Die Gegner der Tyrannis: Die späteren Guelfen und Ghibellinen — Die Verschwörer — Die Ermordungen beim Kirchgang — Einwirkung des antiken Tyrannenmordes — Die Katilinarier — Florentinische Ansicht vom Tyrannenmord — Das Volk, im Verhältnis zu den Verschwörern

Gegenüber von dieser konzentrierten Fürstenmacht war jeder Widerstand innerhalb des Staates erfolglos. Die Elemente zur Herstellung einer städtischen Republik waren für immer aufgezehrt, alles auf Macht und Gewaltübung orientiert. Der Adel, politisch rechtlos, auch wo er noch feudalen Besitz hatte, mochte sich und seine Bravi als Guelfen und Ghibellinen einteilen und kostümieren, sie die Feder am Barett oder die Bauschen an den Hosen so oder anders tragen lassen — die Denkenden, wie z. B. Machiavelli, wussten ein für allemal, dass Mailand oder Neapel für eine Republik zu „korrumpiert“ waren. Es kommen wunderbare Gerichte über jene vorgeblichen zwei Parteien, die längst nichts mehr als alte, im Schatten der Gewalt am Spalier gezogene Familiengehässigkeiten waren. Ein italienischer Fürst, welchem Agrippa von Nettesheim die Aufhebung derselben anriet, antwortete: Ihre Händel tragen mir ja bis 12.000 Dukaten Bußgelder jährlich ein! — Und als z. B. im Jahre 1500 während der kurzen Rückkehr des Moro in seine Staaten die Guelfen von Tortona einen Teil des nahen französischen Heeres in die Stadt riefen, damit sie den Ghibellinen den Garaus machten, plünderten und ruinierten die Franzosen zunächst allerdings diese, dann aber auch die Guelfen selbst, bis Tortona völlig verwüstet war. — Auch in der Romagna, wo jede Leidenschaft und jede Rache unsterblich waren, hatten jene beiden Namen den politischen Inhalt vollkommen eingebüßt. Es gehörte mit zum politischen Irrsinn des armen Volkes, dass die Guelfen hier und da sich zur Sympathie für Frankreich, die Ghibellinen für Spanien verpflichtet glaubten. Ich sehe nicht, dass die, welche diesen Irrsinn ausbeuteten, besonders weit damit gekommen wären. Frankreich hat Italien nach allen Interventionen immer wieder räumen müssen, und was aus Spanien geworden ist, nachdem es Italien umgebracht hat, das greifen wir mit den Händen.

Doch wir kehren zum Fürstentum der Renaissance zurück. Eine vollkommen reine Seele hätte vielleicht auch damals räsonniert, dass alle Gewalt von Gott sei und dass diese Fürsten, wenn jeder sie gutwillig und aus redlichem Herzen unterstütze, mit der Zeit gut werden und ihren gewaltsamen Ursprung vergessen müßten. Aber von leidenschaftlichen, mit schaffender Glut begabten Phantasien und Gemütern ist dies nicht zu verlangen. Sie sahen wie schlechte Ärzte, die Hebung der Krankheit in der Beseitigung des Symptoms und glaubten, wenn man die Fürsten ermorde, so gebe sich die Freiheit von selber. Oder sie dachten auch nicht so weit und wollten nur dem allgemein verbreiteten Haß Luft machen, oder nur eine Rache für Familienunglück oder persönliche Beleidigungen üben. So wie die Herrschaft eine unbedingte, aller gesetzlichen Schranken entledigte, so ist auch das Mittel der Gegner ein unbedingtes. Schon Boccaccio sagt es offen: „Soll ich den Gewaltherrn König, Fürst heißen und ihm Treue bewahren als meinem Obern? Nein! Denn er ist Feind des gemeinen Wesens. Gegen ihn kann ich Waffen, Verschwörungen, Späher, Hinterhalt, List gebrauchen; das ist ein heiliges, notwendiges Werk. Es gibt kein lieblicheres Opfer als Tyrannenblut.“ Die einzelnen Hergänge dürfen uns hier nicht beschäftigen; Machiavelli hat in einem allbekannten Kapitel seiner Discorsi die antiken und modernen Verschwörungen von der alten griechischen Tyrannenzeit an behandelt und sie nach ihrer verschiedenen Anlage und ihren Chancen ganz kaltblütig beurteilt. Nur zwei Bemerkungen: über die Mordtaten beim Gottesdienst und über die Einwirkung des Altertums mögen hier gestattet sein.


