St. Petersburg und Moskau

St. Petersburg - Newa-Quai - Newa - Zitadelle - Petersburg - Zarskoje-Sselo - Peterhof

Wer am Newa-Quai gestanden, der vergisst das großartige Bild nicht, das sich für immer seiner Erinnerung einprägt: die Fülle von Palästen, welche die grandiose Newa umrahmen und unter denen am Schönsten der vornehme rote Palast des Großfürsten Nicolai Nicolajewitsch, am Großartigsten der Winterpalast ist, der durch einen, weiten auf die Newa blickenden, Torbogen mit der Gemäldegalerie der Eremitage verbunden ist. Daran schließt sich die Admiralität, das prachtvollste Arsenal, das man je gesehen, auf zwei Seiten vom Alexandergarten umringt, mit der imponierenden Reiterstatue Peters des Großen vor dem Senats- und Synodalgebäude, — und der einigermaßen den Berliner Linden zu vergleichende dreiviertel Stunden lange Newski-Prospekt. Er bildet mit der großen Morskaja eine Perspektive eleganter Magazine und ist durch die Passage des Grafen Steinbock mit der Jtalianskaja-Uliza verbunden. Dieser Newski-Prospekt ist die Pulsader der Stadt und im Frühling und Herbst der Tummelplatz der haute -volée, die sich hier aus allen Nationen zusammenfindet.


Die höchste haute-volée Russlands aber thront im Senats- und daran stoßenden Synodalgebäude. „Der Senat ist die höchste Justizbehörde des Reiches, welche mit dem Reichsrat und dem Ministerkomitee zunächst unter dem Kaiser steht. Diesen drei ersten Behörden sind dann die zehn Ministerien untergeordnet, von denen aus das Räderwerk der Staatsmaschine nach allen Seiten des ungeheuren Reiches in Bewegung gesetzt wird.

Im Synodalgebäude thront der Heilige Synod, die höchste geistliche Autorität Russlands. Er besteht aus zwölf Mitgliedern, unter denen sich die drei Metropoliten Russlands befinden. Der Vorsitzende wird vom Kaiser ernannt, ebenso der Oberprocuror, ein Laie, der den Kaiser beim heiligen Kollegium zu vertreten hat, sich aber in kirchlichen Fragen möglichst passiv verhält. Überhaupt ist die Stellung des Kaisers der russischen Kirche gegenüber eine andere, als diejenige, welche die protestantischen Fürsten ihren Landeskirchen gegenüber einnehmen. Die russische Kirche erkennt kein anderes Oberhaupt als Christus und der Kaiser hat in Glaubenssachen nichts zu entscheiden. Sein Amt beschränkt sich auf das Bewahren des überlieferten. „In dieser Beziehung wird er das Oberhaupt der Kirche genannt", wie es wörtlich im Reichsgesetzbuch heißt. Ist das Staatsoberhaupt somit nur Beschützer der russischen Nationalkirche, so ist doch seine Macht in allem, was legislative und administrative Angelegenheiten betrifft, nicht zu unterschätzen, da jeder in dieses Gebiet einschlagende Synodalbeschluss der kaiserlichen Bestätigung, beziehungsweise der des Oberprocurors bedarf, ein Recht, welches übrigens mehr ein formelles als ein tatsächlich eingreifendes ist*)."

*) Th. von Bayer, Reiseeindrücke und Skizzen aus Russland. Stuttgart, Cotta. 1885.

Nach dieser Abschweifung über das Staatsräderwerk kehren wir zum Newa-Quai zurück.

In der Tat, der Newa-Quai, der nouveau Boulevard ist die Perle von Petersburg; und schöner als alles der weite Ausblick auf den stellenweise über tausend Meter breiten Strom und darüber hinaus auf das üppige Grün und die im Sommer wahrhaft südliche Vegetation der Landschaft an der kleinen Newa. Diese künstlerisch angelegten und wohlgepflegten herrlichen Parks von Petrowsk und Christowsk und wie die mit weißem geschnitzten Holzwerk verzierten Sommersitze der ,,alten“ und „neuen" „staruy" und „nowuy" Datsche alle heißen, sie suchen ihres Gleichen in der ganzen Welt. Denn nicht im winterlichen Schneegestöber, sondern im leuchtenden Sommerschmuck muss man Petersburg sehen, wenn die schönen Frauen vor den Türen ihrer Datsche vom an der Wegstraße sitzen, auf einer der Brückenbänke, die über den kleinen Bach führen, zwanglos in ländlicher Einsamkeit und mit ihren dunkeln sprechenden Augen die Fremden verwundert anschauen, die ungewohnt zur Sommerszeit herüberkommen.

