Einleitung und Vorbereitung zur Reise

Einer der größten Afrikareisenden hat den Anstoß gegeben zu einer wirklichen Periode der Entdeckungen, in welcher wir seit fast einem Jahrzehnt leben, um den schwarzen Kontinent zu entschleiern. Neidlos sagen wir es, dieser Afrikareisende war kein Deutscher, sondern ein Engländer. Bewundernd mussten wir aufsehen zu dem Manne, der nicht nur selbst so Großes leistete, sondern dessen anregende Persönlichkeit eine Reihe von Expeditionen ins Leben rief, welche in der Tat für die afrikanische Entdeckungsgeschichte, sowie für die Zivilisation der [Schwarzen] von einschneidendsten Folgen gewesen sind. Denn war nicht Camerons Reise verursacht worden durch die Kunde, Livingstone sei verschollen? Und die bedeutendste Entdeckung bezüglich hydrographischer Verhältnisse im letzten Dezennium, ich meine die Erforschung des Kongo durch Stanley, war diese nicht eine natürliche Folge seiner Reise: „Wie ich Livingstone fand"? Und als der große Erforscher und Dulder am 1. Mai 1873 seinen Leiden und körperlichen Anstrengungen in Ilala am Bangueolosee erlag und dann seine Leiche von seinen treuen Dienern auf den Schultern bis zum Ozean getragen wurde, um sie am 18. April 1874 in der Westminster-Abtei in London beizusetzen, hatte damit keineswegs seine Wirksamkeit aufgehört.

Auch über das Grab hinaus dauert die Kette fort, die uns mit Livingstone verbindet; denn durch die Nachricht, Livingstone sei verschollen, wurde der König der Belgier, dieser hochherzigste und uneigennützigste Förderer afrikanischer Interessen, zuerst auf den Gedanken gebracht, den verschwundenen und totgeglaubten englischen Reisenden aufsuchen zu lassen. Und als man später glücklicherweise Livingstone wieder auffand, ließ der König der Belgier den Gedanken Livingstones, die [Schwarzen] zu christianisieren und zu zivilisieren, keineswegs fallen, denn jedermann weiß, dass keiner zäher festhält am Gedanken, den schwarzen Kontinent zu eröffnen, als der Präsident der internationalen Assoziation, König Leopold.


Aber auch in Deutschland erfasste diejenigen, welche sich besonders mit Afrika, mit der Erforschung dieses Weltteils, mit der Zivilisation der schwarzen Rasse beschäftigt hatten, ein verstärkter und verjüngter Enthusiasmus, und war es namentlich unser um die Erforschung der ganzen Erde so hochverdienter Bastian, welcher das schon erwachte Interesse für Erschließung Afrikas neu zu beleben verstand.

,,Nach der politischen Geltung eines Volks bemisst sich die Höhe der Verpflichtungen, die ihm in Lösungen der Kulturaufgaben obliegen. Seit Deutschland wieder den ihm gebührenden Sitz im Rat der Nationen eingenommen hat, muss es auch in der Pflege der Wissenschaft mehr noch wie früher voranstehen, ziemt es ihm vor allen, in der Leitung geographischer Unternehmungen, die neue Gegenden der Kenntnis gewinnen sollen, an die Spitze zu treten, denn solche Erwerbungen werden in der Geschichte unter dem Namen desjenigen Volks verzeichnet, das zuerst kühn und entschlossen sich die Bahn nach ihnen brach." So sprach Bastian, und sein Aufruf fand Beifall. Alle geographischen Gesellschaften vereinigten sich im April 1873, und es wurde die „Afrikanische Gesellschaft" gegründet, welche als spezielle Aufgabe sich die Erforschung Südzentralafrikas gesetzt hatte.

Mit welch unermüdlichem Eifer die Gesellschaft bestrebt war, und wie die von ihr ausgesandten Reisenden bemüht gewesen sind, das Ihrige beizutragen zur Erforschung des schwer zu besiegenden Kontinents, das ist allen, die sich mit der Entdeckungsgeschichte Afrikas beschäftigen, genugsam bekannt. Nicht jedem ist es vergönnt, ein Stanley zu werden, und wie wenige haben die Mittel zur Verfügung, welche dem kühnen Amerikaner den Zug von Bagamoyo bis Emboma ermöglichten. Aber auch die Reisenden der Afrikanischen Gesellschaft, wie Güssfeldt, Pogge, Soyaux, Lenz, Lux, Pechuel -Lösche u. s. w., alle haben, jeder in seiner Art, ihr Verdienst an der Entschleierung des geheimnisvollen Erdteils. Zeitgenössische Neider und Nörgler vermögen nichts davonzunehmen.

