Einleitung: Politischer Zustand Italiens im XIII. Jahrhundert — Der Staat Friedrichs II. — Die Herrschaft Ezzelinos da Romano

Im wahren Sinne des Wortes führt diese Schrift den Titel eines bloßen Versuches, und der Verfasser ist sich deutlich genug bewusst, dass er mit sehr mäßigen Mitteln und Kräften sich einer überaus großen Aufgabe unterzogen hat. Aber auch wenn er mit stärkerer Zuversicht auf seine Forschung hinblicken könnte, so wäre ihm der Beifall der Kenner kaum sicherer. Die geistigen Umrisse einer Kulturepoche geben vielleicht für jedes Auge ein verschiedenes Bild, und wenn es sich vollends um eine Zivilisation handelt, welche als nächstes Muster der unsrigen noch jetzt fortwirkt, so muss sich das subjektive Urteilen und Empfinden jeden Augenblick beim Darsteller und beim Leser einmischen. Auf dem weiten Meere, auf welches wir uns hinauswagen, sind der möglichen Wege und Richtungen viele, und leicht könnten dieselben Studien, welche für diese Arbeit gemacht wurden, unter den Händen eines anderen nicht nur eine ganz andere Benutzung und Behandlung erfahren, sondern auch zu wesentlich verschiedenen Schlüssen Anlass geben. Der Gegenstand an sich wäre wichtig genug, um auch viele Bearbeitungen wünschbar zu machen, Forscher der verschiedensten Standpunkte zum Reden aufzufordern. Einstweilen sind wir zufrieden, wenn uns ein geduldiges Gehör gewährt und dieses Buch als ein Ganzes aufgefasst wird. Es ist die wesentlichste Schwierigkeit der Kulturgeschichte, dass sie ein großes geistiges Kontinuum in einzelne scheinbar oft willkürliche Kategorien zerlegen muss, um es nur irgendwie zur Darstellung zu bringen. — Der größten Lücke des Buches gedachten wir einst durch ein besonderes Werk über „Die Kunst der Renaissance“ abzuhelfen; ein Vorsatz, welcher nur geringerenteils hat ausgeführt werden können.

Der Kampf zwischen den Päpsten und den Hohenstaufen hinterließ zuletzt Italien in einem politischen Zustande, welcher von dem des übrigen Abendlandes in den wesentlichsten Dingen abwich. Wenn in Frankreich, Spanien, England das Lehnssystem so geartet war, dass es nach Ablauf seiner Lebenszeit dem monarchistischen Einheitsstaat in die Arme fallen musste, wenn es in Deutschland wenigstens die Einheit des Reiches äußerlich festhalten half, so hatte Italien sich ihm fast völlig entzogen. Die Kaiser des XIV. Jahrhunderts wurden im günstigsten Falle nicht mehr als Oberlehnsherren, sondern als mögliche Häupter und Verstärkungen schon vorhandener Mächte empfangen und geachtet; das Papsttum aber mit seinen Kreaturen und Stützpunkten war gerade stark genug, jede künftige Einheit zu verhindern, ohne doch selbst eine schaffen zu können. Zwischen den beiden war eine Menge politischer Gestaltungen — Städte und Gewaltherrscher — teils schon vorhanden, teils neu emporgekommen, deren Dasein rein tatsächlicher Art war. In ihnen erscheint der moderne europäische Staatsgeist zum erstenmal frei seinen eigenen Antrieben hingegeben; sie zeigen oft genug die fessellose Selbstsucht in ihren furchtbarsten Zügen, jedes Recht verhöhnend, jede gesunde Bildung im Keim erstickend; aber wo diese Richtung überwunden oder irgendwie aufgewogen wird, da tritt ein neues Lebendiges in die Geschichte: der Staat als berechnete, bewusste Schöpfung, als Kunstwerk. In den Stadtrepubliken, wie in den Tyrannenstaaten prägt sich dies Leben hundertfältig aus und bestimmt ihre innere Gestalt sowohl als ihre Politik nach außen. Wir begnügen uns mit der Betrachtung des vollständigeren, deutlicher ausgesprochenen Typus desselben in den Tyrannenstaaten.


