Peter Suchenwirt 1377

Peter Suchenwirt128, wahrscheinlich aus Österreich gebürtig129, lebte ungefähr vom Jahre 1356 bis über das Jahr 1395 hinaus, und hinterlies eine Sammlung von Gedichten, welche teils in geschichtlichen Erzählungen, teils in allegorischen Lehrgedichten bestehen. In den erstem findet man mehre, von dem Dichter größtenteils an Ort und Stelle gesammelte, zwar kurze, aber doch für die Zeit in welche sie gehören, immer schätzbare Nachrichten über Russische Länder und Gebiete, und über geschichtliche Vorgänge, die sie betreffen, und in dieser Hinsicht verdient Suchenwirt hier wohl eine Stelle. Von der vollständigen Sammlung seiner Gedichte sind zwei Handschriften bekannt, von denen die eine, pfälzische, lange in der vaticanischen Bibliothek aufbewahrt wurde130, und sich nun wieder in Heidelberg befindet; die andere aber in der Kais. Hofbibliothek zu Wien. Zum Drucke beförderte sie zuerst der gelehrte Primisser in Wien unter folgendem Titel: Peter Suchenwirts Werke aus dem vierzehnten Jahrhunderte. Ein Beitrag zur Zeit- und Sittengeschichte, mit einer Einleitung, historischen Bemerkungen und Wörterbuche. Von Alois Primisser u. s. w. Wien, 1827, gr. 8°. In den geschichtlichen Gedichten berührt Suchenwirt fast die ganze Zeitgeschichte, indem er die Begebenheiten und Taten der Helden seiner Zeit, vorzüglich aber seines Landes, in und außer seinem Vaterlande, erzählt. Einige dieser fahrenden Ritter, und unter ihnen besonders Friedrich von Chreutzpeck und Hans von Traunn, kommen auf ihren weiten und mannigfaltigen Kriegszügen auch in russische Länder, und beide wohnten unter aändern der Schlacht von Isborsk, 1348, und der Erstürmung dieser Stadt durch den deutschen Orden, bei. Isborsk wird hier Eysenburk auch Eysenwurch genannt, und erhält den Beinamen die gehewer, oder herrliche. Was übrigens von den Taten dieser Helden sonst noch Bezug auf die Geschichte Russlands hat, wird an einem andern Orte seine Stelle finden.131

128) In einer heidelbergischen Handschrift seiner Gedichte, welche sich in der Vaticanischen Bibliothek befand, heißt er Peter der Suchenwirt.


129) Man hat vor kurzem aus einigen Stellen seiner Gedichte zu beweisen gesucht, dass er aus Bamberg gebürtig gewesen sei. S. Haas im Archiv für Gesch. und Altertumskunde in Oberfranken von E. C. von Hagen. Bd. I. Heft 1 No. 3.

130) S. Friedr. Adelung, Nachrichten von altdeutschen Gedichten welche aus der Heidelbergischen Bibliothek in die Vaticanische gekommen sind. Königsberg 1796. 8°. S. 10.

131) In einem Werke, welches nächstens unter dem Titel erscheinen wird: Nachrichten der Ausländer über Russland, von den ältesten Zeiten bis zum Anfange des achtzehnten Jahrhunderts.


Vorzüglich gehört aus Suchenwirts Werken das vierte Gedicht hierher, welches die Überschrift führt: Von Herzog Albrecht’s Ritterschaft. Im Jahre 1377 unternahm nämlich der junge Herzog Albrecht III, Sohn Albrechts II von Oesterreich, in Begleitung vieler Edelleute eine Ritterschaft nach Preußen, auf welcher Suchenwirt ihn als Hofdiener begleitete, und daher die durchzogenen Länder aus eigener Ansicht beschreiben konnte. Die Kriegsmannschaft des Herzogs Albrecht rückte von Insterburg in Preußen, zugleich mit dem deutschen Ordensheere nach Samaiten (Samogitien) vor, und drang darauf in russische Landstrecken ein, die später unter polnischer Oberherrschaft Schwarz-Reussen hießen. Suchenwirt erzählt v. 360 folg.

Des dritten tages chom daz her
Vroleich in ein ander lant
Daz waz Russenia genannt,
Da sach man wuhsten132, prennen,
Slahen, schiezzen und rennen,
Haid ein, pusch ein, unverzagt
u. s. w.

Darauf wird v. 427 folg. weiter berichtet:

Daz her wuchst133 drew gantze lant
Die ich mit namen tue bechannt;
Sameyt134, Russein, Aragel135.
Wint, regen und der hagel
Begraif uns da mit grozzen vrost,
Da fault uns harnasch und die chost
u. s. w.

