einen Papst oder Kaiser. Öfter aber reden diese alten Florentiner in einem erhabenen Ernst. Dante erkennt und benennt vortrefflich das Unadelige, Gemeinverständige der neufürstlichen Hab- und Herrschgier. „Was tönen ihre Posaunen, Schellen, Hörner und Flöten anders als: herbei zu uns; ihr Henker! ihr Raubvögel!“ Man malt sich die Burg des Tyrannen hoch und isoliert, voller Kerker und Lauschröhren als einen Aufenthalt der Bosheit und des Elends. Andere weissagen jedem Unglück, der in Tyrannendienste gehe, und bejammern am Ende den Tyrannen selbst, welcher unvermeidlich der Feind aller Guten und Tüchtigen sei, sich auf niemanden verlassen dürfe und den Untertanen die Erwartung seines Sturzes auf dem Gesicht lesen könne. „So wie die Tyrannien entstehen, wachsen und sich befestigen, so wächst auch in ihrem Inneren verborgen der Stoff mit, welcher ihnen Verwirrung und Untergang bringen muss.“ Der tiefste Gegensatz wird nicht deutlich hervorgehoben: Florenz war damals mit der reichsten Entwicklung der Individualitäten beschäftigt, während die Gewaltherrscher keine andere Individualität gelten und gewähren ließen als die ihrige und die ihrer nächsten Diener. War doch die Kontrolle des einzelnen Menschen bis aufs Passwesen herab schon völlig durchgeführt.

Das Unheimliche und Gottverlassene dieser Existenz bekam in den Gedanken der Zeitgenossen noch eine besondere Farbe durch den notorischen Sternglauben und Unglauben mancher Herrscher. Als der letzte Carrara in seinem pestverödeten Padua (1405) die Mauern und Tore nicht mehr besetzen konnte, während die Venezianer die Stadt umzingelten, hörten ihn seine Leibwachen oft des Nachts den Teufel rufen: er möge ihn töten!

Die vollständigste und belehrendste Ausbildung dieser Tyrannis des XIV. Jahrhunderts findet sich wohl unstreitig bei den Visconti in Mailand, von dem Tode des Erzbischofs Giovanni (1354) an. Gleich meldet sich in Bernabò ganz unverkennbar eine Familienähnlichkeit mit den schrecklichsten römischen Imperatoren. Der wichtigste Staatszweck ist die Eberjagd des Fürsten; wer ihm darein greift, wird martervoll hingerichtet; das zitternde Volk muss ihm 5.000 Jagdhunde füttern, unter der schärfsten Verantwortlichkeit für deren Wohlbefinden. Die Steuern werden mit allen denkbaren Zwangsmitteln emporgetrieben, sieben Töchter, jede mit 100.000 Goldgulden ausgestattet und ein enormer Schatz gesammelt. Beim Tode seiner Gemahlin (1384) erschien eine Notifikation „an die Untertanen“, sie sollten, wie sonst die Freude, so jetzt das Leid mit ihm teilen und ein Jahr lang Trauer tragen. — Unvergleichlich bezeichnend ist dann der Handstreich, womit ihn sein Neffe Giangaleazzo (1385) in seine Gewalt bekam, eines jener gelungenen Komplotte, bei deren Schilderung noch späten Geschichtsschreibern das Herz schlägt. Bei Giangaleazzo tritt der echte Tyrannensinn für das Kolossale gewaltig hervor. Er hat mit Aufwand von 300.000 Goldgulden riesige Dammbauten unternommen, um den Mincio von Mantua, die Brenta von Padua nach Belieben ableiten und diese Städte wehrlos machen zu können; ja es wäre nicht undenkbar, dass er auf eine Trockenlegung der Lagunen von Venedig gesonnen hätte. Er gründete „das wunderbarste aller Klöster“, die Certosa von Pavia, und den Dom von Mailand, „der an Größe und Pracht alle Kirchen der Christenheit übertrifft“; ja vielleicht ist auch der Palast in Pavia, den schon sein Vater Galeazzo begonnen und den er vollendete, weitaus die herrlichste Fürstenresidenz des damaligen Europa gewesen. Dorthin verlegte er auch seine berühmte Bibliothek und die große Sammlung von Reliquien der Heiligen, welchen er eine besondere Art von Glauben widmete. Bei einem Fürsten von dieser Sinnesart wäre es befremdlich, wenn er nicht auch auf politischem Gebiet nach den höchsten Kronen gegriffen hätte. König Wenzel machte ihn (1395) zum Herzog, er aber hatte nichts Geringeres, als das Königtum von Italien oder die Kaiserkrone im Sinne, als er (1402) erkrankte und starb. Seine sämtlichen Staaten sollen ihm einst in einem Jahre außer der regelmäßigen Steuer von 1.200.000 Goldgulden noch weitere 800.000 an außerordentlichen Subsidien bezahlt haben. Nach seinem Tode ging das Reich, das er durch jede Art von Gewalttaten zusammengebracht, in Stücken, und vorderhand konnten kaum die älteren Bestandteile desselben behauptet werden. Was aus seinen Söhnen Giovan Maria († 1412) und Filippo Maria († 1447) geworden wäre, wenn sie in einem anderen Lande und ohne von ihrem Hause zu wissen, gelebt hätten, wer weiß es? Doch als Erben dieses Geschlechts erbten sie auch das ungeheuere Kapital von Grausamkeit und Feigheit, das sich hier von Generation zu Generation aufgesammelt hatte.

Giovan Maria ist wiederum durch seine Hunde berühmt, aber nicht mehr durch Jagdhunde, sondern durch Tiere, die zum Zerreißen von Menschen abgerichtet waren und deren Eigennamen uns überliefert sind wie die der Bären Kaiser Valentinians I. Als im Mai 1409 während des noch dauernden Krieges das verhungerte Volk ihm auf der Straße zurief: Pace! Pace!, ließ er seine Söldner einhauen, die 200 Menschen töteten; darauf war bei Galgenstrafe verboten, die Worte Pace und Guerra auszusprechen, und selbst die Priester angewiesen, statt dona nobis pacem zu sagen tranquillitatem ! Endlich benützten einige Verschworene den Augenblick, da der Großkondottiere des wahnsinnigen Herzogs, Facino Cane, todkrank zu Pavia lag, und machten den Giovan Maria bei der Kirche S. Gottardo in Mailand nieder; der sterbende Facino aber ließ am selbigen Tage seine Offiziere schwören, dem Erben Filippo Maria zu helfen,, und schlug selber noch vor, seine Gemahlin möge sich nach dem Tode mit diesem vermählen, wie denn auch, baldigst geschah; es war Beatrice di Tenda. Von Filippo Maria wird noch weiter zu reden sein.

Und in solchen Zeiten getraute sich Cola Rienzi, auf den hinfälligen Enthusiasmus der verkommenen Stadtbevölkerung von Rom eine neue Herrschaft über Italien zu bauen. Neben Herrschern wie jene ist er von Anfang an ein armer verlorener Tor.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kultur und Kunst der Renaissance in Italien. 1. Buch