Und wie bezaubernd mutet uns dann der Striok an mit seinen Bankreihen, der wunderliebliche Abendspaziergang am Kanal, und einer der schönsten Punkte, von dem aus man die Sonne untergehen sieht. Gegen diese Fülle von Schönheit der, durch Millionen von Rubel geschaffenen, Natur vermag der ganze Zauber der Salons nicht aufzukommen. Auch der Glanz der Kirchen und Klöster, selbst die prachtvolle Isaakskirche und das Alexander -Newski-Monastyr mit dem den Ostersarkophag Christi umschließenden Malachittempel und mit der ganzen Fülle ihrer gold- und diamantfunkelnden Madonnen und Heiligenbilder vermögen der Schönheit der Newainseln den Rang nicht streitig zu machen.

Ein guter Landauer oder leichter Halbwagen, der circa 10 Rubel pro Tag kostet, bespannt mit den flinken klugen russischen Pferden, denen das leichte zierliche Geschirr so vortrefflich ansteht, führt uns mit Blitzesschnelle nach allen Richtungen. Und ebenso sympathisch wie das ganze russische Gefährt, d. h. nur dasjenige der haute -volée, ebenso sympathisch ist mir der russische Kutscher mit seinem würdevollen Ernst, dem charakteristisch geformten schwarzen Filzhütchen und dem kurztailligen, dunkelblauen Kaftan von blauem Atlasgurt gehalten, mit kleinen, runden Silberknöpfchen an beiden Seitennähten, unter dessen schweren Falten die leuchtend blaue Leine sich halb verbirgt, mit der er, vornehm nachlässig, auf geschickteste Weise seine feurigen Rosse lenkt.

Im Innern der Stadt werfen wir einen Blick in den Gostinnoy Dwor, den russischen mehr europäisch hausartigen Bazar und den Marché-Marie , ein asiatisches Bazarviertel, durch dessen Tore man in das Gewirr der Bazarstraßen eingeht. Weiter fesselt uns nächst der innen prächtigen, aber düsteren Isaakskirche mit den vergoldeten Kuppeln die Kasan-Kathedrale mit ihrer Säulenhalle, eine nicht gelungene Nachbildung des römischen Petersdomes. Beide sind im Renaissancestil gehalten, dessen einfache graue Außenmauern zu der inneren Pracht der griechischen Kirchen wenig stimmt. Dann besichtigte ich die zierliche Smolnoi-Kirche in weißem vergoldeten Marmor, mit ihren fünf blauen sternbesäten Kuppeln und die mit Trophäen überdeckte Kirche Preobrashensky, deren eigenartiger Kirchhof rings im Umkreise von dreihundert türkischen und französischen Kanonen umgeben ist, die untereinander mit Ketten verbunden sind.

Zu den interessantesten Exkursionen aber gehört jedenfalls diejenige zum Jardin d'été und zu dem alten Palais Peters des Großen mit seinen kleinen und niederen Gemächern und der bescheidenen Fliesen-Küche im Untergeschoss, während in derselben einfachen Weise das obere Geschoss für Katharina hergerichtet ward. Und noch interessanter ist die Exkursion nach der Zitadelle, zu der man vom Marsfelde über die Troitzki-Brücke gelangt mit wundervollem Blick auf die Inselpartien und speziell die Festungsinsel. Die Zitadelle bewahrt das kleine unscheinbare Häuschen Peters des Großen auf, das man samt und sonders unter Dach gebracht und sein Wohnzimmer zur Erlöser-Kapelle gewandelt hat, auf der Stelle der ersten Anfange von St. Petersburg um das Jahr 1703. Nur der Salon ist noch zu besichtigen, unscheinbar, klein und niedrig, ebenso wie ein winziges Schlafzimmer, in seltsamem Kontrast zu der martialischen Gestalt mit den kühnen Gesichtszügen, die diese Bäume bewohnte. Und einen gleichen Kontrast zu dem im Leben so bescheiden wohnenden gewaltigen Herrscher bildet das prachtvolle silberne Grabdenkmal, das man ihm im Alexander-Newski Monastyr gesetzt hat. Sein Grab ist in der Kirche Petri und Pauli innerhalb der Zitadelle, von fern durch das vergoldete Turmdach sichtbar. Auch seine Nachfolger sind dort beigesetzt und wohltuend berührt uns der frische Blumenschmuck und das üppige Grün auf den weißen, mit goldenem Kreuz geschmückten Marmorsarkophagen der Herrscher. Peters Vorgänger aber liegen in Moskau in der Gräberkirche Archangelsk im Kreml.