Es war fast unmöglich, der wohlbewachten Gewaltherrscher anderswo habhaft zu werden als bei feierlichen Kirchgängen: vollends aber war eine ganze fürstliche Familie bei keinem andern Anlass beisammenzutreffen. So ermordeten die Fabrianesen (1435) ihr Tyrannenhaus, die Chiavelli, während eines Hochamtes, und zwar laut Abrede bei den Worten des Credo: Et incarnatus est. In Mailand wurde (1412) Herzog Giovan Maria Visconti am Eingang der Kirche S. Gottardo, (1476) Herzog Galeazzo Maria Sforza in der Kirche S. Stefano ermordet, und Lodovico Moro entging einst (1484) den Dolchen der Anhänger der verwitweten Herzogin Bona nur dadurch, dass er die Kirche S. Ambrogio durch eine andere Tür betrat, als dieselben erwartet hatten. Eine besondere Impietät war dabei nicht beabsichtigt; die Mörder Galeazzos beteten noch vor der Tat zu dem Heiligen der betreffenden Kirche und hörten noch die erste Messe daselbst. Doch war es bei der Verschwörung der Pazzi gegen Lorenzo und Giuliano Medici (1478) eine Ursache des teil weisen Misslingens, dass der Bandit Montesecco sich zwar für die Ermordung bei einem Gastmahl verdungen hatte, den Vollzug im Dom von Florenz dagegen verweigerte; an seiner Stelle verstanden sich dann Geistliche dazu, „welche der heiligen Orte gewohnt waren und sich deshalb nicht scheuten“.

Was das Altertum betrifft, dessen Einwirkung auf die sittlichen und speziell auf die politischen Fragen noch öfter berührt werden wird, so gaben die Herrscher selbst das Beispiel, indem sie in ihrer Staatsidee sowohl als in ihrem Benehmen das alte römische Imperium oft ausdrücklich zum Vorbild nahmen. Ebenso schlössen sich nun ihre Gegner, sobald sie mit theoretischer Besinnung zu Werke gingen, den antiken Tyrannenmördern an. Es wird schwer zu beweisen sein, dass sie in der Hauptsache, im Entschluss zur Tat selbst, durch dies Vorbild seien bestimmt worden, aber reine Phrase und Stilsache blieb die Berufung auf das Altertum doch nicht. Die merkwürdigsten Aufschlüsse sind über die Mörder Galeazzo Sforzas, Lampugnani, Olgiati und Visconti vorhanden. Sie hatten alle drei ganz persönliche Motive, und doch kam der Entschluss vielleicht aus einem allgemeineren Grunde. Ein Humanist und Lehrer der Eloquenz, Cola d' Montani, hatte unter einer Schar von sehr jungen mailändischen Adeligen eine unklare Begier nach Ruhm und nach großen Taten für das Vaterland entzündet und war endlich gegen die zwei erstgenannten mit dem Gedanken einer Befreiung Mailands herausgerückt. Bald kam er in Verdacht, wurde ausgewiesen und musste die Jünglinge ihrem lodernden Fanatismus überlassen. Etwa zehn Tage vor der Tat verschworen sie sich feierlich im Kloster S. Ambrogio; „dann“, sagte Olgiati,, „in einem abgelegenen Raum vor einem Bilde des heiligen Ambrosius erhob ich meine Augen und flehte ihn um Hilfe für uns und sein ganzes Volk“. Der himmlische Stadtpatron soll die Tat schützen, gerade wie nachher S. Stephan, in dessen Kirche sie geschieht. Nun zogen sie noch viele andere halb in die Sache hinein, hatten im Hause Lampugnani ihr allnächtliches Hauptquartier und übten sich mit Dolchscheiden im Stechen. Die Tat gelang, aber Lampugnani wurde gleich von den Begleitern des Herzogs niedergemacht und die andern ergriffen. Visconti zeigte Reue, Olgiati blieb trotz aller Tortur dabei, dass die Tat ein Gott wohlgefälliges Opfer gewesen, und sagte noch, während ihm der Henker die Brust einschlug: „Nimm dich zusammen, Girolamo! Man wird lange an dich denken; der Tod ist bitter, der Ruhm ewig!“