Die Afrikanische Gesellschaft oder wie der offizielle Titel lautete: die ,,Deutsche Gesellschaft zur Erforschung Äquatorialafrikas", kann gewissermaßen als die Mutter der internationalen afrikanischen Gesellschaft betrachtet werden, welche Leopold II., der König der Belgier, im September 1876 ins Leben rief, und welche, da Deutschland sich an derselben mit regstem Eifer beteiligte, dahin führte, dass der deutsche Teil der internationalen afrikanischen Assoziation und die schon bestehende deutsche afrikanische Gesellschaft sich im Dezember 1876 zu einer „Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland" bildete.

Wenn erstere Gesellschaft mehr die rein wissenschaftlichen, rein geographischen Ziele im Auge hatte, so verfolgte die neue afrikanische Gesellschaft als Zweigverein der internationalen Assoziation gleichzeitig die Aufgabe, auf die Kultur und Zivilisation der Eingeborenen, also vorzugsweise der Schwarzen, hinzuwirken, Handel und Verkehr als hauptsächlichsten Hebel der Zivilisatorischen Bestrebungen zu beleben und endlich nach Kräften dem Sklavenhandel entgegenzuarbeiten.

Und so erhielt ich denn im Herbste des Jahres 1878 vom Vorstand der Afrikanischen Gesellschaft den Auftrag, von Norden her vorzudringen. Als eigentliches Erforschungsobjekt hatte ich selbst bezeichnet: die Wasserscheide festzustellen zwischen Benue, Schari und Kongo, eventuell Ogowe, und auch heute bildet dies immer noch in Afrika eins der wichtigsten zu lösenden Probleme. Die Afrikanische Gesellschaft billigte insofern vollkommen meinen Vorschlag, als sie ihrerseits die Aufgabe stellte: die Erforschung des nördlichen Teils des Beckens des Cougo und der angrenzenden Gebiete, insbesondere der Wasserscheide des Schari und Ogowe, sowie beider Flüsse gegen den Kongo hin. Dies wurde als das zu erforschende Gebiet bezeichnet und deshalb sollte die Expedition von Tripolis abgehen und dem Eindringen über Kufra der Vorzug gegeben werden.

Es lässt sich nicht leugnen, dass man dem Vorgehen vom Norden her manche gewichtige Bedenken entgegenhalten konnte, namentlich die Entfernung vom eigentlichen Erforschungsobjekt und besonders die Rohheit und den Fanatismus der zu durchziehenden mohammedanischen Stämme. Denn das lässt sich nicht hinwegleugnen, dass der religiöse Fanatismus den Reisenden mindestens ebenso gefährlich in Afrika ist, als das mörderische Klima gewisser Regionen. Von den vielen, die dem religiösen Fanatismus erlagen, nenne ich nur Hornemann, Röntgen, Vogel und Moritz von Beurmann. Engländer und Franzosen sind gleichfalls mit einem starken Kontingent von Märtyrern vertreten. Dieser religiöse Hass findet sich aber nur bei den semitischen Monotheisten, demnach auch in Nordafrika bei den mohammedanischen Völkern und selbst bei den ,,christlichen" Abessiniern ausgeprägt. Die Grenze des fanatischen Hasses gegen Andersdenkende erstreckt sich etwa von Norden her bis zum 5.° nördl. Br. Von den polytheistischen [Schwarzen] hat aus religiösen Gründen noch nie ein Reisender Schwierigkeiten erfahren, geschweige dass er deshalb ermordet worden wäre. Die Länge des Wegs also und die auf Fanatismus beruhende Feindseligkeit der Eingeborenen waren für das Eindringen vom Norden her die gefahrdrohendsten Momente.