Petersburg mit über eine Million Einwohner an der Mündung der Newa in den finnischen Golf gelegen, wird von dem Strom in zwei Teile und verschiedene Inselgruppen geteilt und speziell die Newa-Partien sind es, die der Hauptstadt ihr großartiges Gepräge aufdrücken. So die mit Granitquadern aufgemauerten Quais, unter denen der Quai anglais und der Quai de Palais die schönsten Spaziergänge sind; vor allem aber die prachtvolle, in ihrer Mitte mit einer Kapelle geschmückte Nicolai-Brücke, über die man zur Insel Wassili Ostrow gelangt, einem der glänzendsten Quartiere der Stadt mit den eleganten Bauten der Börse, Universität, Akademie der Wissenschaften und dem, mit herrlichen Monumenten geschmückten Kirchhof Smolenskoi, zu dem eine Gräberstraße von wundervollen Rosengärten und ausgestellten Grabkreuzen und Kränzen den würdigen Eingang bildet. Die Insel Wassili Ostrow ist auch zugleich der Abfahrtsort der Dampfer nach Strelna, Peterhof, Kronstadt, Schlüsselburg, Oranienbaum und nach dem Auslande.

In Zarskoje-Sselo, d. h. Zarendorf, wohin man per Bahn in dreiviertel Stunden gelangt, ist es weniger das langgestreckte, großartige Lustschloss im Spätrenaissancestil, das unsere Blicke anzieht, als der ausgedehnte, herrliche Park mit seinem Arsenal, den Pavillons, Flottillen, Theater, Vacherien, Grotten und Kaskaden. Bei den vielen Spielereien aber kommt die Natur zu kurz. Und mit desto größerem Interesse wendete ich mich zu dem bunten Treiben der Übungslager, deren weiße Zelte uns schon von fern entgegenschimmerten. Hauptsächlich stehen Husaren und Kubanische Kosaken in der Garnison, von denen letztere dunkelblaue Uniform und Pelzmützen tragen, gleich den Tscherkessen. Das hübsche Städtchen Zarskoje-Sselo, fest nur aus Holzhäusern bestehend, enthält über 15.000 Einwohner.

Ein anderer Ausflug führt uns per Bahn über Strelna und Peterhof nach dem schön gelegenen Schloss Oranienbaum und von dort mit Pferdebahn und Dampfer nach Kronstadt hinüber, das sich durch seine großartigen Festungswerke und seinen dreifachen Hafen auszeichnet: für tausend Kauffahrer, die Flotte und die Ausrüstung der Kriegsschiffe, über die man von der Glaskuppel des Moniteurs den besten Überblick hat. Aber das schlechte Restaurant inmitten der wüsten schmutzigen Stadt, das schlechte Pflaster und die noch schlechteren Droscky lassen uns ahnen, wie es im Allgemeinen um kleine russische Städte bestellt ist. Und man sehnt sich zurück nach der Hauptstadt mit ihren breiten geraden Straßen, trefflichen Equipagen und bequemem Pflaster aus Holzquadern.

Der schönste Ausflug war der, den ich Morgens neun Uhr bei leuchtendem Himmel vorüber an Sergie und Strelna per Dampfer nach Peterhof machte, und ein treffliches Diner wurde mir in dem reizenden anmutig im Park gelegenen Restaurant von Peterhof serviert Der Blick auf den an warmen Sommertagen durchsichtig blau schimmernden Golf von Finnland ist ein unvergesslicher, und am Ungeteiltesten hat man diesen Blick von dem einfachen Schloss Katharinens Mon Plaisir. Ebenso einfach wie das Schloss Katharinens ist das bescheidene Haus Peters des Großen. Oben aber auf der Höhe steht der Prachtpalast der jetzigen Herrscher, von dem herab Mittags zwei Uhr im ganzen Park in unzähligen Abwechslungen alle Wasser springen. Und zwischen alter und neuer Zeit einen vermittelnden Übergang bildet im Eintrittssaal des neuen Schlosses die Galerie schöner Frauenköpfe aus allen Ländern der Welt, die von den Wänden herab eigenartig genug, wie aus goldenen Gitterfenstern dem Beschauer entgegenblicken.

Das schöne Peterhof mit dem unvergesslichen Golf muss man als letzten Reiseeindruck von Petersburg mitnehmen, und die dreißigstündige Fahrt von Preußen nach der Hauptstadt des Russenreiches wird Niemand bereuen, der sie je im Leben gemacht oder zu machen gedenkt.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Krim- und Kaukasus-Fahrt. Bilder aus Russland,