Warschau

Es war ein charakteristischer Einzug. Ein Wolkenbruch hatte fast die Bahnschienen weggeschwemmt und in den flutenden Rinnsteinen der Straßen feierte man durch Lämpchen-Illumination des Zars Geburtstag den 3. August, nach russischem Datum den 22. Juli. Aber nichts war erhellt, als diese engen schmutzigen Trottoirs. Die Fenster der Häuser blieben dunkel, nur an den Regierungsgebäuden zeigte sich die Krone oder die Kaiserlichen Initialen in Lämpchen-Illumination oder Gasflammen. Von geringem Interesse ist das Judenviertel der Altstadt, modern schmutzig und mit schlechtem Steinpflaster, aus Eisenrost mit spitzen Steinchen gefüllt, in gleicher Weise wie die übrige Altstadt Den polnischen Juden und speziell den Pferdejuden trifft man viel charakteristischer in Preußen an.
Reizend aber ist die Spazierfahrt durch die neuen Stadtteile, an schönen, in Gärten gelegenen Villen der mannigfaltigsten Stilarten vorbei, durch eine prächtige Allee für Wagen, mit zwei Nebenalleen für Fußgänger, nach dem, in anmutigem Park gelegenen Schlösschen Lajenka, das einst vom unglücklichen Könige Stanislaus IV. Poniatowski bewohnt ward, jetzt aber bei Kaiserbesuchen der Sitz der Zarenfamilie ist. Außerordentlich schön und großartig, ein wahrer Schatz für Warschaus höhere Gesellschaft, ist am Sächsischen Platz mit seinem imponierenden russischen Kriegerdenkmal, nahe dem trefflichen Hotel Victoria, der Sächsische Garten mit seinen uralten Alleen, den schönen Springbrunnen und Schwanenteichen, in dem sich abends die Gesamtbevölkerung ergeht.
Dieses Kapitel ist Teil des Buches Krim- und Kaukasus-Fahrt - Bilder aus Russland