So ideal aber die Vorsätze und Absichten hier sein mochten, so schimmert doch aus der Art und Weise, wie die Verschwörung betrieben wird, das Bild gerade des heillosesten aller Konspiratoren hervor, der mit der Freiheit gar nichts gemein hat: des Catilina. Die Jahrbücher von Siena sagen ausdrücklich, die Verschwörer hätten den Sallust studiert, und aus Olgiatis eigenem Bekenntnis erhellt es mittelbar. Auch sonst werden wir diesem furchtbaren Namen wieder begegnen. Für das geheime Komplottieren gab es eben doch, wenn man vom Zweck absah, kein so einladendes Muster mehr wie dieses.

Bei den Florentinern, so oft sie sich der Medici entledigten oder entledigen wollten, galt der Tyrannenmord als ein offen zugestandenes Ideal. Nach der Flucht der Medici im Jahre 1494 nahm man aus ihrem Palast Donatellos Bronzegruppe der Judith mit dem toten Holofernes und setzte sie vor den Signorenpalast an die Stelle, wo jetzt Michelangelos David steht, mit der Inschrift: Exemplum salutis publicae cives posuere 1495. Ganz besonders aber berief man sich jetzt auf den jüngeren Brutus, der noch bei Dante mit Cassius und Judas Ischarioth im untersten Schlund der Hölle steckt, weil er das Imperium verraten. Pietro Paolo Boscoli, dessen Verschwörung gegen Giuliano, Giovanni und Giulio Medici (1513) misslang, hatte im höchsten Grade für Brutus geschwärmt und sich vermessen, ihm nachzuahmen, wenn er einen Cassius fände; als solcher hatte sich ihm dann Agostino Capponi angeschlossen. Seine letzten Reden im Kerker, eines der wichtigsten Aktenstücke über den damaligen Religionszustand, zeigen, mit welcher Anstrengung er sich jener römischen Phantasien wieder entledigte, um christlich zu sterben. Ein Freund und der Beichtvater müssen ihm versichern, S. Thomas von Aquino verdamme die Verschwörungen überhaupt, aber der Beichtvater hat in späterer Zeit demselben Freunde insgeheim eingestanden, S. Thomas mache eine Distinktion und erlaube die Verschwörung gegen einen Tyrannen, der sich dem Volke gegen dessen Willen mit Gewalt aufgedrungen. Als Lorenzino Medici den Herzog Alessandro (1537) umgebracht und sich geflüchtet hatte, erschien eine wahrscheinlich echte, mindestens in seinem Auftrage verfasste Apologie der Tat, worin er den Tyrannenmord an sich als das verdienstlichste Werk preist; sich selbst vergleicht er auf den Fall, dass Alessandro wirklich ein echter Medici und also (wenn auch weitläufig) mit ihm verwandt gewesen, ungescheut mit Timoleon, dem Brudermörder aus Patriotismus. Andere haben auch hier den Vergleich mit Brutus gebraucht, und dass selbst Michelangelo noch ganz spät Gedanken dieser Art nachgehangen hat, darf man wohl aus seiner Brutusbüste (in den Uffizien) schließen. Er ließ sie unvollendet, wie fast alle seine Werke, aber gewiss nicht, weil ihm der Mord Cäsar s zu schwer auf das Herz gefallen, wie das darunter angebrachte Distichon meint.

Einen Massenradikalismus, wie er sich gegenüber den neueren Monarchien ausgebildet hat, würde man in den Fürstenstaaten der Renaissance vergebens suchen. Jeder einzelne protestierte wohl in seinem Innern gegen das Fürstentum, aber er suchte viel eher sich leidlich oder vorteilhaft unter demselben einzurichten, als es mit vereinten Kräften anzugreifen. Es musste schon so weit kommen, wie damals in Camerino, in Fabriano, in Rimini, bis eine Bevölkerung ihr regierendes Haus zu vertilgen oder zu verjagen unternahm. Auch wusste man in der Regel zu gut, dass man nur den Herrn wechseln würde. Das Gestirn der Republiken war entschieden im Sinken.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kultur und Kunst der Renaissance in Italien. 1. Buch