Andererseits aber bot das Vorgehen vom Mittelmeer aus viele nicht zu unterschätzende Vorteile. Den Verkehr mit dem Vorstand der Afrikanischen Gesellschaft, sowie mit dem Gesamtvaterland konnte man lange unterhalten; ja, wenn dort nicht die unglückliche Nachlässigkeit der türkischen Regierung herrschte, würde man von Tripolis aus mittels des Telegraphen direkt mit Berlin verkehren, also Nachrichten z. B. von Sokna aus in 5 Tagen nach der Hauptstadt des Deutschen Reichs übermitteln können. Und Sokna liegt zirka 500 km von Tripolis entfernt. Der einst arbeitende telegraphische Draht zwischen Tripolis und Malta liegt aber jetzt zerbrochen auf dem Grunde des Meeres. Kein Mensch denkt daran, ihn wieder aufzunehmen und herzustellen. Als Dr. Nachtigal von hier aus seine ruhmvolle Reise nach Bornu und Uadai unternahm, erhielt er von der Regierung telegraphisch seine Mission angewiesen. Im Jahre 1868 hatte Tripolis telegraphische Verbindung, 1878 existierte sie nicht mehr. So etwas kann doch nur in solchen Ländern vorkommen, welche unter der Regierung der türkischen Efendis stehen. Man schreitet nicht vorwärts, sondern fällt zurück in Barbarei.

Aber abgesehen davon, hat doch Tripolis noch immer bessere und schnellere Verbindungen mit Europa, als sie gegenwärtig von der Loangoküste und Angola aus bestehen. Und können wir Deutschen nicht gerade Tripolitanien bezüglich des wissenschaftlich-geographischen Standpunktes als unsere ureigenste Domäne bezeichnen? Hornemann begann ja erst von hier aus seine Reise. Barth hatte Tripolis als Anfang und als Endpunkt seiner ausgedehnten Wanderungen genommen und vorher schon ganz Tripolitanien auf seiner Reise längs der Gestade des Mittelmeeres durchwandert. Vogel, Overweg und Moritz von Beurmann gingen von Tripolis aus. Keiner von ihnen sah zwar das Vaterland wieder: sie wurden alle drei ermordet; von Maltzahn weilte längere Zeit in Tripolis, und Nachtigal trat von hier aus seinen kühnen Flug an, der ihn nach dem nie betretenen Tibesti, Borgu und Uadai brachte. Ich selbst hatte Tripolis vorher schon dreimal besucht: 1864, als ich von der Übersteigung des großen Atlas zwischen Fes und Mikenes über Tafilet und Tuat bei Tripolis das Mittelmeer wieder erreichte; 1865, als ich von hier aufbrach, um Afrika zu durchqueren, und 1868, als ich abermals von hier aus meine Reise nach Cyrenaïka unternahm. Mit den örtlichen Verhältnissen war ich also vertraut.

Ein anderer nicht zu unterschätzender Vorteil ist aber der, dass man nirgends in Afrika so gute Transportmittel findet, als an der Nordküste. Im Süden dieses Erdteils hat man allerdings jene Ochsenkarren, deren sich auch Eduard Mohr bediente, als er seinen Zug nach den Victoriafällen des Zambesi unternahm. Aber sie werden doch eigentlich nur in Ländern angewandt, wo die Kultur bereits Wurzel schlug: in der Capcolonie, dem Orange-Staat, in Natal, Transvaalien und in der Kalahariwüste. Weiter nach dem Norden zu hat man als einziges Transportmittel an beiden Küsten bis jetzt nur den Menschen selbst. Wenn wir von den Gestaden des Rothen Meeres absehen und vom französischen Senegalien, von wo aus man mit Pferden, Maultieren und Eseln (die Engländer verwendeten zu ihrem Eindringen in Abessinien auch Kamele und sogar Elefanten) vorgehen kann, hat man jenen großen Raum zwischen dem 10.° nördl. Br. und 20.° südl. Br., auf welchem man in Afrika bislang nur auf den Transport mit Menschen angewiesen ist. Wie umständlich, unsicher und namentlich unangenehm eine solche Fortschaffung der Gegenstände ist, haben wir sattsam aus den Berichten aller Reisenden entnehmen können. Dazu kommt, dass ein Träger durchschnittlich nicht mehr als 25, höchstens 30 kg fortschaffen kann. Und nicht jedem Reisenden gelingt es, Träger zu bekommen, wie z. B. Stanley das Glück hatte. Die meisten müssen immer darauf vorbereitet sein, dass die Leute eines schönen Tags Gepäck und Flinte in den Busch werfen und aus irgendeinem, zuweilen stichhaltigen , meist aber eingebildeten Grunde erklären, die Reise nicht weiter fortsetzen zu wollen. Das ist noch halbwegs günstig, denn sehr häufig ziehen sie es vor, sans adieu, mit oder ohne Gepäck, mit oder ohne Waffen abzuziehen. Auf diese Art vordringen zu müssen, gehört an beiden Küsten zu den größten Unannehmlichkeiten und ist oft genug die Ursache des Misslingens einer Expedition.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Kufra. Reise von Tripolis nach der Oase Kufra.