Die Kreuzfahrer zogen sich hierauf zurück, v. 441 „und eylten tzu der Mymmel“136 unterwegs stehen sie jedoch großes Ungemach durch schlechte Witterung in dem unwegsamen Lande aus. Sie durchziehen v. 473 folg.

Ein wildung heist der granden137,
Gen westen noch gen sauden138
So poz gevert ich nye gerayt,
Daz sprich ich wol auf meyn ayt
u. s. w.

Sie erholen sich jedoch, wie es weiter v. 483 heißt:

Tzu Chunigezperch139 so waz uns gach
Do het wir rue und gut gemach.


132) Wüsten, verwüsten.
133) Verwüstete.
134) Samogitien
135) S. weiter unten.
136) Die Memel.
137) S. weiter unten.
138) Süden.
139) Königsberg.


Die oben angeführten drei Landschaften Russein, Aragel und Grauden erklärt Hr. Primisser durch Weißrussland, Carelien und Graudenz.140Diese Landschaften sind aber von Insterburg, dem Orte, von welchem das Ordensheer aufbrach, so entfernt und aus einander gelegen, dass diese Erklärung sehr unwahrscheinlich wird. Natürlicher scheint folgende, wodurch die von Suchenwirt angeführten Namen von Landschaften, Flüssen und Orten richtig gedeutet, und durch die nachbarliche Lage derselben die Wahrheit und Genauigkeit seines Berichtes dargetan wird. Das Ordensheer fällt von Insterburg aus in Samogitien ein, dringt am dritten Tage in Russenia vor, nämlich in Schwarz-Russland, die Gegend von Nowogrodek im jetzigen Grodnoschen Gouvernement, an dem obern Niemen, in Preußen Memel genannt; verwüstet einen Strich in diesem Lande und in Aragel, eilt dann an die Memel, und zieht sich durch die Wildnis Grauden wieder ins Ordensland zurück, worauf Suchenwirt in Königsberg von den Mühseligkeiten des Heerzuges ausruht. Er versichert dabei, und will es beschwören, dass er bis dahin nie, weder in Westen noch in Süden, so schlechte Wege gesehen habe. Aragel ist nämlich der germanisierte Name einer Litauischcn Landschaft Aragola oder Aragallen141, und die Wildnis Grauden ist die Gegend am Niemen, nordwestlich von Grodno, welche Stadt bekanntlich am Niemen liegt und um jene Zeit schon erbauet war. Die Landschaft, die sich von da nordwestlich gegen die preußische Grenze zieht, ist noch in unsern Tagen wenig bekannt, und konnte von Suchenwirt leicht eine Wildnis genannt werden. Ein solcher Zug, von Insterburg aus durch Samogitien bis in die Gegend von Nowogrodek, und von da, am Niemen über Grodno hinaus, zurück zur preußischen Grenze, konnte allerdings in kurzer Zeit vollbracht werden.142

Schließlich ist noch die Bemerkung hinzuzufügen, dass Suchenwirt die Verschiedenheit der von ihm erwähnten Russischen Länder gekannt zu haben scheint. Das ihm entfernteste nordöstlichste Russland, mit dem die livländischen Ritter Krieg führen, nennt er Weiss-Russland (Weizzen Reuzzen).143 Isborsk liegt in Weiß-Russland. S. XVIII. v. 205 u. 206. Die russischen Gebiete, welche an Litauen, im engern Sinne, grenzen, heißen bei ihm Russenia oder Russein, S. VI. v. 362 u. 429; es sind die von einem Volke russischer Mundart bewohnten Landstrecken, die späterhin Schwarz-Russland hießen.144 Rot-Reussen hingegen, oder diejenigen russischen Gebiete, die am frühesten unter polnische Herrschaft kamen, und die unserm Dichter am nächsten lagen, und daher auch wohl am bekanntesten waren, nennt er schlechtweg Reussen (Reuzzen).

140) S. Primissers Erläuterungen und Anmerkungen S. 195 und 202.

141) S. Schlözers Geschichte von Litauen.

142) Diese berichtigende Erklärung verdanke ich der Gefälligkeit des mit jener Örtlichkeit genau bekannten Hrn. Staatsrats von Busse.

143) Über die Benennung Weiß-Russland, und ihre Bedeutung zu verschiedenen Zeiten, s. Krugs Bemerkungen.

144) Vergl. Büschings Erdbeschreibung, Zweiler Teil, bei Polen.