Der innere Zustand der von Gewaltherrschern regierten Territorien hatte ein berühmtes Vorbild an dem Normannenreiche von Unteritalien und Sizilien, wie Kaiser Friedrich II. es umgestaltet hatte. Aufgewachsen unter Verrat und Gefahr in der Nähe von Sarazenen, hatte er sich frühe gewöhnt an eine völlig objektive Beurteilung und Behandlung der Dinge, der erste moderne Mensch auf dem Thron. Dazu kam eine nahe, vertraute Kenntnis von dem Innern der sarazenischen Staaten und ihrer Verwaltung, und jener Existenzkrieg mit den Päpsten, welcher beide Parteien nötigte, alle denkbaren Kräfte und Mittel auf den Kampfplatz zu führen. Friedrichs Verordnungen (besonders seit 1231) laufen auf die völlige Vernichtung des Lehnsstaates, auf die Verwandlung des Volkes in eine willenlose, unbewaffnete, im höchsten Grade steuerfähige Masse hinaus. Er zentralisierte die ganze richterliche Gewalt und die Verwaltung in einer bisher für das Abendland unerhörten Weise ; kein Amt mehr durfte durch Volkswahl besetzt werden, bei Strafe der Verwüstung des betreffenden Ortes und Degradation der Bürger zu Hörigen. Die Steuern, beruhend auf einem umfassenden Kataster und auf mohammedanischer Routine, wurden beigetrieben mit jener quälerischen und grausamen Art, ohne welche man dem Orientalen freilich kein Geld aus den Händen bringt. Hier ist kein Volk mehr, sondern ein kontrollierbarer Haufe von Untertanen, die zum Beispiel ohne besondere Erlaubnis nicht auswärts heiraten und unbedingt nicht auswärts studieren durften; — die Universität Neapel übte den frühesten bekannten Studienzwang, während der Orient seine Leute wenigstens in diesen Dingen frei ließ. Echt mohammedanisch dagegen war es wiederum, dass Friedrich nach dem ganzen Mittelmeer eigenen Handel trieb, viele Gegenstände sich vorbehielt und den Handel der Untertanen hemmte. Die fatimidischen Kalifen mit ihrer Geheimlehre des Unglaubens waren (wenigstens anfangs) tolerant gewesen gegen die Religionen ihrer Untertanen; Friedrich dagegen krönt sein Regierungssystem durch eine Ketzerinquisition, die nur umso schuldvoller erscheint, wenn man annimmt, er habe in den Ketzern die Vertreter freisinnigen städtischen Lebens verfolgt. Als Polizeimannschaft im Inneren und als Kern der Armee nach außen dienten ihm endlich jene aus Sizilien und Luoeria und nach Nocera übersiedelten Sarazenen, welche gegen allen Jammer taub und gegen den kirchlichen Bann gleichgültig waren. Die Untertanen, der Waffen entwöhnt, ließen später den Sturz Manfreds und die Besitznahme des Anjou leicht und willenlos über sich ergehen; letzterer aber erbte diesen Regierungsmechanismus und benützte ihn weiter.

Neben dem zentralisierenden Kaiser tritt ein Usurpator der eigentümlichsten Art auf: sein Vikarius und Schwiegensohn Ezzelino da Romano. Er präsentiert kein Regierungs- und Verwaltungssystem, da seine Tätigkeit in lauter Kämpfen um die Herrschaft im östlichen Oberitalien aufging; allein er ist als politisches Vorbild für die Folgezeit nicht minder wichtig als sein kaiserlicher Beschützer. Alle bisherige Eroberung und Usurpation des Mittelalters war entweder auf wirkliche oder vorgegebene Erbschaft und andere Rechte hin oder gegen die Ungläubigen oder Exkommunizierten vollbracht worden. Hier zum erstenmal wird die Gründung eines Thrones versucht durch Massenmord und endlose Scheußlichkeiten, das heißt durch Aufwand aller Mittel mit alleiniger Rücksicht auf den Zweck. Keiner der Spätem hat den Ezzelino an Kolossalität des Verbrechens irgendwie erreicht, auch Cesare Borgia nicht; aber das Beispiel war gegeben, und Ezzelinos Sturz war für die Völker keine Herstellung der Gerechtigkeit und für künftige Frevler keine Warnung.

Umsonst stellte in einer solchen Zeit S. Thomas von Aquino, der geborene Untertan Friedrichs, die Theorie einer konstitutionellen Herrschaft auf, wo der Fürst durch ein von ihm ernanntes Oberhaus und eine vom Volk gewählte Repräsentation unterstützt gedacht wird. Dergleichen verhallte in den Hörsälen, und Friedrich und Ezzelino waren und blieben für Italien die größten politischen Erscheinungen des XIII. Jahrhunderts. Ihr Bild, schon halb fabelhaft widergespiegelt, ist der wichtigste Inhalt der „hundert alten Novellen“, deren ursprüngliche Redaktion gewiss noch in dies Jahrhundert fällt. Ezzelino wird: hier bereits mit einer scheuen Ehrfurcht geschildert, welche der Niederschlag jedes ganz großen Eindruckes ist. Eine ganze Literatur, von der Chronik der Augenzeugen bis zur halbmythologischen Tragödie, schloss sich an seine Person an.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kultur und Kunst der Renaissance in Italien. 1. Buch